Den Kindern auf den hinteren Bänken wird es langweilig. Sie lesen laut die Aufschriften der innerstädtischen Boutiquen-Schaufenster ab: „Saldi. Saldi. Saldi. Saldi. Saldi. – Samma, kann der Italiener denn gar kein Englisch?“
Dann, eine halbe Stunde später, ein vielstimmiger Schrei: „SALE! Das steht Sale! In Weltsprache!“ Die vorne sitzenden Eltern hören Abklatschgeräusche von hinten. Der „Sale“ plakatierende Laden heißt „Doppelganger“, ein Wort, das es, zwei Pünktchen hinzugedacht, nur auf deutsch gibt.
4.2. 2014
Kubitschek vertritt den Standpunkt, daß man Bettlern gegenüber gütig, heißt freigiebig, sein müsse. Eine Einstellung, die innerfamiliär oft umstritten war. Ab der fünften Person, die klagend anfragt, hält Kubitschek seine Geldbörse verschlossen. Dabei ist der Tag noch jung. Nein, wir brauchen auch keine Schirme und keine Laserpointer, nein, wir haben schon gegessen, nein, die Ehefrau ist bereits auf Rosen gebettet.
Schlimmer als die Bettelei stößt die Schlitzohrigkeit des Italieners auf: Bitte Diesel tanken, voll! Natürlich wird vom subalternen Betanker fraglos Diesel excellium getankt, nur zehn Cent teurer pro Liter, also 1,80 Cent, also 16 Euro mehr insgesamt. Oder: bitte sehr, Antipasti, eine Üblichkeit des Hauses! Vorab Bruschetta, wir erlauben uns, auch ohne Bestellung zu servieren! All diese Gastfreundlichkeiten auf der Quittung mal neun: ein hübsches Sümmchen.
5.2. 2014
Abendliches Beieinandersitzen mit polyglotten Casa-Pound-Leuten. Wir haben eine gigantische Pressemappe durchgeblättert und wundern uns über den zwar kritischen, doch neugierigen und offenen Ton der Berichterstattung über das von „rechts“ besetzte Haus. Renommierte, große Zeitungen und Magazine nehmen diese subversiven Rechten hier als politisch ernstzunehmende Kraft wahr. Die Casa-Pound-Leute sagen: Ja, sie wüßten um die schwierige Situation in Deutschland. Es gäbe aber einen Trick: Man müsse sich nur offen als „faschistisch“ bekennen und dies als einen „Lebensstil“ unter vielen anderen proklamieren. Dann sei man gewappnet gegen Anwürfe jeder Art. Ein wahnsinnig guter Tip!
6.2. 2014
Vielleicht verrückte, sicher aber familienfremde Leute aus dem Kultusministerium muten sachsen-anhaltischen Eltern zwölf Tage „Winterferien“ zu. Nur Eltern wissen, wie toll Ferien in einer Zeit sind, in der draußen matschiges Braun vorherrscht. Die Osterferien haben sie uns dafür fast ganz gestrichen. Die Hoffnung, daß hier in Italien Kinderferienwetter herrsche, hatte den Anstoß zur Reise gegeben.
In der Tat: blauer Himmel, siebzehn Grad. Sonnencreme für die blaßdeutschen Gesichter führt der Italiener nicht am Laden an der Ecke, nein, man muß in der Apotheke eine Tube zu 28 Euro erwerben. Dafür darf in der Adria gebadet werden. Darf? Muß! Jenes eine Kind, das vornehm beschlossen hat, nur bis zu den Knien im Meer zu planschen, wird hinterrücks überfallen: Badeurlaub, das ist ein Befehl! Die notorischen Beschwimmer der winterlichen Unstrut sagen: Auch das Wasser in Italien ist viel wärmer. Und das Kind mit den nassen Kleidern findet letztlich, daß die Bergwanderung gestern weitaus strapaziöser war als das erfrischende Bad.
7.2. 2014
Das Verkehrsaufkommen in Rom bringt mich an den Rande eines Nervenzusammenbruchs. Dabei bin ich nur Mitfahrerin! Merke: Zebrastreifen sind strikt zu ignorieren, Vorfahrtsregeln werden vom Italiener in Form einer situativen Anarchie geregelt: Dem, der mutig vorprescht, gehört die Straße, und der italienische Geradeauspfeil meint nach unserem Empfinden rechts. Es gibt natürlich keinen Parkplatz. Kubitschek heißt den Rest der Familie aussteigen, er wird allein einen abgelegenen Parkplatz für unsere angemietete Riesenkarosse finden. Das dauert eine Viertelstunde. Wir unternehmen unterdessen eine spontane Verkehrsteilnehmerzählung an unterschiedlichen Ecken. Sieben von hundert Fahrern sind weiblichen Geschlechts, zähle ich, neun von Hundert zählt eine Tochter, elf von hundert eine andere. Woran liegt´s? Ist der Italiener nur spärlich emanzipiert? Verbietet er der Italienerin das Lenken? Oder haben jene Hirnforscher recht, die behaupten, Orientierung sei durch die unterschiedliche Verdrahtung männlicher und weiblicher Hirnhälften Männersache? Zu Fuß hingegen scheinen die Geschlechter etwa gleich repräsentiert. Komisch. Am Abend lernen wir in einer Kneipe zwei Deutsche kennen: „Was, ihr seid hier mit dem Auto unterwegs? Das wagen in Rom nur Verrückte!“
8.2. 2014
Der Gang der Dinge auf der Welt kam die vergangenen fünf Tage ohne uns aus. Die W‑Lan-Codes der Hotels erfragten wir nicht, die Fernseher blieben aus, wir kauften auch keine Zeitungen, und elektronische Kleingeräte pflegen wir nicht bei uns zu tragen. Gaffend stehen wir aber frühmorgens vor dem breiten Flachbildschirm in einem Cafe. Während Kubitschek Espresso, heiße Schokolade und Linzer Torte ordert, werden Bilder einer Überwachungskamera gezeigt: Ein zweirädrig motorisiertes Schlitzohr raubt einer älteren Dame die Handtasche und fährt sie dabei nieder. Darunter läuft ein Schriftzug mit den drei hot news. Eine lautet: Deutsche Mannschaft begeht Olympia-Eröffnung in Pro-Gay-Uniform. Die deutschen Café-Besucher – also wir – lachen, die Service-Kräfte schauen hoch und lachen mit. Etwas später werden die deutschen Sportler in ihren Regenbogen-Uniformen eingeblendet. Kubitschek ist weiterhin mit dem Bestellvorgang beschäftigt und hochkonzentriert. Erneut taucht die Schrift mit den hot news von den Pro-Gay-Deutschen auf. Ein Kellner stößt Kubitschek an und weist mit dem Kinn auf die vielköpfige Frauenmannschaft hinter ihm: „Seems, you are the only one to be not-gay in your country, eh?“ Kubitschek, zerstreut: „Si, si, grazie!“
Karolus
Ja, das waren noch Zeiten, als man als Berliner Lehrer vor 1989 keine Winterferien, dafür aber drei Wochen lang Osterferien hatte. Die Winterferien verdanken wir der DDR seligen Angedenkens, denn zwei Wochen lang die unzählingen Schulhäuser nicht beheizen zu müssen, stellte für die energiearme DDR seligen Angedenkens eine enorme Einsparung dar.
Kositza: Ja, hierzulande sprechen sie immer noch von "Kohleferien", und die Legende besagt, daß zu diesen Zeiten eifrige Kinderhände halfen, die angelieferten Kohlen in die Keller zu schaffen... hehe, wer heute richtig Kohle hat, fliegt in den Kohleferien auf die Südhalbkugel...