Falls es etwas zu bemängeln gäbe an Böckelmanns luzider Analyse, dann wäre es der Untertitel. »Was sind unsere Werte noch wert?« Das suggeriert nämlich einen gestrigen, rechte-Flanke-der-CDU-affinen Klageton, der nicht im mindesten passen mag auf dieses illusionslos ernüchternde, weltkluge Büchlein, das man nachgerade zur Pflichtlektüre erklären möchte.
Wenn man nun (durchaus wahrheitsgemäß) schriebe, Böckelmann – der selbst Frontmann der Subversiven Aktion um Dieter Kunzelmann, Bernd Rabehl und Rudi Dutschke war – setze sich damit auseinander, daß die Achtundsechziger (als strikte Individualisten) nie genuin Linke waren; daß der Habitus und Jargon der Studentenrevolte bereits in den frühen Fünfzigern seinen Ursprung gehabt habe und kraft seiner »unwiderstehlichen Ideen« bis heute fortwirke; daß es zudem einige stillschweigende Einverständnisse zwischen Linken und Rechten gebe – nämlich den Glauben an die moralische Entscheidung des Einzelnen und die Kraft politischer Aufklärung: man ginge an der superben Qualität dieser Essays vorbei.
Böckelmann ist ein gedankenstarker, wortgewaltiger Originärdenker, ein Empiriker, der seine Befunde als funkelnde Merksätze zu bündeln versteht. Dieses Bändchen formuliert in nuce Böckelmanns großes Werk Die Welt als Ort (2007). Empfand man jenes Buch bereits als Verdichtung dessen, was ist, so finden sich die skeptischen, auch scharfen, nie aber in einen Polterton fallenden Einlassungen des Autors zur »Entgrenzungsproblematik« hier abermals komprimiert. Man kann dies in Kürze nur in Beispielen verdeutlichen: Böckelmann sieht ein »Emanzipationsprotokoll« walten und gebieten, das »Selbstbestimmung«, »Vielfalt« und »Gleichberechtigung« zu Universalmaximen aufsteigen ließ.
Der ortlose Slogan von der »Weltoffenheit« tut ein Übriges: Die Anderen (etwa im arabischen Frühling, in Indien), »interessieren uns nicht als Andere, sondern als mögliche Ähnliche, die dem Dickicht unverhandelbarer Werte (Ehrwürdigkeit, Respekt gegenüber den Ahnen, Schicklichkeit, Gefolgschaftstreue) entlaufen, um auf den Straßen und auf Facebook unsere Parolen zu rufen«.
Das ursprünglich Linke als Kampfansage werde längst »als gefälliges, humanitäres Gütesiegel« verramscht: »Wer sich als ›links‹ tauft, kündigt an, noch hartnäckiger fordern zu wollen, was alle anderen ebenfalls fordern.« Böckelmann konstatiert eine weltgeschichtlich einzigartige gefühlte Ungezwungenheit, jedoch: »Beim Horchen auf den Ton des Tages geht es zu wie bei Hofe.« Wer wagt es schon, sich außerhalb der Diskursgebote namens »Selbstbestimmtheit«, »Vielfalt«, »Toleranz« und »Emanzipation« zu stellen? Jene Leitideen mit ihrer »entwaffnenden Wucht« hätten zwar eine lange europäische Tradtion, neu sei ihre Potenz, Gehalte zu erübrigen.
Die Richtungsangabe rechts hingegen werde aus diesen Gründen nicht vereinnahmt, sondern denunziert. Deshalb ginge der fehl, der den »kulturellen Vakuumpumpe« mit mit einem gegenläufigen, also rechten Aktivismus abhelfen wolle. »Ihm wäre zu raten, zunächst den konservativen Grundsatz ›Erkenne die Lage‹« zu beherzigen und sich gegenüber einem Größeren, unserem epochalen Geschick, in Geduld zu üben. Erst eine Erschütterung der Lebensgrundlagen, gefolgt von einem »großen Enthusiasmus« (Carl Schmitt), würde die »Masse der Verstreuten zu ihrem gemeinsamen Ort und in ihre Geschichte zurückrufen«. Außerordentlich auch Böckelmanns Passagen zum Feminismus.
Anhand dieser Ideologie werde der Kompetenzgewinn der Medien deutlich, eigenmächtig per Kontrastierung eines vorgeblichen »Vorher« und eines »Nachher« das »Geschehen mit der Berichterstattung gleichzusetzen. Daß die sexuelle Liberalisierung eine ›wirkliche Revolution‹ war, ist ein Dekret der Medien, dem zu widersprechen Unverständnis auslöst. So ist es gesendet und geschrieben worden, und die Frauen haben ihre Wahrnehmung daran abzugleichen. Vorher war ›verdüstertes Geschlechtsleben‹, nachher war die Freiheit. Basta«. Die neue »starke Frau« ist das Weib mit Marktwert, das sein »Handeln strikt nach den Regeln des Wettbewerbs um Gage und Beachtung« ausrichtet.
Der Stoff für die Einübung des »therapierten Menschenverstandes« ist unermeßlich. Schade nur, daß wirklich originelle Denker wie Böckelmann rar sind.
Frank Böckelmann: Jargon der Weltoffenheit. Was sind unsere Werte noch wert? Waltrop und Leipzig: Manuscriptum (= Edition Sonderwege) 2013. 131 S., 9.80 €
Nordlaender
Mit Superlativen sollte man sparsam umgehen, doch Böckelmann hat mehrfach fürwahr Grandioses geleistet. Neben "Die Welt als Ort" empföhle ich noch sein brilliantes Werk: "Die Gelben, die Schwarzen, die Weißen" (Eichborn, 1998), für mich der Klassiker, der mit der Weltoffenheit des einschlägigen Xenophilen, des modisch-angepaßten Vielfaltspinsels, gründlichst aufräumt.
Inhaltlich m.E. überaus wichtig "Bertelsmann: Hinter der Fassade des Medienimperiums" (Eichborn, 2004)
Bin immer wieder verwundert, wie wenig Rechte/Konservative sich für reale Machtverhältnisse (mit Random House, RTL usw. usw. handelt es sich um eines DER führenden Medienunternehmen dieser Welt) interessieren, immerhin ist BERTELSMANN einer der Haupttäter bei der Schleifung unserer Bildungslandschaft und nach der geistig-moralischen Wende, ausgelöst von der Christlich-Demokratischen Union, bestimmt BERTELSMANN außerdem erheblich mit, welche Bewußtseinsinhalte unsere Medienjugend prägen.
Bestaunen kann ich nur, wie Böckelmann so einen weiten Weg gehen konnte. Alte Schriften von ihm sind durch und durch von orthodoxen Denkmustern der Frankfurter Schule geprägt. "Die schlechte Aufhebung der autoritären Persönlichkeit" (Böckelmann, 1971) - für mich schlichtemang unlesbar.