Evelyn Waugh: Ausflug ins wirkliche Leben / Wiedersehen mit Brideshead

(Rezension aus Sezession 58 / Februar 2014) - Nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit müßten die Bücher Evelyn Waughs (1903–1966) heute verschmäht werden.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Der bri­ti­sche Schrift­stel­ler und Kolum­nist hat­te sich nach homo­ero­ti­schen Dan­dy­jah­ren dem Katho­li­zis­mus zuge­wandt, er war Kul­tur­pes­si­mist reins­ter Sor­te, ver­ab­scheu­te Poli­tik (»kei­ne Par­tei ist für mich reak­tio­när genug«), haß­te Sport und die moder­nen Medi­en, hul­dig­te Mus­so­li­ni und war dabei Antisozialist.

Nach Abdan­kung der alten Welt frön­te er König Alko­hol. Sei­ne ers­te Ehe ließ Waugh annul­lie­ren. Mit sei­ner zwei­ten Frau hat­te er sie­ben Kin­der, die Glau­bens- und Lit­ur­gie­re­geln des Zwei­ten Vati­ka­ni­schen Kon­zils lehn­te er strikt ab. Der irri­tier­ten Nan­cy Mit­ford, die klag­te, wie ein Katho­lik so mit­leid­los sein kön­ne, ant­wor­te­te er: »Wäre ich nicht Katho­lik, dann wäre ich noch viel unausstehlicher«.

In einem BBC-Inter­view plä­dier­te Waugh für die Todes­stra­fe, die »für viel zu wenig Delik­te« ver­hängt wer­de. Als ihn Zei­tungs­re­por­ter auf sei­nem Land­sitz besuch­ten, um ihn zu inter­view­en, woll­te er das gesam­te Anwe­sen ver­kau­fen, weil es nun »ver­seucht« sei. Leb­te Waugh heu­te, man wür­de ihn als far-right eti­ket­tie­ren. Aber! Alle lie­ben Eve­lyn Waugh, das Feuil­le­ton wie die Lese­kund­schaft. Fünf Ster­ne, auf wel­ches sei­ner Bücher man schaut. »18 mal gele­sen, 27 mal ver­schenkt«, so wirbt Dio­ge­nes, Waughs Ver­lag im deut­schen Sprach­raum, mit dem Ent­zü­cken­s­ruf einer bekann­ten Schrift­stel­le­rin für die Neu­über­set­zung von Bri­des­head revi­si­ted. Man staunt über das Aus­maß an zeit­ge­nös­si­schem Jubel. Wie­der­se­hen mit Bri­des­head, die­ser melo­dra­ma­ti­sche Abge­sang der aris­to­kra­ti­schen, längst deka­den­ten Ära zuguns­ten des effi­zi­en­ten Zeit­al­ters der gewöhn­li­chen Leu­te gehört nach wie vor zum Lek­tü­re-kanon jener, die sich mit Zeit­ge­nos­sen­schaft per se schwertun.

Zum 110. Geburts­tag des eli­tä­ren Que­ru­lan­ten hat Dio­ge­nes außer­dem ein hübsch geschu­ber­tes Bänd­chen mit fünf­zehn Erzäh­lun­gen her­aus­ge­bracht, von denen fünf erst­ma­lig in deut­scher Über­set­zung erschei­nen. Neu über­setzt (von Hans-Ulrich Möh­ring) wur­de das 1953 erst­ver­öf­fent­lich­te Sit­ten­ge­mäl­de aus der nahen Zukunft: Lie­be in Schutt und Asche. Es sticht nicht auf­grund sei­ner poe­ti­schen Qua­li­tät aus der Samm­lung her­vor, son­dern wegen sei­ner pro­phe­ti­schen Merk­wür­dig­keit. Waugh war ansons­ten kein Sci­ence-fic­tion-Autor, sei­ne Gegen­wart pfleg­te ihm reich­lich Evi­denz zu lie­fern für die Fall­rich­tung. »Trotz ihrer Ver­spre­chun­gen vor den letz­ten Wah­len hat­ten die Poli­ti­ker das Kli­ma noch immer nicht geän­dert«, so beginnt die Erzäh­lung. Der Regie­rung war es »gelun­gen«, eine »Ket­ten­re­ak­ti­on von Schei­dun­gen« in Gang zu setzen.

Auch Miles ist ein Pro­dukt eines jener Paa­re, die sich »nun über die gan­ze Freie Welt zer­streu­ten«. Miles ist unter staat­li­cher Obhut auf­ge­wach­sen. »Rie­si­ge Sum­men« sind auf sei­ne Erzie­hung auf­ge­wandt wor­den, »jedes Detail sei­ner Kin­der- und Jugend­jah­re wur­de auf­ge­zeich­net und archi­viert«. Miles wird trotz­dem ein Pro­blem­fall, er wird zum Pyro­ma­nen. Das Gericht ver­weist die wei­nen­den Wit­wen, Müt­ter und Wai­sen der Brand­op­fer dar­auf, »daß dies ein Sozi­al­ge­richt war und kei­ne Ver­samm­lung des Haus­frau­en­ver­bands«. Der Rich­ter erin­nert dar­an, daß das »Neue Recht« in »Neu­bri­tan­ni­en« kei­ne Kri­mi­nel­len vor­sieht: »Es gibt nur Opfer einer man­gel­haf­ten Sozi­al­für­sor­ge«. Miles wird in die höchst lebens­wer­te Anstalt Mount­joy über­wie­sen. Ent­ge­gen sei­nem Wil­len wird er (»der Staat sei mit ihnen!«) bald frei­ge­las­sen – in den Staats­dienst, auf die »kon­kur­renz­freie Kar­rie­re­lei­ter«. Der »Bezirks­pro­gres­si­ve« soll ihn anlei­ten. Miles ver­rich­tet sei­nen Dienst hin­ter Glas­fas­sa­den, die Trans­pa­renz sug­ge­rie­ren und »das Son­nen­licht ein­fan­gen« sol­len. Er ist dem Eutha­na­sie-Dienst zuge­ord­net, der ein­zig expan­die­ren­den Abtei­lung des maro­den Staatswesens.

Ande­re benei­den ihn für die­se Tätig­keit: »Ich«, sagt einer, »hat­te ein Hei­les Fami­li­en­le­ben, der Staat steh mir bei!«. Miles’ Mit­ar­bei­ter kla­gen hin­ge­gen über den Zustrom an den Gas­kam­mern: »Das Land ist so reich an natür­li­chen Todes­schät­zen, aber alle müs­sen zu uns kom­men«. Miles ver­liebt sich in ein Opfer eines Gen­der-Expe­ri­ments. Das leben­di­ge Pro­dukt die­ser Lie­be wird abge­trie­ben: »Ja, das muß­te weg. Ich hät­te nie wie­der tan­zen kön­nen«. Die Gelieb­te ist glück­lich. Denn zugleich haben sie ihr im Kran­ken­haus die Gesichts­haut abge­nom­men »und sie mit einer neu­en Sub­stanz ersetzt, die Schmin­ke her­vor­ra­gend annimmt«. Wäh­rend Miles die rosa Mas­ke anstarrt, ertönt aus dem Appa­rat am Bett – Waugh haß­te das Radio, es spielt in eini­gen sei­ner Erzäh­lun­gen eine Rol­le – eine alte Wei­se: »… bring euch gute neue Mär, der neu­en Mär bring ich so viel, davon ich sin­gen und sagen will«. Miles wird erneut zün­deln. Dies­mal trifft es »nur Staatseigentum«.

Eve­lyn Waugh: Aus­flug ins wirk­li­che Leben. Erzäh­lun­gen, Zürich: Dio­ge­nes 2013. 512 S., 19.90 €.
Ders.: Wie­der­se­hen mit Bri­des­head. Die hei­li­gen und pro­fa­nen Erin­ne­run­gen des Cap­tain Charles Ryder, Zürich: Dio­ge­nes 2013. 512 S., 26.90 €

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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