Der britische Schriftsteller und Kolumnist hatte sich nach homoerotischen Dandyjahren dem Katholizismus zugewandt, er war Kulturpessimist reinster Sorte, verabscheute Politik (»keine Partei ist für mich reaktionär genug«), haßte Sport und die modernen Medien, huldigte Mussolini und war dabei Antisozialist.
Nach Abdankung der alten Welt frönte er König Alkohol. Seine erste Ehe ließ Waugh annullieren. Mit seiner zweiten Frau hatte er sieben Kinder, die Glaubens- und Liturgieregeln des Zweiten Vatikanischen Konzils lehnte er strikt ab. Der irritierten Nancy Mitford, die klagte, wie ein Katholik so mitleidlos sein könne, antwortete er: »Wäre ich nicht Katholik, dann wäre ich noch viel unausstehlicher«.
In einem BBC-Interview plädierte Waugh für die Todesstrafe, die »für viel zu wenig Delikte« verhängt werde. Als ihn Zeitungsreporter auf seinem Landsitz besuchten, um ihn zu interviewen, wollte er das gesamte Anwesen verkaufen, weil es nun »verseucht« sei. Lebte Waugh heute, man würde ihn als far-right etikettieren. Aber! Alle lieben Evelyn Waugh, das Feuilleton wie die Lesekundschaft. Fünf Sterne, auf welches seiner Bücher man schaut. »18 mal gelesen, 27 mal verschenkt«, so wirbt Diogenes, Waughs Verlag im deutschen Sprachraum, mit dem Entzückensruf einer bekannten Schriftstellerin für die Neuübersetzung von Brideshead revisited. Man staunt über das Ausmaß an zeitgenössischem Jubel. Wiedersehen mit Brideshead, dieser melodramatische Abgesang der aristokratischen, längst dekadenten Ära zugunsten des effizienten Zeitalters der gewöhnlichen Leute gehört nach wie vor zum Lektüre-kanon jener, die sich mit Zeitgenossenschaft per se schwertun.
Zum 110. Geburtstag des elitären Querulanten hat Diogenes außerdem ein hübsch geschubertes Bändchen mit fünfzehn Erzählungen herausgebracht, von denen fünf erstmalig in deutscher Übersetzung erscheinen. Neu übersetzt (von Hans-Ulrich Möhring) wurde das 1953 erstveröffentlichte Sittengemälde aus der nahen Zukunft: Liebe in Schutt und Asche. Es sticht nicht aufgrund seiner poetischen Qualität aus der Sammlung hervor, sondern wegen seiner prophetischen Merkwürdigkeit. Waugh war ansonsten kein Science-fiction-Autor, seine Gegenwart pflegte ihm reichlich Evidenz zu liefern für die Fallrichtung. »Trotz ihrer Versprechungen vor den letzten Wahlen hatten die Politiker das Klima noch immer nicht geändert«, so beginnt die Erzählung. Der Regierung war es »gelungen«, eine »Kettenreaktion von Scheidungen« in Gang zu setzen.
Auch Miles ist ein Produkt eines jener Paare, die sich »nun über die ganze Freie Welt zerstreuten«. Miles ist unter staatlicher Obhut aufgewachsen. »Riesige Summen« sind auf seine Erziehung aufgewandt worden, »jedes Detail seiner Kinder- und Jugendjahre wurde aufgezeichnet und archiviert«. Miles wird trotzdem ein Problemfall, er wird zum Pyromanen. Das Gericht verweist die weinenden Witwen, Mütter und Waisen der Brandopfer darauf, »daß dies ein Sozialgericht war und keine Versammlung des Hausfrauenverbands«. Der Richter erinnert daran, daß das »Neue Recht« in »Neubritannien« keine Kriminellen vorsieht: »Es gibt nur Opfer einer mangelhaften Sozialfürsorge«. Miles wird in die höchst lebenswerte Anstalt Mountjoy überwiesen. Entgegen seinem Willen wird er (»der Staat sei mit ihnen!«) bald freigelassen – in den Staatsdienst, auf die »konkurrenzfreie Karriereleiter«. Der »Bezirksprogressive« soll ihn anleiten. Miles verrichtet seinen Dienst hinter Glasfassaden, die Transparenz suggerieren und »das Sonnenlicht einfangen« sollen. Er ist dem Euthanasie-Dienst zugeordnet, der einzig expandierenden Abteilung des maroden Staatswesens.
Andere beneiden ihn für diese Tätigkeit: »Ich«, sagt einer, »hatte ein Heiles Familienleben, der Staat steh mir bei!«. Miles’ Mitarbeiter klagen hingegen über den Zustrom an den Gaskammern: »Das Land ist so reich an natürlichen Todesschätzen, aber alle müssen zu uns kommen«. Miles verliebt sich in ein Opfer eines Gender-Experiments. Das lebendige Produkt dieser Liebe wird abgetrieben: »Ja, das mußte weg. Ich hätte nie wieder tanzen können«. Die Geliebte ist glücklich. Denn zugleich haben sie ihr im Krankenhaus die Gesichtshaut abgenommen »und sie mit einer neuen Substanz ersetzt, die Schminke hervorragend annimmt«. Während Miles die rosa Maske anstarrt, ertönt aus dem Apparat am Bett – Waugh haßte das Radio, es spielt in einigen seiner Erzählungen eine Rolle – eine alte Weise: »… bring euch gute neue Mär, der neuen Mär bring ich so viel, davon ich singen und sagen will«. Miles wird erneut zündeln. Diesmal trifft es »nur Staatseigentum«.
Evelyn Waugh: Ausflug ins wirkliche Leben. Erzählungen, Zürich: Diogenes 2013. 512 S., 19.90 €.
Ders.: Wiedersehen mit Brideshead. Die heiligen und profanen Erinnerungen des Captain Charles Ryder, Zürich: Diogenes 2013. 512 S., 26.90 €