kauernd eigentlich auf einer Parkbank, vielleicht zehn Meter entfernt. Kurzer Blick auf den augenscheinlich hilflos vor sich hin murmelnden Menschen, er hält sich etwas Weißes an die Schläfe. „Wart, der ist verletzt“, Kubitschek reagiert schnell und spurtet hin. Kurzer Wortwechsel, er: „Ey, was is los?“- „Nichts, ich dachte nur…“ – „Was, ey?“ Kubitschek entschuldigt sich. Er hatte das Ding am Kopf für Verbandsmull gehalten. Es war ein weißes Tablet, und der Kerl telephonierte einfach nur in äußerst entspannter Haltung.
13.2. 2014
Es gibt kein richtiges Gedenken im Falschen.
Früher Morgen, ich parke mein Auto an einer Straße zwischen Dresdener Alt- und Neustadt. Während ich noch im Auto herumwühle, hält ein Polizeibus neben mir. Ich gucke, sie gucken und fahren nicht weiter. Egal, irgendwann steige ich aus. Gegen Mittag bin ich wieder am Auto. Ein anderer Polizeibus steht daneben. Sie gucken. Ich habe ein Tagesticket. Zwei Stunden später, wieder zurück am Auto, daneben ein Polizeibus. Ich frage: „Ist irgendwas nicht in Ordnung?“ Sie sagen: „Nuja, sie haben ja eine weitere Reise hinter sich.“
Ich lache blöd. Ist natürlich ein Zufall oder besser: Es wäre ein Zufall, wenn k e i n Polizeibus neben meinem Auto stünde. Dresden besteht heute von morgens bis abends aus lauter Polizeibussen. Wer kennt die Zahlen? „Was sind Zahlen?“ (Wilhelm Rudolph) Ich habe Termine und erledige Einkäufe. Sämtliche Gesprächsfetzen, die ich im Vorübergehen erhasche, sind vom Lemma „Nazi“ geprägt. Die zwei Securitymenschen vor der Frauenkirche beruhigen eine Frau und sagen, deshalb seien sie hier, wegen der Nazis; in der Boutique geht gerade eine Faxmeldung ein, in der vor Nazis gewarnt wird, im Cafe am Nebentisch höre ich, daß das üble Polizeiaufgebot und die Störung des Straßenbahnverkehrs den Nazis zu verdanken sei.
Abends in der Kreuzkirche,Wie liegt die Stadt so wüst, unterhalten sich vor Aufführungsbeginn zwei Männer hinter mir. „Also letztes Jahr, hab ich gelesen, 500 Nazis und 5500 Gegendemonstranten. Was schätzte, wieviel Polizisten? Die ham geschrieben, sechstausend, eins zu eins also. Das fasziniert mich. Wir sind echt ein reiches Land.“
Ich habe heute keinen Nazi gesehen. Aber die wirken diesmal eben verborgen. Die Stadt gedenkt unter verquasten Chiffren: „Mut. Respekt. Toleranz“, das ist die ganz offizielle Gedenklosung. Die Parole der halblinken Bürger lautet diesmal nicht „Geh Denken“ wie früher, sondern „Wieder Setzen“, in Anspielung auf die illegalen Sitzblockaden gegen die „Nazis“ in den Vorjahren. Linke und Offizielle erinnern heute daran, daß diese Stadt mit ihren vielleicht 250.000, vielleicht 25.000, am besten „Tausenden“ (demnächst: hunderten?) Brandopfern, ja auch ein Hort des Bösen war.
Ein „Forum 13. Februar“ sorgt mit Veranstaltungen wie „Vergessene Schuld – Der Holocaust und das Fortleben jüdischen Eigentums in deutschen Haushalten“ für die erwünschte Einstimmung. Der „Täterspurenmahngang“ erfuhr dieses Jahr Mitmachrekorde. Oberbürgermeisterin Helma Orosz erinnert am zentralen Geh-denk-Ort Heidefriedhof daran, daß „der Heidefriedhof nach 1936 auch ein Ort“ war
„an dem die Nationalsozialisten ihren Totenkult zelebrierten, um das Volk, vor allem die Jugend, auf den Krieg vorzubereiten. Wenn ich die Sätze hier an der Gedenkmauer lese, dann sind es nicht allein die Bilder von Dresden 1945 die vor meinem geistigen Auge vorbeiziehen. Es sind auch die erschreckenden Nachrichten die uns täglich aus aller Welt erreichen. Ob in Syrien, Afghanistan oder Zentral Afrika – Menschen sterben, weil Hass und Vergeltung die Herrschaft übernommen haben. Für sie alle gilt: „Wieviele starben? Wer kennt die Zahl? Und gerade weil wir unser Gedenken nicht auf den 13. Februar 1945 beschränken dürfen, ist es so wichtig, dass wir uns den neuen und alten Nazis entgegenstellen, wenn sie versuchen unsere Geschichte zu verleugnen und umzuschreiben.Nicht verblassen lassen dürfen wir, dass die Bomben auf Dresden wie anderswo auf deutschem Boden unschuldige Opfer wie auch Täter trafen.Nicht verblassen lassen dürfen wir die Erinnerung daran, dass es Nazi-Deutschland war, das andere Völker und Staaten einen Kampf auf Leben und Tod aufzwang.“
Schuldkult rules, wherever, und natürlich gerade hier und heute. Es ist eine sehr spezielle Art der geschichtlichen Sensibilität.
Was für ein trauriger Tag.
Einschlägige antifaschistische Websites geben sich keineswegs zufrieden damit, daß es keinerlei dezidierte Neonazi-Aktivitäten am heutigen Tag gab.
„Laut aktuellen Informationen, [sic] wollen sie jetzt zu den öffentlichen Gedenkveranstaltungen mobilisieren. Würde heißen, dass die Geschwister im Geiste nun endlich auch für alle ersichtlich räumlich zusammen kommen. (Neo-)Nazis und Bürger*innen Hand in Hand zum einträchtigen Rumgeopfer.“
Es heißt in den Dresdner Neuen Nachrichten, bis zu 100 „Nazis“ hätten sich heimlich in die Menschenkette rund um die Altstadt eingereiht. Ein Nazi habe sich sogar mit der Oberbürgermeisterin photographieren lassen.
„Ein Nazifrei-Sprecher selbst gab zu, dass auch er die betreffende Person vor Ort nicht als Nazi hätte identifizieren können. Ein Mitarbeiter von DNN-Online, der den Vorfall zufällig aus der Nähe beobachtete, berichtet von zwei jungen Männern Mitte 20, die die Oberbürgermeisterin während des Aufbaus der Menschenkette am Donnerstagabend in freundlichem Ton um ein Handy-Foto gebeten hatten. Beide gaben sich dabei begeistert, das Stadtoberhaupt zu treffen. Szenetypische Kleidung trugen beide nicht. Orosz willigte offenbar ohne Zögern ein und scherzte noch mit dem jungen Mann, ob er auch geprüft habe, dass sie wirklich echt sei. Bei den Umstehenden, darunter mehrere sächsische Staatsminister, herrschte gelöste Stimmung.“
Wenn sich Nazis unerkannt in eine linksbürgerliche Menschenkette einreihen können und dies als Skandal gilt: krasse Zeiten.
14.2. 2014
Ein Moderator namens Lanz sei hart & unfair mit seinem zu interviewenden Gegenüber Sahra Wagenkecht umgesprungen. Eine Frau hatte eine online-Petition „Raus mit Markus Lanz aus meiner Rundfunkgebühr“ gestartet. Über 230.000 Unterzeichner haben ihr sekundiert. ZEIT-Herausgeber Josef Joffe fand das Interview selbst unprofessionell, die folgende Aktion aber bedrohlich. Joffe schrieb Anfang Februar: „ In analogen Zeiten hieß es: ‘Kauft nicht bei Juden!´“ Heute sei die Verwünschungsdiktatur digital. Es gab daraufhin keine Petition gegen Joffe, aber eine Mordsaufregung.
Nun hakt Joffe nach, und das tut (er) gut: Er beschreibt in der ZEIT von heute, wie sich seit Jahrzehnten ein elftes Gebot etabliert habe: „Du sollst nichts mit dem ‘Dritten Reich´ vergleichen.“ Die Technik der Gebotsüberwachung sei simpel: „Nimm eine willkürliche Gemeinsamkeit zwischen x und dem zwölfjährigen Reich, und schon ist x identisch mit dem Bösen.“ Dabei , so Joffe, sei ein Vergleichen nicht ein Gleichsetzen. Und weiter: „Wann ist ein Vergleich legitim? Wieso ist die Kampagne gegen Markus Lanz anders als der Juden-Boykott? Beide kamen aus der Anonymität, beide wollten den Feind wirtschaftlich schädigen, beide mobilisierten das Ressentiment. Was war dann anders? Der Boykott dauerte einen Tag, am 1. April 1933, die Anti-Lanz-Kampagne steht noch heute im Netz.“
Denken ohne Vergleichen sei unvorstellbar. Vergleichen ohne Denken ist unverzeihlich. Und, so Joffe: „Zum Schluss doch noch ein Rekurs auf Adolf H. Er hat offensichtlich Reflexe in den Hirnen hinterlassen, die selbst siebzig Jahre danach ihre Träger dazu animieren, auch den räsonierten Vergleich der Empörungslust zu opfern. Links wie rechts.“
15.2. 2014
Der konservative Nachrichtendienst unzensuriert.at hämt über eine „prüde ÖVP-Frauensprecherin“. Die nämlich hat sich öffentlich über eine Valentinstag-Werbung der Baumarktkette Hornbach empört. So wirbt Hornbach für den Kauf von Zimmerpflanzen:
Am 14. Februar ist Valentinstag! Echte Kerle denken dran. Denn seien wir mal ehrlich: Wer nageln will, muß freundlich sein. Erobern mit Zimmerpflanzen.
Ein Herzchen-Nagelbild illustriert die Reklame. Die offenkundig gar nicht-prüden unzensuriert- Leute finden, der ÖVP-Frau wäre nun die „Obfrauschaft eines ‘Komitees für christlichsoziale Prüderie´ sicher.“
Hach! Prüderie als Feindbild! Ob man sich über sexistische Werbung aufregen muß und ob es nicht hunderte Reklame- Beispiele gibt, in der Männer als Volltrottel dargestellt werden, ist die eine Frage. Ich würde den Spieß umdrehen und sagen: Diese Werbung hier gehört in ebenjene Kategorie – der nagelnde Volltrottel! Da bin ich eher prüde. Den Heiligen Valentin hat man übrigens vor 1846 Jahren enthauptet.
theodor
Und hier noch eine schöne antifaschistische Aktion aus Dresden, Thanks, Bomber Harris. Bisher dachte ich, das jährliche
Sauffest mit Hüfpfburg.. ähm ... antifaschistisches Gedenken an den Untergang von Magdeburg sei an Peinlichkeit nicht mehr zu unterbieten. Jetzt weiß ich es besser :D ^^