Die Wurzel derartiger Gefühle zu ergründen und zu einer Auseinandersetzung mit „den Vor- und Nachteilen dieser Form der politischen Willensbildung“ hatte Erik Lehnert geladen, und die über vierzig Teilnehmer der vergangenen 14. IfS-Winterakademie aus BRD, Österreich und gar Schweden zeugten am vergangenen Wochenende vom Interesse an diesem Grundthema heutigen politischen Denkens.
Vom 28. Februar bis 2. März war man auf dem Rittergut Schnellroda zusammengekommen, um die wissenschaftliche Erkenntnis über Demokratie „an sich“ zu vermehren, und die facettenreiche Zusammensetzung des Auditoriums – von reinen Zynikern über identitäre Aktivisten bis hin zu ambitionierten AfD-Aufsteigern – stellte kontroverse Diskussionen sicher. Alle Teilnehmer einte jedoch die Erheiterung über die Dr. Karlheinz Weißmanns historische Einführung abschließenden Zitate, vor allem Jean Baudrillards zugespitztes Diktum: „Demokratie ist die große Menopause der Geschichte“ – also eine vorübergehende Phase der Unfruchtbarkeit.
Weißmann führte die Genese von Gedanken um die Installierung einer Eunomie, „guter“ Ordnung, im antiken Athen auf die Erfahrung einer Wandelbarkeit des bis dato gottgegebenen nomos zurück. Demgegenüber habe es auch von Anfang an kritische Stimmen gegeben, die er in „klassische“ sowie kulturphilosophisch „skeptische“ und „optimistische“ Demokratiekritik einteilte. Dennoch sei seinerzeit eine spezifisch indogermanische Herrschaftstradition manifestiert worden, wonach regierenden Einzelpersonen oder Gruppen stets ein Senat bzw. eine „Versammlung der Bewaffneten“ als flankierendes Entscheidungsgremium beigeordnet gewesen sei – eine Tradition, mit der die „postliberalen Massendemokratien“ (Panajotis Kondylis) unserer Zeit nichts mehr gemein hätten.
Jene antiken Wurzeln moderner Herrschaft sind und waren ein stetiger Bezugspunkt des französischen GRECE, weshalb sich eine Erläuterung Benedikt Kaisers über den Wandel im Demokratieverständnis der Nouvelle Droite anschloß. Während Alain de Benoist und seine Gefährten ob ihrer Wurzeln in der „altrechten“ Europe Action der frühen 60er Jahre anfangs einen hochelitären Standpunkt vertraten, so habe sich dieser über die Jahrzehnte in die Propagierung einer „Aristo-Demokratie“ in „indoeuropäischer Adelstradition“ und schließlich, in heutiger Zeit, einer dezentralisierten Basisdemokratie auf volkssouveränem Fundament gewandelt – möglicherweise notwendige Anpassungen zur Wahrung der Ziele einer vehementen Bekämpfung des Globalkapitalismus, wie auch der Zurückdrängung zentralstaatlich-bürokratischen Rigorismus’.
Demgegenüber widmete sich Dr. Stefan Scheil der verzerrten bundesdeutschen Perspektive auf den Begriff „Demokratie“, indem sein Referat über „Demokratie durch reeducation“ die von den Siegermächten in der BRD installierte „Politikwissenschaft als Demokratiewissenschaft“ und das eilfertige Katzbuckeln deutscher Stellen davor ins Visier nahm. Während eine Erinnerung an die spätestens seit 1848 sehr wohl vorhandene Tradition deutscher Demokratie ausgelöscht wurde, sei eine Sinndeutung der Demokratie als gnädiger Import aus den USA oktroyiert worden, die unter konsequenter Ausblendung spezifisch deutscher Fragestellungen bis heute universitäre Forschung und Lehre halbblind an die Arbeit gehen lasse. Allerdings hafte der implantierten Ideologie und ihren Ausdrucksformen, etwa im Akt der Massenwahl, im Gegensatz zum Nachklapp des Ersten Weltkriegs aufgrund feinerer Mittel der Manipulation nicht mehr der Ruch einer „Kolonialveranstaltung“ an.
Den Folgetag eröffneten morgendliche Gedanken Götz Kubitscheks über die „Verfallsformen der Demokratie“. Im Fokus stand dabei weniger die realpolitische Umsetzung, als vielmehr die mit einer Demokratisierung aller Lebensbereiche einhergehenden gesellschaftlichen Verwerfungen. Während das „demokratische Pathos“ bestimmt sei von Fairness, Fähigkeit zur Selbstkritik und der streng rationalen Bewertung eigener und fremder Standpunkte, zeige sich in Wahrheit alltäglich die bittere Realität von Zersetzung (ob offen oder verdeckt) und sozialer Liquidation jener, die besagte Kritikfähigkeit auf die Probe stellten. An die hypothetische Stelle eines anmaßenden „herrschaftsfreien Diskurses“ des Machtmenschen Jürgen Habermas sei unmittelbar die „Herrschaft des Verdachts“ getreten, die jede intellektuelle Auseinandersetzung jenseits ausgetretener Wege vergifte und in Perversionen der Mündigkeit des Einzelnen (etwa der vielbeschworenen „Zivilcourage“) ihren Niederschlag finde.
Vergleichbare Verfallsformen zeichnen auch den aktuellen „demokratischen“ Umgang mit demokratischen Entscheidungen in der Schweiz aus. Der exemplarischen Gelegenheit angemessen, konnte der schweizerische Schriftsteller Volker Mohr einige Einblicke in die Realität der Volkswillensbekundung innerhalb der dortigen Variation des demokratischen Systems geben – ein unverhofftes Eröffnen neuer Perspektiven, das die Zuhörer zu zahlreichen interessierten Nachfragen veranlaßte. Ebenfalls von einem auswärtigen Standpunkt meldete sich der in Großbritannien lebende Ökonom Robert Grözinger zu Wort, der vor allem anhand Hans-Hermann Hoppes den „libertären Vorbehalt gegen die Demokratie“ erläuterte und, trotz erschwerter Zugänglichkeit des Sujets für ökonomisch ungeschulte Hörer, die Auslegung der Demokratie als das Eigentumsprinzip aushebelnde, freiheitsbeschneidende Zentralisierungsmaschinerie anschaulich zu machen wußte.
Nach dem traditionellen Filmabend skizzierte Karlheinz Weißmann am Sonntag die „Chronik eines angekündigten Todes“. In den normalerweise systemstützenden Medien des Westens zeuge das Aufkommen kritischer Dramenformate von einem Schwinden des Glaubens, daß die Antwort auf alle Aporien in der Demokratie selbst liege. Wenngleich das Streiten wider Lobbyismus, Korruption und das konsequente Hinterslichtführen des scheinbaren demos also allmählich in Mode käme, lasse doch die einzig als „legitim“ verbliebene Form der Demokratiekritik, nämlich die „funktionale“ (d.i. an Effizienz orientierte), einiges zu wünschen übrig – festgemacht am Beispiel der good governance-Vorstellungen des schwerreichen Karstadt-„Retters“ Nicolas Berggruen. Am Ende stehe dabei die Einführung einer neuen geschichtsphilosophischen Legitimation, die aus rechter Sicht zwangsläufig Sorgen erwecke.
Abschließend beleuchtete Dr. Erik Lehnert das demokratieskeptische Denken Max Webers. Die post-1945er Umdeutung Webers als „eigentlich liberalen Demokraten“ beiseiteschiebend und Karl Jaspers’ zeitgenössische Sinndeutung an ihre Stelle setzend, umriß Lehnert anschaulich sowohl Webers Vorbehalte gegenüber dem Weimarer Filz, als auch sein Ideal einer autoritären „Führerdemokratie“, deren zeitgeistige Sublimierungen sowohl in den heutigen USA, als auch in Rußland ihre Erfolge feierten – das wohlgemerkt vor Bekanntwerden der Information, daß genau zeitgleich russische Einheiten mit der Pazifierung der Krimhalbinsel begonnen hatten. Am Ende stand vor allem die Erkenntnis, das trotz medialer Propaganda und universitärer Indoktrination das Ideal „Demokratie“ nicht zwangsläufig mit Liberalismus und Gleichheitsideologie Hand in Hand gehen muß – und daß eine vertiefende Auseinandersetzung mit dem verwässerten Demokratiebegriff unserer Tage Not ist.