„Also, es gab ein Arbeitsblatt mit Leuten drauf. Und wir sollten sagen, was dargestellt ist. Freundschaft und Kameradschaft war eigentlich fast gleich. Und bei Liebe waren es zwei Jungs, die sich küssen. Der T. hat gleich reingerufen, die sind schwul.“
„Und die Lehrerin?“
„Hat gesagt: richtig.“
„Und sonst? Bei Liebe?“
„Ein altes Ehepaar.“
„Ah. Na, zeig mal.“
„Nee, das hat die Frau N. wieder eingesammelt.“
„Echt? Macht die das manchmal? Austeilen, einsammeln? Wir zahlen doch Kopiergeld?“
„Nö. Aber diesmal.“
Es gibt einen Unterschied zwischen Scham- und Schuldgefühl.
13. 3. 2014
Die Leipziger Buchmesse sei geschäftsmäßig viel unbedeutender als die Herbstmesse in Frankfurt, aber so herrlich volksnah!, so jubelt es (alle Jahre wieder) aus allen Kanälen. Ach, ich weiß nicht. Gut, man sieht eine Menge ambitionierter Lehrerinnen mit „Lese-Kids“ und überhaupt Massen von Schulklassen. Sie blockieren die Zwischengänge, nicht die Standplätze vor den Gängen. Es scheint, als habe Sachsen einen massiven Geburtenüberschuß, und man kann es nicht mal toll finden.
Wir geben uns einen Ruck und machen uns aus dem Ärger über die amorphe, kreischende Masse (Waren wir anders? Ja!) einen Spaß, indem wir nach Kräften die sogenannten Kids maßregeln, beschimpfen und verspotten. Jedenfalls lobe ich mir, daß es hier einen wirklich tollen Kindergarten gibt, wo die Kleinen (kostenlos!) wirklich phantastisch betreut werden.
Wir treffen Thalheim, ich gehe mit ihm eine Runde. Natürlich geht´s um sein Versteckspiel. Er findet, es sei unser Kardinalfehler, uns (als Verlag) so eindeutig rechts positioniert zu haben. Das sei zwangsläufig eine Sackgasse ohne Wendemöglichkeit. Ein Narr, wer sich darüber täusche! Er nennt Verlage, die laufend Bücher „aus dem rechten Kanon“ auflegen, aber eben gut durchmischt mit anderem Zeug, auch banalem, auch dezidiert linkem. Kein Autor von Rang und Namen, und sei er noch so deutlich auf unserer Seite, würde zu Antaios gehen. Wieso auch, wenn ihm andere, ideologisch unverdächtige Türen offenstünden? Er nennt die Titel x, y und z und die Autoren a, b und c, alle „hundert Prozent auf unserer Linie“, aber weshalb sollten sie sich den Zugang zu den Medien verbauen? Wenn´s mit Quertreiberei besser gelinge?
Ich rede dagegen. Man ist, wie man ist, und man ist halt rechts und nicht nach allen Seiten offen. Man ist seit über zwanzig Jahren so und hätt´s nie anders aufziehen können und wollen. „Gut. Aber rechts ist ein Tabu und bleibt ein Tabu. Sinnlos, dagegen anzurennen“, sagt er.
Wir stranden an einem großen Stand. „Ah, ***! Hierher! Haben gerade eine Flasche geöffnet!“ Rotwein wird ausgeschenkt. Thalheim leert sein Glas in einem Zug. Es wird geplaudert. Er stellt mich vor: „Frau – Meister, eine rechtsradikale Kollegin.“ Radikal? Nja. So freilich nennen sich nur Narren. Natürlich mache ich gute Miene und grinse kokett.
„Ja, hab ich spontan gesehen“, lacht ein Verlagsmann, seine Kollegin lächelt ironisch und schenkt nach. „So richtig rechts?“, fragt ein Dritter, auch er lacht. „Und wie“, sagen Thalheim und ich aus einem Mund. „Das ist klug, das ist gut“, sagt der Anzugmann. „Und mutig!“ Die anderen lachen. Es gibt keine weiteren Fragen. Alle sind sehr freundlich. Als hätte es statt “rechtsradikal” “umweltbewußt” heißen können. Während ich triumphiere, meint Thalheim nachher: Das sei nicht repräsentativ. Die Leute sprächen mal so, mal so. Und nie offen ins Gesicht. Fäden würden hintenrum gezogen.
15.2. 2014
Mir fällt auf, daß ich noch nie regulär mit den Kindern im Kino war. In Pressevorführungen früher häufig, aber ganz normal? Nie! Ich habe was verpaßt, besser: gar nichts hab ich verpaßt. Eine zutiefst deprimierende Erfahrung. Untypischerweise sind wir überpünktlich. Hilft nichts: Die Schlange der Anstehenden reicht bis auf die Straße. Wir waren zehn Minuten vor Filmbeginn da, dreißig Minuten später habe ich die beiden Mädchen in diesen Filmsaal bugsiert.
Sie werden nachher mit einem enttäuschten „Naja…“ urteilen. Das sei ein Film („Bibi & Tina“), der „überwitzig“ sein wollte. „So in der Art ging das dauernd: Ein böser Mann wollte den Kindern mit dem Finger drohen. Zufällig erwischte er seinen Mittelfinger. Alle haben gegrölt vor Freude, logisch. So ging das die ganze Stunde lang, die wir noch sehen konnten.“ Die Kinder haben fast eine halbe Stunde des Films verpaßt.
Den Grund hab ich miterlebt: Zum Fressen geht man ins Kino, zum Fressen um drei Uhr nachmittags! Es gibt heute ja nicht nur Popcorn und Cola, sondern Cola zu 0,33 l, zu 0,5, Liter, in Literbechern, Popcorn salzig und süß, Nachos scharf und ganz scharf, rote Gummiherzen, blaue Gummischlümpfe, grüne saure Bärchen, rosa Schweinchen, die muß man sich in eine Tüte füllen, abwiegen lassen, noch drei Dingerchen dazunehmen, weil das Limit noch nicht erreicht ist, noch eine Pina Colada für die Mutti, und haben sie wirklich keine Latte?! Das ist doch kaum zu glauben! Dann nehm ich … nein, ich nehm…, da muß ich überlegen, haben Sie auch Cola Zero? Wieso haben Sie keine Zero Cola?
Nach fast vierzig Minuten ist es geschafft, die restlichen Kindern greinen derweil im Auto und reißen sich die Haare aus, jetzt geht´s überbrückend nicht für die geplanten anderthalb Stunden ins Schwimmbad, sondern nur für fünfundfünzig Minuten. Dort das Publikum, das eventuell die nächste Kinovorstellung besuchen will.
Die Frau mit dem mütterlichen Gesicht, grad an der Badkasse neben mir, hockt am Rand des Planschbeckens. Sie hat sieben Tätowierungen auf ihrem zweihundert-Pfund-Körper anbringen lassen. Ich erkenne Gesichter japanischer, jedenfalls asiatischer Krieger. Besonders beeindruckt mich die Botschaft, die von der Schulter zu ihren Brustwarzen hin verläuft: „Allways stay strong“, steht da. Vielleicht auch „strict“, oder „stranger“, das verschwindet unterm Badeanzug, auf jeden Fall „allways.“ Die Frau hat ihren Standpunkt, why nod?
15.3. 2014
Nochmal Buchmesse, mit noch mehr Kindern. Wie jedes Jahr am Buchmessenwochenende sind die Hallen voll von Cosplayern, also verkleideten Mangafans. Die mittlere Tochter flaniert elternlos durch die Hallen und wird von einem Fernsehteam befragt, was sie von den als Manga-Figuren verkleideten Leuten halte. Sie sagt, es beschäme sie. Aber sie würde es tolerieren. Es schade ja keinem. Sehr artig! Unter den vielhunderten Phantasiegestalten sind eine Menge Jugendliche, aber auch zahlreiche Erwachsene, erwachsen selbst dann, wenn man dieses Lebensalter mit Ende zwanzig beginnen läßt.
Ich: „Irgendwie rührt es mich. Diese Leute sind doch noch richtig begeisterungsfähig! Die schneidern sich ihre Klamotten ja selbst! Der Typ mit dem Schwert, drei Meter lang, der war ja richtig handwerklich tätig!“ Kubitschek: „Quatsch mit Soße. Irrsinnige Kanäle, in die Energie abgeleitet wird. Oder meinst Du, die zeigen überall so einen Eifer?“
Rumpelstilzchen
( Arnold Stadler)
Dieser Thalheim wird mir immer unsympathischer. Was berechtigt ihn, zu schreiben ? Schreiber, die Angst haben, "sich den Zugang zu Medien zu verbauen" , was haben die zu sagen ?
Was ist unsere Linie ? Was ist unsere Seite ?
Ist es plötzlich schick, mit attraktiven ( nicht nur äußerlich ! ) Rechten zu kokettieren ? Das empfinde ich als Missbrauch !
Lasst den Hirnhund doch auffliegen !!!
Vielleicht wird er dann auch zum Sehnsuchtspilger.
Die sind nämlich auch auf der rechten Seite unterwegs.
https://www.georgmagirius.de/download/radio/radio-auswahl-sehnsucht.pdf
antwort kubitschek:
nein, liebes rumpelstilzchen, wir sind in der inneren emigration angekommen. wenn Sie wüßten, was wir an nicht ganz so offensichtlichen bücherschränken, lektüren, meinungen, urteilen wahrgenommen haben in den vergangenen zwei jahren! ich denke: Sie ahnen es.