KryptoFAZismus

Trotz aller Datenausspähung, Bewegungsprofile und überbeanspruchter Nackenmuskulatur besteht wohl kein Zweifel,...

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

daß ein Smart­phone gele­gent­lich auch ganz nütz­lich sein kann. Gera­de die Mög­lich­keit, ver­mit­tels RSS-Abfra­ge jeder­zeit aktu­el­le Nach­rich­ten ser­viert zu bekom­men, kann einen umfas­send inter­es­sier­ten Men­schen durch­aus begeis­tern. Selbst, wenn es nur dar­um geht, lee­re Zeit im noto­risch unzu­ver­läs­si­gen ÖPNV her­um­zu­brin­gen. Im gest­ri­gen Fei­er­abend­ver­kehr ver­blüff­te es mich doch ein wenig, daß aus­ge­rech­net die alte Tan­te aus Frank­furt die neue Macht­er­grei­fung aus­zu­ru­fen schien.

Denn aus der mini­ma­lis­ti­schen Über­sichts­lis­te (d.h. ledig­lich Über­schrift und die ers­ten paar Wor­te jedes Arti­kels) mei­nes RSS-Pro­gramms loh­te mir der Anfang eines bekann­ten, ziem­lich ver­bo­te­nen Lieds ent­ge­gen – Sie wis­sen schon, das mit der Fah­ne und den Rei­hen. Das „Lied vom toten Corps­stu­den­ten“. Ein halb ungläu­bi­ger, nähe­rer Blick ent­hüll­te dann, daß davor noch „Erdo­gans Wahl­wer­be­spot“ stand: Ent­war­nung also, ledig­lich der übli­che Kra­wall­jour­na­lis­mus auf für die FAZ bemer­kens­wert alber­nem Niveau. Ein Dau­men­druck rief dann die ent­spre­chen­de Sei­te auf – und ent­hüll­te, daß inner­halb der zwei Stun­den zwi­schen Auf­nah­me des Arti­kels in die Lis­te mei­nes Pro­gramms und mei­ner Abfra­ge die­ser Lis­te die Über­schrift bereits wie­der geän­dert wor­den war, näm­lich in „Wahl­wer­be­spot in der Tür­kei. Erdo­gan ist die Nati­on, so wie die Nati­on Erdo­gan ist“.

Alles in allem mal wie­der ein Stück Real­sa­ti­re. Das Inter­net ver­gißt bekannt­lich nichts, und so kann man sich den ent­spre­chen­den Abgleich bereits durch eine ein­fach Goog­le-Suche mit den rich­ti­gen Schlag­wor­ten holen. Dar­über kann man nun lachen oder mit den Schul­tern zucken; viel­leicht stimmt es aber auch ein wenig nach­denk­lich. Wenn man davon aus­geht, daß der „poli­ti­sche Kor­re­spon­dent für süd­ost­eu­ro­päi­sche Län­der“ als Autor des Arti­kels nicht auf­grund eines Los­ver­fah­rens auf die­sen Pos­ten gerückt ist und somit Erfah­rung, Ver­ant­wor­tungs­be­wußt­sein und Reprä­sen­tanz für die Zei­tung als sol­che sym­bo­li­siert, dann kann man durch­aus die Fra­ge stel­len, war­um die FAZ der­ar­tig bil­li­ges Rüh­ren an genu­in deut­schen Instink­ten nötig hat.

Noch offen­sicht­li­cher wird die Stoß­rich­tung der For­mu­lie­rung dadurch, daß man die Ursprungs­über­schrift ent­fern­te (offen­bar, nach­dem nach­träg­lich jeman­dem – gar einem Leser? – auf­ge­fal­len war, daß man mit einer direk­ten Rezi­ta­ti­on des Horst-Wes­sel-Lieds auch als Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zei­tung mit­ten in den §86a hin­ein­rauscht), nur um sie durch einen abge­wan­del­ten Wort­laut von Rudolf Heß zu erset­zen. Wohl nicht ganz von unge­fähr heißt es denn auch im Arti­kel bei der Beschrei­bung der grell gezeich­ne­ten Erdo­gan-Par­tei­gän­ger: „denn nun steht das Volk auf und der Sturm bricht los“ – die Grund­la­ge des Spruchs stammt zwar von Theo­dor Kör­ner, all­ge­mein bekannt ist die Wen­dung aber doch eher durch die „Sport­pa­last­re­de“ von 1943.

Nicht, daß mich der Wahl­wer­be­spot der AKP oder das Rin­gen Erdo­gans um sei­ne wan­ken­de Macht in irgend­ei­ner Wei­se inter­es­sie­ren wür­den. Ärger­lich ist es aber in jedem Fall, daß man bei der FAZ, die unter den gro­ßen deut­schen Tages­zei­tun­gen ja noch immer einen Fet­zen eines Stroh­halms für die Noch-ver­zwei­felt-Kom­pro­miß­su­chen­den dar­stellt, einen so tie­fen Zug aus dem Inspi­ra­ti­ons­känn­chen der Bun­des­gift­tums­kam­mer genom­men hat. Rabu­lis­tik geht schon in Ord­nung, ist man­ches mal erfri­schend – mit Stil aber hat das nichts mehr zu tun. Erst recht nicht, wenn ein so gro­ßer Name dar­über­prangt. Für viel unbe­deu­ten­de­re Anspie­lun­gen, ob in Sport oder Poli­tik, sind schon Dut­zen­de media­ler Per­sön­lich­kei­ten ritu­ell gestei­nigt wor­den. Viel­leicht gehört ein wenig jour­na­lis­ti­sche Hybris dazu, zu glau­ben, daß man als Teil der „vier­ten Gewalt“ nicht von den eige­nen Waf­fen getrof­fen wer­den kön­ne? Obwohl es ande­rer­seits schon inter­es­sant wäre, dar­über nach­zu­den­ken, inwie­weit man als Bun­des­bür­ger auf­grund des andau­ern­den Bom­bar­de­ments von Kin­des­bei­nen an all die kra­chi­gen Paro­len ver­in­ner­licht hat und im Hin­ter­kopf her­um­trägt, um eini­ger­ma­ßen unbe­wußt dar­auf zurück­zu­grei­fen, wenn man mal wie­der rich­tig einen vom Sta­pel las­sen will.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

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Kommentare (8)

Karl Eduard

20. März 2014 09:06

Es belustigt mich zunehmend, daß sogenannte Konservative in den gleichgeschalteten Zeitungen verzweifelt nach sachlicher Berichterstattung suchen. Die Zeiten sind in Deutschland doch wohl lange vorbei.

Einlassung Wegner:
Wie sich durch sinnentnehmendes Lesen aus dem obigen Text entnehmen ließe, sehe ich das nicht anders. Allerdings paßt solch hoffnungslos hoffnungsvolles Verhalten gut zum klitschigen Konservatismus-Unbegriff.

SD Klickovic

20. März 2014 09:08

als unbedarfter ausländischer unterschichtler assoziiere ich diese wahlwerbung mit anderen szenen

https://www.youtube.com/watch?v=ZpJoMuuE3Eg

Bundschuh

20. März 2014 10:15

Nach § 86 Abs. 3 StGB ist der Abdruck im vorliegenden Zusammenhang erlaubt.

Einlassung Wegner:
Das müssen Sie mir als Nichtjurist erklären. Handelt es sich bei dem Artikel dann um "Kunst", "staatsbürgerliche Aufklärung" (i.S.v. solcher über eine verfassungswidrige Organisation) oder "Forschung/Lehre"?

Dinkie

20. März 2014 13:13

Ich verstehe nicht, warum das eine Meldung wert ist. Typischer FAZ-Quark halt. "Fetzen eines Strohhalmes"? Ich sehe nicht mal mehr Moleküle eines Strohhalmes in diesem Blatt. Und wer, außer ein paar alten Erdkundelehrern, liest das denn noch?

Raskolnikow

20. März 2014 15:10

"Weib, verstehst Du das?"
(Peter Altenberg)

Liebe Fatzvögel und Schalksnarren, Gefährten im Geiste,

da mir der Sinn eher nach dem Elysischen steht und solch weibisches FAZ-Gekritzel, doch nur die Simplen unter uns zu reizen noch vermag; muss ich melden, dass mir Wegners Artikel Inspiration war. Ich sammle jetzt konservative "Strohhalme für die Noch-verzweifelt-Kompromißsuchenden". Man könnte gar meinen, da dämmerte etwas herauf, das man Passion nennen dürfte ...

Mein erster Strohhalm-Favorit ist eine monatlich erscheinende Fachzeitschrift mit dem sagenhaften Titel "Praline", man kann dieses Qualitätsmedium getrost als Bollwerk gegen das Gender-Mainstreaming bezeichnen. Das aktuelle Dossier ("Mann will Busensex - Frau weiß nicht, wie das geht.") verspricht einiges an konservativer Sprengkraft ...

Ach je … Im Ernst: Wer die FAZ ernster als die Praline nimmt, sollte mal an die frische Luft gehen und sich an unverdorbenen Bürgerstöchtern salvieren. Bitte lasst uns diese journalistischen Hinterhoftransen nicht durch unsere Aufmerksamkeit adeln! Jede der von ihnen ausgeschiedenen Zeilen ist eine hermaphroditische Geste der Beleidigung.

Wegner, Sie sind ein Masochist, dass Sie sich das antun; rauchen Sie doch lieber im Nichtraucherbereich des Bahnsteigs, um die Zeit "herumzubringen", das ist gesünder!

Momentanes Wetter eignet sich doch eigentlich nur dazu, das Kofferradio, Omas Patchwork-Decke und den Picknickkorb in den Stadtpark zu tragen und Aerobik zu treiben. Es wird der Himmel ....

Euer Erzschelm,

R.

G.W.

20. März 2014 21:51

Ach Raskolnikow, ihr Kommentar hat wirklich alles. Faz-Bashing, Busensex und finnischer Synthie-Funk.
Man merkt es ist Frühling und der Sommer naht....

Mit im Rhythmus stampfenden Tanzbein und besten Grüßen an den Erzschelm!

Rumpelstilzchen

21. März 2014 13:56

Von Zeit zu Zeit les' ich die Alte gern,
Und hüte mich, mit ihr zu brechen.

frei nach Goethe

So viel zum FAZ Bashing. Hab' sie aber nicht mehr im Abo.

Und ob die "Praline" ein geeignetes Bollwerk gegen Gender-mainstreamimg ist, sei dahingestellt, werter Raskolnikow.
Ein intelligenter Hermaphrodit ist mir lieber als eine dumme runderneuerte Blondine.

Vorzugsweise zu diesen elysischen Klängen tanze ich mit meinen drei Neffen Black, Block, Blick. Während wir vegan kochen. Alle vier Wochen.

https://m.youtube.com/watch?v=UIlhaLd544k

eulenfurz

25. März 2014 16:27

Das erkennt auch jeder Nichtjurist, daß die Überschrift überspitzend inspiriert ist und nicht den Sinn verfolgte, den NS zu verharmlosen oder Propaganda für diesen zu betreiben.

Andererseits: Wen interessiert's, was die FAZ zusammenkleckert? Man sollte die RSS-Abfrage einfach kündigen, wenn man sein Nervenkostüm schonen will.

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