daß ein Smartphone gelegentlich auch ganz nützlich sein kann. Gerade die Möglichkeit, vermittels RSS-Abfrage jederzeit aktuelle Nachrichten serviert zu bekommen, kann einen umfassend interessierten Menschen durchaus begeistern. Selbst, wenn es nur darum geht, leere Zeit im notorisch unzuverlässigen ÖPNV herumzubringen. Im gestrigen Feierabendverkehr verblüffte es mich doch ein wenig, daß ausgerechnet die alte Tante aus Frankfurt die neue Machtergreifung auszurufen schien.
Denn aus der minimalistischen Übersichtsliste (d.h. lediglich Überschrift und die ersten paar Worte jedes Artikels) meines RSS-Programms lohte mir der Anfang eines bekannten, ziemlich verbotenen Lieds entgegen – Sie wissen schon, das mit der Fahne und den Reihen. Das „Lied vom toten Corpsstudenten“. Ein halb ungläubiger, näherer Blick enthüllte dann, daß davor noch „Erdogans Wahlwerbespot“ stand: Entwarnung also, lediglich der übliche Krawalljournalismus auf für die FAZ bemerkenswert albernem Niveau. Ein Daumendruck rief dann die entsprechende Seite auf – und enthüllte, daß innerhalb der zwei Stunden zwischen Aufnahme des Artikels in die Liste meines Programms und meiner Abfrage dieser Liste die Überschrift bereits wieder geändert worden war, nämlich in „Wahlwerbespot in der Türkei. Erdogan ist die Nation, so wie die Nation Erdogan ist“.
Alles in allem mal wieder ein Stück Realsatire. Das Internet vergißt bekanntlich nichts, und so kann man sich den entsprechenden Abgleich bereits durch eine einfach Google-Suche mit den richtigen Schlagworten holen. Darüber kann man nun lachen oder mit den Schultern zucken; vielleicht stimmt es aber auch ein wenig nachdenklich. Wenn man davon ausgeht, daß der „politische Korrespondent für südosteuropäische Länder“ als Autor des Artikels nicht aufgrund eines Losverfahrens auf diesen Posten gerückt ist und somit Erfahrung, Verantwortungsbewußtsein und Repräsentanz für die Zeitung als solche symbolisiert, dann kann man durchaus die Frage stellen, warum die FAZ derartig billiges Rühren an genuin deutschen Instinkten nötig hat.
Noch offensichtlicher wird die Stoßrichtung der Formulierung dadurch, daß man die Ursprungsüberschrift entfernte (offenbar, nachdem nachträglich jemandem – gar einem Leser? – aufgefallen war, daß man mit einer direkten Rezitation des Horst-Wessel-Lieds auch als Frankfurter Allgemeine Zeitung mitten in den §86a hineinrauscht), nur um sie durch einen abgewandelten Wortlaut von Rudolf Heß zu ersetzen. Wohl nicht ganz von ungefähr heißt es denn auch im Artikel bei der Beschreibung der grell gezeichneten Erdogan-Parteigänger: „denn nun steht das Volk auf und der Sturm bricht los“ – die Grundlage des Spruchs stammt zwar von Theodor Körner, allgemein bekannt ist die Wendung aber doch eher durch die „Sportpalastrede“ von 1943.
Nicht, daß mich der Wahlwerbespot der AKP oder das Ringen Erdogans um seine wankende Macht in irgendeiner Weise interessieren würden. Ärgerlich ist es aber in jedem Fall, daß man bei der FAZ, die unter den großen deutschen Tageszeitungen ja noch immer einen Fetzen eines Strohhalms für die Noch-verzweifelt-Kompromißsuchenden darstellt, einen so tiefen Zug aus dem Inspirationskännchen der Bundesgifttumskammer genommen hat. Rabulistik geht schon in Ordnung, ist manches mal erfrischend – mit Stil aber hat das nichts mehr zu tun. Erst recht nicht, wenn ein so großer Name darüberprangt. Für viel unbedeutendere Anspielungen, ob in Sport oder Politik, sind schon Dutzende medialer Persönlichkeiten rituell gesteinigt worden. Vielleicht gehört ein wenig journalistische Hybris dazu, zu glauben, daß man als Teil der „vierten Gewalt“ nicht von den eigenen Waffen getroffen werden könne? Obwohl es andererseits schon interessant wäre, darüber nachzudenken, inwieweit man als Bundesbürger aufgrund des andauernden Bombardements von Kindesbeinen an all die krachigen Parolen verinnerlicht hat und im Hinterkopf herumträgt, um einigermaßen unbewußt darauf zurückzugreifen, wenn man mal wieder richtig einen vom Stapel lassen will.
Karl Eduard
Es belustigt mich zunehmend, daß sogenannte Konservative in den gleichgeschalteten Zeitungen verzweifelt nach sachlicher Berichterstattung suchen. Die Zeiten sind in Deutschland doch wohl lange vorbei.
Einlassung Wegner:
Wie sich durch sinnentnehmendes Lesen aus dem obigen Text entnehmen ließe, sehe ich das nicht anders. Allerdings paßt solch hoffnungslos hoffnungsvolles Verhalten gut zum klitschigen Konservatismus-Unbegriff.