berichtet (ich hab’s nicht verifizieren können), daß es in den Niederlanden gar keine Klassenfahrten im herkömmlichen Sinne mehr gebe, sondern nur Austausche mit Schülern anderer Herren Länder. Das fügt sich natürlich in die globalistische Auslandsaufenthaltsmode:
Waren es zu meiner Schulzeit drei, vier Schülerinnen eines Jahrgangs, die ein Jahr im Ausland (immer Übersee) verbrachten, scheinen diese Bildungsausflüge heute deutlich weiter verbreitet zu sein. Erst recht im Studium: Nur Sesselhocker, so scheint’s mir, studieren heute rein inländisch.
Dazu paßt auch, daß die Kinder (falls sie nicht schon im Kindergarten fremdsprachig instruiert wurden) bereits zu Beginn, wenn die Muttersprache oft noch nicht recht sitzt, mit der ersten Fremdsprache traktiert werden. Mit Pestalozzis Menschenbildung in konzentrischen Kreisen hat das nichts mehr zu tun. Bevor die ersten Kreise (nicht nur die familiäre Unterweisung, sondern auch der geographische Nahraum) erschlossen werden, wird der Fokus auf die Ferne gerichtet. Es geht nicht mehr um Wurzeln, es geht um „Perspektiven“.
Sei’s drum, Schüleraustausch ist fein. Im Winter hatten wir ein französisches Mädchen bei uns, die in einem der europaweit strengsten Internate beschult wird. Sie haben dort keine Zimmer, sondern Schlafsäle, und sie sind die Woche über kaserniert und dürfen die Mauern nicht verlassen. Das Fräulein war bestens erzogen und interessierte sich sehr für unsere Bücherregale: Ah, Raspail! Kennt in Frankreich natürlich jeder! Und Millet! Klar!
Nun also erwarten wir eine Niederländerin. Die Tochter war schon dort im Nachbarland und hat gestaunt, daß dort alle Schüler bei Wind und Wetter mit dem Rad zur Schule kommen, auch wenn es zehn Kilometer sind, auch wenn Winter ist, auch wenn Austauschschüler dabei sind. Die Niederländer erschienen ihr ziemlich zäh in dieser Hinsicht.
Wohin aber werden die Austauschschüler während ihres Mitteldeutschlandaufenthalts geführt? Zur größten Burganlage der Region, einen Katzensprung von der Schule entfernt? Immerhin. Nach Merseburg, zur deutschlandweit allerschönsten Schloßanlage? Nein, dorthin schon nicht mehr. Ich hätte noch zehn, elf weitere Ausflugstips parat, wir bewegen uns auf historisch illustrem Gelände.
Jedoch: Es geht an einem Tag ins Spaßbad, am anderen ins Beatlesmuseum. Ins was? Ja, ins Beatlesmuseum nach Halle. Wohlgemerkt: Zielgruppe sind nicht nostalgische Sechzigjährige, sondern Schüler des Jahrgangs 1999. Aus der Eigenwerbung des Ausflugziels:
Auch am eigenen Standort wird erkannt, dass das Thema „Beatles“ weltweit ein Begriff ist, mit dem gepunktet werden kann. „Beatles Museum“ ist positiv besetzt, wird international verstanden und braucht nicht erklärt zu werden. Die Beatlesmusik ist der Soundtrack eines ganz speziellen Lebensgefühls. Viele Besucher und Besucherinnen lassen sich gerne in eine Zeit zurückversetzen, die sie mitunter selbst miterlebt haben und die heute schon ein wichtiger Teil der Kulturgeschichte ist. Das Beatles Museum trägt sich selbst, weil es eine kaufmännisch geführte Kultureinrichtung ist: Es verfügt über einen eigenen Shop und Versandhandel mit dem größten Angebot zum Thema weltweit: CDs & Schallplatten, DVDs & Videos, Bücher & Hefte, Souvenirs & Spielzeug, T‑Shirts & Hemden, Postkarten & Aufkleber und und und.
Gut. Sie sollen ja unser Land kennenlernen, die Buben und Mädchen aus den Niederlanden. Also die Bundesrepublik und nicht irgendwelchen ollen Kram.
29.3.2014
Auf, hebt unsre Fahnen
In den frischen Morgenwind,
Laßt sie weh’n und mahnen
Die, die müßig sind!
|: Wo Mauern fallen,
Bau’n sich andre vor uns auf,
Doch sie weichen alle
Unserem Siegeslauf. 😐
Es gibt im politischen Gefilde offensichtlich unterschiedliche Arten, mit einem Triumph umzugehen. In England und Wales (wo Homosexuelle sich bereits seit neun Jahren amtlich verpartnern dürfen und die gleichen Rechte wie konventionell-altmodische Paarungen haben), wurde das neuetablierte Ehegesetz, das nur formell eine Neuerung ist, jubelnd und mit staatlicher Fahnenschwenkerei gefeiert. Die FAZ berichtet:
„Der britische Premierminister David Cameron sprach von einem „wichtigen Moment für unser Land“. Als Zeichen der neuen vollen Gleichberechtigung wehte die Regenbogenfahne, das Symbol der Homosexuellen-Bewegung, über Regierungsgebäuden in London. Cameron erklärte, es spiele von nun an in Großbritannien „keine Rolle mehr, ob man heterosexuell oder homosexuell ist“, der Staat sehe alle Beziehungen als gleichberechtigt an. Das sei auch eine „starke Botschaft“ an junge Menschen, die sich über ihre Sexualität noch nicht klar seien.“
Zur gleichen Zeit beschloß man in Deutschland einen „Kompromiß“, der eine weit höhere Stufe als das englisch-walisische Gesetz bedeutet, aber ausschließlich mit traurigen Mienen kommentiert wurde. Bislang mußten sich Kinder von Einwanderern zum 23. Geburtstag für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Nun können sie zwei Pässe behalten, wenn sie bis zum 21. Geburtstag mindestens acht Jahre in Deutschland gelebt haben oder sechs Jahre hier zur Schule gegangen sind.
Beklagt wird die Zumutung, daß Kinder mit Migrationshintergrund gezwungen seien, „ständig Belege einzureichen“, wann sie in Deutschland waren und wie lange; daß sie in Deutschland zur Schule gegangen sind. Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Torsten Albig, spricht von einem „integrationsfeindlichen Bürokratiemonster“. Über 90% der hier Geborenen (natürlich nur derer mit Migrationshintergrund!) dürfen also nach der Neuregelung zweigleisig fahren. „Fast alle“ könnte man sagen. Ihre Loyalität zu diesem oder jenem Land wird sich im Ernstfall erweisen. Ich habe keine Ahnung, unter welchen Bedingungen Deutschen in anderen anderen Ländern diese Doppelgleisigkeit zugestanden wird. In Deutschland jubelt jedenfalls keiner. Nur saure Gesichter. Sie werden sich aufhellen, beizeiten, wetten?: „Doch sie weichen alle/ unserm Siegeslauf!“
30.3.2014
Wer behauptet, in Deutschland sei das Militär seinen Traditionen enthoben, weiß wenig über norwegische Gepflogenheiten. In den dortigen Kasernen gibt es nicht nur einen wöchentlichen Veggie-Day (taz:„Der Fleischverzicht der Soldatinnen und Soldaten soll ein Beitrag gegen den Klimawandel sein“), zudem die Pflicht, äh, nein, die Erlaubnis für männliche Soldaten, auch hüftlange Haare zu tragen, sondern auch gemischtgeschlechtliche Schlafzimmer, wie die taz berichtet:
„Durch die Nähe sollen Geschlechtervorurteile abgebaut und das Gemeinschaftsgefühl in der Truppe gestärkt werden. Norwegische Forscher haben die Soldatinnen und Soldaten nach einer ersten Testphase befragt. Die Reaktionen sind durchweg positiv. Die Soldatinnen sagten, das Gemeinschaftsgefühl in der Einheit sei durch die gemischten Räume viel stärker geworden. Die Frauen fühlten sich mehr der Truppe zugehörig, sexuelle Übergriffe oder sexistische Beleidigungen hätten abgenommen. Kam es doch einmal zu Belästigungen, hätten sich die Männer mit ihren Kameradinnen solidarisiert.“
In Deutschland solidarisiert man sich einstweilen mit dem Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden. Dessen Leiter ist seit 2006 ein langhaariger Mann („er genießt doch immer wieder gern die Überraschung bei all jenen, die glauben, man könne ein Bundeswehrmuseum nur mit einem militärisch korrekten Haarschnitt leiten“, schreibt der Freitag) mit dem märchenhaften Namen Gorch Pieken. Das Museum (mit 250.000 Besuchern pro Jahr, also tausendmal mehr, als der Kölner Frauenmediaturm in Köln verzeichnet) „zeichnet militärische Gewalt vom Spätmittelalter bis heute nach“.
Die aktuelle Sonderausstellung „Schuhe von Toten – Dresden und die Shoa“ ist bis zum 8. April zu sehen. Es ist unter anderem Pieken, dem „PR-Spezialisten mit Leidenschaft“, zu verdanken, daß die Shoa-Show Besucherrekorde gebrochen hat, schreibt der Freitag in seinem aktuellen Pieken-Portrait. Die Ausstellung „14 – Menschen. Krieg“ wird im August eröffnet. Pieken will dafür 18.000 Plätzchen in Form von Soldaten des Ersten Weltkriegs backen lassen. Die will er dann zu einer Mauer aufschichten, sie können von Museumsbesuchern gegessen werden. Das nennt man leibhaftige Vergangenheitsbewältigung, oder? Ist Deutschland nicht noch eine Spur cooler als Norwegen?
nino
Das ist eine feine Sache. Wenn man einen Pass verliert (bspw. in den Ferien), ist man trotzdem nicht staatenlos und hat immer noch eine Heimat.