Frenzel, die Nazi-Tante

Volker Weidermann (Jg. 1969), Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat die Germanistin Elisabeth...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

Fren­zel zur Stre­cke gebracht: Seit über 50 Jah­ren wird deren Stan­dard­werk Daten deut­scher Dich­tung auf­ge­legt, es ist mitt­ler­wei­le in der 35. Auf­la­ge erschie­nen, und die grei­se Ver­fas­se­rin ergänzt es noch immer eigenhändig.

Die­sem Trei­ben hat der von der taz her­kom­men­de Wei­der­mann nun am ver­gan­ge­nen Sonn­tag einen Rie­gel vor­ge­scho­ben: In einem Groß­ar­ti­kel für die FAS nennt er Fren­zels Zusam­men­stel­lung der wich­tigs­ten deut­schen Wer­ke vom Min­ne­sang bis heu­te einen “gro­tes­ken Kanon” mit erheb­li­chen Lücken, und zwar genau dort, wo sich Wei­der­mann selbst als unver­zicht­ba­re Stim­me pla­zie­ren will: im Bereich der Bücher­ver­bren­nung, der Rei­ni­gung des Lite­ra­tur­ka­nons im natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Geist. Dar­über hat er näm­lich letz­tes Jahr ein eige­nes Buch vor­ge­legt, und das flutscht seit vor­ges­tern viel­leicht wie­der ein biß­chen besser.

Zur Metho­de: Wei­der­mann wei­det Fren­zels Dis­ser­ta­ti­on über Die Gestalt des Juden auf der neue­ren deut­schen Büh­ne (1938, da war sie 24) aus und unter­stellt Gesin­nungs­treue bis heu­te. Des wei­te­ren hat er Fren­zels dop­pel­bän­di­ge Daten deut­scher Dich­tung durch­ge­blät­tert und fest­ge­stellt, daß Klaus Mann, Kurt Tuchol­sky, Sieg­fried Kra­cau­er und Egon Erwin Kisch mit kei­nem ihrer Wer­ke ver­tre­ten sind. Auch Armin Weg­ner und Irm­gard Keun feh­len. Dafür sind Ina Sei­del, Hans Reh­berg, Erwin Gudo Kol­ben­he­yer und Richard Bil­lin­ger vertreten.

Ich wills jetzt mal übers Knie bre­chen: Tuchol­sky und Mann sind in aller Mun­de, obwohl sie bei Fren­zel feh­len. Kra­cau­er war Jour­na­list und Kisch schrieb Kitsch. Den SA-Mann Reh­berg kennt kein Mensch mehr (trotz Fren­zel), den SS-Mann Grass aber jeder (und er kommt vor!); Bil­lin­ger und Kol­ben­he­yer sind ver­schwun­den, und wer die Sei­del eine Nazi-Schrift­stel­le­rin nennt, wird vom bol­sche­wis­ti­schen Tuchol­sky nicht schwei­gen wol­len, oder?

Zu ande­ren weg­ge­säu­ber­ten: Hein­rich Mann, Franz Wer­fel, Ber­tolt Brecht, Alfred Döb­lin, Arthur Schnitz­ler, Arnold und Ste­fan Zweig usf. kom­men alle vor, teils episch, also fast mit allen Wer­ken. Ihr Exil, die Metho­den der Ver­drän­gung, die offi­zi­el­le Lite­ra­tur­po­li­tik: Alles wird in einem Kapi­tel the­ma­ti­siert und durch den Begriff der “Inne­ren Emi­gra­ti­on” ergänzt.

Viel­leicht hät­te Fren­zel von Klaus Mann etwas auf­neh­men kön­nen, und von Tuchol­sky ein paar Gedich­te erwäh­nen, aber “Lücken”? “Gro­tes­ker Kanon”? Mir feh­len von Horst Lan­ge Die schwar­ze Wei­de, von Franz Wer­fel Die 40 Tage des Musa Dhag, von Nie­bel­schütz Die Kin­der der Fins­ternis und von Beu­mel­burg Grup­pe Bose­mül­ler. Fren­zel führt dage­gen für 1934 Wil­ly Bre­dels Die Prü­fung an (einen Roman aus dem KZ) und – bloß als Bei­spiel – die im Mos­kau­er Exil erschie­ne­nen Gedich­te Johan­nes R. Bechers.

Zur Fren­zel: Sie und ihr Mann, der eben­falls “ver­strickt” war, mach­ten nach 45 kei­ne Kar­rie­re mehr, das ver­merkt sogar Wiki­pe­dia. Aber sie haben ger­ma­nis­tisch soli­de gear­bei­tet. Was will ich sagen? Ich will eigent­lich bloß zwei Fra­gen stellen:

1. Wie oft wird Hit­ler noch besiegt? (Ges­tern, also einen Tag nach Wei­der­manns Arti­kel, hat dtv die Daten aus dem Pro­gramm genom­men. dtv-Ver­le­ger Wolf­gang Balk sagt, er habe den Aus­füh­run­gen Wei­der­manns selbst­ver­ständ­lich “nichts ent­ge­gen­zu­set­zen”.)
2. Wie ist das mit der Mün­dig­keit, wenn geschätz­te andert­halb Mil­lio­nen Leser aus dem aka­de­mi­schen Milieu das Gro­tes­ke  und die Brand­lö­cher der Fren­zel­schen Daten nicht erkannten?

Und noch was: Ich stu­dier­te in Hei­del­berg Ger­ma­nis­tik bei Pro­fes­sor Borchmey­er. Er sag­te immer: Schaut bei der Fren­zel nach. Sie war zwar eine Nazi-Tan­te , aber das gab sich. Und sie ist unverzichtbar.

Mein Rat: Kauft die Daten, aber auch die Moti­ve der Welt­li­te­ra­tur und die Stof­fe der Welt­li­te­ra­tur, solan­ge es der Wei­der­mann noch erlaubt. Mil­lio­nen Ger­ma­nis­ten kön­nen nicht irren!

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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