Gehör-Faschismus: Pfitzner verhindern!

pdf der Druckfassung aus Sezession 29/ April 2009

sez_nr_29von Jens Knorr

"Kann man Hans Pfitzner retten?", fragt Jens Jessen 2007 in der Zeit, um sich nach Aufzählung von dessen antisemitischen Entgleisungen vor einer Antwort dann doch zu drücken. Um Rettung war es Jessen auch gar nicht gegangen, sondern darum, die Absage eines Konzerts durch die jüdische Gemeinde München zu rechtfertigen, bei dem Pfitzners Sextett op. 55 von Mitgliedern der Münchner Philharmoniker gespielt werden sollte.

Reha­bi­li­tiert man einen Sym­pa­thi­san­ten des Natio­nal­so­zia­lis­mus und unbe­lehr­ba­ren Anti­se­mi­ten, wenn man sei­ne Kan­ta­te “Von deut­scher See­le” auf­führt? Ja, warnt Dr. Die­ter Grau­mann, Vize­prä­si­dent des Zen­tral­rats der Juden in Deutsch­land einen (!) Tag vor dem Kon­zert des Deut­schen Sym­pho­nie­or­ches­ters zum Tag der Deut­schen Ein­heit 2008, nicht ohne Chef­di­ri­gent Ingo Metz­ma­cher in gedank­li­che Nähe zum Natio­nal­so­zia­lis­mus zu rücken: “Wer bei Pfitz­ner die Musik vom poli­ti­schen und bio­gra­phi­schen ver­sucht zu tren­nen, der hat nichts aus der Nazi-Dik­ta­tur gelernt. Die Auf­füh­rung gera­de am Tag der Deut­schen Ein­heit erweist dem Land und den Men­schen einen denk­bar schlech­ten Dienst und bestärkt rechts­extre­mis­ti­sche und natio­na­lis­ti­sche Umtriebe.”

Kün­det die Pfitz­ner-Renais­sance also das Vier­te Reich an? Auf­füh­run­gen von “Der arme Hein­rich” in Dort­mund (1999), “Die Rose vom Lie­bes­gar­ten” in Zürich (1998) und Chem­nitz (2008), “Das Chris­telf­lein” in Ber­lin-Neu­kölln (2003), Mün­chen (2004, kon­zer­tant) und Ham­burg (2008), “Das Herz” in Rudol­stadt (1993) und Würz­burg (2006), von Pfitz­ners Haupt­werk “Pal­estri­na” 2009 in Mün­chen und ange­kün­digt für Frank­furt, Augs­burg und Oden­se (kon­zer­tant), Ein­spie­lun­gen fast aller Orches­ter­wer­ke, Kon­zer­te, Chor­wer­ke und Lie­der auf Ton­trä­ger schei­nen das seit den neun­zi­ger Jah­ren ste­tig gewach­se­ne Inter­es­se an dem Kom­po­nis­ten, ins­be­son­de­re an sei­nen Büh­nen­wer­ken zu belegen.

Von noto­ri­schen Mah­nern und War­nern unkom­men­tiert, waren eini­ge Instru­men­tal­wer­ke Pfitz­ners auf den Kon­zert­spiel­plä­nen und sein Haupt­werk, die Musi­ka­li­sche Legen­de “Pal­estri­na”, auf den Opern­spiel­plä­nen auch frü­her mehr oder weni­ger prä­sent, in Mün­chen und Wien zählt das Werk sowie­so zum Kern­be­stand des Reper­toires. Als 1983 eigens eine Insze­nie­rung an der Ost­ber­li­ner Lin­den­oper ange­setzt wur­de, um dem Tenor Peter Schrei­er sein Rol­len­de­büt zu ermög­li­chen, ver­si­cher­te man sich bei der im sel­ben Jahr ver­öf­fent­lich­ten Dis­ser­ta­ti­on über Hans Pfitz­ners Schrif­ten über Musik und Musik­kul­tur von Det­lef Rentsch (Uni­ver­si­tät Hal­le-Wit­ten­berg), daß der Natio­nal­kon­ser­va­ti­ve Hans Pfitz­ner bestimmt kein Natio­nal­so­zia­list gewe­sen sei, und schon gar nicht zur Ent­ste­hungs­zeit des Werks. Auch als 1996 auf Wunsch eines ein­zel­nen Herrn, des desi­gnier­ten Chef­di­ri­gen­ten der Deut­schen Oper Ber­lin, die Kulis­sen der Ernst-Poett­gen-Insze­nie­rung von 1962 aus dem Maga­zin geholt und ent­staubt wur­den, blieb der empör­te Auf­schrei aus dem Leo-Baeck-Haus aus.

Anders zwölf Jah­re spä­ter. Schon in der unsäg­li­chen Kam­pa­gne gegen den Diri­gen­ten Rolf Reu­ter in der ers­ten Jah­res­hälf­te 2008 (mitt­ler­wei­le an Krebs ver­stor­ben) war Reu­ters lebens­lan­ger Ein­satz für den Kom­po­nis­ten gegen den Diri­gen­ten ins Feld geführt wor­den. Aber erst Ingo Metz­ma­chers voll­mun­di­ge Ankün­di­gung, unter dem Mot­to der Pfitz­ner-Kan­ta­te eine gan­ze Spiel­zeit lang dem Deut­schen in der Musik nach­hö­ren zu wol­len, was sich im nach­hin­ein als geschick­te dra­ma­tur­gi­sche Ver­klam­me­rung nicht unüb­li­chen Reper­toires her­aus­stell­te, schien anti­fa­schis­ti­schen Gesin­nungs­po­li­zis­ten einen Ansatz­punkt zu bie­ten, ihre Kam­pa­gnen­fä­hig­keit in Sachen poli­ti­cal cor­rect­ness auf dem Gebiet der musi­ka­li­schen Hoch­kul­tur zu erpro­ben. Metz­ma­chers höf­li­che, aber bestimm­te Zurück­wei­sung wie die fach­li­che Inkom­pe­tenz ihrer Initia­to­ren ließ die Kam­pa­gne schnell in sich zusam­men­fal­len, obwohl ein­schlä­gi­ges Feuil­le­ton sich noch wochen­lang müh­te, sie am Köcheln zu halten.

Eine Oper, “Pal­estri­na”, die bis­lang unbe­an­stan­det durch­ge­gan­gen war, nun auf ein­mal als natio­nal­so­zia­lis­tisch zu ent­lar­ven, hät­te zum einen die wach­sa­men Initia­to­ren jah­re­lan­gen Tief­schlafs über­führt. Und wenn schon Hanns Eis­ler in den fünf­zi­ger Jah­ren auf sei­ne lis­ti­ge Fra­ge im Kom­po­nis­ten­ver­band, was denn, Genos­sen, eine “sozia­lis­ti­sche Flö­ten­so­na­te” sei, von Fach­män­nern kei­ne rech­te Ant­wort erhal­ten konn­te, wie woll­ten da erst staat­lich ali­men­tier­te Sozi­al- oder Poli­tik­wis­sen­schaft­ler etwa ein “natio­nal­so­zia­lis­ti­sches Sex­tett” tech­nisch loka­li­sie­ren, wenn sie doch nie in ihrem Leben eine Par­ti­tur von innen gese­hen haben? Bleibt also nur die bewähr­te Metho­de, von pri­va­ten Äuße­run­gen des Delin­quen­ten auf sei­ne Gesin­nung zu schlie­ßen, von der Gesin­nung auf die Ästhe­tik, von der Ästhe­tik auf das Werk.

Daß Text/Partitur und Autor/Komponist in wider­spruchs­vol­lem, dia­lek­ti­schem Ver­hält­nis zuein­an­der ste­hen, von Hei­ner Mül­ler zu dem Dik­tum zuge­spitzt, der Text wider­le­ge den Autor, hat sich her­um­ge­spro­chen. Die Gene­se von Hans Pfitz­ners Natio­nal­kon­ser­va­tis­mus, Anti­de­mo­kra­tis­mus, Anti­se­mi­tis­mus hat bereits vor 20 Jah­ren der Musik­wis­sen­schaft­ler Frank Schnei­der in sei­nen poli­ti­schen Por­träts gro­ßer Kom­po­nis­ten ver­folgt und – soweit 1988 in der DDR mög­lich und in deut­li­chem Abstand zu den Argu­men­ta­ti­ons­li­ni­en Fred K. Prie­bergs (1982) oder Micha­el H. Katers (1997) – gerecht gewer­tet. Sie nun in sei­nem ton­set­ze­ri­schen, kunst­theo­re­ti­schen und schrift­stel­le­ri­schen Schaf­fen auf­zu­su­chen, zu wider­le­gen und zu bele­gen, heißt die Fra­ge stel­len, deret­we­gen uns die­ses Schaf­fen per­ma­nent wei­ter heim­sucht, näm­lich die deut­sche Fra­ge. Wer sie ver­hin­dern will, muß schon Pfitz­ners Musik verhindern.

Wer sie umge­hen will, muß sie in die glor­reich über­wun­de­ne Ver­gan­gen­heit abschie­ben. Wenn Pfitz­ner gespielt wird, muß noch lan­ge nicht Pfitz­ner gemeint sein. Ohne­hin geht das Kal­kül der Ver­ant­wort­li­chen und Pro­fi­teu­re des Ton­trä­ger­markts eher dahin, Trou­vail­len zuta­ge zu för­dern, die der Samm­ler auch dann zu kau­fen bereit ist, wenn die Inter­pre­ta­ti­on höchst mit­tel­mä­ßig ist, und das Kal­kül der Opern­büh­nen, über­re­gio­na­le Auf­merk­sam­keit auf sich zu zie­hen. Büh­nen­auf­füh­run­gen in Kai­sers­lau­tern 1999 und Chem­nitz 2008 waren Neben­pro­duk­te von CD-Pro­duk­tio­nen. Noch jeder Regis­seur, oder wer sich für einen hält, hat anläß­lich sei­ner Insze­nie­rung eines Pfitz­ner­schen Büh­nen­werks betont, daß man es so, wie es sei, heu­te kei­nes­falls mehr auf­füh­ren kön­ne, frei­lich ohne je in Bild und auf Begriff gebracht zu haben, wie das Werk denn nun eigent­lich sei. Nicht gerin­ge Hoff­nun­gen, daß es auch anders gehen könn­te, rich­ten sich auf die Neu­in­sze­nie­rung des “Pal­estri­na” durch Har­ry Kup­fer an der Frank­fur­ter Oper.

Das waren­pro­du­zie­ren­de Sys­tem scheint an sei­ne lang und detail­liert vor­her­ge­sag­te inne­re Schran­ke gelangt zu sein, mit ihm sei­ne gesell­schaft­li­che Ver­faßt­heit. Man kann den Zer­fall natio­nal­staat­li­cher Struk­tu­ren, ohne daß sich die deut­sche Nati­on nach 1945 wie­der kon­sti­tu­iert hät­te, ihre Auf­lö­sung in einem kul­tur­lo­sen, pre­ka­ri­sier­ten Völ­ker­ge­misch, lust­voll durch­le­ben und als Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus dekla­rie­ren, aber man kann auch den geschichts­lo­sen Moment in einen geschichts­träch­ti­gen zu wen­den suchen, nicht ver­lo­ren geben, was nicht ver­lo­ren­ge­hen darf. In sol­chem Moment erhält ein Werk der deut­schen Natio­nal­kul­tur unver­hoff­te Aktua­li­tät, das in ähn­lich emp­fun­de­ner Situa­ti­on entstand.

Längst ersetzt ist die Fra­ge, ob Hans Pfitz­ner gespielt wer­den dür­fe, wenn sie denn je aktu­ell gewe­sen sein soll­te, durch die Fra­ge nach dem Wie. Wür­de dar­über Einig­keit erzielt wer­den, wäre er außer­halb Mün­chens und Wiens aller­dings der tote Hund, für den ihn sei­ne Geg­ner, die Geg­ner sei­ner Musik, erklä­ren wol­len. Die Dis­kus­si­on um Hans Pfitz­ner – “ein deut­scher und nur den Deut­schen geläu­fi­ger Kom­po­nist” (Frank Schnei­der) – ist nur vor­der­grün­dig eine um die Gesin­nung des Kom­po­nis­ten, in ihrer Tie­fe jedoch eine um Laten­zen sei­ner Musik und sei­ner Ästhe­tik und um die unab­ge­gol­te­ne Fra­ge nach dem Deut­schen in der Musik. Die Wahr­heit der Noten haben alle Auf­füh­run­gen der letz­ten Zeit musi­ka­lisch in eini­gen Momen­ten, die Insze­nie­run­gen jedoch kei­nes­wegs zur Erschei­nung gebracht. Nicht wir ret­ten die Musik, die Musik ret­tet uns: Hans Pfitz­ner ist mit uns noch nicht fertig!

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