Der unermüdlich arbeitende Mann im Hintergrund, der von allen Parteien akzeptierte Sekretär des Wiener Kongresses, wurde im Schatten des großen Fürsten lange vergessen: Friedrich Gentz.
Gentz war einer der bedeutendsten und einflußreichsten Konservativen der letzten 300 Jahre und dürfte so viele Widersprüche in seiner Person vereint haben wie kaum eine andere Persönlichkeit seiner Zeit. Er, der preußische, nüchtern denkende Beamte aus gutem Hause, war zeit seines Lebens ein wüster Frauenheld (seine letzte Liebe über 50 Jahre jünger als er) und Ehebrecher. Selbst seine Freunde beschrieben den jungen Gentz als eitel, er war ebenso vergnügungssüchtig wie verschwenderisch, weshalb er schließlich als Bankrotteur vor seinen Gläubigern fliehen mußte. Ausgerechnet dieser Mann war aber zugleich einer der Erfinder eines realistischen, erfahrungsgesättigten und streng unideologischen Staatsdenkens, ein Praktiker der Macht, der im Erhalt eines Gleichgewichtes der Großmächte die einzige Möglichkeit sah, dauerhaft den Frieden in Europa zu bewahren. Vom Anhänger der Revolution wandelte er sich zu einem ihrer einflußreichsten Gegner; vom kessen Liberalen, der Freiheiten im Sinne des bürgerlich-nationalen Aufbruches einforderte, wurde er zum berüchtigten und verhaßten Wortführer der Reaktion. Als Übersetzer von Burkes Reflections on the Revolution in France popularisierte er dessen Schrift, verschärfte sie zugleich im Ton und machte sie zum restaurativen Grundlagenwerk.
Vor 250 Jahren, am 2. Mai 1764, wurde Friedrich Gentz geboren. Seine wichtigsten eigenen Schriften versammelt seit wenigen Jahren ein von Hans Jörg Hennecke sorgfältig edierter und mit einem äußerst lesenswerten Nachwort versehener Band (Revolution und Gleichgewicht, Waltrop und Leipzig: Edition Sonderwege bei Manuscriptum, 2010).