Konzentrationslagern abgeleistet hat. Aber dennoch muß man darüber nachdenken: Und wenn der Autor nach dem Tanze dann rechts und links der Klinge herunterrutscht wie der Türke in Uhlands Gedicht, dann triffts ein abenteuerliches Herz.
Also: Der Ukrainer John Demjanjuk wurde von den deutschen Besatzern aus einem Gefangenenlager heraus rekrutiert und als Wärter in den Konzentrationslagern Sobibor und – wohl – Flossenbürg eingesetzt. Er wurde nach dem Krieg in Polen freigesprochen, emigrierte in die USA, wurde eingebürgert, wieder ausgebürgert, an Israel überstellt, dort zunächst mit einem Wärter namens “Iwan, der Schreckliche” verwechselt, zum Tode verurteilt und nach Archivfunden in Moskau wieder freigesprochen. Er kehrte in die USA zurück, wiederum eingebürgert, verlor aber 2002 seine Staatsangehörigkeit erneut und kämpfte seither gegen seine Auslieferung.
Nun hat die Staatsanwaltschaft in München Anklage wegen Beihilfe zum Mord in 29000 Fällen erhoben: Das ist die ermittelte Zahl derer, die in Sobibor ihr Leben ließen, während Demjanjuk dort seinen Dienst versah – neben vielen anderen, aber er ist nun einmal aufgrund der vormaligen Verwechslung so bekannt, ist greifbar. Demjanjuk sitzt seit ein paar Tagen in München in Untersuchungshaft. Der holländische Strafrechtslehrer Christiaan van Rüter nennt ihn “den kleinsten der kleinen Fische”, der Prozeß gegen diesen 89-jährigen Hilfswilligen (“Trawniki” nannte man sie) ist also ein Griff nach dem untersten Ende der Befehlskette.
Wem machen wir den Prozeß, wenn wir Demjanjuk anklagen? Wir verhandeln über eine Möglichkeit in uns selbst. Das ist kein neuer Gedanke, aber es ist einer, der in Vergessenheit gerät, wenn Gut und Böse so klar geschieden scheinen wie in solchen Fällen – oder aber, wenn wir uns mit einem Hechtsprung auf die Seite der Guten retten können.
Aber wir müssen uns doch fragen, ob wir den Strohhalm des Entkommens aus dem deutschen Kriegsgefangenenlager nicht auch ergriffen hätten – für den Preis des Dienstes in der deutschen Armee, die immerhin zunächst als der Befreier vom Bolschewismus wahrgenommen wurde. Wir müssen uns auch fragen, ob wir es für ausgeschlossen halten, daß wir die Türe eines Viehwaggons geöffnet oder die zu einem Kellerraum wieder verriegelt hätten, wenn es uns befohlen worden wäre. Und wer hätte das Gewehr sinken lassen und sich selbst an die Grube gestellt?
Wir müssen Demjanjuk (diesen kleinsten der kleinen Fische) auch vergleichen mit den im Irak folternden US-amerikanischen Offizieren, von denen Obama sagt, daß er sie nicht preisgeben oder anklagen werde: Denn sie täten nur ihre Pflicht, führten nur Befehle aus. Ist die eingehende Beschäftigung mit den Fingern, Gelenken, Hoden eines einzelnen Gefangenen und die zuvor gründliche Ausbildung des Verhörers überhaupt vergleichbar mit den Hilfsdiensten eines ukrainischen Kerls, der durchkommen wollte? Hätte sich der amerikanische Offizier auf die Folterbank geschnallt gesehen, wenn er sich dem Befehl verweigert hätte?
Der Tanz auf des Messers Schneide ist zuende. Laßt die unteren zehn Meter der Befehlskette in Ruhe, sie hat das alles mit sich selber auszumachen – gestern wie heute.