Das Urbild des Nipsters wurde Anfang des Jahres auf einer „Nazi“-Demo abgelichtet: Ein kräftiger mitteljunger Mann mit modischem Vollbart, diverse schmückende Ringlein in der Gesichtshaut, an den Füßen pink Chucks mit Sternchen und, als besonderer Clou, über der Schulter hängend einen blassen Ökostoffbeutel mit der Aufschrift „Bitte nicht schubsen, ich habe einen Joghurt im Beutel“. Antifaschistische Beobachter reagieren verstört. Sieht einer so cool aus und tummelt sich bei denen!
Und das Ding hat auch noch Methode! Auf youtube, so heißt es, gebe es vegane Kochshows von “Nazis”, in von „Nazis“ inszenierten Internet-TV-Sendungen treten Kerle mit urlinken Guy-Fawkes-Masken auf, JN-Leute hampeln zum „Harlem Shake“, halten dabei aber Schilder hoch, die auf ihre ideologische Verblendung hinwiesen: „Mehr Sex mit Nazis!“, „Widerstand!“ Das ist infam: Begriffe okkupieren und sie den Originalen im Mund verdrehen.
Im Netz-gegen-Nazis weiß man Bescheid:
Was genau macht einen Nazi-Hipster aus? Nun, inhaltlich vertritt er oder sie natürlich den gleichen Schmu aus Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus, Deutschtümelei und Meinungsfreiheitsgeschwurbel wie alle Rechtsextremen. Es ist die Verpackung, die sich Nipster bei der Jugendkultur der Hipster leiht. Er reichert die Nazi-Ideologie an mit Rebellion, jugendlicher Nachdenklichkeit, Selfie-Schnappschüssen und alternativkulturellen Versatzstücken wie veganer Ernährung und Containern.
Die Nipsters verkleiden sich nicht nur als trendige Normalos, sondern mitunter auch als Krümelmonster, stellen sich derart albern gewandet auf Autobahnbrücken und halten artige Schilder hoch wie das Original-Emblem der „Schule ohne Rassismus-Schule mit Courage“: eine reichlich fiese Verhohnepiepelung. Sie nutzen Anglizismen oder komplett fremdsprachige Slogans, von denen ihre Gegner nie geglaubt hätten, daß die Rechten sie verstehen („Boys will be boys – bildet Banden“), oder sie pressen sich in Adidasklamotten halbakrobatisch zwischen Stelen des großen Berliner Mahnmals und schreiben in irgendwie „ökologisch“ anmutender Schrift darunter: Holocaust ist ein Brotaufstrich. Es sind schlimme Leute, ohne Frage. Gutinfomierte Leute von spiegel.tv haben mal einen Obernipster auf seinen hinterhältigen Touren begleitet.
9. 7. 2014
Kindermund. Vorausgeschickt: Der volle Assoziationsraum unserer Jüngsten (sie ist drei) für das Wort „Geschwister“ ist mir nicht bekannt. Auf jeden Fall verbindet sie (immanent logischerweise) mit diesem Wort sehr junge Menschen; Kinder, die ein bißchen älter sind als sie selbst.
Wir hatten gerade den Sezession-Autor Professor Scholdt zu Gast. Unsere Dreijährige beim Zubettgehen: „Ist der Pofressor morgen auch noch da?“ – „Ja, ist er.“ – „Kommen dann auch seine Geschwister?“ – „Hm? Welche Geschwister? Warum?“ – „Zum Spielen vielleicht.“ – „Wieso? Was hat denn der Professor Scholdt für Geschwister?“ – „Das weißt du doch.“ – Nein. Wirklich nicht.“ – „Der Papa und du ihr sagt doch manchmal: die Geschwister Scholdt“.
11.7. 2014
Das Buch Tussikratie der Autorinnen Knüpling/Bäuerlein habe ich ein paar Wochen an mir vorbeiziehen lassen. Titel mit Neonschrift schrecken mich auch dann ab, wenn sie vorgeben, mit dem Staatsfeminismus (hier „Tussikratie“ genannt) ins Gericht zu gehen. Das Buch erschien mir nach der xten Rezension doch interessant. Als die Süddeutsche bereits die zweite große Besprechung brachte, (die Autorin rieb sich u.a. daran, daß eine Netzseite der AfD das Buch empfiehlt), bestellte ich es mir. (Besprechung in der Sezession-Druckausgabe August.)
Was mich persönlich erstaunte, war dies: Die Autorinnen (feministische Feminismus-Kritikerinnen) berichten, daß in ihrem Bekanntenkreis junge Eltern reihenweise davon erzählen: Daß sie ihre Kinder geschlechtsneutral erziehen wollten, und daß dennoch die kleinen Mädchen Puppen, Nagellack und rosa und die kleinen Jungs Autos und Fußball interessant finden. Das hab ich schon sehr oft gehört und gelesen. Für die Autorinnen war wichtig zu betonen, daß es sich dabei um keinen konservativen, sondern eher “linken bis anarchistischen” Freundeskreis handelt.
Für mich ist der angeblich sich ohne äußeres Zutun einstellende Drang zum rosa Weiblein ein Rätsel: Unsere Mädchen wachsen alles andere als geschlechtsneutral auf. Die Mädchen tragen Röcke. Sie haben Hosen im Schrank hängen und dürften sie anziehen. Machen sie aber nicht. Gelegentlich zwinge ich sie: wenn es in den Kletterpark geht oder zum Rodeln. Dann stöhnen sie: „Ich komm mir vor wie so’ ne Mode-Tussi…“.
Die interessante Sache ist, daß unsere Mädchen trotz Rock und Zöpfen nie eine Barbie oder ein rosa/glitzerndes Spielzeug favorisiert haben und auch nie danach verlangten. (Obwohl sie von der Existenz solcher Dinge wußten.) Daß sie nie ein T‑Shirt mit der Aufschrift „Zicke“ oder „In Mathe bin ich Deko“ anziehen würden, weil’s gelogen wär. Daß sie „Draußenspiele“ dem kindlichen Frisierlabor eindeutig vorziehen. Daß die Großen (fast) alle Jungs im jährlichen Geo-Wettbewerb schlagen. Diäten, Schminkveranstaltungen, Dauertelephonate? Keine Option. Klar, sie können backen, nähen, kochen (unterschiedlich gern). Aber eben auch einen Reifen wechseln oder ein elektrisches Gerät reparieren – zur Not. Vollkommen ohne genderbewußte oder „anarchische“ Erziehung. Komisch eigentlich.
12.7. 2014
Keiner spricht mehr öffentlich von Ausländern. Schon lang nicht mehr. Es sind Migranten, oder schlicht Menschen (mit Migrationshintergrund). Klar, Ausländer klingt exkludierend. Entwicklungshilfe gibt es auch nicht mehr. Klingt nach passiver Bedürftigkeit derer, denen geholfen wird. Heute sagt man generös: Entwicklungszusammenarbeit.
Und nun verschwinden die „Flüchtlinge“. Sie heißen nun Refugees. „Flüchtling“ klingt vielleicht durch die –ling-Endung zu dinghaft, man denkt an Leute, die von den Umständen zu uns gehetzt wurden und froh sind um ein Obdach, eine warme Mahlzeit und getragene Kleidung. Ich: „Refjudschie, das klingt doch schon nach Willensmensch, nach Recht auf Hiersein, nach Widerstand“. Kubitschek kostet und malmt das Wort, probiert es in aggressiver, in bittender und technokratischer Diktion aus: „Für mich klingt das nach den Computerspezialisten, die uns ausnahmsweise einen Gefallen tun“.
Carabus violaceus
Die vegane Kochshow heißt "Balaclava Küche", denn gekocht wird dort mit modischen Sturmhauben auf dem Kopf!