Zur Schlagzeile wird seine beinahe spurlose Abwesenheit deshalb, weil er MdB ist, Mitglied des Bundestags. „Keine Experimente“ (so der Titel dieses neuen Romans von Markus Feldenkirchen) ist Kallenbergs Motto, und auf seinen Wahlplakaten stehen Slogans wie „Werte wählen“, „Anstand hat einen Namen“ oder, umständlich, wie er ist: „Andere spotten über die heile Welt – ich kämpfe für sie“.
Kallenberg ist durch und durch konservativ. Er ist eine ehrliche Haut. Seine Heimat ist die sauerländische Provinz. Als Junge hatte er schwer unter der mütterlichen Untreue, dem väterlichen Phlegma und Suff gelitten. Er entwickelte Zwangsneurosen und fand dauerhaften Trost und Zuspruch in der katholischen Kirche. Und in Julia, die er seit der Schulzeit liebt. Die beiden haben zwei Kinder und telephonieren zu festgelegten Zeiten, wenn Frederik unter der Woche in Berlin sein muß.
Frederik ist das gute Gewissen seiner Partei, er gilt als „letzter Joker des deutschen Konservatismus“. Manche nennen ihn einen „konservativen Revolutionär“, andere schimpfen den durchaus attraktiven und nachdenklichen Mann einen „reaktionären Sack“. Im Netz kursieren Haßseiten wie kallenbergswirrewelt.de und stoppt-kallenberg.de.
Den ernsthaft bemühten Politiker tangiert das nur am Rande. Aus grundsätzlichen Erwägungen begibt Kallenberg sich selten in virtuelle Welten, selbst sein Mobiltelephon weiß er nur rudimentär zu bedienen. Heute: das ist nicht seine Welt. Diese Welt erscheint ihm als laut, verlogen, mit albernen Anglizismen durchsetzt, als durch-und-durch dekadent. Mit Schrecken und Ekel merkt er, daß selbst seine weltanschaulich nähesten Kollegen des „Konservativen Kreises“ längst angefressen sind von den Übeln der Zeit, daß sie Zoten reißen und Stripbars besuchen.
Kallenberg hat sich einen Namen gemacht als Verfechter eines Müttergeldes. Schlagende Argumente für die häusliche Betreuung des Nachwuchses hat er stets parat, er kennt Studien, Statistiken, Fälle. Nur Dagmar Keppler, jene doppelgesichtige Grande Dame des bundesrepublikanischen (Alt-) Feminismus haut ihn in die Pfanne, ausgerechnet in der meistgesehenen Talkshow. Frau Keppler (kaum verborgen und treffend gezeichnet ein Alter Ego Alice Schwarzers) redet den gutmütigen Fontane-Liebhaber Kallenberg in Grund und Boden: „Stopstopstop! Jetzt lassen sie mich mal ausreden!“ Die Frauenrechtlerin beginnt jede ihre publikumswirksamen Einlagen mit einer fauchenden Drohung: Die Sendung wird zur glatten Niederlage Kallenbergs. So sehr, daß sich selbst die Kanzlerin per Handy bei ihrem Parteikollegen meldet. Frau Bundeskanzler fragt süffisant, ob er, Kallenberg, etwa ein Problem mit einer Frau als Chefin habe?
Etwas hilfreicher war da die Diskussion, die Kallenberg kurz zuvor in einem kleinen, linken Asta-Kreis mit der Jungfeministin Liane führte. Da war es heiß hergegangen, es hatte Rede und Gegenrede gegeben. Und es zeigte sich, daß Gegensätze sich durchaus anziehen können. Und aus-! Was der zuvor treue Familienvater nicht ahnt: Liane hat eine Wette laufen. Sie soll Kallenberg ins Bett kriegen. Es wird ihr gelingen. Es gelang ihr schon bei siebenundzwanzig Männern (ungefähr) zuvor. Liane ist vollemanzpiert, versteht sich auf sexualtechnische Kniffe und läßt sich im Gegenzug zur neuerlichen Fontane-Lektüre rumkriegen. So ist die Welt vielleicht.
Markus Feldenkirchens Buch der Psychogenese eines strauchelnden konservativen Überzeugungstäters ist überaus unterhaltsam, auch wenn die oft holzschnittartige Sprache („die Frauen rasteten fast aus vor Begeisterung“; „sie schlug die Hände über dem Kopf zusammen“) verrät, daß hier kein Literat im engeren Sinne am Werk ist. Sein Personal hingegen führt er trotz zahlreicher Klischees nicht vor.
Kallenberg ist stockkonservativ und seelisch leicht behindert, aber er ist kein Idiot. Er ist ein belesener, empfindsamer und begeisterungsfähiger Idealist. Natürlich wird er am Ende geläutert, und die Tragödie wird damit zum Aufklärungsstück.
Da hilft es, daß auch Kallenbergs Pfarrerfreund ein progressiver Typ ist. Am Ende geht keiner leer aus; es zeigt sich, daß alle profitieren, wenn sie sich nur ein wenig „locker machen“: C’est la vie! Wir leben in modernen Zeiten, oder?
Das Autorenphoto mag den einen oder anderen Leser übrigens stutzen lassen: Das ist doch ein höchst bekannter konservativer Publizist! Doch nein, es ist eine charmante optische Täuschung. Feldenkirchen, preisgekrönter Publizist und Romanautor, arbeitet seit vielen Jahren für das Hauptstadtbüro des Spiegel. Er wird seine Pappenheimer kennen.
(Markus Feldenkirchen: Keine Experimente. Roman: Zürich/Berlin: Kein & Aber 2013, 400 S., 22.90 €, hier bestellen.)
Rumpelstilzchen
Ich werde diese Buch nicht kaufen !
1. - da ich Experimente mag
2. - da laut Wikipedia auch "dieser Roman von Feldenkirchen positiv aufgenommen wurde"
3. - da laut Wikipedia "das Wertegerüst des Protagonisten durch eine unabhängige junge Frau ins Wanken gerät"
a ) Wertegerüst klingt so sexy wie fleischfarbenes Korsett,
b) Männer, die durch " sexualtechnische Kniffe" ( Kositza) zu erschüttern sind, sind langweilig. Da lob ich mir den Marcel aus den Hirnhunden !
Der hat weder ein Wertegerüst noch steht er auf Sexualtechniken.
4. da Markus Feldenkirchen so langweilig aussieht wie Frederik Kallenberg, d.h. wie ein JU-Ortsvorsitzender der 70er Jahre und Jurastudent,
5. da sich Frederik Kallenberg im Folgeband " Noch mehr Experimente" sicher als schwul outet und dieses Buch dann noch positiver aufgenommen wird.
Um es kurz zu machen:
Wäre das Buch von Philipp Meyer " Der erste Sohn" nicht eher eine Besprechung wert ?