Dugins etwas voreilig passiv-aggressive Resistenz hat eine leichte Komik an sich. Er scheint geradezu darauf zu lauern, in die Schublade “westlicher Kategorien” gesteckt zu werden, eher der Interviewer auch nur den Mund aufgemacht hat. Vor allem aber werden die Aporien und Widersprüche der radikalen “Universalismus”-Kritik ziemlich deutlich.Dugin greift die Ideologie der “One World” an, indem er bestreitet, daß es universelle Werte überhaupt gebe.
Das führt dazu, daß er den Begriff des “Rassismus”, wie er im Westen verstanden wird, um 180° dreht und als Waffe gegen den Urheber wendet. Während im Westen als “Rassist” gilt, wer etwa Gleichheit, “Fortschritt”, “Toleranz” und “Menschenrechte” ablehnt oder kritisiert, ist für Dugin derjenige ein “Rassist”, der diese “Werte” anderen Kulturen aufzwingen will. Und weil er davon ausgeht, daß dieser “Universalismus” kennzeichnend, ja bestimmend für die westliche Kultur und das westliche Denken ist, ist – “jeder Westler ein Rassist”. Jeder!
Dugin: Warten Sie, das ist ein ernstes Thema. Gibt es eine Zivilisation oder mehrere? Gibt es Werte, die für die gesamte Menschheit charakteristisch sind?
SPIEGEL: Es gibt verschiedene Zivilisationen und Kulturen, aber auch Werte, die allen gemeinsam sein sollten.
Dugin: Also doch nur eine universale Zivilisation? Das sehe ich anders, und hier ist auch unser Dissens. Ich berufe mich auf Kulturtheoretiker wie Oswald Spengler, Arnold Toynbee und Nikolai Danilewski.
SPIEGEL: Danilewsiki war einer der führenden Panslawisten des 19. Jahrhunderts.
Dugin: Unterschiedliche Gesellschaften haben unterschiedliche Werte. Es gibt keine universellen Werte. Die, die dafür gehalten werden, sind eine Projektion westlicher Werte. Die westliche Zivilisation ist eine rassistische, ethnozentrische Zivilisation. Jeder Westler ist ein Rassist – kein biologischer, wie Hitler, aber kulturell. Deswegen denkt er, es gebe nur eine Zivilisation – oder Barbarei. Und diese Zivilisation beruhe auf Demokratie, Fortschritt, Menschenrechte, freie Marktwirtschaft und individuelle Identität. Die Barbarei aber negiere dies alles, aus irgendwelchen religiösen Gründen. So denken die Westler, deswegen sind sie kulturelle Rassisten.
SPIEGEL: Das ist absurd.
Dugin: Nochmals: Es gibt nicht die eine Zivilisation, sondern viele, unterschiedliche Formen von Zivilisation. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder Sie respektieren, dass ich eine andere Sprache spreche, und dass wir jetzt versuchen, möglichst viele gemeinsame Begriffe zu finden. Oder aber Sie glauben, dass Sie im Besitz der absoluten Wahrheit sind – was auch heißt, dass wir Russen einfach nicht wissen, was Menschenrechte, Liberalismus, Freiheit sind, und dass Sie sich im Recht fühlen, die Menschenrechte in Afrika, Russland und China zu verteidigen.
SPIEGEL: Andererseits hört man aus Russland , die östliche Zivilisation sei der westlichen überlegen und Europa tief in Dekadenz versunken.
Dugin: Habe ich nie gesagt. Ich bin nur der Meinung, dass die Zivilisationen des Westens und des Ostens ganz unterschiedlich sind. Die östliche ist insofern überlegen, weil sie sich gegen den Rassismus der westlichen wehrt. Der Westler kommt her und sagt: Fortschritt, Technologie und Sicherheit sind auch Eure unabdingbaren natürlichen Rechte.
SPIEGEL: Das bezweifeln Sie?
Dugin: Sie nicht? Europa weiß offenbar alles, es redet mit anderen wie mit Idioten.
(…)
SPIEGEL: Was werfen Sie dem dekadenten Westen vor?Dugin: Dass er uns seine Kriterien aufzwingen will. Bei Ihnen gibt es Gay-Paraden – okay, dann marschiert. Dass es bei uns keine gibt, haltet Ihr für eine Verletzung der Menschenrechte. Und wir sagen daraufhin: Haut ab! Oder Ihr wollt dem Islam erklären, was Feminismus ist und wer Femen sind und warum Frauen mit Männern gleichzustellen sind. Das ist Kolonisation. Ich bin ein orthodoxer Christ, Sie nicht. Ich akzeptiere Sie, aber Sie mich nicht.
Die Stärke dieser Argumentation liegt auf der Hand: sie hält den Kreuzrittern der “westlichen Werte” einen Spiegel vor und entlarvt sie völlig zu Recht als Macht- und Herrschaftsansprüche. Man kann das an dem laufenden kalten Propagandakrieg gegen Rußland (etwa wegen mangelnder Homorechte bzw. ‑anbetung) gut studieren.
Was an ihr schief gewickelt ist, ist ebenso klar: Dugin wird schwerlich behaupten können, daß (ausgerechnet) die russische Zivilisation (oder irgend eine andere) mehr oder weniger “ethnozentrisch” war und ist, als die “europäische”. Wobei hier die Pointe freilich ist, daß paradoxerweise gerade der universelle oder universalistische Anspruch in Wirklichkeit ein kaschierter oder unbewußter “ethnozentrischer” (also nominalistischer) Zug sei. (Was nebenbei gesagt, so das zuträfe, einer radikal anti-universalistischen identitären Theorie erhebliche Probleme aufwerfen würde. Denn wenn die Neigung zum “Universalismus” einer unserer jahrhundertelang konstanten Wesenzüge ist…)
Es gibt aber insofern kein Entrinnen aus dem “Rassismus” , als sich jeder Kulturkreis, der etwas auf sich hält und sein So-Sein verteidigt, in irgendeiner Weise für höherwertig als andere hält. Niemand, der eine “Mission” zu haben meint, wie Dugin es selbst ausdrückt, denkt im Ernst, daß alle anderen genauso recht hätten oder soviel wert seien wie er. Solche Artigkeiten sind schnell über Bord geworfen. Ein hoher Grad an narzißtischem Bewußtsein über die eigene Rolle im Kosmos ist geradezu das Kennzeichen jeder Hochkultur. Ein konsequenter “Ethnopluralismus”, der jedes “Anderssein” gleichermaßen respektiert und keine Wertungen abgibt, ist eine anthropologische Unmöglichkeit – es sei denn, man wolle den Menschen zu einem Schrebergartenwesen reduzieren und domestizieren.
Und so ist auch Dugins Argumentation zweischneidig: einerseits sagt er: “jedem das Seine” – dem Westen etwa seinen Liberalismus und seine Menschenrechte, ihm und seinesgleichen das ewige, orthodoxe Russland, andererseits läßt er keinen Zweifel daran, daß er die Werte, um die der Westen kreist, selbstverständlich für verächtlich, giftig, tödlich dekadent hält. Er “akzeptiert” sie nur insofern, als er dem westlichen Interviewer sagt: macht bei euch zuhause, was ihr wollt, aber laßt uns in Frieden damit, richtet euch zugrunde, wenn ihr glaubt, das tun zu müssen.
Aber so er denn tatsächlich “orthodoxer Christ” ist, kann Dugin die “westliche Dekadenz” nicht “akzeptieren”: denn die Orthodoxie lehrt eindeutig, daß es bestimmte moralische Wahrheiten gibt, die überall gelten. Das bedeutet nicht zwangsläufig, daß daraus Kreuzzüge und der Zwang zur Bekehrung folgen: aber ein verpflichtendes und verbindliches Urteil ist unumgänglich.
Aber auch der Begriff “Rassismus”, wie ihn Dugin hier verwendet, hat nur innerhalb eines westlichen Werte- und Gedankensystems einen Sinn – denn wohlgemerkt handelt es sich hier um ein linksradikales Konstrukt, einen Kampfbegriff, dessen Bedeutung gummiartig gehandhabt wird. Er wirft ihn vermutlich vor allem als Provokation in die Diskussion, als polemische Spitze, wohl wissend, daß man einen Westler mit keinem Begriff mehr verletzen und in die Knie zwingen kann als mit diesem.
Damit hängt eng zusammen, daß Dugin hier auf einen “Diskurs” zurückgreift, der offenbar vor allem auf die französische “Nouvelle Droite” der Siebziger- und Achtziger-Jahre zurückgeht, die sich als Hauptfeind den “Universalismus” erkoren hatte, dagegen den Vorrang des “Besonderen” betonte (sie nannte das “Nominalismus”), und, im Gegensatz zur heutigen Linken, den “Rassismus” allein auf die chauvinistische Abwertung des Andersseins beschränken wollte. Das “Recht auf Differenz”, das die ND propagierte, bedeutet aber in letzter Konsequenz auch das Recht darauf, andere aus der eigenen Gemeinschaft auszugrenzen und auszuschließen. Und eben das gilt heute als “Rassismus”, wodurch natürlich auch Dugin ein “Rassist” ist, was ihm ohne Zweifel bewußt sein muß.
Die Frage ist, ob dieser Diskurs, ebenso wie der “Rassismus”-Diskurs, überhaupt nur in nicht-westlichen Gesellschaften einen Sinn ergibt. Spricht Dugin in Rußland auf dieselbe Weise? Ein Mann wie er beherrscht zweifellos die “Mimikry” der politischen Rhetorik, und weiß wie man mit einem Westler sprechen muß, um sich verständlich zu machen – oder auch, um ihn aus der Bahn zu werfen.
Es verdankt sich vermutlich dieser Rhetorik, wenn Dugin nun absurderweise den westlichen Universalismus mit “Ethnozentrismus” gleichsetzt. Auch hier verstrickt er sich in heillose Widersprüche, die zum Teil in Verleumdungen übergehen, und ihn auch ein wenig als Demagogen erscheinen lassen:
Dugin: Im Westen stehen die Menschenrechte über denen des Kollektivs, in der islamischen Welt steht die Religion höher als das Recht des Einzelnen, in Russland sind es die Rechte der Gemeinschaft, kollektive Rechte. Bei allem Postmodernismus, bei aller Toleranz: Sie im Westen kommen nicht mit dem Problem des Anderen zurecht. Für Sie ist das Andere immer etwas Negatives – oder dasselbe wie Sie. Sie finden einfach nicht den Schlüssel zum philosophischen Problem des Anderen (sagt es auf Deutsch).
Sie versuchen uns zu belehren, wie dieses Problem zu lösen ist, ohne dass Sie es selbst gelöst haben. Das war schon immer so: in der Kolonialzeit, in der Zeit der großen geografischen Entdeckungen, in der Epoche des europäischen Nationalismus, der Zeit des Westfälischen Friedens, in der Epoche der englischen Kolonialeroberungen, unter Hitler und in der Zeit des Liberalismus. Der Ethnozentrismus der westeuropäischen Gesellschaft ist eine Konstante.
In der Tat ist es eher so, daß der universalistische Liberalismus einer der größten Feinde des “Ethnozentrismus” ist, ja der Völker und ihrer Identität und Selbstbestimmung an sich. Das betrifft aber auch jene Völker, die ihn hervorgebracht haben. Daß sich damit nicht nur ein europäischer Herrschaftsanspruch maskiert, zeigt sich deutlich an der nationalen, ethnischen, kulturellen Selbstzersetzung der europäischen Völker auf ihrem eigenen Territorium. Den westlichen Universalismus mit “Rassismus” und “Ethnozentrismus” zu identifizieren, ist also nicht sehr schlüssig.
Freilich kann man in ihm mit einigem Recht eine moderne, postkoloniale Version des “White Man’s Burden” frei nach Rudyard Kipling sehen, ein Art, jedes “nicht-demokratische” Volk als kleine verkappte Amerikaner zu betrachten, die alle “befreit” oder “zivilisiert” werden wollen. Aber dies bedeutet heute, die radikale Auflösung aller ethnischen und traditionellen Bindungen voranzutreiben, und zwar überall.
In Wirklichkeit ist sich Dugin natürlich darüber im Klaren, daß der von ihm kritisierte Liberalismus zwar aus dem Geiste des Westens hervorgegangen ist, aber nicht seine eigentliche Essenz ausmacht, sondern diese vielmehr aufzehrt:
Dugin: Ich liebe die Wurzeln deutscher Kultur. Aber es gibt sie nicht mehr. Das heutige Deutschland ist eine Art Gegen-Deutschland.
SPIEGEL: Wirklich?
Dugin: Sie lesen Ihre eigenen Autoren nicht mehr, Sie verstehen sie nicht mehr, und Sie diskutieren nicht mehr über sie. Ich bin oft in Deutschland, aber wenn ich mir anschaue, was bei Ihnen in den Regalen der Buchhandlungen steht, dann hat die deutsche Kultur keine Zukunft mehr. Sie leben in einer degradierenden Zivilisation. Wo ist der große deutsche Geist geblieben? Wo die Höhen der französischen Philosophie? Wo die Tiefe der italienischen Kunst? Was wir heute sehen, ruft Ekel hervor. Ich liebe Europa sehr, ich schätze seine kulturelle Tradition. Aber es gibt sie nicht mehr.
Dugin: Edmund Husserl schrieb über die „europäische Menschheit“ (sagt es auf Deutsch). Wer so spricht, schafft selbst die Basis für den Ethnozentrismus, weil für ihn das „Europäische“ und das „Menschliche“ ein und dasselbe sind. Europa als Schicksal der Menschheit. Da muss man sich nicht über die Konzentrationslager wundern.
Das ist geradezu verrückt, beinahe bösartig. Egal aus welchem Kontext das Zitat Husserls gerissen ist: Eine Formulierung wie “europäische Menschheit” besagt ja vielmehr, daß ein spezifischer Teil der Menschheit angesprochen ist. Im nächsten Absatz schlägt Dugin wieder ein paar seiner charakteristischen Haken:
Ich liebe Edmund Husserl, er ist mein Lieblings-Philosoph, ein Humanist. Aber auch ein Rassist. Alle europäischen Philosophen sind Rassisten. Nein, halt, es gab Ausnahmen – den Ethnologen Leo Frobenius beispielsweise und genau genommen auch den Kulturphilosophen Johann Gottfried Herder.
Herder natürlich, der Begründer des “Ethnopluralismus”!
Nun ließe sich der Spieß gegen Dugin leicht umdrehen. Wenn die “Menschenrechte” westlich-imperialistische Interessen verfolgen, dann dient seine Theorie womöglich vor allem dazu, einen russischen Imperialismus zu rechtfertigen. Wie auch immer die “vierte politische Theorie” aussehen wird: natürlich wird Rußland ihr Träger sein, natürlich wird sie aus der russischen Seele geboren werden.
Diesen Eindruck hatte auch Thorsten Hinz:
Das „Dasein“, das er meint, kommt in der Gestalt von Mütterchen Rußland daher. Dugin hat Mackinders „Herzland“-Theorie, Haushofers Geopolitik und Schmitts Überlegungen zur Raumordnung rezipiert und fordert als Alternative zur amerikanisierten „One World“ eine Vielheit aus Großräumen. Der wichtigste kontinentale Großraum wäre Eurasien, das sich hauptsächlich auf Rußland und Kontinentaleuropa, also Frankreich und Deutschland, stützt.
Der Interviewer verweist Dugin immer wieder zurecht auf die antiwestlichen russischen Nationalisten des 19. Jahrhunderts, die (wie etwa Dostojewskij) eine prononcierte messianisch-mystische Sendung des russischen Volkes postuliert haben. Um diese Tatsache windet sich Dugin wie ein Aal herum, und zieht sich auf den Begriff der “Orthodoxie” zurück.
SPIEGEL: Der Philosoph Iwan Kirejewski, schrieb im 19. Jahrhundert: Alles, was einer vollständigen Entfaltung der Orthodoxie entgegensteht, behindert auch die Entfaltung des russischen Volkes sowie dessen Wohlergehen; es verletzt die Seele Russlands, es zerstört seine moralische, gesellschaftliche und politische Gesundheit. Würden Sie das heute noch unterschreiben?
Dugin: Ja.
SPIEGEL: Führt das nicht geradewegs zur Intoleranz gegenüber anderen Ideen – zu jener Intoleranz, die Sie dem Westen vorwerfen?
Dugin: Nein. Der orthodoxe Geist ist nicht exklusiv. Im Unterschied zum Katholizismus hat die Orthodoxie eine gewisse Flexibilität.
Da wäre Carl Schmitt aber, siehe “Römischer Katholizismus und politische Form”, gänzlich anderer Meinung gewesen!
Dugin: Wir Russen sind keine Nationalisten, wir waren nie eine Nation. Wenn wir von den „Unsrigen“ sprechen, dann ist das nicht ethnisch gemeint. Auch der Tschetschene gehört zu uns oder der Usbeke.
Was nun wirklich eine glatte Lüge ist. Vor allem der Tschetschene oder Usbeke würde hier heftig widersprechen.
Wir haben den türkischen oder mongolischen Völkern gesagt: Ihr seid jetzt Teil der orthodoxen Kultur, aber wir werden euch nicht verfolgen. Ihr werdet eure Moscheen haben, ihr werdet beten können. Wenn wir von einem orthodoxen Volksgeist sprechen, heißt das nicht, dass wir anderen Kulturen den Krieg erklären.
Wie gesagt: unterm Strich klingt das alles eher nach einem russisch-imperialistischen “cant”, und Rußland wird Schwierigkeiten haben, ihn gegenüber den Völkern, über die es die Hegemonialmacht beansprucht, glaubhaft zu vertreten. Schon gegenüber der Rußland so verwandten und nahestehenden Ukraine scheint dies zum Scheitern verurteilt zu sein. Dugins Kritik des amerikanischen Imperialismus und westlichen Liberalismus ist bestechend; was er diesen Mächten ideologisch entgegenzusetzen hat, wirkt aber weitgehend “gebastelt” und konstruiert.
Selbst seine Behauptung, ein gläubiger orthodoxer Christ zu sein, wirkt eher wie eine dezisionistische Maske und Pose. Charles Péguys Formel für den Modernen: “Wir glauben nicht, was wir glauben”, sondern wir glauben es nur, weil wir glauben, daß es uns gut tut, dürfte auch hier anwendbar sein. Ich denke nicht, daß man fehl geht, Dugin jede nur denkbare macchiavellistische Gerrissenheit zuzutrauen. In dieser Hinsicht ist er vermutlich absolut skrupellos.
SPIEGEL: Sie sagen: „Es gibt keine Kritiker des Putinschen Kurses mehr. Und wenn es sie gibt, dann sind das psychisch Kranke, und man muss sie ärztlicher Überwachung übergeben. Putin ist alles, Putin ist unersetzbar.“ Ist das wirklich von Ihnen?
Dugin: Ja.
SPIEGEL: Psychisch krank?
Dugin: Diejenigen, die Putin angreifen, greifen die Mehrheit an. Das ist psychisch anormal, ein Abweichen von der Norm. Muss man Normabweichungen dulden? Man muss. Muss man Anormalität zur Norm machen? Nein. Deswegen sind Leute, die Putin nicht unterstützen, psychisch nicht normal. Aber psychisch Kranke haben ein Recht auf Heilung, auf Unterstützung.
Wer so spricht, hat sich jeder intellektuellen und geistigen Redlichkeit begeben. Er ist nur mehr ein Demagoge und Propagandist der Macht. Allein, wie hier mit Begriffen wie “Mehrheit” und “Norm” hantiert wird, ist schlichtweg niederträchtig. Und die Methode, mit Dissidenten psychiatrisch fertig zu werden, hat er sich wohl aus der Stalin-Zeit abgeschaut.
Ohne Zweifel hat Hinz auch hier richtig gesehen, wenn er in Dugin ein Kind der Postmoderne sieht, das als Traditionalist und Antimoderner posiert (wenn es nötig ist):
Der Leser fühlt sich in einen Dostojewski-Roman versetzt, und es dämmert ihm, daß die „vierte politische Praxis“ bloß ein weiterer Wechselbalg der Postmoderne ist. Anscheinend hat Dugin das selbst gespürt, weshalb er am Schluß konventionelle „Kernprinzipien“ – soziale Gerechtigkeit, nationale Souveränität und traditionelle Werte – und eine politische Querfront aus Rechten, Linken, Konservativen und Anhängern traditioneller Religionen empfiehlt.
So gesehen gehört Dugin gewiß zu jener postmodernen Rechten, die versucht, sich selbst am Zopf aus dem Sumpf zu ziehen und durch gesteigerte, dialektische Gedankenoperationen aufzuheben, um eine Art ideologischen Quantensprung aus der Moderne hinaus zu zünden. Wenn Dugin sagt, daß Putin “eine gespaltene Persönlichkeit” sei, dann gilt das umso mehr für ihn selbst.
Nachvollziehbar bleibt freilich die “Infektionsangst”, die Dugin offensichtlich treibt, und die durchaus berechtigt ist. Bei allem Gedöns ist letztlich auch er in der Defensive. Osteuropa und Rußland sind schon jetzt alles andere als unbeleckt von dem Vakuum, das den Westen zu verschlingen droht.
Dugin: Ich liebe Europa, deswegen flößt mir das jetzige Europa einen solchen Schrecken ein. Ich sehe, dass es stirbt. Es ist nicht so wie Russland, bei uns gibt es auf jede Herausforderung eine andere Antwort. Bei Ihnen verschwindet die Vielfalt. Doch nicht genug damit, dass die Europäer Europa verlieren. Sie wollen auch, dass die Russen Russland aufgeben. Sucht Euer Europa oder verliert es ganz – das ist Eure Sache. Aber lasst uns in Ruhe.
Die August-Ausgabe der Sezession wird übrigens ein ausführliches Autorenportrait Alexander Dugins aus der Feder von Michael Paulwitz bringen.
Martin
Ich glaube, dies ist eine gute Zusammenfassung dessen, was man zu Dugin sagen kann. Alleine dieser Kunstgriff einer Aufspaltens in "westlich" und "östlich" ist sehr bezeichnend.
Die russische Kultur ist nur eine Spielart der weißen Kultur gewesen und jetzt ein West-Ost Thema daraus zu machen, ist reiner Agitprop um dem System Putin, bei dem es letztlich auch nur um die Sicherung von Einnahmequellen geht, in irgendeiner Weise höhere Weihen zukommen zu lassen. Wer sich Russland heute anschaut, der kann auch keinerlei große, substantielle Eigenständigkeit zum Westen erkennen, man fährt in den Schichten mit Geld auf die gleiche Luxus-Nummer ab, wie hier auch, nur deutlich greller und geschmackloser und die ohne Geld jagen der Kohle ebenfalls nur hinterher, auch fast gesteigerter als hier, so man denn nicht zu Väterchen Wodka zum Trost greift.
Russland leidet genauso unter dem Problem des Untergangs des weißen Mannes, wie der Rest von Europa nebst seinen Ablegern USA etc.
Zum Thema "weißer Mann" und zur Entspannung empfehle ich die Geschichte "Der unvermeidliche weiße Mann" von Jack London.