erreicht die diplomatische Korrespondenz verständlicherweise sehr große Ausmaße. Die Aktensammlung umfaßt allein für die letzten vier Julitage etwa 250 Stücke. Daher findet diese Reihe zur Julikrise in den nächsten Tagen ihren Abschluß durch die Veröffentlichung vergleichsweise sehr weniger Briefe und Nachrichten. Nur die allerwichtigsten oder besonders kennzeichnende Texte finden Berücksichtigung.
Berlin, den 31. Juli 1914 [Telegramm, vermutlich am selben Tag eingegangen] – Der Reichskanzler an den Botschafter in Rom
Wir haben fortgesetzt, sowohl durch direkten Depeschenwechsel Sr. M. des Kaisers, sowie im Benehmen mit Sir E. Grey zwischen Rußland und Österreich vermittelt. Alle Bemühungen sind durch Mobilisierung Rußlands sehr erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht. Auch waren Rußlands Forderungen bislang inakzeptabel. Rußland trifft nach allen unseren Nachrichten trotz beruhigender Versicherungen auch gegen uns so weitgehende Maßnahmen, daß Lage immer bedrohlicher wird.
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Berlin, den 31. Juli 1914 – Der Kaiser an das Reichsmarineamt und den Generalstab
Nachdem mir gestern – 30.VII. – (…) [die Botschaft des britischen Außenministers bekannt wurde], in der Deutschland zu verstehen gegeben wurde, daß nur das Verrathen seines Bundesgenossen durch Nichtteilnahme am Kriege gegen Rußland uns vor einem sofortigen Englischen Angriff bewahren könnte, (…) war mir klar, daß hierdurch Sir. E. Grey seinen eigenen König, der mir eben (…) eine klare Neutralitätserklärung offiziell hatte zugehen lassen (…), mir gegenüber als unwahrhaft darstellte. Da ich nun der Überzeugung bin, daß die ganze Krisis nur allein durch England veranlaßt und nur allein durch England gelöst werden kann (durch Druck auf die verbündeten Russen und Gallier), so entschloß ich mich zu einem Telegramm privater Natur an den König, der anscheinend sich seiner Rolle und Verantwortung in der Krisis in keiner Weise klar ist. (…) Ich sei der Ansicht, daß nunmehr die einzige Möglichkeit, einen Weltenbrand zu hindern, den London auch nicht wünschen könne, in London liege, nicht in Berlin. Anstatt Vorschläge für Conferenzen pp. zu machen, möge S. M. der König klipp und klar Russen und Galliern anbefehlen lassen – es seien ja seine Alliierte – umgehend ihre Mobilmachungen einzustellen, neutral zu bleiben und die Vorschläge Österreichs abzuwarten (…). Die volle Verantwortung für den entsetzlichsten Weltbrand, der je getobt habe, falle unbedingt auf seine Schulter, und er werde von Welt und Geschichte mal dafür verurteilt werden. (…) Anliegendes Telegramm des Königs ist die Antwort. Seine Vorschläge decken sich mit meinen, die ich dem Wiener Kabinett, das uns seit 6 Tagen ohne Antwort läßt, suggeriert habe. (…) In Petersburg nach heutiger Meldung des Botschafters absolut gar keine Kriegsbegeisterung, im Gegenteil gedrückte Stimmung, da gestern abend wieder heftige Straßenkämpfe zwischen Revolutionären und Truppen und Katerstimmung bei Hof und Militär, da sie wieder zur Besinnung kommend einen Schreck bekommen über das, was sie mit ihrer vorzeitigen Mobilmachung angerichtet und noch anrichten können.
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Berlin, den 31. Juli 1914 – Der Reichskanzler an den Botschafter in Wien
Nach der russischen Generalmobilmachung haben wir drohende Kriegsgefahr verfügt, derselben wird voraussichtlich binnen 48 Stunden Mobilmachung folgen. Diese bedeutet unvermeidlich Krieg. Wir erwarten von Österreich sofortige tätige Teilnahme am Krieg gegen Rußland.
(Literatur zur Vorgeschichte des I. Weltkriegs und zur Kriegsschuldfrage finden Sie im Bücherschrank I. Weltkrieg.)
London, den 29. Juli 1914 [dem Kaiser vorgelegt am 30. Juli] – Der Botschafter in London Lichnowsky an das Auswärtige Amt
*(…) Der Minister [Sir Edward Grey; Anm. d. Red.] war vollkommen ruhig, aber sehr ernst, und empfing mich mit den Worten, daß die Lage sich immer mehr zuspitze. Sasonow habe erklärt, nach der Kriegserklärung nicht mehr in der Lage zu sein, mit Österreich direkt zu unterhandeln und hier bitten lassen, die Vermittelung wieder aufzunehmen.(1) Als Voraussetzung für diese Vermittelung betrachtet die russische Regierung die vorläufige Einstellung der Feindseligkeiten.
Sir Edward Grey wiederholte seine bereits gemeldete Anregung, daß wir uns an einer solchen Vermittelung zu vieren, die wir grundsätzlich bereits angenommen hätten, beteiligen sollten. Ihm persönlich schiene eine geeignete Grundlage(2) für eine Vermittelung, daß Österreich etwa nach Besetzung von Belgrad oder anderer Plätze seine Bedingungen kundgäbe.(3) Sollten Ew. Exz. jedoch die Vermittelung übernehmen, wie ich heute früh in Aussicht stellen konnte, so wäre ihm das natürlich ebenso recht. Aber eine Vermittelung(4) schiene ihm nunmehr dringend geboten, falls es nicht zu einer europäischen Katastrophe kommen sollte.
Sodann sagte mir Sir E. Grey, er hätte mir eine freundschaftliche und private Mitteilung zu machen (…), er möchte sich für später den Vorwurf der Unaufrichtigkeit ersparen.(5) (6) Die britische Regierung wünsche nach wie vor mit uns die bisherige Freundschaft zu pflegen und sie könne, solange der Konflikt sich auf Österreich und Rußland beschränke, abseits stehen.(7) Würden wir aber und Frankreich hineingezogen, so sei die Lage sofort eine andere und die britische Regierung würde unter Umständen sich zu schnellen Entschlüssen gedrängt sehen.(8) In diesem Falle würde es nicht angehen, lange abseits zu stehen und zu warten (…)**
[Randbemerkungen des Kaisers:
* (vor dem Text) „Das stärkste und unerhörteste Stück Engl. Pharisäerthums das ich je gesehen! Mit solchen Hallunken mache ich nie ein Flottenabkommen!“
(1) „trotz Appells des Zaren an mich! damit bin ich außer Cours gesetzt.“
(2) „gut“
(3) „haben wir seit Tagen bereits zu erreichen versucht // umsonst!“
(4) „Anstatt der Vermittelung ein ernstes Wort an Petersburg und Paris, daß England ihnen nicht hilft würde die Situation sofort beruhigen.“
(5) „aha! Der gemeine Täuscher!“
(6) „der bleibt!“
(7) „d. h. wir sollen Österreich sitzen lassen urgemein und mephistophelisch! aber recht Englisch“
(8) „sind schon gefaßt“
** (nach dem Text) „(…) Das gemeine Krämergesindel hat uns mit Diners und Reden zu täuschen versucht. Die gröbste Täuschung, die Worte des Königs (…): Wes hall remain neutral and try to keep out of this as long as possible. Grey straft den König lügen, und diese Worte an Lichnowsky sind der Ausfluß des bösen Gewissens, daß er eben das Gefühl gehabt hat uns getäuscht zu haben. (…) Er weiß ganz genau, daß wenn er nur ein einziges, ernstes, scharfes abmahnendes Wort in Paris und Petersburg spricht und sie zur Neutralität ermahnt, beide sofort stille sitzen werden. Aber er hütet sich das Wort auszusprechen, sondern droht uns statt dessen! Gemeiner Hundsfott! England allein trägt die Verantwortung für Krieg und Frieden nicht wir mehr! Das muß auch öffentlich klargestellt werden.“]
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[Handschriftliche Note des Kaisers auf das (hier nicht abgedruckte) Eingeständnis des Zaren, bereits unmittelbar nach Bekanntwerden des Ultimatums an Serbien die (Teil-)Mobilmachung angeordnet zu haben:]
(…) Leichtsinn und Schwäche sollen die Welt in den furchtbarsten Krieg stürzen, der auf den Untergang Deutschlands schließlich abzielt. Denn das läßt jetzt für mich keinen Zweifel mehr zu: England, Rußland und Frankreich haben sich verabredet – unter zu Grunde Legung [sic!] des casus foederis für uns Österreich gegenüber – den Österreichisch-Serb. Konflikt zum Vorwand nehmend gegen uns den Vernichtungskrieg zu führen. Daher Greys zynisch Bemerkung an Lichnowsky „solange der Krieg auf Rußland und Österreich beschränkt bleibe würde England still sitzen, erst wenn wir uns und Frankreich hineinmischten würde er gezwungen sein aktiv gegen uns zu werden“. D. h. entweder wir sollen unseren Bundesgenossen schnöde verrathen und Rußland preisgeben – damit den 3Bund sprengen oder für unsere Bundestreue von der 3pel Entente gemeinsam überfallen und bestraft werden, wobei ihrem Neid endlich Befriedigung wird uns gemeinsam total zu ruinieren. Das ist in nuce die wahre nackte Situation, die langsam und, sicher durch Edward VII. eingefädelt, fortgeführt, durch abgeleugnete Besprechungen Englands mit Paris und Petersburg, systematisch ausgebaut; schließlich durch Georg V. zum Abschluß gebracht und ins Werk gesetzt wird. Dabei wird uns die Dummheit und Ungeschicklichkeit unseres Verbündeten zum Fallstrick gemacht. Also die berühmte „Einkreisung“ Deutschlands ist nun doch endlich zur vollsten Thatsache geworden, trotz aller Versuche unserer Politiker und Diplomaten sie zu hindern. Das Netz ist uns plötzlich über dem Kopf zugezogen und hohnlächelnd hat England den glänzendsten Erfolg seiner beharrlich durchgeführten pure [sic!] antideutschen Weltpolitik, gegen die wir uns machtlos erwiesen haben, indem es uns isolirt im Netze zappelnd aus unserer Bundestreue zu Österreich den Strick zu unserer Politischen und ökonomischen Vernichtung dreht. Eine großartige Leistung, die Bewunderung erweckt, selbst bei dem, der durch sie zu Grunde geht! (…)
Jetzt muß dieses ganze Getriebe schonungslos aufgedeckt und ihm öffentlich die Maske christlicher Friedfertigkeit in der Öffentlichkeit schroff abgerissen werden und die Pharisäische Friedensheuchelei an den Pranger gestellt werden!! Und unsere Consuln in Türkei und Indien, Agenten etc. müßen die ganze Mohamedan. Welt gegen dieses verhaßte, verlogene, gewissenlose Krämervolk zum wilden Aufstande entflammen; denn wenn wir uns verbluten sollen, dann soll England wenigstens Indien verlieren.
Berlin, den 28. Juli 1914 [in der deutschen Botschaft am 29. Juli eingegangen] – Der Reichskanzler an den Botschafter in Wien
Die österreichisch-ungarische Regierung hat Rußland bestimmt erklärt, daß sie an territoriale Erwerbungen in Serbien nicht denkt. Das stimmt mit der Meldung Ew. Exz. überein, daß weder die österr. noch die ungarischen Staatsmänner die Vermehrung des slawischen Elements in der Monarchie für wünschenswert halten. Hiervon abgesehen hat uns die österreichisch-ungarische Regierung trotz wiederholter Anfragen über ihre Absichten im Unklaren gelassen. Die nunmehr vorliegende Antwort der serbischen Regierung auf das österreichische Ultimatum läßt erkennen, daß Serbien den österreichischen Forderungen doch in so weitgehendem Maße entgegengekommen ist, daß bei einer völlig intransigenten Haltung der österreichisch-ungarischen Regierung mit einer allmählichen Abkehr der öffentlichen Meinung von ihr in ganz Europa gerechnet werden muß.
Nach den Angaben des österreichischen Generalstabs wird ein aktives militärisches Vorgehen gegen Serbien erst am 12. August möglich sein. Die k. Regierung kommt infolgedessen in die außerordentlich schwierige Lage, daß sie in der Zwischenzeit den Vermittlungs- und Konferenzvorschlägen der anderen Kabinette ausgesetzt bleibt, und wenn sie weiter an ihrer bisherigen Zurückhaltung solchen Vorschlägen gegenüber festhält, das Odium, einen Weltkrieg verschuldet zu haben, schließlich auch in den Augen des deutschen Volkes auf sie zurückfällt. Auf einer solchen Basis aber läßt sich ein erfolgreicher Krieg nach drei Fronten nicht einleiten und führen. (…)
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[Nachstehendes Dokument verdient besondere Beachtung im Hinblick auf die heute und seit Jahrzehnten modische Einschätzung der führenden reichsdeutschen/preußischen Offiziere, die als kriegslüstern-euphorische Tolpatsche in den Weltkrieg „hineingestolpert“ sein sollen; Anm. d. Red.]
Berlin, den 29. Juli 1914 [am gleichen Tag übergeben] – Der Große Generalstab an den Reichskanzler
(…)
Österreich hat den europäischen Kabinetten erklärt, daß es weder territoriale Erwerbungen auf Kosten Serbiens anstreben noch den Bestand dieses Staates antasten wolle, es wolle den unruhigen Nachbarn nur zwingen, die Bedingungen anzunehmen, die es für ein weiteres Nebeneinanderleben für nötig hält, und die Serbien, wie die Erfahrung gezeigt hat, trotz feierlicher Versprechungen ungezwungen niemals halten würde. Die österreichisch-serbische Angelegenheit ist eine rein private Auseinandersetzung, für die, wie gesagt, kein Mensch in Europa ein tiefergehendes Interesse haben würde, das in keiner Weise den europäischen Frieden bedrohen, sondern im Gegenteil ihn festigen würde, wenn nicht Rußland sich eingemischt hätte. Das erst hat der Sache den bedrohlichen Charakter gegeben.
Österreich hat nur einen Teil seiner Streitkräfte, acht Armeekorps, gegen Serbien mobilisiert. Gerade genug, um seine Strafexpedition durchführen zu können. Demgegenüber trifft Rußland alle Vorbereitungen, um die Armeekorps der Militärbezirke Kiew und Odessa und Moskau, in Summa zwölf Armeekorps, in kürzester Zeit mobilisieren zu können, und verfügt ähnliche vorbereitende Maßnahmen auch im Norden, der deutschen Grenze gegenüber und an der Ostsee. (…)
Will Deutschland nicht wortbrüchig werden und seinen Bundesgenossen der Vernichtung durch die russische Übermacht verfallen lassen, so muß es auch seinerseits mobilmachen. (…) Dann aber wird Rußland sagen können, ich werde von Deutschland angegriffen, und damit wird es sich die Unterstützung Frankreichs sichern (…). Das so oft als reines Defensivbündnis gepriesene französisch-russische Abkommen, das nur geschaffen sein soll, um Angriffsplänen Deutschlands begegnen zu können, ist damit wirksam geworden, und die gegenseitige Zerfleischung der europäischen Kulturstaaten kann beginnen.
Man kann nicht leugnen, daß die Sache von seiten Rußlands geschickt inszeniert ist. (…) So werden und müssen die Dinge sich entwickeln, wenn nicht, fast möchte man sagen, ein Wunder geschieht, um noch in letzter Stunde einen Krieg zu verhindern, der die Kultur fast des gesamten Europas auf Jahrzehnte hinaus vernichten wird.
Deutschland will diesen schrecklichen Krieg nicht herbeiführen. Die deutsche Regierung weiß aber, daß es die tiefgewurzelten Gefühle der Bundestreue, eines der schönsten Züge deutschen Gemütslebens, in verhängnisvoller Weise verletzen und sich in Widerspruch mit allen Empfindungen ihres Volkes setzen würde, wenn sie ihrem Bundesgenossen in einem Augenblick nicht zur Hilfe kommen wollte, der über dessen Existenz entscheiden muß. (…)
[Randnotiz des Kaisers unter einer Abschrift der serbischen Antwort auf das Ultimatum aus Wien, niedergeschrieben am 28. Juli:]
„Eine brillante Leistung für eine Frist von blos 48 Stunden! Das ist mehr als man erwarten konnte!
Ein großer moralischer Erfolg für Wien; aber damit fällt jeder Kriegsgrund fort, und Giesl hätte ruhig in Belgrad bleiben sollen! Daraufhin hätte ich niemals Mobilmachung befohlen!“
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St. Petersburg, den 27. Juli 1914 [im Auswärtigen Amt am 28. Juli eingegangen] – Der Botschafter in Petersburg Pourtalès an das Auswärtige Amt
[Wiedergabe eines Gesprächs mit Sassonow] (…) Ew. Exz. könnten versichert sein, daß Rußland das Vertrauen in seine Friedensliebe nicht täuschen werde. Es sei bereit, in seinem Entgegenkommen gegen Österreich bis zur Grenze zu gehen und alle Mittel zu erschöpfen, um Krisis friedlicher Lösung entgegenzuführen. (…) Der Wunsch, Österreich zu demütigen, liege ihm gänzlich fern. Er bitte aber dringend, zu bedenken, daß, wenn diejenigen österreichischen Forderungen, die serbische Souveränitätsrechte antasten, erfüllt würden, ein revolutionäres Regime ans Ruder kommen werde, das noch schlimmer als jetziges sein werde. (…) Sasonow wollte Hoffnung nicht aufgeben, daß Milderung einiger Punkte der an Serbien gestellten Forderungen von Österreich werde erreicht werden können. Er bat dringend um unsere Mitwirkung in diesem Sinne. Es müsse sich ein Weg finden lassen, um Serbien unter Schonung seiner Souveränitätsrechte verdiente Lektion zu erteilen. Ich bemerkte dazu, (…) [w]enn Serbien als gleichberechtigtes Mitglied europäischer Staatenfamilie behandelt werden wolle, müsse es sich auch als Kulturstaat verhalten. Die Einwendungen des Ministers gegen diese an Serbien geübte Kritik waren heute viel schwächer als vor zwei Tagen, Sprache des Ministers dieselbe versöhnliche wie gestern.
[Zum Zeitpunkt des hier wiedergegebenen Gesprächs lief in westlichen Militärbezirken Rußlands bereits die Mobilmachung; Anm. d. Red.]
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St. Petersburg, den 26. Juli 1914 [im Auswärtigen Amt am 28. Juli eingegangen] – Der Botschafter in Petersburg Pourtalès an den Reichskanzler
[Wiedergabe dreier in der Zeitung „Nowaja Wremja“ erschienenen Artikel zur Krise:] (…) Das Vorgehen Österreichs beweise nur eins, nämlich die Absicht, Serbien zu vernichten. Weiter heißt es dann, Österreich werde sich ohne das Einverständnis Deutschlands nie dazu entschließen,* eine neue und öffentliche Verletzung des Völkerrechts zu begehen. Der deutsche Kaiser brauche nur zwei Worte zu sagen, und Österreich werde seine Note zurücknehmen. Dem Kaiser sei bekannt, daß Rußland Serbien mit seiner ganzen militärischen Macht unterstützen werde,** daß der Überfall auf Serbien den Krieg mit Rußland bedeute, sowie, daß Deutschland und Frankreich dann in den Krieg hineingezogen werden würden.
Die moralische Verantwortung für die drohende Vernichtung der europäischen Zivilisation falle auf Deutschland und seinen erhabenen Führer. (…)
[Randbemerkungen des Kaisers:
* „danke!“
** „Nein das war mir nicht bekannt! Ich konnte nicht voraussehen, daß der Zar sich auf seiten von Banditen und Königsmördern stellen würde, selbst auf die Gefahr hin einen Europ. Krieg zu entfesseln. Einer solchen Mentalität ist ein Germane unfähig, die ist Slavisch oder Lateinisch.“
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[Randbemerkung des Reichskanzlers vom 28. Juli zu einer Meldung des Botschafters in London, Auskünften aus der k.u.k. Botschaft in London zufolge plane Österreich, Teile Serbiens an Bulgarien und Albanien zu „verschenken“:]
Diese Zweideutigkeit Österreichs ist unerträglich. Uns verweigern sie Auskunft über ihr Programm, sagen ausdrücklich, daß die Ausführungen des Grafen Hoyos, die auf eine Zerstückelung Serbiens hinausliefen, rein private gewesen seien, in Petersburg sind sie die Lämmer, die nichts Böses im Schilde führen, und in London spricht ihre Botschaft von Verschenkung serbischer Gebietsteile an Bulgarien und Albanien.
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Karlsruhe, den 27. Juli 1914 [im Auswärtigen Amt am 28. Juli eingegangen] – Der preußische Gesandte in Karlsruhe, von Eisendecher, an den Minister der auswärtigen Angelegenheiten (Reichskanzler)
(…) Fast die gesamte Presse und öffentliche Meinung tritt dafür ein, daß wir gegebenenfalls verpflichtet sind, Österreich unsere Hilfe zu gewähren, aber ehrliche Begeisterung für einen Krieg zum Schutze des beinahe halbslawischen Bundesgenossen besteht nach meinen Wahrnehmungen nicht.
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Berlin, den 28. Juli 1914 – Der Reichskanzler an die preußischen Gesandten bei den deutschen Bundesregierungen
(…) Angesichts der Tatsachen, die die österreichisch-ungarische Regierung in ihrer Note an die serbische Regierung bekanntgegeben hat, müssen die letzten Zweifel darüber schwinden, daß das Attentat (…) in Serbien zum mindesten mit der Konvivenz von Angehörigen der serbischen Regierung und Armee vorbereitet worden ist. (…)
Die Antwort der serbischen Regierung auf die Forderungen, welche die österreichische Regierung am 23. d. M. durch ihren Vertreter in Belgrad hat stellen lassen, läßt indessen erkennen, daß die maßgebenden Faktoren in Serbien nicht gesonnen sind, ihre bisherige Politik und agitatorische Tätigkeit aufzugeben. Der österreichisch-ungarischen Regierung wird demnach, will sie nicht auf ihre Stellung als Großmacht endgültig Verzicht leisten, nichts anderes übrig bleiben, als ihre Forderungen durch einen starken Druck und nötigenfalls unter der Ergreifung militärischer Maßnahmen durchzusetzen.
(…)
Die Haltung der k. Regierung in dieser Frage ist deutlich vorgezeichnet. Die von den Panslawisten gegen Österreich-Ungarn betriebene Agitation erstrebt in ihrem Endziel, mittels der Zertrümmerung der Donaumonarchie, die Sprengung oder Schwächung des Dreibundes und in ihrer Folgewirkung eine völlige Isolierung des Deutschen Reiches. Unser eigenstes Interesse ruft uns demnach an die Seite Österreich-Ungarns. Die Pflicht, Europa, wenn irgend möglich, vor einem allgemeinen Kriege zu bewahren, weist uns gleichzeitig darauf hin, diejenigen Bestrebungen zu unterstützen, die auf die Lokalisierung des Konfliktes hinzielen, getreu derjenigen Politik, die wir seit nunmehr 44 Jahren im Interesse der Aufrechterhaltung des europäischen Friedens mit Erfolg durchgeführt haben. Sollte indes wider Erhoffen durch ein Eingreifen Rußlands der Brandherd eine Erweiterung erfahren, so würden wir, getreu unserer Bundespflicht, mit der ganzen Macht des Reiches die Nachbarmonarchie zu unterstützen haben. Nur gezwungen werden wir zum Schwerte greifen, dann aber in dem ruhigen Bewußtsein, daß wir an dem Unheil keine Schuld tragen, das ein Krieg über Europas Völker bringen müßte.
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Wien, den 28. Juli 1914 [im Auswärtigen Amt am selben Tag eingegangen] – Der Botschafter in Wien an das Auswärtige Amt
Kriegserklärung ist heute 11 Uhr an serbisches Ministerium des Auswärtigen abgegangen.