Kulturkritik I: Konsumismus und mögliche Fluchten

 

In einem seiner letzten Interviews hat Wilhelm Hennis auf die Frage, was denn von dem kulturkritischen Impuls geblieben sei,...

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

der das deut­sche Den­ken so lan­ge befeu­ert habe, geant­wor­tet: „Wenn wir inhalt­lich ein west­li­ches Land nach Nor­mal­maß gewor­den sein soll­ten, so ja des­halb, weil uns der kul­tur­kri­ti­sche Geist die­ses Wider­spruchs erfolg­reich aus­ge­trie­ben wor­den ist. Der Impuls ist auf­ge­so­gen wor­den vom Kon­su­mis­mus des Genußmenschen.“

Was Hen­nis mit sei­ner Ant­wort als selbst­ver­ständ­lich vor­aus­setzt, ist, daß es die­se eige­ne deut­sche Denk­wei­se gege­ben hat. Das läßt sich nicht nur anhand der Wer­ke deut­scher Den­ker und Dich­ter nach­wei­sen, son­dern auch ganz kon­kret an einem Phä­no­men wie der Lebens­re­form­be­we­gung fest­ma­chen. Die Nie­der­la­ge von 1918 bedeu­te­te eine ernst­haf­te Schwä­chung die­ses kul­tur­kri­ti­schen Geis­tes, weil die „Händ­ler“ mit ihrer mate­ria­lis­ti­schen Zivi­li­sa­ti­on über die „Hel­den“ der idea­lis­ti­schen Kul­tur gesiegt hat­ten. Der Todes­stoß erfolg­te 1945.

Seit­her hat sich die west­li­che Zivi­li­sa­ti­on gegen Kul­tur­kri­tik immu­ni­siert, indem sie sich als alter­na­tiv­los ver­steht. Das hat­te in Zei­ten des Kal­ten Krie­ges sei­ne inne­re Berech­ti­gung. Dadurch jedoch, daß es die Bedro­hung (und damit auch Alter­na­ti­ve) des Kom­mu­nis­mus gab, herrsch­te eine rela­ti­ve Frei­heit im Den­ken. Nicht zuletzt weil der Wes­ten das frei­heit­li­che­re Sys­tem sein woll­te, blieb der Kon­for­mi­täts­druck erträg­lich. Seit dem Ende des Kom­mu­nis­mus ist der Wes­ten als Sie­ger übrig­ge­blie­ben und hat offen­bar Mühe, die Sinn­fra­ge zu beant­wor­ten, wenn man nicht bereit ist, sich mit dem Kon­su­mis­mus zu begnügen.

Auch in einer unter die­sem Ban­ner geein­ten Welt blei­ben Fluch­ten mög­lich. Im Wald­gang hat Ernst Jün­ger eine die­ser Mög­lich­kei­ten beschrie­ben. Für das Sys­tem, für das es kei­ne ande­re Bedro­hung als die­se Ein­zel­nen gibt, stellt sich das Pro­blem, den Wald­gän­gern, den ein­sa­men Wöl­fen auf die Schli­che zu kom­men. Das ist heu­te zwei­fel­los ein­fa­cher als noch zu Jün­gers Zei­ten. Die neu­en Medi­en bie­ten jedem die Mög­lich­keit, die Welt an sei­nen per­sön­li­chen Pro­ble­men teil­ha­ben zu las­sen. Wer die­ser Ver­su­chung nicht wider­steht und etwas Zwei­fel­haf­tes äußert, wird es schwer haben, wie­der Auf­nah­me unter die Gut­mei­nen­den zu finden.

Das Ver­fah­ren ist seit Sta­lins Zei­ten im Grun­de gleich geblie­ben: Wenn man eine Chan­ce haben will, nimmt man die Ankla­ge durch Selbst­kri­tik vor­weg. Der reu­ige Sün­der wird nicht erschos­sen, son­dern bekommt Gele­gen­heit, ein Bekennt­nis abzu­le­gen. Der Wort­laut ist varia­bel. In jedem Fall darf das Bekennt­nis zu deut­scher Schuld, allein­se­lig­ma­chen­der Demo­kra­tie und Gleich­heit aller Men­schen nicht feh­len. Um nicht den letz­ten Rest an Selbst­ach­tung zu ver­lie­ren, kann man sich bemü­hen, sei­ne Schand­ta­ten als mensch­li­ches Irren, das unter den bes­ten Vor­sät­zen gesche­hen sei, dar­zu­stel­len. (Aller­dings soll­te man nicht auf all­zu viel Ver­ständ­nis hof­fen.) Schließ­lich lan­det man in der Bewäh­rung, der täti­gen Reue. Ob am Ende die Abso­lu­ti­on steht, bleibt ungewiß.

Die Fol­gen die­ser Vor­ge­hens­wei­se lie­gen auf der Hand: Poten­ti­el­le Wald­gän­ger wer­den abge­schreckt und dis­zi­pli­niert, geis­ti­ge Ödnis und Kon­for­mi­tät brei­ten sich aus. Da die­ses offen­bar bezweckt wird, kann die Aus­trei­bung der Kul­tur­kri­tik nicht ver­wun­dern. Sie ist das Kor­rek­tiv zu Gegen­warts­be­zo­gen­heit und Fort­schritts­an­be­tung und garan­tier­te deren Beschrän­kung auf ein­zel­ne Lebens­be­rei­che. Die Abwe­sen­heit von Kul­tur­kri­tik führt dage­gen, in Form des Kon­su­mis­mus, zur Aus­wei­tung auf alle Lebensbereiche.

Hin­weis: Bei der Som­mer­aka­de­mie zur Kul­tur­kri­tik sind noch Plät­ze frei.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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