Es ist durchweg eine eigenartige Musikauswahl. Nie Klassik, meist angloamerikanische Stückchen mit banalsten Texten. Die Radiomacher – vermute ich jedenfalls – würden solche Lieder kaum bringen, wenn solche Texte auf deutsch zu hören wären.
Ein seltsamer, mir blödsinnig erscheinender Kontrast entsteht, wenn etwa gerade mit einem melancholischen Romanautor über Verlusterfahrungen und Liebesnot gesprochen wurde und dann ein Stück eingespielt wird, dessen Text sich auf „shake your legs“ oder „do it softly, yeah“ beschränkt. Ich hab während der Lesart oft in der Küche zu tun und versuche meine Arbeit so zu gliedern, daß ich während der gesprochenen Teile am Herd werkel und bei den „Songs“ dann rasch im Keller Kartoffeln hole oder die lärmende Zentrifuge anstelle.
Heute interviewte die Moderatorin einen anerkannten Historiker, der gerade ein Buch über die SS herausgegeben hat. Sie fragt ihn, wie er zu dem Thema gekommen sei. Er antwortet, es habe ihn schon immer interessiert. Irgendwann habe er mit polnischen Studenten Auschwitz besucht. Das habe ihn total fasziniert. Der Autor stockt kurz. Der Ausdruck will ihm nicht recht gefallen. Es klingt vielleicht zu sensationell. Er berichtigt sich: Es habe ihn sehr bewegt. Die Moderatorin ist zufrieden, dankt und spielt ein Musikstück ein. Wieder eins, das mir nicht gefällt. Hier erschüttert mich geradezu der „bewegte“ Bezug:
You move me, babe / You move me/ Ahhh/ You move me / You got me doing things/ I don’t ever do / Move me/ Oh, yes, usw., usf.
26.8. 2014
Seit etwa zwanzig Jahren lese ich die Emma, jede Ausgabe. Es ist für mich die informativste Frauenzeitschrift, andere les ich nur beim Zahnarzt. Die Fronten sind natürlich klar. Ich kenne die Punkte, wo sich die Geister scheiden, drum rege ich mich nicht weiter auf bei jenen Themen. Manchmal doch.
Unter emma.de hat Alice Schwarzer seit nicht allzu langer Zeit eine Rubrik im alten Stil der Briefkastentanten. Da fragen Frauen (vielleicht reale, vielleicht fiktive) solche Sachen: Wie sie mit ihrem Geliebten umgehen sollen, den sie mit Pornos ertappt haben, warum männerfeindliche Lesben sich oft wie Männer benehmen etc. Heute hat sich „Irene 22“ an die „liebe Alice“ gewandt. Irene hat gerade abgetrieben.
“Und obwohl ich immer fest davon überzeugt war, dass Frauen ein Recht haben, dies zu tun, fühle ich mich wegen meiner Entscheidung trotzdem schuldig und habe das Gefühl, niemandem davon erzählen zu können. Nun weiß ich nicht, wie ich mit diesen Schuldgefühlen, der Scham und dem Druck umgehen soll.”
Frau Schwarzers Antwort war absehbar, es geht immerhin um eine Essenz ihres Wirkens. Sie findet Irenes Brief „bedrückend aber tröstlich zugleich“. Tröstlich, weil die Irene „im Jahr 2014 in Deutschland legal und nach modernsten medizinischen Methoden abtreiben“ konnte. Schwarzer betont (abermals), daß sie selbst „seit 44 Jahren für das Recht auf Abtreibung kämpfe“. Irenes Skrupel kann sie naturgemäß mit leichter Hand beheben:
„Dein schlechtes Gewissen hat natürlich mit dem aktuellen gesellschaftlichen Klima zu tun. Und das ist leider rückläufig. Selbst so manche Frauenbewegten bzw. Linken reden inzwischen wie die Tiefschwarzen oder die “Lebensrechtler”. (…) Ich meine also, du solltest kein schlechtes Gewissen haben, sondern dich freuen, dass du gesund bist und vielleicht irgendwann, wenn du willst und es in dein Leben passt, ein Kind zur Welt bringen kannst. Du solltest dich freuen, dass du in einem Land lebst, in dem Abtreibung nicht tödlich ist: Weltweit sterben jährlich 50.000 Frauen an illegalen Abtreibungen! Du solltest dich also freuen, dass du ein weitgehend selbstbestimmtes Leben führen kannst(…)Du musst dich nicht schämen. Die Menschen, die ungewollt Schwangeren diese Scham suggerieren, sollten sich schämen!“
Moment: 50.000 Frauen sterben pro Jahr weltweit an illegalen Abtreibungen? Das wäre sehr viel, eine traurige Zahl. Man weiß nicht ganz genau, wer darüber Buch führt. Tante Alice weiß es vielleicht? Wieviele ungeborene Kinder (Schwarzer: „Zellhaufen“) sterben daran? Für Deutschland allein sind es rund 110.000, jedenfalls nach Maßgabe der amtlich mit Brief & Siegel bestätigten „Fälle“.
Ist schon klar, nach Emma’ scher Diktion ist „Fötus“ ein lateinischer Begriff und kein Leben. So interessant wie bedrückend fand ich, daß die Emma- Diskursgesellschaft (kein Briefkasten ohne Mitleser!) nahezu einhelliger Meinung war:
„Bambi“ (mit “teils islamischem Hintergrund“) fand:
„Solang der Fötus im Körper der Frau ist, kann und wird einzig sie alleine bestimmen, was damit passiert und da kann es keine abweichende Diskussion geben. (…) Solang dieser Fötus im Körper der Frau ist, ist er ungefähr so wertvoll wie ein Parasit, der sich vom Wirt ernährt, an dem er dranhängt.“
„Sascha“ meint:
„ Ein biologischer Zellhaufen hat noch nichts mit Leben zu tun. Ansonsten müsste jede Petrischale mit menschlichen Zellen beerdigt werden. Es ist in Deutschland niemals erlaubt, Leben abzutreiben. Aber dieser Zellhaufen, aus dem später dann Leben wird, ist noch kein Leben. (…)Und auch Jesus oder Mohammed haben nichts gegenteiliges dazu gesagt.“
“LinEma” (ein Mann) sekundiert:
„Ich sehe kein Leben (im Sinne von menschlichen Leben), was hier abgetrieben wurde. Deswegen sehe ich auch absolut keinen Grund, warum sie ein Problem damit haben sollte. Als ich die Bakterien-Beule mir habe rausschneiden lassen, habe ich mir doch auch nicht überlegt, dass doch diese Zellen aus meinem eigenen Körper stammen und gerne weiterleben wollen.“
Und „Eval“ argumentiert strikt vegetarisch: die Gleichsetzung Embryo = Mensch sei
“absolut unglaubwürdig, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Personen die dieses hervorbringen den Wert des geborenen und zu Burgern oder Schnitzel verarbeiteten Lebens wahrscheinlich nicht genug schätzen, um vor Schlachthöfen zu demonstrieren, so wie sie es-zumindest in den USA – vor Abtreibungskliniken tun.“
Hipster-Gespräch der nahen Zukunft: „Ah, du hast wieder abtreiben müssen. Okay, dein Bier, shit happens. Aber hey, Moment mal, das ist doch wohl kein Fleisch auf deinem Teller!?“
30.8. 2014
Die aktuelle Junge Freiheit hatte ganz groß aufgemacht mit dem frisch angelaufenen Kinofilm Wolfskinder von Rick Ostermann. Das Schicksal der Wolfskinder ist in der Tat eines der am wenigstens beleuchteten Kapitel der Nachkriegsgeschichte. Wer Ingeborg Jacobs Wolfskind. Die unglaubliche Geschichte des ostpreußischen Mädchens Liesabeth Otto noch nicht gelesen oder Sie nannten sie Wolfskinder von Linde von Keyserlingk noch nicht vorgelesen hat, sollte es nachholen!
Indes war ich aufgrund der JF-Artikel (und dem arg verdrucksten Interview mit dem Regisseur, der für dieses Werk sowohl den Friedenspreis des Deutschen Films als auch den Franz-Werfel-Preis für Menschenrechte erhalten hat) hin- und hergerissen, ob der Kinofilm eine längere Fahrt (Wolfskinder läuft derzeit nur in ausgesuchten Kinos in großen Städten) lohnen würde.
Den Ausschlag gab a) der Trailer und b) die böse Kritik in der taz:
(…) und weil die Landschaften im Memelgebiet so schön sind, kommt am Ende ein empfindsamer Heimwehtourismuskatalog für Freunde des Fetischs „Landlust Extrem“ raus: Himmel, Wälder, Licht, aber Pferd und Geflügel werden roh verspeist. (…) Dieses deutsche Kino ist schon weird. Offen revisionistisch und komplett einfallslos, gefördert wird es trotzdem.
Die taz-Kritik war dermaßen präpotent-bösartig: Eine wahre Einladung zum Sehen! Wir haben Wolfskinder mit den älteren Kindern (FSK-Empfehlung: ab 12) angeschaut und können ihn empfehlen.
Irgendwo in Ostpreußen, 1946: Hans und Fritz haben den erobernden Russen ein Pferd entführt und es erschossen, um der Mutter Stärkung zu bringen. Die Mutter mag nicht mehr essen. Sie stirbt. Sie hat den Söhnen aufgetragen, einen bestimmten Hof in Litauen aufzusuchen. Und immer beisammen zu bleiben! Die Wege der Brüder trennen sich aber rasch. Als sie schwimmend die Memel überqueren, schießen Rotarmisten auf die Kinder. Ob Fritz es ans rettende Ufer schafft, ist ungewiß, wir verfolgen Hans’ Weg.
Wir wissen nach 94 Minuten nicht, ob er den mutmaßlich rettenden Hof erreicht, aber wir erhalten einen Einblick in das Leben des elternlosen Kinderbanden, die viele Jahre nach dem Krieg die Wälder dieses Grenzlandes durchstreiften, verfolgt von den Russen, geduldet von litauischen Partisanen, unter Angst vetrieben oder spärlich versorgt von der ansässigen Bevölkerung. Ja, es ist ein guter, beinahe sehr guter Film, spannend (schnödes Wort angesichts des Erzählten) und elegisch zugleich, vor allem Hauptdarsteller Levin Liam (Hans) mit dem rechteckigen Abdruck eines Buches unter dem Pullunder macht seine Sache hervorragend.
Das restliche Casting & Kostümwerk erscheint nicht immer vollendet glücklich. Wir unterhalten uns länger drüber: Was macht ein „altes Gesicht“ zu einem alten Gesicht, alt im Sinne von nicht-modern? Warum gibt es Gesichter, die trotz Schmutz- und Wunden-Schminke immer noch „von heute“ aussehen? Nach Doppelhaushälfte im satten Vorort, nach Spielkonsole und Barbiepuppe? Ist es das Leben, sind es die Gene?
Trouver
Irgendwie logisch kommt die Erwaehnung von Begriffen "parasit" und "taz" in femselben Texte vor.
Taz kann ja nur wie parasit so lange leben, wie lange ihr deutscher Wirt lebt.