Als lustig in Erinnerung habe ich eine Szene aus einem Max-Goldt-Stück (ich glaube in Die Radiotrinkerin), wo in der Klasse nach den Berufswünschen gefragt wird und zwei Mädchen sich lautstark in die Haare kriegen, weil just beide Leiterin der Holocaust-Gedächtnisstätte in New York werden wollen. Und es kann nur eine geben!
Unsere Zweitälteste erzählte, daß unter ihren Freundinnen vor kurzem die Berufswahl thematisiert wurde. Keine wollte nach New York, nicht alle hatten einen Plan. Die Tochter, ohne exakten Berufswunsch, habe geäußert: „Ach, wer weiß, vielleicht krieg ich ein paar Kinder und bleib zu Hause.“ Da sei sie schier gelyncht worden! Was das für ein Ansatz sei! Total egoistisch! Sie habe doch Talente! Die wolle sie ja wohl nicht allein für sich behalten! Das sei auf eine Weise direkt a‑sozial! (Tochter dachte für sich: Auf eine Weise seid ihr glatte Kommunistinnen!)
Die Nächstjüngere sekundierte der Schwester: Solche Diskussionen kenne sie. Ihre beste Freundin (14) wisse jetzt schon, daß sie keinesfalls Kinder wolle. Kinder verbauten einem nur die Karriere. Sie, die Freundin, habe aber entschieden etwas vor in ihrem Leben. Tochter: „Ja, hör mal, hab ich gesagt! Stell dir doch mal vor: Eigene Kinder! Eigene! Deine! Über die kannst du voll und ganz bestimmen! Wo kannst du das denn sonst?!“
Da gab es natürlich ein ziemliches Gelächter am Abendbrottisch. Kinder als erweiterte Selbstbestimmung! Paßte exakt zu jenem Töchterchen, das mit Sicherheit das schlagfertigste unter unserer Brut ist. Die Dritte hat immer das letzte Wort. Das Gelächter kränkte sie. „Ja, lacht nur! Ich erziehe meine Kinder bestimmt besser als ihr!“ – „Gut, mach das. Wie? Wir sind gespannt.“ – „Ha-ha. Jedenfalls besser als ihr mich.“
5.9. 2014
Vor dem Zubettgehen wird den Kindern vorgelesen. Das ist bei uns Sitte, seit es in unserem Haushalt Kinderbücher gibt. Auch die Mittelgroßen sitzen noch mit auf dem Sofa. Vermutlich weniger aus heißem Lektüreinteresse, sondern eher, weil sie die vorlesende Mutter nicht enttäuschen wollen. Zur Zeit (seit Wochen) lese ich Timm Thaler von James Krüss vor.
Ich habe das Buch als Kind selbst gelesen und gemocht. Erstmals habe ich es etwa 2005 vorgelesen, dann 2009 und eben jetzt. Mir gefällt, daß sich in dem Buch unterschiedliche Verständnisebenen öffnen. Die Achtjährige versteht es als reine Abenteuergeschichte, die Dreizehnjährige ahnt philosophische Hintergründe. Es ist ein tolles Buch, aber nicht unproblematisch. Timm Thaler, diesem armen Waisenkind, wurde bekanntlich das Lachen abgekauft. Dem Käufer, Baron Lefuet, gehört die halbe Welt. Er ist ein Kapitalist, ein böser. Wie böse, ahnt man, wenn man seinen Namen rückwärts liest.
Zu seinen engen Handelspartnern gehört auch ein dezidiert Linker, Selek Bei. Der macht mit beim bösen Spiel, um die schlechte Sache von innen heraus zum Guten zu wenden. Die Kinder und ich sind geteilter Meinung über Selek Bei. Und: „Mir ist noch was aufgefallen“, sagt der Sohn. „Alle Guten sind in dem Buch dunkelhaarig und haben warme, braune Augen. Und die Bösen haben blaue Augen. Und dann heißt es immer: ‘kalter, stechender Blick´“. Die Dreizehnjährige lakonisch: „Stell dir mal vor, es wär umgekehrt. Die mit den blauen Augen wären die Guten. Dann ginge das so wie mit Otfried Preußler und der Kleinen Hexe: Die Bücher müßten heute umgeschrieben werden. Von wegen verletzter Gefühle.“
6.9. 2014
In meinem letzten Rückblick hatte ich erwähnt, inwiefern die Emma-Lektüre für mich seit Jahrzehnten „aufregend“ ist. Die naßforsche Sprache über Abtreibungen beispielsweise stößt mich ab. Andere Stellungnahmen der Redaktion lese ich mit Gewinn, nicht nur solche, die die bekannt scharfe Haltung Alice Schwarzers zur multikulturellen Gesellschaft betreffen. Ich bin – wie wohl die meisten Frauen, die sich nicht prostituieren – eine Prostitutionsgegnerin.
Ich weiß, daß das gerade in konservativen Gefilden ein heikles Terrain ist. Der Konservative heute hat im wesentlichen drei Gründe, Prostitution zu verteidigen. Erstens, weil es „das älteste Gewerbe der Welt ist“ (also eine Art Traditionsbestand), zweitens, weil der Konservative in Hinsicht auf Wirtschaft und Konsum zur Liberalität tendiert („ich zwinge ja keine Frau, es ist ein Geben und Nehmen“), drittens, weil der Konservative als Typ bei Frauen eher auf der Out-Liste steht. Und doch nach ein bißchen „Liebe“ lechzt!
Die Emma beschäftigt sich mit der zur Debatte stehenden Neufassung des Prostituiertengesetzes. Die Koalition zeigt die Neigung, eine Meldepflicht durchzusetzen. Heißt: Man will Prostituierte verpflichten, sich als solche bei den Behörden zu melden. Die selbsternannten Standesvertreter wiederum fürchten ein Zwangsouting, das ihre „bürgerliche Existenz“ vernichten könnte und argumentieren dagegen. Das ist schon deshalb ulkig, weil Prostitution nach ihrem Dafürhalten doch ein „Beruf wie jeder andere“ ist!
Weniger ulkig denn schräg ist es, daß es anscheinend ein kleiner Klüngel selbstbewußter Bordellbetreiberinnen ist, der für eine gigantische Branche spricht. Zwei Huren trafen sich zu Hintergrundgesprächen mit Fachvertretern von CDu/CSU, SPD, Grünen und Linken, um auf das geplante Gesetz einzuprägen. Emma stellt sie kurz vor. Ich will ihre Namen nicht nenne, man kann das woanders nachlesen. Die eine, 46jährige politische Sprecherin des „Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen e.V.“ war zuvor professionelle Langstreckenläuferin und organisierte „Frauenläufe“, zum Beispiel beim Lesben-Beach-Festival. Seit wenigen Jahren arbeitet sie als Domina- gewiß gewinnträchtiger. Sie bevorzugt laut Emma-Recherche und gemäß ihrer Netzseite, Männern ins Gesicht zu pinkeln, koten oder zu furzen.
Die andere Politikberaterin in dieser Sache ist 35 Jahre alt. Sie versteht sich als „Sadistin aus Profession“.
Ihre Spezialität ist ein „Straflager mit authentischem Ambiente“.Da können ihre Kunden sich der „Lagerordnung“ unterwerfen, werden verhört, angekettet und gequält, mindestens zwölf Stunden lang oder auch länger.
Die beiden Profihuren sind gegen die Meldepflicht, gegen die Anhebung des Schutzalters auf 21 Jahre, gegen das Verbot von Massenvergewaltigungspratiken, gegen Flatrate-Puffs („zahle einmal, beglücke soviele du willst“).
Allerdings sind zwischen 70 Prozent (Schätzungen der Pro-Prostitutions-Front) bis zu 98 Prozent (Schätzungen der Polizei) Migrantinnen und kommen in der Regel aus den ärmsten osteuropäischen Ländern. Frauen also, die in den deutschen Sexunternehmerinnen kein Sprachrohr haben und die in einem Gewerbe wirtschaften, das zu großen Teilen in mafiöser Männerhand ist. Der Umsatz im „Sex-Gewerbe“ hat in Deutschland 2013 14.6 Milliarden Euro betragen.
Auch andere telegene & selbstbewußte „Sex-Arbeiterinnen“ stammen übrigens weitgehend aus dem Sado-Maso-Bereich. Die Emma, sicher nicht im Verdacht, gegen selbstbestimmte Frauenarbeit zu votieren, schließt in bezug auf die „Politikberatung“ aus dem Gewerbe:
Sicher, es mag manchen Damen ja durchaus Spaß machen, Männer zu quälen. Sowas nennt man normalerweise schlicht Männerhass. Dass diese Männerhasserinnen sich das auch noch von Männern gerne bezahlen lassen, ist verständlich. Aber dass sie sich auf Kosten von hunderttausenden Frauen als Lobbyistinnen des Sexgewerbes bei der Politik andienen – das geht zu weit. Dem sollte Einhalt geboten werden.
8.9. 2014
Weltalphabetisierungstag. Es heißt, in Deutschland leben siebeneinhalb Millionen funktionelle Analphabeten. Eine krasse Zahl. Mich wundert sie kaum. Ich erlebe das ständig: Kind X wird mit meinem Kind eingeschult. Während mein Kind mit 20 oder 25 Klassenkameraden nach vier Jahren die Grundschule verläßt, beschreitet Kind X Klasse 3. Es folgen ein paar Sonder- und Fördermaßnahmen. Jahre vergehen. Mein Kind kommt in Klasse zehn, Kind X auch, auf einer anderen Schule. Es wurde altersgemäß (aus sozialen Erwägungen) hochgestuft,um zwei Jahre. Lesen kann es noch immer nicht. Es wurschtelt sich durch. Die Lehrerinnen sind aber freundlich und drücken ein, zwei Augen zu. Das zahlt sich aus, und zwar peinlich: Mit 29, 41 oder 55 Jahren (oder nie) wird Kind X, das längst kein Kind mehr ist, einen Alphabetisierungskurs besuchen. Eher: nie. Gäbe es weniger Lehrerinnen mit zugedrückten Augen, wäre die Quote günstiger. Andererseits: Muß nicht jeder lesen können. War über Jahrtausende nicht anders. Und heute gibt´s ja Fernsehen. Da erfährt man auch alles Wichtige.
Strogoff
"drittens, weil der Konservative als Typ bei Frauen eher auf der Out-Liste steht. Und doch nach ein bißchen „Liebe“ lechzt!"
Wer ist denn der Konservative? Der mit dem Pullunder und den geputzten Schuhen?
Mir war nie bewusst, dass Frauen so oberflächlich sind und nach In- und Out-Listen vorgehen. Da haben die Frauenzeitungen ja volle Arbeit geleistet.
Wenn Männer und Frauen heute alleine leben hat das sicher andere Gründe. Man trennt sich heute einfach zu schnell. Erst wieder im Bekanntenkreis erlebt und dann geht das Gesuche wieder los.
Die positive Aufnahme der Prostitution, teilweise auch hier im Forum, hat sicherlich einfach mit einer verlotterten Moral zu tun, die alle Gesellschaftsbereiche durchdrungen hat.