„Aber Du kennst doch die Erzählungen. Die Videos. Daß man da vom Gesocks beschimpft und bespuckt wird. Daß sie einem zurufen ‘hätt Maria abgetrieben, wär´uns das erspart geblieben’! Und da soll ich dann ruhig und mit einem freundlichen Lächeln weitergehen? Auch, wenn sie die Kinder anpöbeln? Sind sicher herzensgute Leute, die so was ertragen. Aber ich bin nicht herzensgut. Ich würde nach drei Minuten irgendeiner Fresse mein Holzkreuz durch die Lefzen ziehen. Und du? Du würdest denen doch die Augen auskratzen wollen – komm!“ Ich insistiere. Das sei dann halt eine besondere Probe. Kubitschek hat das entscheidende Argument: „Am Ende wird es heißen: Auch Rechte wurden unter den Demonstranten gesichtet. Siehe Meißnertreffen. Und dann ist die Bewegung diskreditiert. Und man hat niemandem einen Gefallen getan.“ Klingt logisch.
21. September 2014
Wer bestimmt, was relevant ist? Typisches Beispiel: In Berlin demonstrierten 5000 Abtreibungsgegner, die sich lieber Lebensschützer nennen: eine pro-Haltung kommt besser an. Wer berichtet? Neben (wenigen) lokalen Blättern und Sendern ausschließlich einschlägig interessierte Medien von Junge Freiheit bis Jesus.de und eine magere Handvoll linksradikaler Postillen, für die die Trauer über abgetriebene Kinder bereits eine Art Faschismus darstellt. Lebensschutz, pah, wen interessiert das denn?
Fast gleichzeitig sind auch in Moskau Leute auf die Straße gegangen, gegen Putin. Die Polizei spricht von 5000 Teilnehmern, die Opposition spricht von 10.000. Der Deutschlandfunk-Korrespondent gesteht, er sei nicht gut im Schätzen und sagt, er könnten auch 20.000 oder 30.000 gewesen sein. Die news-Suche zeigt mir auf den ersten Treffern Fundstellen bei zeit.de, welt.de und tagesschau.de an. Bei Interesse kann ich „176 weitere Berichte“ anklicken. In den DLF-Nachrichten rangierte die Demo-Meldung an erster Stelle. Kein Ton vom „Marsch für das Leben“. Von Lebensschutzfragen hör und les ich grundsätzlich wenig. Dabei tangiert das Thema allein hierzulande Hunderttausende ganz direkt.
22. September 2014
„Was schätzt Du: Wieviele Ehepaare im Alter unter fünfzig gibt es in Deutschland, wo beide kein Handy besitzen?“ Kubitschek sagt „unter 100.000“, ich behaupte: unter tausend. Immer ist in mir ein schwer ergründbarer Stolz, zu einer extremen Ausnahme zu gehören. Wir präsentieren die Montagsfrage einer Verwandten. Die sagt: „Ganz viele! Wir doch auch!“ Ich habe aber ihre Handynummer. Sie: „Ja, aber das ist kein Smartphone, und ich benutze es fast nie.“ Was nicht gilt bei meiner Fragestellung. Wir sind beide nicht mobil erreichbar, nie. Das ist unprofessionell und extrem unvernünftig, schon klar. Wir wollen es nicht anders. Wir rufen uns die Klagen über das Aussterben der Telefonzellen nur heimlich zu. Wir sind schon Irrwege gegangen, haben Abenteuer erlebt aufgrund der mangelnden „Anbindung“. Heute ist die aktuelle Sezession, Thema: “Kulturkritik” in Druck gegangen. Mir scheint, Kulturkritik und erst recht Kulturpessimismus gründet zu großen Teilen auf Auffassungen und Stimmungen, die sich dem pragmatischen „gesunden Menschenverstand“ entziehen.
23. September 2014
Klassenfahrten und Wandertage sind heute bekanntlich auf Eventcharakter verpflichtet. Ach was, „heute“! Friedrich Sieburg, der große Kulturkritiker und glänzende Stilist (Autorenportrait in der neuen Sezession) hat das schon vor 60 Jahren als Verfallserscheinung begriffen. Da schüttelte er, aus heutiger Sicht fast rührend, den Kopf darüber, daß Klassenfahrten anscheinend mindestens „in die Alpen“ gehen müßten. Sieburg: „Der Vorschlag, die Kinder sollten an der Nidda Blumen suchen, würde heute auf allen Seiten große Heiterkeit hervorrufen.“
Unsere Siebtkläßlerin tritt morgen ihre Klassenfahrt an, und auf dem Plan steht auch ein spätabendlicher Kinobesuch. Es soll „Doktorspiele“ geben, ein, wie man hört, extrem witziger Film über einen Jungen mit einem zu kleinen und einem anderen Knaben mit einem Riesenpenis. Das wird ein Spaß für die Mädels! Grandioses Niveau!
Es soll auch ein Alternativfilm angeboten werden, unklar ist bis dato, welcher. “Schoßgebete” stehen auf dem Programm, “Sex Tape” und “Sieben verdammt lange Tage” (eine jüdische Familie hält Totenwache), alles andere kommt kaum in Frage, die Sachen ab 16 nicht und Biene Maja wohl auch nicht.
Es ist die Jugendherberge, die das Rahmenprogramm und somit den Kinobesuch organisiert. Die Lehrerin, auf die Filme angesprochen, zeigt sich jedenfalls co-empört. Sie wisse nur „Kino“, kenne aber nicht den Film. Als wir am Abendbrottisch über das Klassenfahrtding reden, grinsen die drei älteren Geschwister. „War doch bei uns damals genauso!“, rufen sie. Das hatte ich bereits vergessen.
Zwei der drei Großen durften damals mit Verweis auf die FSK-Bestimmungen (die damalig zu Genuß gebrachten Filme waren ab 12, unsere Kinder waren 11) die Kinozeit mit hübscherem Amüsement verbringen, die andere war die Klassenfahrt gar nicht erst angetreten, ich glaube, wegen Krankheit.
Panta rhei, wir steigen in denselben Fluß und doch nicht in denselben.
25.9. 2014
Machenschaften aufgedeckt!! In der SZ haben sie heut als Feuilletonaufmacher unter der Überschrift „Männerphantasien“ einen aufgeregten Artikel darüber, wie das Kino „finstere Rollenklischees“ zementiere. In einer von der UN unterstützten Studie hat man 120 Filme aus elf Ländern untersucht. Resultat: „Die Filmindustrie befördert die (Frauen-)Diskriminierung.“ Nur 15 Prozent der fiktiven Frauen haben Jobs mit Einfluß! Nur 22,5 % der Frauen werden überhaupt arbeitend gezeigt! Besonders gemein: „Nacktheit & tiefe Ausschnitte“ sind bei Filmfiguren im Alter zwischen 13 und 39 noch gleich verteilt. „In der nächsten Altersklasse ist dann Schluß damit.“ Also auch noch Altersdiskriminierung?
Inselbauer
2008 war ich als alter Bolschewik mal auf einer Lebensschützer-Demo in Berlin. Kurz zuvor war meine Frau zum zweiten Mal schwanger geworden, und alle Verwandten, eine ausgesuchte linksliberale Bande, riet ihr mit Engelszungen zur Abtreibung.
Man wurde auch damals bespuckt und sogar geschlagen. Ich war ganz stolz, einem linksradikalen "Gegner" eine Ohrfeige verpasst zu haben.
Heute hat sich die damalige Aufregung bei mir in einen sterilen Hass verwandelt. Ich denke kaum noch daran und versuche an anderer Stelle Dinge zu verändern.