Vor einigen Tagen besuchte ich aus Langeweile eine liberale Vortragsveranstaltung. Der mir gegenübersitzende Gast, dessen Gesicht irritierenderweise noch halb mit Rasierschaumflocken bedeckt war, äußerte die obigen filmreifen Sätze zwischen zwei Schlucken aus der Bierpulle zu seinem Tischnachbarn – so episch, wie man sie sich nicht hätte ausdenken können.
Das Liberalste am ganzen Abend war denn auch die Zeitplanung der Zuhörerschaft immerhin nicht ausschließlich bemooster Häupter, von der etwa ein Drittel die Pause kurz vor Ende des Vortrags nutzte, um den Heimweg anzutreten.
Immerhin war das Bier günstig: Ein Euro fuffzich die Flasche, strenggenommen also quasi 1,5… Ein entsprechender höhnischer Spruch wird dem geneigten Leser wohl selbst einfallen. Nun, das war ein amüsanter Abend. Zumindest für mich. Auch, wenn man über Parteien generell nur die Augen rollen kann, ist das derzeitige Stadium der ehemals drittgrößten „Volkspartei“ in diesem Lande doch ein besonderer Quell der Wunderlichkeiten. Im speziellen dadurch, daß man sich unlängst auch dort des scheinbar typisch deutschen Weges, eine Krise zu lösen, entsonnen hat: Man gründet einfach eine neue Partei. Ist hierzulande ja nicht schwer, solange man die wohlbekannten Spielregeln einhält. Deshalb also nun einen aufmunternden Applaus für: die NEUEN LIBERALEN!
Man merkt, daß bereits beim Namen richtig Kreative am Werk waren. Und auch ansonsten kommt die neue Truppe ziemlich forsch daher: Formell bereits am zweiten Septemberwochenende gegründet, traf man sich zwei Wochen später – bereits mit passendem Merchandising ausgerüstet – in Hamburg zur Konstitution. Christian Lindner war nicht erfreut. Alle maßgeblichen Protagonisten sind ehemalige FDP-Mitglieder, die nun unter neuem Namen auf Pfründenjagd gehen; die frühe Aussage von Parteichef Najib Karim, man habe „bundesweiten Zulauf auch von bislang parteipolitisch unorganisierten Bürgern“, wirkt besonders ulkig angesichts der Zusammensetzung des Gründungsparteitags. So hatte das „große Interesse“ mit mehr als 700 Anfragen „aus ganz Deutschland“ bis dahin offenbar nur zu rund 250 Mitgliedern gereicht, und von denen scheint ein knappes Drittel dem tollkühnen Unternehmen noch nicht ganz zu trauen und behält für’s Erste die alten Parteibücher. Auch eine Art von Liberalität, irgendwie.
Besonders interessant ist das große Interesse, welches die Neugründung bei einem anderen Exzellenzcluster für Selbstdemontage geweckt hat, nämlich der Piratenpartei. Da gebe es „viele programmatische Schnittmengen“, wird Marius Brey zitiert, und der ist immerhin „Pressesprecher der BI Drohnen und Koordinator des Bündnisses Weidener Becken gegen Fracking (Abgefrackt)“! Man darf also gespannt sein, welche neuen und liberalen Denkanstöße die Neuen Liberalen demnächst zu technologischen und wirtschaftlichen Themen vorbringen werden. Generell spielt offenbar Wirtschaft nach wie vor eine wichtige Rolle, auch wenn man sich „umfassend“ von der alten, siechen FDP abgrenzt – nun allerdings von unten gesehen, denn die verbindende Vision soll die eines „sozialen Liberalismus“ sein, zu dessen Gunsten eine „Abkehr vom Marktradikalismus“ vollzogen werden müsse.
Heißt im Klartext: Auch bei der ehemaligen „Unternehmerpartei“ verlassen die Ratten das sinkende Schiff, und weil sich in den letzten paar Wahlen das Potential des Wähler-Absaugens bei anderen Parteien gezeigt hat, machen die Neuen Liberalen nun den Besserverdienenden unter den „Bunte Republik“-Wohlfühllinken den Hof. Vermutlich gar nicht das schlechteste Erfolgsrezept, besonders in Ballungszentren wie Hamburg oder Berlin. Ich kann mir die verzückten Mienen der mittelalten Bionadetrinker mit „Stoppt den Krieg!“-Ansteckern richtig vorstellen, die nun endlich neben den Grünen noch eine Partei zur Auswahl haben, die Liebe und Transferleistungen für alle Menschen realisieren möchte, aber nicht gleichzeitig überall Windräder aussät. Und die vor allen Dingen bei aller Freiheitlichkeit (… wer ist denn schon gegen Freiheit, hm?) noch weiß, wo Schluß ist. Carsten Schulz jedenfalls muß weiter nach einer Partei suchen, mit der er §130 StGB abschaffen und den Verkauf von „Mein Kampf“ wieder legalisieren kann – jeder Mensch braucht ja irgendwo eine Lebensaufgabe.
Man kann diese weitere neue Parteigründung unter unzähligen anderen nun, wie der Tagesspiegel, als „Versuchsballon in einer lebendiger werdenden Parteienlandschaft“ zu sehen versuchen. Man kann es aber auch lassen. Allzu interessant sind derartige Ausgründungen zu kurz Gekommener wahrlich nicht, ebensowenig wie der Umgang der alten Parteifreunde damit. Das mit Abstand einzige, was in der kommenden Konsolidierungsphase der Neuen Liberalen Beachtung verdient, ist deren Umgang mit den hereinströmenden, abgehalfterten Mitgliedern der Piratenpartei. Deren Haufen ist nicht erst seit dem öffentlichkeitswirksamen Abgang eines Gutteils der Führungsriege ebenso siech wie die FDP, wenngleich auf niedrigerem Niveau. Es wird sich zeigen, wer da wen übernimmt – und ob der „neue“ Liberalismus nicht doch eher bedeutet, offen für alles zu sein, solange sich damit die politische Karriere an den Tropf hängen läßt.
Und die „alten“ Liberalen? Die beschäftigen sich indes mit den revolutionären Fragen, „was man in Deutschland sagen darf? Wer wie über Politik berichtet? Ob bestimmte Themen bewusst tabuisiert werden? Was »politisch inkorrekt« bedeutet? Und ob wir uns zu oft hinter falsch verstandener »political correctness« verstecken?“ (zitiert aus der Werbe-Rundmail der Naumann-Stiftung) Wieder einmal ins tagesaktuelle Schwarze getroffen! Denn als Liberaler hat man eben immer mindestens ein Ohr am Puls der Zeit. Und wenn die Zeit Beliebigkeit gebietet, dann wäre es unbotmäßig, dem nicht Folge zu leisten.
Unke
Mir ist rätselhaft, wie man solch ein Nicht-Event länglich kommentieren kann.
Aber bitte: