Augenrollen sorgen, ist irgendwo verständlich. Die Zeiten, in denen man von manchen Seiten damit geradezu überschüttet wurde, ist dankbarerweise vorbei – inflationäre Befassung tut keinem Thema gut, wie man dieses Jahr auch hinsichtlich des Ersten Weltkriegs teils feststellen mußte. Stirnrunzeln mag es auch bei der Ankündigung der aktuellen kaplaken-Staffel gegeben haben; für die Erinnerungen Hans Hirzels kann jedoch Entwarnung gegeben werden.
Handelt es sich hierbei doch nicht um eine Selbstbeweihräucherung mit redaktionell zugegebener Lobhudelei, sondern – bei der nun posthum erstmals veröffentlichten rückblickenden Bestandsaufnahme – vielmehr um eine gänzlich bescheidene Erzählung über Hirzels Herkunft, seinen Weg hin zur Teilnahme an Flugblattaktionen, Verhaftung und Prozeß vor dem Volksgerichtshof sowie seine Haftstrafe mit schlußendlicher Heimkehr aufgrund der Kriegslage.
Wer eine Glorifizierung der eigenen Taten oder der bis heute ikonischen Geschwister Scholl erwartet, wird indes enttäuscht werden. Vielmehr finden sich eine Vielzahl interessanter Darstellungen zu damaligen Stimmungen, den Familien- und Freundeskreisen sowie einzelnen Zeitgenossen: natürlich Hans und Sophie Scholl, aber ebenso – nota bene! – Roland Freisler (interessanterweise anhand einer lange nach Kriegsende von Hirzel gelesenen Schrift Carl Schmitts hinsichtlich des „konkreten Ordnungsdenkens“). Zeitgeschichtlich wertvoll auch aus kritischer Perspektive ist dieses letzte Resümee des 2006 verstorbenen Hirzel allemal, und wer das Geheimnis um die Rolle von Gerhard Ritters »Machtstaat und Utopie« in der München-Stuttgarter Kabale ergründen möchte, ist mit einer Lektüre gut beraten.
Dem Selbstzeugnis beigegeben sind zwei Interviews mit Hans Hirzel, die die Junge Freiheit 2001 und 2003 geführt hatte. Auch wenn die Fragen weitgehend die gleichen geblieben sind, finden sich doch einige jeweils singuläre Details, die mit dem vorangegangenen Text zu vergleichen einigen Aufschluß über die Zuverlässigkeit der Darstellung erlaubt.
Besonders verdienstvoll ist jedoch das abschließende Nachwort aus der Feder Ellen Kositzas: Darin findet sich nicht nur eine nochmalige Gegenüberstellung der vorangegangenen Teile des Buchs mit entsprechenden Anmerkungen und zeitgenössischen Hintergründen. Darüber hinaus ist vom Standpunkt des Historikers aus lobend festzustellen, daß Kositza auch eine in ihrer Kürze elegante wie für den Laien verständliche Quellenkritik übt und hinsichtlich einiger Details die Erkenntnisse geschichtswissenschaftlicher Sekundärliteratur einfließen läßt. Dies gilt insbesondere für die von bundesrepublikanisch berufener Seite aufgestellte These, Hirzel habe die Scholls im Gestapoverhör verraten und so zur verhängnisvollen Flugblattverteilung, die mit ihrer Verhaftung endete, als einem Fanal veranlaßt.
Was Ellen Kositza ganz zum Schluß anklingen läßt, lohnt als Denkanstoß beinahe allein schon die Lektüre von »Im Umfeld der ‘Weißen Rose’. Erinnerungen an die Jahre 1942 bis 1945«. Während nämlich die Geschwister Scholl allüberall Widerstandsikonen geworden sind – unbestreitbar auch durch ihre poptauglichen Porträtfotos, die sich in ihrer verbreiteten Form als geradezu nach PR-Kriterien ausgewählt erweisen –, hatte man Hirzel von obigem Verratsverdacht abgesehen schon zu Lebzeiten der Vergessenheit anheimgegeben.
Maßgebliches Kriterium für seinen Ausschluß aus dem Widerstandskanon war seine ab 1993 erfolgte Parteinahme für die „Republikaner“; vielleicht erinnern sich einige Mitleser noch an die damaligen entsetzten Medienstimmen darüber, wie „so einer“ sich mit „denen da“ einlassen könne. Nach der Lektüre von Hirzels Erinnerungen mag man sich darüber andere Gedanken machen, etwa inwieweit eine gewisse Haltung dem Protagonisten bis zuletzt erhalten geblieben sein mag. Denn das Vermächtnis Hans Hirzels ist doch: einzustehen für das eigene Land und sich von solchen abzusetzen, die es sehenden Auges in Unglück und Verderben führen oder laufen lassen. Wer zu so etwas bereit ist oder sich verpflichtet führt, der setzt sich notwendigerweise ruhelos – damals wie heute.
Hans Hirzel: Im Umfeld der “Weißen Rose” – hier einsehen und bestellen.
Andreas Vonderach
Anders als beim 20. Juli bin ich mir nicht so sicher, ob ich für die Geschwister Scholl so uneingeschränkt Partei ergreifen kann. Haben die nicht auch zur Sabotage in Rüstungsfabriken aufgerufen und damit das Leben deutscher Soldaten gefährdet?
Wegner:
Abgesehen davon, daß es um die Scholls hier nur mittelbar geht, findet sich im Anmerkungsapparat des Buchs ein sehr offener und ablehnender Kommentar Hirzels zu derlei "unentschuldbaren" Akten. Im übrigen stellt sich dessenungeachtet die Frage, ob man aus nachgeborener Position überhaupt "uneingeschränkt" Partei in derlei Zusammenhängen ergreifen kann.