Nur selten glückt es, zum Beispiel bei unseren Hasen. Die dürfen seit Jahren, sobald Salate und ähnliches abgeerntet sind, ihr ohnehin großes Gehege verlassen und sich herumtreiben. (Abends braucht es stets eine Menge Leute, sie zu ihrer eigenen Sicherheit einzufangen und einzuhegen.) Andere brauchen feste Grenzen:
Die Ziegen rammen die Holzzäune mürbe, das Geflügel muß man nach Alter trennen, damit der alte Erpel nicht den jungen zerlegt und nicht die kleinen Entinnen vergewaltigt. Von den beiden Hühnerrassen können wir eine nicht weiterzüchten, weil irgendwann ein Hahn dem anderen den Garaus machte. Der lammfromme (mittlerweile tote) Hund, Monate artig in WG mit den Enten, metzelte eines Tages sechs gar nicht mehr ganz kleine Jungtiere nieder. Überall: das Gesetz des Stärkeren.
Nun also die Wespen. Sie nisten seit Beginn des Sommers auf unserem Balkon. Dort steht der Eßtisch. Mein Vater: „Die müssen weg!“ Ich, bißchen im Gutmenschenton: „Nö, wir mögen die.“ Vater: „Ich auch. Aber nicht hier.“
Mir ist es wichtig, daß die Kinder wissen, daß einem die anderen nichts tun, wenn man sie in Ruhe läßt. Nicht rumwedeln, vor dem Trinken in die Tasse schauen, das langt. Bloß nicht hysterisch werden, wenn eine Wespe mal vom Teller naschen will. Überhaupt: Nie hysterisch werden! Klappt fast. Gestochen wurde bislang nur ich, und wie. (Aus erzieherischen Gründen versuche ich dann, das Gesicht nur leicht zu verziehen und fluche und jammere nach innen.)
Heute nacht sank das Thermometer auf nur 14 Grad, vermutlich witterten die Tierchen Frühling. Jedenfalls war am Morgen die Tür zum Balkon von außen bedeckt mit dem vollständigen Schwarm. Weil’s stockdunkel war, merkte ich das erst, als ich um sechs die Tür geöffnet hatte und die Wespen in die Küche schwirrten und dort höchst nervös herumsausten. Jetzt galt‘s: wir oder die! Ich trieb die Kinder aus dem Raum und holte den Mann. Der erledigte das. Draußen wurde es langsam hell, aber wir merkten es kaum, die Fensterscheibe war durch die Angreifer vollkommen dunkel. Ich: „Wie in einem Horrorfilm, oder?“ Er: „Horrorfilm für Frauen vielleicht. Männer mögen Völker in Bewegung.“
12. Oktober 2014
Ich habe meinen Namen noch nie gegooglet. Halb aus Desinteresse, halb aus Selbstschutz nicht. Das Leben ist aufregend genug, ich benötige keinesfalls zusätzlichen Input. Grad bin ich zufällig im Netz über mich gestolpert, aber ich mag mich irren. Ich weiß nur aus meinem eigenen Schreiben: Wenn ich über die Begegnung mit einer Frau aus Hamburg berichten will, die eine Tochter namens Joy mit sich führte, einen Ring durch die Nasenscheidewand trug und einen Sinnspruch von Aleister Crowley auf dem Hals tätowiert hatte, kommt sie bei mir als Frau aus Köln mit Tochter namens Magic, einem Zungenpiercing und einem Spruch von Bushido vor – so in etwa. Man will ja nie (oder nur manchmal) Personen brüskieren, sondern Phänomene sichtbar machen. Ich halte es deshalb für möglich, daß die junge FAZ-Autorin Julia Bähr mich meinte, wo sie anläßlich der Lesung von Akif Pirincci auf der Buchmesse schrieb:
Nach einer Viertelstunde geht neben mir ein Herr, der einen Jutebeutel der Jungen Freiheit bei sich trägt, auf dem die Worte „Political Correctness“ rot durchkreuzt sind. Wenn das hier sogar dem zu blöd ist, wie soll ich dann meine Gesichtsmuskeln unter Kontrolle halten?
Vielleicht ist es zuviel der Ehre, daß ich mich mit dem Jutetaschenherrn identifiziere. Ich bin ja kein Herr, und meine Taschenaufschrift lautete auf „antaios“, zudem war der Beutel (wie es wohl auch bei Beuteln der Jungen Freiheit üblich ist: man strickt ja doch aus einer Wolle), aus 100% Baumwolle. Da ist das Klischee wohl mit der Autorin durchgegangen. Egal. Nehmen wir an, sowohl ich als auch der ominöse JF-Fan seien gegangen. Was ließ uns gehen? Oder sind wir überhaupt nur gegangen, weil wir andere Termine hatten?
Akif Pirincci las nicht aus seinem altbekannten (Deutschland von Sinnen) und nicht aus seinem aktuellen (Attacke auf den Mainstream), sondern aus seinem kommenden Buch, das Die große Verschwulung heißen soll. Er liest im Gang jener Ausstellerreihe in Halle 3.1., die ein gros der „interessantesten“, ergo linken Verlage beherbergt. Daß Pirincci ohne „Blatt vorm Mund“ liest, kann man nicht behaupten, er hält ein ausgedrucktes Manuskript in der Hand.
Die Zuschauer: Etwa fünfzig an der Zahl. So zahlreich versammeln sie sich (es waren ja nur sogenannte „Fachbesucher“ unterwegs heute) sonst nur an den Megaständen der Öffentlich-rechtlichen; ein Fernsehteam, zahlreiche Menschen darunter, denen der Migrationshintergrund deutlich ins Gesicht geschrieben steht. (Die, so wird sich erweisen, sind pro-Pirincci. Sie lachen besonders genüßlich, wo es um beinebreitmachende Frauen und samenstreuende Männer geht. Wie sympathisch ich diese Querfront finden soll, ist mir nicht klar.)
Pirincci stellt eingangs klar, daß sein Buch sich keinesfalls gegen Schwule, sondern gegen die „verschwulte Gesellschaft“ richten soll. Dann beginnt die Lesung. Wir kennen den Pirincci-Ton: immer hart an der Grenze, immer im Modus des jetzt-sprech-ich- als- Deutschtürke-mal-aus-was-sonst-keiner-zu-sagen-wagt. Das ist ziemlich lustig. Es ist phänomenal! Wenn hier nicht Akif P., sondern Hans Schmidt säße, hätte er vielleicht potentielle Zuhörer, aber die linksfeministisch gestimmten Mareikes, Nicoles und Janniks an den Nachbarständen würden sich nicht auf erst amüsiertes, dann wütendenes Kopfschütteln beschränken, sie würden Hänschen aus der Halle jagen.
Kein Mensch von Verstand benötigt 56 Geschlechter zwecks Diversifizierung. Pirinccis Welt des Geschlechterreigens aber ist arg simpel. Es geht um Eierstöcke, Samen und Begattungsvorgänge. Mir ist das etwas zu unromantisch, und weil ich eh einen anderen Termin habe, nehm ich nach einer Viertelstunde meinen Antaios-Beutel und trolle mich. Ich hab nichtsdestoweniger ein mütterliches Verständnis für Pirniccis Ergüsse. Die Rede von groben Klötzen, die grobe Keile benötigen, fällt mir ein. Oder: wie es in den Wald schallt, so schallt es heraus. Das müssen die aushalten!
Die FAZ-Dame, die sich über Pirincci erregte, argumentierte übrigens kleinlich: Er habe Behauptungen „ohne Quellenangabe“ verkündet (man stelle sich eine Lesung mit Fußnoten vor!), und dann, so piesackt das gebüldete deutsche Superweib unseren um seine neue Heimat tiefbesorgten Dahergewanderten:
„All diese unterschiedlichen sexuellen Identitäten verwirren Pirinçci jedenfalls sehr. Kein Wunder bei jemandem, der das Wort Hermaphrodit wie Hermapfrodit ausspricht.“
Da weiß es eine aber wirklich besser.
15. Oktober 2014
Der Sohn: „Was gibt´s eigentlich für Argumente gegen Gleichberechtigung? Wär doch gut!“ Hintergrund: Er mußte im Sportunterricht 20 Minuten laufen um eine Eins zu kassieren und 25 Minuten für die Doppeleins. (Sportnoten sind eh ulkig: außer Adipösen und Verweigerern schafft jede/r die Doppeleins im Ausdauerlauf, wohingegen eine Eins in Weitsprung oder Kugelstoßen nur Supertalenten – in den Klassen meiner Kinder: niemandem – vorbehalten ist.) Bei den Mädchen langten 22 Minuten für die zweifache Eins. Ich habe recherchiert: Bis zur Pubertät (der Sohn ist zehn) gibt es keine Geschlechterunterschiede in punkto Ausdauer.
Sohn: „Kann ja sein, Jungs sind von Natur aus sportlicher. Kann ja keiner was für. Aber gibt es eigentlich irgendeinen Bereich, wo Männer oder Jungs einen Bonus bekommen?“ Ich hab überlegt und nachgeschlagen. Nichts gefunden. Auch nicht bei den Ausbildungsvorraussetzungen für Krankenschwester/-Pfleger, Erzieher/in oder anderen als typisch weiblich geltenden Berufen (da sucht man angeblich händeringend nach männlichen Bewerbern). Wo sonst?
Nordlaender
"Die FAZ-Dame, die sich über Pirincci erregte, argumentierte übrigens kleinlich: Er habe Behauptungen „ohne Quellenangabe“ verkündet"
Was erwartet dieses spannende Bildungsfrollein denn alles von einem Pirincci, der noch nicht einmal differenziert, wenn es um komplexe Zusammenhänge geht? Entnähme er eine vermeintliche Aussage tatsächlich einer Quelle, dann sicher sinnentstellend aus dem Kontext gerissen.
„All diese unterschiedlichen sexuellen Identitäten verwirren Pirinçci jedenfalls sehr.
Offenkundig, daß er Probleme damit hat.