Engels entwirft zwei Alternativen für das gegenwärtige Europa, das sich im Prozeß seiner Selbstabschaffung vorfindet. Die erste ist die anachronistische Rückkehr zum Nationalstaat, die schnell zur Schwächung aller europäischen Länder führen würde.
Die andere, die er zwar als unerfreulich, aber letztlich unvermeidlich vorstellt, ist die einer »autoritären, plebiszitären und konservativen Reform«, die zu einem »autoritären Zivilisationsstaat« in der Gestalt eines geeinten Europas unter der Führung eines einzelnen, der etwa ein starker Präsident, ein Diktator im Stil der 1920er Jahre oder ein General sein könnte, führt. Um Europa vor dem völligen Verfall zu retten, sei nur der Weg in den autoritär gelenkten europäischen Staat (idealiter mit Einbezug Rußlands) denkbar, der die Einschränkung des hemmungslosen Individualismus mit sich bringt, die strenge Kontrolle der Einwanderung, eine gesetzliche Benachteiligung von Kinderlosigkeit, die staatlichen Förderung des christlichen Kultus, einen neuen ästhetischen Klassizismus, eine Vereinfachung politischer Entscheidungen mittels der Schwächung der Parlamente und die Abwertung individueller Freiheitsrechte zugunsten gleichen Schutzes innerhalb eines kulturell und militärisch selbstbewußten europäischen Reiches.
Engels schildert diese Version der europäischen Erneuerung nach dem Leitbild der Reformen des Augustus, der dem Zerfall der römischen Republik im ersten vorchristlichen Jahrhundert mit seinem konservativen Prinzipat entgegenwirkte. Das gegenwärtige Eu-ropa allerdings gleicht, so Engels, fundamental der Endzeit der antiken Republik. Beide geben ihre Identität zugunsten universalistischer Werte auf, werden von zunehmender innerer Gewalt zersetzt, schwächen ihre Demokratie durch Technokratenherrschaft, leiden unter Geburtenrückgang, stellen Selbstentfaltung vor Gemeinschaftlichkeit und verzichten auf die Bewahrung ihrer Religion. Belege hierfür entnimmt Engels einerseits den Umfragen durch Eurostat, andererseits den antiken Autoren. Weil die Parallelen zwischen diesen beiden historischen Situationen so unabweisbar stark sind, so muß für Engels auch derselbe Ausweg genommen werden. Geschichtsphilosophisch bleibt diese Argumentation unterbegründet, denn nirgends versucht sich Engels an einem prinzipiellen Modell historischer Abläufe.
Der Cäsarismus, den Spengler vorhersagte, war ungleich besser philosophisch abgesichert. Daß heutzutage ein Althistoriker offen die Diktatur als die zwingende Staatsform des kommenden vereinten Europa darstellt, die einzig den Untergang unserer Kultur aufhalten kann, dürfte hinsichtlich seiner Karriereaussichten zumindest ein Wagnis sein. Ob ihm eine Leserschaft jenseits der Universitäten seinen Wagemut danken wird, zumindest indem sie seine These rezipiert, ist augenblicklich eine offene Frage.
(David Engels: Auf dem Weg ins Imperium. Die Krise der Europäischen Union und der Untergang der römischen Republik. Historische Parallelen, Berlin: Europa Verlag 2014. 544 S., 29.99 € – hier bestellen)
Karl Eduard
Eine böse Webseite hat geschrieben, wir würden uns nicht selbst abschaffen, sondern würden abgeschafft. Und wenn man in Ruhe darüber nachdenkt, in wie weit die europäischen Eingeborenen jemals darüber abstimmen durften, wer ihr Land dauerhaft bewohnen darf und wer draußen bleiben sollte, stimmt das mit der Selbstabschafferei nicht. Auch, wer brav eine der Parteien wählt, die man wählen darf, ohne daß dieselbe vom Verfassungsschutz unterwandert ist oder von sofortigem Verbot bedroht, wird feststellen, daß es keine Wahl gibt. Außer, die nicht zu wählen, die die Abschafferei betreiben. Und dann bleibt niemand mehr übrig.
Im Sinne der Ehrlichkeit würde ich es also vorziehen, daß davon geschrieben wird, daß wir abgeschafft werden. Alles Andere hat den Anschein von Selbstbezichtigung einer Tat, deren Ausübung nicht unserer Kontrolle unterliegt.
Das wäre so, als stünde der Mörder mit rauchendem Colt über der Leiche und ruft, schaut, wie er Selbstmord begangen hat. Er sollte sich was schämen.