in der latent frankophilen BRD nicht oder kaum mehr gelesen zu werden. Seit 1989 war kein Buch von Marcel Aymé (1902–1967) mehr ins Deutsche übersetzt oder auch nur neu aufgelegt worden. 2013 nun sind, ohne daß ein Jubiläum einen Anlaß gäbe, gleich zwei Neuübersetzungen erschienen, in den so unterschiedlichen Verlagen Karolinger und Aufbau.
Die vom reaktionären Wiener Verlagshaus in der gewohnten Qualität dargereichten und durch ein kundiges Nachwort abgerundeten Leckerbissen verdienen besondere Aufmerksamkeit. Der Journalist, Romancier und Querkopf Marcel Aymé wurde über die Jahre hinweg aufgrund seiner Feuilletonbeiträge als Stalinist ebenso bezeichnet wie als Faschist, er arbeitete mit linken wie mit rechten Autoren und bewahrte sich durch Krieg, Besatzung und republikanische Säuberung hinweg seine geistige Unabhängigkeit. Obgleich selbst bürgerlich und patriotisch, verzieh er dem nationalkonservativen Präsidenten de Gaulle nie, daß der seinen als Kollaborateur hingerichteten Freund und Schriftstellerkollegen Robert Brasillach nicht begnadigt hatte. Solchermaßen kaum in das herkömmliche politische Koordinatensystem passend, wenn auch eher rechts verortet, ließ er sich von keiner Seite vereinnahmen. Dies machte ihn ebenso zu einem Sonderling in der literarischen Szene von Paris wie eine Krankheit, die mit dem Alter zunehmend seine Gesichtsmuskulatur lähmte und ihm ein maskenhaft-aristokratisches Aussehen verlieh.
Wer sich von solchen ungeraden Lebensläufen anziehen läßt, sollte mehr als einen Blick in diesen Band werfen. Eine eigenartige Mischung aus Erzählung, Dialogen und Essay erwartet den Neugierigen. Vordergründig ist das Buch eine Auseinandersetzung mit der »modernen« Literatur seit Baudelaire, die Lepage, der Gesprächspartner des Ich-Erzählers, in langen Reden verhöhnt, wutvoll zerteilt und schließlich als künstlerisch, moralisch und vor allem sprachlich-ästhetisch erledigt abtut. Aymé wechselt dabei zwischen hemmungslos unsachlicher Polemik und analytisch-kühler Autopsie.
Dahinter steht als zweite Textebene die Positionierung eines erzreaktionären Großbürgers, der die Armen verachtet, weil sie häßlich sind, die Reichen, weil sie aus Überdruß nach Verworfenheit und Abenteuer dürsten, schließlich die Intellektuellen, weil sie jeder Mode hinterherlaufend ständig Abgründen entgegentanzen. Für die Kleinbürger aber, den Mittelstand, der seit der Mitte des 19. Jahrhunderts den sozialen Aufstieg suchte und – so Aymé – zum Motor der modernen Kunst wurde, weil er in einer Mischung aus Ignoranz (vor allem gegenüber der Schönheit) und Neuerungssucht »zeitgemäße« Formen für das eigene Lebensgefühl suchte, genügt die Verachtung nicht mehr. Diesen Bürgern, den wahren Bourgeois, gilt nur Empörung und Haß.
Hat man den gut lesbaren und teils äußerst amüsanten Band gelesen, kommt eine dritte Lesart in den Sinn: Ist diese Polemik überhaupt ernst gemeint? Der zwischen rationalem Anspruch und bewußt inkonsequenten Unsachlichkeiten, zwischen Sprach- und Stilebenen oszillierende Monolog findet immer wieder den Widerspruch des meist nur zuhörenden Protagonisten. So mag diese herrliche Abrechnung mit Literatur und Gesellschaft der Moderne auch ein letztlich verzweifelt selbstkritischer Spott über die eigene Hilflosigkeit angesichts der Herausforderungen unseres Zeitalters sein.
Was als traumhafte Erzählung beginnt, wird ohne Brüche zum sprachkritischen Essay, zum monologischen Pamphlet, schließlich wieder zur Erzählung. Ist das eine kulturkritische Abhandlung, politisches Feuilleton von rechts oder eine Satire? Die Antwort dürfte lauten: alles zugleich.
(Marcel Aymé: Der intellektuelle Komfort, hrsg. und übersetzt von Conrad Weiß. Wien: Karolinger 2013. 191 S., 19.90 € – hier bestellen)