Darüber hinausgehend, prangerte CDUMdB Wolfgang Börnsen einen antidemokratischen, „nationalistisch-islamistischen” Konsens in der Türkei an, als dessen extremistischen Auswuchs er die jüngsten Gewaltverbrechen gegen Christen einordnete: „Die Türkei hat sich abermals der in Europa geltenden Werte und Standards als nicht würdig erwiesen. Die Untat darf nicht allein als das Werk von nationalistisch-islamistisch fanatisierten jungen Männern gesehen werden, die fast noch Kinder sind. Staatliche Stellen, darunter die türkische Religionsbehörde und der Staatsminister für Religionsfragen, haben sich in der Vergangenheit an der Hetze gegen Andersgläubige beteiligt. Auch die ‚ganz normale‘ alltägliche Schikanierung von Christen in der Osttürkei ist bislang von offizieller Seite nicht unterbunden worden.”
Tatsächlich sollte die Antinomie zwischen türkischen Säkularisten (bislang repräsentiert durch Präsident und Nationalen Sicherheitsrat) und Islamisten (repräsentiert durch die Regierung Erdogan) nicht darüber hinwegtäuschen, daß gerade unter dem Vorzeichen eines spezifisch türkischen „Laizismus” die etwa 100.000 in der Türkei lebenden Christen scharfen Beeinträchtigungen ihrer freien Religionsausübung ausgesetzt werden. (Auf der anderen Seite wird in der Türkei ein – durch die Religionsbehörde Diyanet Isleri Baskanligi kontrollierter – türkischer „Staatsislam” unter Verwendung öffentlicher Gelder am Leben erhalten, und zwar nicht nur auf türkischem Staatsgebiet, sondern auch inmitten der EU – durch die Finanzierung selbst „fundamentalistischer” Imame etwa in Deutschland, die Beamte des türkischen Staates sind.)
Der Abgeordnete Börnsen sieht durch das Verbrechen von Malatya – in Verbindung mit vorausgegangenen Gewaltexzessen, etwa der Ermordung des türkisch-armenischen Journalisten und Menschenrechtsaktivisten Hrant Dink – das „kulturelle Selbstverständnis Europas und des christlichen Abendlandes (…) herausgefordert”. Ungeachtet der geopolitischen und historischen Brisanz gerade der innertürkischen Entwicklungen aus „europäischer” Sicht, ist es – jedenfalls soweit Europa an dem universalistischen Geltungsanspruch wesentlicher Bestandteile seines kulturellen Selbstverständnisses festhält – geboten, auch die Verfolgung von Christen (sowie die willkürliche Einschränkung von deren freier Religionsausübung) in anderen islamisch dominierten Ländern in den Blick zu nehmen. (Dies gilt in besonderem Maße für Staatswesen, von denen angenommen werden könnte, daß sie, als „Verbündete” von EU und NATO, einer kulturellen Öffnung zu „Europa” hin aufgeschlossen seien.)
Saudi-Arabien: Das als „pro-westlich” geltende Königreich erhebt weiterhin den Anspruch eines religiösen – und konfessionellen – Unitarismus (im Sinne des sunnitischen Islam wahhabitischer Prägung): Alle Bürger gehören der islamischen Umma an.
Schiiten und Anhänger der Ahmadiyya-„Sekte” werden als Heterodoxe verfolgt. Zwar erkennt Saudi-Arabien offiziell das Recht von (ausländischen) Nicht-Muslimen auf private, unter Abschirmung von der Öffentlichkeit zu feiernde Gottesdienste an, was die Behörden aber nicht an fortgesetzten Übergriffen auf Christen hindert. So mußten etwa 2006 vier ostafrikanische Christen, als sie sich zu einem Gottesdienst versammelt hatten, einen Monat in Haft verbringen, bevor sie ausgewiesen wurden.
Afghanistan: Ungeachtet seiner Befreiung von dem radikalislamistischen Taliban-Regime (November 2001), gehört auch die gegenwärtige Islamische Republik Afghanistan zu den traditionalistischen islamischen Ländern, deren Justiz die Abkehr muslimischer Bürger vom Islam als ein todeswürdiges Verbrechen verfolgt. So kam der zum Christentum übergetretene Ex-Muslim Abdul Rahman, der sich im März 2006 wegen Apostasie vor einem afghanischen Gericht verantworten mußte, erst frei, als seine islamistischen Richter – unter dem Eindruck weltweiter Proteste – sich dazu bereit fanden, ihn für unzurechnungsfähig zu erklären. Die systematische Mißachtung des Rechtes der Afghanen auf Religionsfreiheit ist keinesfalls das Resultat einer zunehmenden Schwächung der „pro-westlichen” Regierung durch Taliban-„Rebellen”. Vielmehr zeigte sich bereits wenige Wochen nach dem Sturz des Taliban-Regimes die Kontinuität eines regierungsoffiziellen Islamismus: Als der afghanische Oberrichter sich für die Ausgestaltung des Strafrechts gemäß der Scharia aussprach, konnte er sich dabei auf die Unterstützung des Vorsitzenden der afghanischen Interimsregierung (und späteren Staatspräsidenten) Hamid Karsai berufen.
Iran: Infolge der Islamischen Revolution der Ajatollahs im Jahr 1979 sind die iranischen Nicht-Muslime, die den anerkannten Religionsgemeinschaften der Juden, Christen und Zoroastrier angehören, in den Status von „Dhimmis” (Schutzbefohlenen) gezwungen worden. Zu ihnen gehören die im Iran beheimateten 300.000 Christen (zumeist Armenisch-Orthodoxe). Hingegen gelten die 350.000 Angehörigen der größten nicht-muslimischen Religionsgemeinschaft, die Bahai, als vogelfrei. Der Amtsantritt Präsident Mahmud Ahmadinedjads, eines islamistischen „Hardliners”, der eine „reine islamische Kultur” des Iran postuliert, hatte seit 2005 eine Welle willkürlicher staatlicher Übergriffe auf die freie Glaubensausübung der iranischen Christen zur Folge. Wie im benachbarten Afghanistan, so werden auch in der Islamischen Republik Iran Ex-Muslime, die etwa zum Christentum konvertiert sind, mit der Todesstrafe bedroht.
Irak: Einen Tag nach dem Beginn der militärischen Invasion des Irak, am 21. März 2003, behauptete der Welt-Autor Hannes Stein, erst das zwanzigste Jahrhundert habe – mit dem arabischen Nationalismus – den Irak durch Rassismus, Pogrome, ethno-religiöse Vertreibungen und Massaker heimgesucht. „Die Amerikaner”, so Stein, „werden den Irakern gestatten, im einundzwanzigsten Jahrhundert all diesen modernen Unfug beiseite zu räumen und wieder an die menschenfreundlichen Bräuche der Vormoderne anzuschließen. Als da wären: im Caféhaus sitzen, Nargila rauchen und den Nächsten leben lassen. Alhamdullilah!” Tatsächlich verlor seit den Militärangriffen vom März 2003 die Hälfte aller 1,2 Millionen irakischen Christen ihre Heimat (bis August 2006), worauf der chaldäisch-katholische Bischof Andreos Abuna hinwies. Abuna warnte: „Die Alarmglocke für das Christentum im Irak schrillt. Das Weggehen so vieler von unserer kleinen Gemeinschaft ist gefährlich für die Zukunft der Kirche im Irak.” Neben der Intoleranz, die im gegenwärtigen Irak den autochthonen christlichen Gemeinden entgegengebracht wird, manifestierten sich die „Bräuche der Vormoderne” im „befreiten” Irak auch in der Einführung der Scharia sowie in der (zeitweiligen) Beteiligung des radikalsten Flügels der pro-iranischen Schiiten an einer irakischen Regierung.
Kosovo-Metohija: Der Patriarch von Moskau und ganz Rußland, Alexej II., solidarisierte sich im April 2007 mit Serbien und warnte davor, die serbische Provinz Kosovo-Metohija unter albanisch-muslimischer Dominanz in die „Unabhängigkeit” zu entlassen: „Ich glaube nicht, daß die Albaner die serbische Minderheit und die Heiligtümer auf richtige Weise schützen würden”, erklärte er – was in Anbetracht der Vertreibung Hunderttausender von Serben und der Zerstörung von über einhundert serbischorthodoxen Kirchen und Klöstern seit 1999 keinesfalls als eine „panslawistische” Polemik abgetan werden kann. Auch in Kosovo-Metohija wird das kulturelle Selbstverständnis Europas zur Disposition gestellt.