Immer ein bisschen empfindsam, immer leicht kritisch, einmal vor 1989 ein ungewöhnlicher Ausrutscher „Ich möchte gerne in Dresden singen“, aber damit hatte es sich. Sonst kein Wort, und dabei war Mey 21 Jahre alt und wohnte in Berlin, als die Mauer am 13.8.1961 in einem Moment West und Ost Berlin trennte. Franz Josef Degenhardt? Ach ja, Väterchen Franz war ja immer so mutig, wenn es gegen Springer und Strauß ging. Bei ihm denke ich heute, daß er Geld vom Stasi-Staat bekam, und das nicht zu knapp. Anders kann man den Abstieg von dem poetischen und sprachgewaltigen Texten des Jahres 1963 zu dem albernen kommunistischen Propagandasänger ohne jeden künstlerischen Anspruch ab 68 nicht erklären; er sagte ja selbst : „Poesie ist nur Krampf – im Klassenkampf“. Moßmann? Der wohnte in Freiburg und bekam von der Welt außer dem AKW Wyhl nichts mit, aber da konnte man ja locker dagegen sein, schließlich lebte er ja auf der deutschen Seite und nicht auf der französischen, in der eine Sondereinheit der Polizei die AKW Gegner auf eine Art und Weise plattmachte, daß die süddeutschen AKW-Gegner fassungslos sagten: Das ist ja Krieg.….Udo Lindenberg? Aber der wollte ja mit Honey (Erich Honecker) ’nen Cognac im Sonderzug nach Pankow kippen und ärgerte sich, dass er sein Mädchen in Ostberlin verlassen musste, weil der Passierschein ablief.….Grönemeyer ? Maffay? Nichts, nothing, rien.
Fehlanzeige auf der ganzen Linie, wenn man einzelne Personen abzieht, die in privaten Auftritten deutliche Sätze sagten, wie der vor vielen Jahren verstorbene eher unbekannte Sänger Gerd Knesel. Das Folkfestival auf der Burg Waldeck ließ 68, im Jahr des Einmarsches auch der DDR Truppen in die CSSR, eine Agitprop-Truppe aus Ostberlin auftreten…wenn manche Nerother Jahrzehnte später mutmaßten, Waldeck sei von der Stasi gesteuert worden, dann gibt es zumindest Indizien dafür.
Und im Heimatland des sowohl poetischen als auch engagierten Liedes? Frankreich? Was interessieren sich Franzosen für das ferne Land jenseits des Rheins im Osten, da fangen frei nach Asterix ja schon die barbarischen Verhältnisse an. Einzige Ausnahme: Barbaras schönes Lied „Göttingen“, das sie sowohl in deutscher wie auch französischer Sprache 1964 produzierte.
Umso größer meine Überraschung, als ich im Sommer 2014 bei Recherchen über die französische Revolution und den darauf folgenden Bürgerkrieg in der Vendée auf einen mir bis dahin völlig unbekannten Rockmusiker stieß, der ganz andere Texte geschrieben hatte. Jean Pax Mefret, heute 72 Jahre alt, geboren in Algerien und 1962 von dort vertrieben, war bereits mit 20 Jahren unter einem Pseudonym im Musikgeschäft tätig und hatte sich neben schriftstellerischen Arbeiten über Algerien, die OAS, die Attentate auf de Gaulle, die Situation der „pied noirs“, wie die Algerienfranzosen abschätzig genannt wurden, vor allem hochpolitischen antikommunistischen Texten gewidmet. Er sang Huldigungen für Sacharow und Solschenyzin, er sang über Budapest 1956, er sang über den kommunistischen Genozid in Kambodscha 1975, er sang über die DDR und über den GULAG in Sibirien, und das Ganze nicht vorsichtig und ängstlich, sondern offen, kämpferisch, angreifend, wozu die solide Rockmusik, die er musikalisch unterlegte, auch ganz gut passte. Kein Gezupfe auf akustischen Gitarren, nein , kraftvoller Rocksound und eine beeindruckende vokale Präsenz.
2012 spielte er in gesetztem Alter, begleitet von einer ausgezeichneten Crew von Musikern, im Pariser „Olympia“. Souverän, sicher, engagiert, und kein bißchen leise. Was hat dieser Mann über die Mauer geschrieben?
„C´etait le soir de 9 novembre / dans le no man´s land in berlin / une fille regard de cendre / venait dans les maitres ‑chiens …“mit diesen Versen beginnt das Lied „Le soir de 9 Novembre“, in dem erzählt wird, wie ein junges Mädchen vor der Mauer auf und abläuft, an der ihr Bruder bei einem Fluchtversuch erschossen wurde, und im Verlauf des poetischen und kunstvollen Gedichtes wird die Szenerie der Öffnung der Mauer am Abend des 9. 11.89 eingeblendet „et cette prison gigantesque/ aux parois recouvertes des fresques/ c‘etait a cote de chez nous / ….“ – ein riesiges Gefängnis öffnet sich und in der letzten Zeile heißt es „le mur de la honte exploitait/ une fille au regard de cendre / souriait a la liberte / souriait a la liberte“.
Das Mädchen lächelt der Freiheit zu, und passend zum Text wandelt sich die getragene Tonart von Moll bei „Liberte“ in Dur.
Und das ist nicht das einzige Lied zum Thema, das dieser engagierte Musiker sang . In „ Veronica“ geht es auch um einen gescheiterten Fluchtversuch, der im Kugelhagel der Vopos endet. „aujourd‘hui il ne reste rien / Veronica/ un peu de terre/ une petite croix des bois“, es bleibt nur die Erinnerung und ein Kreuz auf der Erde.
Jean Pax Mefret war für mich eine Entdeckung; ich wusste nicht, dass es auch ein royalistisches Frankreich gibt (Jean Raspail lässt grüßen), daß es ein Frankreich gibt, das die Revolution von 1789 ablehnt, ich wußte nicht, was an es an Grausamkeiten von Seiten der Revolutionäre im Algerienkrieg gab (bisher hatte ich mich dahingehend informieren lassen, daß die französische Armee mit großer Grausamkeit in Algerien Krieg führte), ich wußte nicht, was das Wort „Chouan“ bedeutet: das waren die hoffnungslos unterlegenen Kämpfer der Vendee gegen die Revolutionstruppen, Jean Pax Mefret hat ein ganzes Konzeptalbum den Aufständen in der Vendee gewidmet. Ich wusste auch nichts von „Kolwezi“, einem Ort in Afrika, in dem französische Fallschirmjäger der Fremdenlegion mehrere tausend Weiße vor einem Massaker völlig enthemmter Bewohner des afrikanischen Erdteils gerettet hatten , kurz und gut: Durch diesen Musiker und die sich anschließenden Recherchen habe ich ein mir bis dato völlig unbekanntes Frankreich kennengelernt.
Katholisch, royalistisch, dem Militär zugeneigt, für deutsche Ohren manchmal zu patriotisch – aber dieser Mann ist ein Musiker und Texter von Format.
Was bleibt übrig? Die Erkenntnis, dass es ein französischer Sänger war, der sich mit der Mauer und dem kommunistischen Staat heftig und konkret ablehnend auseinandersetzte, während bei uns Schweigen im Walde herrschte. Je länger ich mich mit Frankreich befasse und eifriger Raspail ‑Leser geworden bin, desto mehr erfreuen mich die Entdeckungen auf dieser Spurensuche durch ein weitgehend unbekanntes Gelände.
Jean Pax Mefret vertreibt seine CDs und Bücher (leider ist keines ins deutsche übersetzt) über eine französische Internetseite: www.diffusia.fr
Bei youtube gibt es hörenswerte Live-Aufnahmen von ihm und Video-Clips mit eingeblendeten Texten, so dass man sein Schulfranzösisch wieder auffrischen kann. Es lohnt sich.
massel tov
udo lindenberg: "sonderzug nach pankow".
und das lange v o r dem mauerfall...
Kositza: Schreibt unser Gastautor doch: ein Söngchen ohne jede Ernsthaftigkeit; Honecker wird zum Kumpel "Honey" usw.