Jugendbewegung beging das 100. Jubiläum des Meißner-Treffens, ich hatte meine Kinder hingebracht und war mit der Kleinsten auf den Schultern das kurze Stück vom Hanstein zum Ludwigstein mitgewandert. Als ich den Berg hinuntertrabte (mir sind Erwachsene stets suspekt, die sich den jungen Bünden aufdrängen), kam mir Stein mit zweien seiner Kinder im Auto entgegen.
Er wollte bis zum Schluß an der Jubiläumsfeier teilnehmen und hat sich dabei – was auch sonst? – zum “Freibund” gesellt, den er aus den 90ern gut kennt. Nun ist leider in der JF von heute ein Beitrag aus der Feder eines Roland Wehl erschienen, der den “Freibund” seinen linken Gegnern zum Fraß vorwirft. Wie konnte es dazu kommen?
Roland Wehl ist ein früher Freund und Förderer der publizistischen Arbeit Dieter Steins. Seine Kinder nahmen über Jahre an den Lagern und Fahrten des “Freibunds” teil, Wehl selbst nahm an Weihnachtsfeiern in Berlin teil – und fiel dort durch Lautstärke und Überpräsenz auf. Manchmal sang man dann, was Wehl singen wollte, man akzeptierte, daß er in die Abendgestaltung der Gruppe eingriff. Wehl ignorierte das bündische Prinzip, daß Jugend von Jugend geführt würde. Folgte man ihm nicht, zog er beleidigt ab.
Mein persönlich eindrücklichstes Erlebnis mit Wehl hatte ich im Rahmen eines Berliner Kollegs des Instituts für Staatspolitik (IfS) in Kaulsdorf, es ging um Perspektiven konservativer Politik, und Dieter Stein war (neben General Schultze-Rhonhof und Karlheinz Weißmann) als Referent geladen, um über die Entwicklung seiner Zeitung zu berichten. Stein hob damals dann unvermittelt auf den Wahlerfolg der NPD in Sachsen ab, der mir herzlich egal war, und gab seiner Zerknirschung darüber Ausdruck, daß man diese Leute nicht heftig und deutlich genug bekämpft habe.
Ich formulierte eben meinen Standpunkt, daß eine maßstabssichere, konservativ-attraktive Arbeit produktiver sei als alle Distanzierungsbemühungen, da meldete sich aus dem Publikum Roland Wehl zu Wort und rief, er habe bisher vom IfS noch keine Auseinandersetzung mit dem und Distanzierung vom Holocaust vernommen. Wir waren vorn auf dem Podium alle ziemlich konsterniert, ich kenne niemanden, von dem ich annehmen müßte, er goutierte den Holocaust, und Karlheinz Weißmann fragte mich halblaut, ob ich diesen Wahnsinnigen kennte. Ich klärte ihn kurz auf, Wehl verließ die Veranstaltung, wir diskutierten zu Ende.
Nun also hat Wehl in der heutigen JF implizit dem kleinen, ordentlich geführten “Freibund” unterstellt, er habe mangelnde Distanz zur NS-Vergangenheit des jugendbewegten Gedankens an sich. Wehl führt das an einem Lied aus, an Hans Baumanns “Nur der Freiheit gehört unser Leben”, das 1935 entstanden ist.
Baumann war damals zwanzig Jahre alt und hat sich nach dem Krieg in seinen ohnehin sparsamen Äußerungen von den Verbrechen des Nationalsozialismus distanziert und sich selbst als Verführten beschrieben. Ich möchte über die Redlichkeit eines zwanzigjährigen, idealistischen, unter dem Eindruck der Wirtschaftskrise und der bolschewistischen Gefahr stehenden jungen Mannes kein weiteres Wort verlieren, ich möchte auch nicht über die literarische Qualität des Liedes sprechen, die ja immer leidet, wenn zuviel an Schwung und Wollen einfließt. Ich will nur ein bißchen Wehl zitieren:
Handelt es sich also um einen harmlosen, jugendbewegten Text? Der Eindruck täuscht. Hans Baumann hat das Lied 1935 verfaßt – im Auftrag der damaligen „Reichsjugendführung“ der HJ. Es handelt sich um eine „Auftragsarbeit“. An wessen Freiheit mag Hans Baumann wohl gedacht haben, als er den Text schrieb? Sicherlich nicht an die Freiheit derjenigen, die unter dem NS-Regime verfolgt wurden.
Erwarten diejenigen, die das Lied heute singen, von denen, deren Vorfahren unter dem NS-Regime gequält und ermordet wurden, daß sie das Lied mitsingen?
Warum veröffentlicht die JF so etwas? Hat das je einer gefordert, dieses Mitsingen der Opfer? Sind die Freibünder Täter, Täter-Enkel, ist dieses Lied ein Täter-Lied? Gibt es doch eine Kollektiv-Schuld? Braucht der “Freibund” einen Wehl, um ein Lied aus fünfhundert anderen Liedern auszusondern, um ganz sauber, ganz und gar blitzeblank geputzt zu werden, reif zu werden – wofür eigentlich?
Der “Freibund” hat durch jahrelangen Einsatz, durch viele Gespräche, eine “Freiburger Erklärung” und einen erneuten, schmerzhaften Aderlaß (vier Jahre ist das her!) mehr als nur gezeigt, daß man den Weg der Politisierung der Bündischen nicht geht und stattdessen die ganzheitliche, heimatverbundene, jugendbewegte Reifung der Mitglieder zum Ziel hat. Der “Freibund” war durch seine transparenten und ernsthaften Bemühungen mittlerweile auf der Burg Ludwigstein gelitten – ein Erfolg, den ich selbst um diesen Preis vermutlich nicht hätte erzielen wollen: Denn man hat im Laufe dieses Weges doch Fragestellungen und Vorwürfe von Leuten akzeptiert, die von einem ziemlich hohen und durch nichts gerechtfertigten Podest aus Inquisition betrieben.
Ab heute nun tagen auf dem Ludwigstein die Bünde und diskutieren das Konzept der “Offenen Burg”. Diese Tagung soll das generelle Verbot bündischer Teilhabe am Burgleben beenden. Dieses Verbot war auf Druck des Landes Hessen nach meinem und Dieter Steins Besuch im vergangenen Jahr ausgesprochen worden (ich habe hier darüber berichtet).
Wehl empfielt nun – zeitlich genau gezirkelt – der Burg Ludwigstein, beim Freibund doch etwas genauer hinzusehen und noch engere Bandagen anzulegen:
Ist der Vorwurf der anderen Bünde also gar nicht berechtigt? Oder ist das Kriterium des „Extremismus“ viel zu schwach? Müßte es andere Kriterien geben? … Die Leitung der Burg Ludwigstein sollte das Konzept der „offenen Burg“ noch einmal gründlich überdenken – und von den Bünden mehr fordern als bisher.
Der Ton, in dem er das fordert, ist der eines Antifa-Schreibers, die suggestiven Fragen sind die der moralischen Überlegenheit. Ich frage mich, warum derlei in der JF erscheinen kann – einer Zeitung, in der Redakteure und freie Mitarbeiter tätig sind, die Veranstaltungen des Freibunds besuchen oder ihre Kinder in Gruppenstunden, auf Fahrt und Lager dieses Bundes schicken – und die wie ich sicher sein können, daß es dort niemals um völkische Reinheit gehe (wie Wehl es in seinem dummen Artikel suggeriert).
Mich interessiert auch die Position Karlheinz Weißmanns zu Wehls Artikel: Weißmann hat des öfteren beim Freibund referiert und hat immense theoretische Kenntnisse über die Bündische Jugend und seine Nachkriegsableger angehäuft (siehe nicht zuletzt die Sezession-Ausgabe “Jugend”, von der noch ein paar Exemplare zu haben sind).
Durfte Wehl ein Mütchen kühlen? Das wäre katastrophal und fahrlässig. Soll sein Artikel eine Abbitte für den Umstand sein, daß Dieter Steins Anwesenheit auf dem Ludwigstein zu einem Politikum wurde? Das wäre schleimig. Schädlich ists auf alle Fälle.
Nils Wegner
Danke für die klaren Worte. Dieses elende Geseier unter dem normativen Titel »Kein Platz auf der Burg« zeugt insbesondere von einer selbstzugemessenen Wirkmacht, die mit der Realität schwer in Einklang zu bringen sein dürfte. Gottseidank, muß ich hinzufügen.
Andererseits ist auffällig, wie oft in der aktuellen Ausgabe Bezüge zur Jugendbewegung hergestellt werden, selbst bar jeglichen Kontextes (etwa als Bildunterschrift bei einem Foto von Mauerspechten). Cui bono?