die Auffassung zu hören, daß das eine rein persönliche Sache zwischen Kubitschek und Stein sei (mit den üblichen Kollateralschäden), die nichts mit irgendwelchen inhaltlichen Fragen zu tun hätte. Für die Junge Freiheit und insbesondere Dieter Stein war diese Einschätzung recht bequem: Unter dem Deckmantel persönlicher Animositäten konnte man unbemerkt einige Altlasten entsorgen. Daß das nicht offen geschah, hat handfeste Gründe: Man möchte den Weg in die Mitte gehen, ohne die alte Stammleserschaft zu verprellen.
Dieser Weg wurde ganz sachte beschritten und nur ganz selten fiel man aus der Rolle jener Wochenzeitung, die sich “für Debatten” zuständig fühlt – etwa mit dem Antifa-Artikel gegen den zwischentag oder der merkwürdigen Berichterstattung über die Hooligans gegen Salafisten. Ein weiteres Beispiel ist der Artikel von Roland Wehl über den Freibund, der in der jüngsten Ausgabe erschienen ist. Hier wird doch recht deutlich, daß man mit einigen Grundüberzeugungen der letzten 25 Jahre gebrochen hat.
Wehl schreibt beispielsweise vom „Völkermord, der von Deutschen im Namen des deutschen Volkes verübt wurde“. Mit dieser undifferenzierten Aussage kommt die Kollektivschuld wieder ins Boot, allen Bemühungen eines Konrad Löw, Karlheinz Weißmann oder Stefan Scheil zum Trotz. Weiter zitiert Wehl Brecht mit der „berühmten Frage“: „Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt?“ Wenn das gilt, dann ist es auch richtig, daß Mitten in Berlin ein entsprechendes Schandmal steht und man den Namen der deutschen Nation im Zweifelsfall nicht in den Mund nehmen darf, ohne das Büßergewand zu tragen.
Wehl macht weiter mit absurden Suggestivfragen zu Hans Baumanns Lied „Nur der Freiheit gehört unser Leben“: „An wessen Freiheit mag Hans Baumann wohl gedacht haben, als er den Text schrieb? Sicherlich nicht an die Freiheit derjenigen, die unter dem NS-Regime verfolgt wurden. Erwarten diejenigen, die das Lied heute singen, von denen, deren Vorfahren gequält und ermordet wurden, daß sie das Lied mitsingen?“ Wehl spielt darauf an, daß das Lied aus den frühen dreißiger Jahren stammt (erste Veröffentlichung 1935). Nochmal zur Erinnerung: Baumann war damals 21 Jahre alt (und wir wissen von Wehl, daß er in jungen Jahren auch so manches Mal gefehlt hat, wenn man seine heutigen Auffassungen zum Maßstab nimmt).
Was die Konsequenz aus dieser Art Fragen? Ist Gottfried Benn kein großer Dichter, weil er am Anfang begeistert mitgemacht hat? Darf man Hans-Olaf Henkel nicht mehr die Hand geben, weil er mal für die Einführung des Euro war? Sollen wir Tiere quälen, weil das Tierschutzgesetz im Dritten Reich erlassen wurde? Sollen wir jetzt vor jedem Amerikaner ausspucken, weil seine Vorfahren unsere Städte zerbombt haben? Die Fragen klingen absurd und sie sind es auch. Aber zu solchen Absurditäten führt eine Konsequenzmacherei wie die von Wehl. Nebenbei werden der lange Zeit bekämpfte Schuldkult und Schuldstolz der Deutschen wieder in Boot geholt und das manichäische Weltbild von gut und böse, das die Junge Freiheit oft dem politischen Gegner attestiert hat, feiert hier fröhliche Urständ.
Es ist daher nicht klar, wie sich die Junge Freiheit in Zukunft positionieren will, wenn die Nachgeborenen den Alten in „demokratischem Dummstolz“ (H. Lübbe) ihre jugendlichen Verfehlungen vorhalten. Und es ist auch unklar, mit welcher Begründung man gegen die Umbenennung von Agnes-Miegel-Straßen kämpfen will. Vielleicht wird man das auch gar nicht mehr tun, wenn man sich an dem Antifa-Jargon des Schlußsatzes von Wehl orientiert: „Die Leitung der Burg Ludwigstein sollte das Konzept der ‚offenen Burg‘ noch einmal gründlich überdenken – und von den Bünden mehr fordern als bisher.“ Damit kann man auch die Umbenennung von Gerhart-Hauptmann-Straßen fordern.
Klar dürfte sein, daß es sich bei dem Beitrag um keine Einzelmeinung handelt. In der Jungen Freiheit erscheint kein Beitrag ohne die Zustimmung des Chefredakteurs. Wehl ist nur der nützliche Trottel, der seinen Namen hergibt, damit Stein die Notbremse ziehen und einen „Gegenbeitrag“ ins Blatt heben kann, um die Gemüter zu beruhigen (falls sich die Sache wider Erwarten zu einem Eigentor auswächst).
Daß der Artikel grundsätzlich auf Steins Linie liegt, wird durch einen Beitrag deutlich, auf den Stein so stolz ist, daß er ihn zum Anlaß genommen hat, einen Sammelband aus seinen Kolumnen danach zu benennen: „Für eine neue Nation“. Auch da wird die eigene Absicht durch ein salbungsvolles Vorwort verschleiert: „Ich will nicht glauben, daß sich die deutsche Geschichte erschöpft hat.“, um sich dann von der Deutschen Burschenschaft zu distanzieren – einer Organisation also, die sowieso in der Ecke steht. Stein hielt ihr öffentlich vor, sie sei selbst an ihrer Ausgrenzung schuld, weil sie den Widerstand gegen Hitler nicht religiös verehre und an einem „engherzigen volkstumsbezogenen Vaterlandbegriff festhält“.
Früher hat die Junge Freiheit die herrschende Meinung angegriffen, heute knöpft sie sich die Ausgegrenzten vor: die DB, die Neue Rechte und jetzt den “Freibund”. Dabei geht es Stein nicht um eine offene Debatte, sondern um die apodiktische Feststellung, daß all das auf den Müllhaufen der Geschichte gehöre. Diese Auffassung darf man haben. Man sollte sich dann aber nicht mit dem Mäntelchen der verfolgten Unschuld behängen und bei Förderern um Spenden betteln, weil doch dort, wo alle einer Meinung seien, fast immer gelogen würde.
Irgendwelche persönlichen Animositäten spielen also – das haben wir immer betont – dort keine Rolle, wo sich die JF absetzt. Wir sind gespannt, wo das endet.
Martin
Es gibt diesen uralten Satz, der immer wieder George Orwell zugeschrieben wird, obwohl es für dessen Urheberschaft wohl keinen Beleg gibt, und der besagt:
"Journalismus ist, etwas zu veröffentlichen, was andere nicht wollen, dass es veröffentlicht wird, alles andere ist Propaganda"
Was davon die "Wochenzeitung für Debatte" macht, soll jeder selber für sich entscheiden.