ihn in einen shitstorm hineinzuziehen, hat sich Michael Klonovsky mit einem neuen Aphorismenband zurückgemeldet.
Wer bereits den Vorgänger „Jede Seite ist die falsche“ gelesen und genossen hat, wird auch diesmal nicht von der schneidenden Schärfe seiner Bonmots enttäuscht werden. Wer den Autor bislang komplett ignoriert hat oder lediglich seine provokanten Einlassungen im Focus kannte, der ist mit der Lektüre des aktuellen, im Wiener Karolinger-Verlag erschienenen Bändchens als Einstieg gut beraten.
Denn den Einband ziert nicht umsonst Eris, die griechische Vergöttlichung der Zwietracht. In den sechs Jahren, die seit dem Erscheinen von „Jede Seite ist die falsche“ ins Land gegangen sind (und ihm persönlich zahlreiche Anfeindungen und Gängelungen gebracht haben), ist Michael Klonovsky in seiner Sicht auf die Mit-Welt umso unnachgiebiger und härter geworden. Daß der Neuling den Untertitel des bei Lichtschlag erschienenen ersten Aphorismenbands als Haupttitel führt, mag zu denken geben: Es ist nicht mehr die Zeit für Selbsterklärungen und gutmütige Leseanweisungen. Jeder der im Buch versammelten Sinnsprüche steht für sich allein, und anstelle kluger Parolen, die knackige Tweets oder Facebook-Statusmeldungen abgeben, finden sich vielmehr die Grenzmarken eines geistig-kulturellen Niemandslandes, das Todesstreifen und Eremitage zugleich zu sein vermag. An seiner bewußten Abseitshaltung, seiner expressiven Loslösung und seinem Mangel an Versöhnung läßt der poeta doctus Klonovsky weniger Zweifel denn je, was seinen Gegenwartsdiagnosen denn auch die passende Zuspitzung verleiht:
Der gymnasiale Stundenplan im Traum des Progressiven: Landessprache (jeweilige); Freie Orthographie; Geschlechtergerechte Mathematik; Gender- und Transsexualitätskunde; Soziale Gerechtigkeitslehre; Emanzipationsgeschichte; Deutsche Verbrechenskunde (früher: Geschichte); Erderwärmungslehre; Demokratische Rhetorik; Dritte-Welt-Kunde; Antidiskriminierung (früher: Ethik); Multikulturelles Basteln (früher: Kunst).
Thematisch lassen sich vier große Stoßrichtungen der versammelten „Sprüche und Pfeile“ (Nietzsche) ausmachen: Der Niedergang der Ehrfurcht vor göttlicher Transzendenz, die Erosion des partnerschaftlichen Verhältnisses zwischen Mann und Frau zugunsten einer Konkurrenz zwischen den Geschlechtern, die Eliminierung jeder Autorität und Bindung als Grundlage aller Umgangsformen – und zuletzt die Beschreibung des schleichenden Niedergangs europäischer Zivilisation in allen seinen Facetten. Darin suchen der Eiferer und der massenmobilisierte Hampelmann vergeblich nach Larmoyanz oder Ansätzen eines Wutbürgertums; Klonovsky erschreibt sich vielmehr die Aura des distinguiert-distanzierten Beobachters, der lediglich ab und an sein Mißfallen in wenige, panzerbrechende Sätze zu kleiden versucht. Diese reichen in ihrem Tonfall von Galgenhumor bis hin zu handfestem Ekel.
Der Satz: „Ich bin stolz, Deutscher zu sein“, gilt als unsinnig, weil sich ein Mensch auf fremde Verdienste nichts einbilden dürfe. Wie aber verhält es sich mit denen, die sich als Deutsche wegen vergangener fremder Untaten zu schämen vorgeben?
Gerade dem umfassender belesenen Konsumenten werden viele gedankliche Ansätze des Autoren bekannt vorkommen. Manche angesprochenen Entartungen der Postmoderne hat schon ein Noam Chomsky in vernichtende Sätze gefaßt, andere etwa ein Albert Camus. Nichtsdestoweniger bleibt Klonovsky ungleich anschlußfähiger, als Deutscher, vor allem aber auch als ehemaliger DDR-Bürger! Seine persönlichen Erfahrungen mit dem länger andauernden der beiden Totalitarismen auf deutschem Boden des 20. Jahrhunderts finden immer wieder ihren Niederschlag in den Charakterisierungen der heutigen Zeit und ihrer Implikationen für die Zukunft. Das ist beinahe nie angenehm oder wenigstens amüsant zu lesen, doch regt es allemal zum Nachdenken an.
„Wir waren Nazis“, sagte eine alte Frau zu mir, „weil Hitler uns Arbeit gegeben hat.“ – Das sei heute noch so, erklärte ich ihr, nur seien die Leute inzwischen Antinazis.
Der Dávila-Exeget Michael Klonovsky hat sich mehr denn je das Dasein als unverbesserlicher „Reaktionär“ auf den Leib gezogen, weswegen er bei Karolinger deutlich passiger erscheint als bei Lichtschlag. Dies allerdings in einem durchweg zurückhaltenden Gestus, der sich nicht gemeinmachen will mit der marktschreierischen Betroffen- und Empörtheit öffentlichkeitswirksamer Marionetten; wer einen seiner seltenen TV-Auftritte erlebt hat, wird diese Eigenart zu schätzen wissen. In einer gewissen Art und Weise ist auch das eine „ethizistische Ich-Verpanzerung“ (Wilamowitz-Moellendorff) gegenüber den Zumutungen des Alltags und der massenindividualistischen Umgebung. Insoweit lassen sich auch etliche gedankliche Querverbindungen etwa zu Botho Strauß’ Meditation über den „Plurimi-Faktor“ herstellen; die Parallelen im Denken dieser beiden Klugen, denen ein weiteres Mitmischen im bunten Potpourri der Unaufrichtigkeiten zu einem bestimmten Zeitpunkt auf allen Ebenen unerträglich wurde, überrascht letztlich keineswegs. Da spielt es denn auch keine Rolle, daß einige der zeitloseren Sinnsprüche bereits im literarischen Vorgänger erschienen sind und infolge ihrer Persistenz hier wiederum eingebettet worden sind. Wer ebenso das weitere Dahintreiben satt hat, wird sich an diesem Buch nicht selbst aus der Jauchegrube unserer Gesellschaft ziehen können. Einige Atempausen verschafft es gleichwohl, und ebenso den geistigen Stimulus für ein eigenmächtiges Umlegen des Ruders: Zwietracht ist not! Harmonie um jeden Preis ist nicht not.
Wenn man ein paar Seiten Habermas über Nacht in Zuckerwasser legt, erhält man am Morgen eine Käßmannsche Predigt.
Michael K.
Wo ist Klonovsky im TV aufgetreten? Würde das sehr gerne sehen.
Wegner:
Es gab vor drei Jahren eine Folge des SWR-"Nachtcafés", in der Klonovsky unter anderem mit Bascha Mika von der taz über Geschlechterrollen und Auswüchse der Emanzipationsbewegung diskutierte. Leider ist diese Sendung zumindest im offiziellen Onlinearchiv des Senders nicht (mehr?) auffindbar.
Dort zeigte sich allerdings deutlich, daß ein zurückhaltend-nachdenklicher Charakter wie Klonovsky vom affektierten Gehabe "talk"gewohnter Meinungsbildner schnell überrollt wird. Zumeist beschränkte er sich darauf, angesichts des Gesprächsverlaufs nur ironisch die Lippen zu schürzen.