Kategorien helfen beim Denken und Strukturieren: Links ist rot, und rot ist der Osten – wenigstens am Tagesbeginn. Der Osten ist sozialistisch. Dieser Tag ist nun aber schon alt – seit vielen Jahren. Die Dämmerung fällt, die Konturen verschwimmen im Zwielicht: So läßt sich das Resultat der ersten großen Konferenz des Monatsmagazins eigentümlich frei (ef) zusammenfassen, die unter dem Konterfei eines sonnenbebrillten, somit verborgenen Wladimir Putin die Ausgangsfrage gestellt hatte: „Wer bedroht unsere Freiheit mehr – Ost oder West?“
Drei Novembertage lang debattierten neunzig Teilnehmer und sechzehn Referenten in einem Grandhotel an der Ostsee zum Thema „Was tun mit Rußland?“ Ef, 1998 gegründet und herausgegeben von André Lichtschlag, versteht sich als libertäre, heißt: marktradikale Stimme. Klassische Liberale und Anarchokapitalisten finden hier ihr intellektuelles und nonkonformes Forum. Lichtschlags Selbstverständnis: „Erst mit seinem Eigentum kann jeder tun und lassen, was er für richtig hält, ganz eigentümlich und freisinnig. Der Massenmensch kollektivistisch-totalitärer Ideologien dagegen ist eine Nummer, austauschbar und gewöhnlich. Er muss andere um Erlaubnis bitten. Und er wird dabei zwangsläufig feige und verlogen.“ Man sieht sich auf Seiten „der libertären Gegenwehr, gegen die zunehmende neosozialistische Enteignung.“
“Westler sind bedrohlicher!”, hätte der Oberflächengutachter die Ausgangsfrage der Konferenz beantworten können. Doch mitnichten. Der Austragungsort Usedom, viele hundert Kilometer von der rheinischen Basis des Magazins entfernt, durfte als Omen gelten: Es zündete ordentlich. Neben kulturellen Einlagen (etwa der orthodoxe Konvertit und Verleger Gregor Fernbach über die „Neumärtyrer“ Alexander Schmorell und Zar Nikolaus II.; formal kontrapunktisch dazu eine putinkritikerkritische Einlage der Kultfigur Dr. Alfons Proebstl) gab es ordentlich Feuer von beiden Seiten.
Als dezidierte Anti-Ostler standen der Publizist und Fernsehproduzent Günther Ederer (aktuelle Publikation: Träum weiter Deutschland! Politisch korrekt gegen die Wand) und der libertäre Blogger Igor Ryfkin als deutliche Minderheit gegen die Westbindungsskeptiker. Beide hatten an der Ostsee mit ordentlich Gegenwind zu kämpfen: Ryfkin mit seiner polemischen Kritik an Alexander Dugin, die zugleich die Konservative Revolution als Wegbereiter des NS, Alain de Benoist als Rechtsextremisten und Carl Schmitt als in der Wolle gefärbten Antisemiten auffaßte, und Ederer, der erstens die Rolle westlicher Geheimdienste bei diversen osteuropäischen „Revolutionen“ unwirsch vom Tisch wischte und zweitens einen generalisierten homo sowjeticus ausmachte, der nicht an Freiheit, sondern an Gewalt interessiert sei.
Dem stand die Aussage Thomas Fasbenders gegenüber, der seit über zwanzig Jahren in Moskau lebt: „Ich fühle mich dort freier.“ Ein Glanzlicht neben dem Vortrag von Christoph Braunschweig (Eine kritische Bilanz zur Ökonomie Rußlands) stellte der Vortagsblock mit Robert Grözinger (Die Rolle der Medien und des Internets im neuen Ost-West-Konflikt), Bruno Bandulet (Die geopolitischen Ambitionen und Herausforderungen Rußlands) und Erich Weede (Ein schwaches Rußland ist nicht im deutschen Interesse) dar.
Ob Fetzen geordnet fliegen können? Können sie, hier wurde es unter Moderation des subtil-klugen ef-Urgesteins Carlos Gebauer vorexerziert. Grözinger hatte in seinem Beitrag die Rolle des dezentralen Internets als „Hauptkampfplatz“ des Ukrainekonflikts dargestellt. Vor Jahren sagten Medienkenner, Pressefreiheit sei die Freiheit etwa 200 reicher Leute, ihre Meinung zu verbreiten. Peter Scholl-Latour korrigierte bereits, die Zahl habe sich auf vier oder fünf reduziert. Nun der Bruch: Grözinger parallelisierte – keineswegs blindlings optimistisch – die durch den Buchdruck ermöglichte Reformation mit der „Internetreformation“ ein halbes Jahrtausend später.
Banduelt und Weede feilschten an Details, was die Rolle Deutschlands, „eingeklemmt zwischen Jakobinern im Westen und Bolschewisten im Osten“ (Gebauer) betrifft. Daß es „Vasallenbande“ seien, die ein nicht-souveränes Deutschland an die USA knüpften und daß sich Deutschland unter der „Schuldknechtschaft fremder Schulden“ befinde, war Konsens. Ebenso, daß „der Westen Rußland in Chinas Arme prügelt“ (Weede). Bandulet fordert vehementer als Weede eine Emanzipation von der USA. Bei Ederer blieb da nur Kopfschütteln, gar über Stunden. Auch dies: eine Bewegung!
Tom Prox
Fest steht jedenfalls, dass wir unser Land nicht einseitig auf die Seite Rußlands stellen können. Das wäre der ökonomische Gau für Deutschland, wenn man alleine die vielen Autoexporte ( Porsche, Audi, BMW ) in die USA betrachtet. Es gibt für uns aus rein ökonomischen Gründen kein "entweder USA oder Rußland ".
Viel wäre für unsere Souveränität schon geholfen, wenn man die tausende US-Spione im Land rausschmeißen würde und die ca 70 000 noch verbliebenen GIs mitsamt ihrer atomaren Bewaffnung dazu . Ich vermute, dass es geheime Verträge gibt, in denen uns die USA gezwungen haben bis auf unabsehbare Zeit den europäischen Festland-Flugzeugträger für die Amis zu spielen.
Deutschland hat nunmal eine unschätzbar wichtige, geographisch - strategische Position in Europa. Und welcher imperiale Staat gibt sowas
freiwillig auf ?
Deutschland ist eine starke europäische Mittelmacht, die zu Rußland und den USA gute Beziehungen pflegen sollte . Diese Stärke beruht im wesentlichen nur auf unserer hochentwickelten Ökonomie und der Wucht des wettbewerbsfähigen Exports. Der demokratisch überhöhte, typisch deutsche Idealismus, den Merkel gegenüber Rußland dummerweise ausgiebig pflegt, sollte auf Normalmaß geschrumpft werden.
Was gegenüber China ( s. Tibet ) toleriert wird und geht , müßte doch bei Rußland auch funktionieren.