Sezession: Euer Buch heißt Soldatentum und begibt sich auf die Suche nach »Identität und Berufung der Bundeswehr« heute. Der Titel klingt ungewohnt und läßt Raum für Assoziationen. Was ist damit gemeint, was ist die Idee des Soldatentums?
Böcker: Auf der einen Seite stehen die zeit- und ortlosen Tugenden des Soldaten, also Kameradschaft, Tapferkeit, Treue, mitdenkender Gehorsam, Manneszucht. Aber das gilt für jeden Kämpfer zu jeder Zeit in jedem Land und auch in jedem System. Soldatentum in unserem Sinne braucht auch die Rückbindung an eine Idee des Guten, die zu benennen in Deutschland durch mindestens zwei Umstände erschwert wird: Die pluralistische Gesellschaft bietet keine allgemeingültige Idee des Guten; die tatsächlichen Gründe für die militärische Gewaltausübung werden verschleiert.
Springer: Der Begriff »Soldatentum« umfaßt alles, was am Soldaten Prinzip ist, was ihn unverzichtbar ausmacht. Er klingt heute dort ungewohnt, wo es keine Klarheit mehr darüber gibt, was dieses Unverzichtbare ist. Wir haben – nicht abschließend, aber weitgreifend – dargelegt, wie die Bundeswehr heute in ihrem Selbst‑, Fremd- und Feindbild vom Verlust unverzichtbarer Elemente des Soldatischen bedroht ist und wie diesem Prozeß entschlossener Widerstand geleistet werden muß. Die schwerwiegenden Mängel in der geistigen wie materiellen Substanz der Bundeswehr sind nicht länger zu ignorieren. Was wir mit dem Begriff Soldatentum kritisieren, das ist die Aushöhlung der Begriffe, die Weichzeichnung aller militärischen Maßstäbe hinter einer Nebelwand der Wohlfühlkonzepte.
Sezession: Woher nehmen drei Oberleutnante das Recht, über die Idee des Soldatentums zu philosophieren und dabei der eigenen Führung Halbherzigkeit und »mangelnde Courage« vorzuwerfen? Wo bleibt da der Gehorsam?
Kempf: Die Frage zu stellen, »wer bin ich?« und noch wichtiger: »wofür bin ich da?«, ist Aufgabe jedes Soldaten, egal welcher Dienstgradgruppe. Darauf gibt unsere Führung keine klare Antwort oder richtiger: ihre Deutungsangebote verlieren sich in oft schillernden, unbrauchbaren Fabulierungen. Auch die Konzeption der Inneren Führung bietet mit ihren Abstrakta nur wenig Abhilfe. Um die Idee des Soldatseins muß demnach neu und entschieden gerungen werden – und zwar zur inneren Stärkung der Streitkräfte. Damit ehrlich und kritisch, aber konstruktiv und deswegen auf keinen Fall illoyal zu beginnen, ist das Angebot unseres Buches.
Böcker: Mit Blick auf General Wiekers Leitgedanken zur Neuausrichtung, die Zentrale Dienstvorschrift 10/1, den Geist der preußischen Reformer und die Haltung der Offiziere des 20. Juli sind wir sehr gehorsam.
Springer: Jeder Soldat hat das Recht und jeder Offizier die Pflicht, am Aufbau starker deutscher Streitkräfte nicht nur durch die Verrichtung des täglichen Dienstes, sondern auch durch gedankliche Anstrengung mitzuwirken. Denn jede Armee bedarf geistiger Führung. Wenn sich die strategische Führung der Bundeswehr dieser Aufgabe weiter verweigert – dann ist eher das Ungehorsam.
Sezession: Bei der Buchvorstellung waren mit Oberst Kirsch und dem Wehrbeauftragten Königshaus zwei Interessenvertreter der Soldaten anwesend, deren eigentliche Aufgabe es wäre, diese Debatte anzuschieben. Beide sehen im »Staatsbürger in Uniform« und der »Inneren Führung« das Maß aller Dinge, eine Haltung die ihr ausdrücklich kritisiert. Wie geht das zusammen? Enden eure Überlegungen da nicht zwangsläufig bei Sonntagsreden, die keinem wehtun?
Böcker: Ich schätze Herrn Königshaus, und ich schätze vor allem Oberst Kirsch, weil er regelmäßig der einzige ist, der öffentlich wahrnehmbare Worte im Sinne der Soldaten findet. Und der kategorischer Ausschluß des Establishments durch uns Andersdenkende wäre hier unzweckmäßig gewesen, weil wir die Wahrnehmungsschwelle überschreiten wollen. Zur »Inneren Führung«: Wir befürworten ja ihre Grundidee, nämlich daß Persönlichkeitsrechte, sittliche Freiheit und Bildung mit stolzem, mitdenkendem Gehorsam in Einklang gebracht werden müssen. Aber wir kritisieren die »Unternehmensphilosophie« – was für ein schreckliches Wort für den Geist einer Armee! –, die hinsichtlich ihrer Hauptziele – Legitimation, Integration und Motivation – völlig versagt hat.
Sezession: Ein entscheidender Punkt des Buches scheint mir das Verhältnis von Krieg und Frieden zu sein. Ihr beklagt die Pazifizierung der Gesellschaft und wünscht euch mehr Verständnis für das Militärische. Eigentlich müßte diese gesellschaftliche Ablehnung doch den inneren Zusammenhalt und den Glauben, einer ganz besonderen Berufung zu folgen, stärken?
Kempf: Die Diagnose, daß die deutsche Nachkriegsgesellschaft in einem pazifistischen Paradigma begründet wurde und sich seither zum Gegenbild alles Militärischen entwickelte, dient zunächst einmal als realistische Lagebeurteilung. Normativ: Diese gesellschaftspolitische Rahmenbedingung zu ignorieren, war und ist einer der größten Fehler der militärischen und politischen Führung der Bundeswehr! Es geht ob dieser Makroanalyse jedoch nicht darum, nun in Weinerlichkeit zu verfallen, sondern die »inner-gesellschaftliche Anfeindung« als konkrete Lage anzunehmen und auszuhalten. Dazu gehört, das Handwerk des Kriegers wieder in den Vordergrund zu stellen und zu erklären: der höchste Zweck soldatischen Handelns ist die Bereitstellung von Ordnung durch gewaltfähige Herrschaftsausübung über Menschen, kein hypertrophes Ideal wie Frieden.
Böcker: Ich erwarte kein »Verständnis«, sondern Einsicht in die Besonderheiten des Militärs und Anerkennung der soldatischen Leistung – »Anerkennung« heißt hier nicht Lob, sondern Akzeptanz und Achtung. Wer einzig und allein selbstloses und von äußerer Ablehnung unbeirrtes Dienen fordert, verkennt das Wesen des Menschen und verlangt zu viel vom Soldaten.
Sezession: Stecken hinter der von euch beschriebenen Situation des Soldatentums in Deutschland nicht ganz andere Probleme, ohne deren Lösung sich im Militärischen gar nichts ändern läßt? Muß man nicht, wenn man Traditionsbewußtsein, eine nationale Sicherheitsstrategie und die Rückbesinnung auf soldatische Tugenden fordert, darauf hinweisen, daß Schuldkult, mangelnde Souveränität und Feminisierung unsere deutsche Gegenwart kennzeichnen?
Springer: Das Kapitel »Selbstbild« befaßt sich damit ja ganz intensiv, beispielsweise mit der Notwendigkeit, ein neues, identitätsstiftendes Verhältnis zur deutschen Militärgeschichte zu finden. Natürlich ist die Entwicklung der Bundeswehr auch ein Symptom deutscher Gegenwart. Genau hier aber ist es Auftrag der Armeeführung, sich nicht halbwahren Diagnosen zu unterwerfen, sondern sich selbst als Akteur im eigenen Bereich zu begreifen. Das muß heißen: Unseren Soldaten ein starkes, unverkrampftes, freies Woher, Wohin und Wofür zu bieten und daraus ein Bild des deutschen Waffenträgers der Gegenwart zu gewinnen, das sich jenen allgemeinen Tendenzen der Erschlaffung entgegensetzen läßt. Daß die Lage angeblich schlecht ist, hat der Generalität schon zu lange als Ausrede gedient.
Kempf: Der »Schuldkult« ist durchaus Thema des Buches, wird aber versachlicht und als »einseitige Erinnerung« problematisiert. Auch steht in einem anderen Beitrag die Ideologisierung von Menschenrechten und deren falsche Instrumentalisierung im Fokus. Die Versachlichung ist dem Niveau, der Stoßrichtung und dem Ernst des Buches angemessen, das nicht auf politische Schlagworte reduzieren will. Dennoch macht es mutig Schluß mit der geistigen Weichspülung einer Armee, deren Wert sich vor allem aus ihrer Schlagkraft ergibt.
Sezession: Gut, euch geht es um das Militärische. Der Soldat soll kämpfen und siegen. Nach Meinung von Experten werden die europäischen Armeen durch die Integration von Frauen den kompetitiven Vorteil einbüßen, den sie bislang hatten. Soweit ich sehe, taucht dieses ganz konkrete Problem in eurem Buch nicht auf. Warum?
Springer: Wir wollen die Dinge sehr grundsätzlich angehen, und die Probleme rund um Frauen in den Streitkräften sind zuerst praktischer, nicht grundsätzlicher Natur. Darüber hinaus sind sie mehr Symptom als Ursache. Den dahinter stehenden, grundsätzlichen Mängeln widmet sich der ganze Sammelband: weltanschauliche Scheuklappen, die den militärischen Führungs- und Entscheidungsprozess unterbrechen, ein beamtenhaftes Selbstbild der Führung, Schlaffheit im Denken, kurz: mangelnde Ernstfalltauglichkeit. Längst ist die Lage der Frauen in den Streitkräften übrigens so, daß weder ihre dogmatische, pauschale Ablehnung noch ein Festhalten am Status quo wirklichkeitstaugliche Lösungsoptionen darstellen.