Wir haben sechs eingestellte Radiosender und wechseln so durch: Es vergehen keine zehn Minuten, wo nicht auf einem der sechs Sender PEGIDA das Thema ist.
Eine Fleißarbeit wär´s, die (durchweg einstimmigen) Wortmeldungen zu Pegida zusammenstellen. Nur dies: Im Deutschlandfunk melden sie in den Nachrichten, nun warne SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi eindringlich vor Pegida. Hier seien „geistige Barndstifter“ am Werk, die den Boden bereiteten für wahnsinnige Gewalttäter. dann folgen unmittelbar drei Wortmeldungen – die ich im Wortlaut online nicht mehr auffinde: In Oberbayern wurde zwei schwarze Frauen angepöbelt. In Niedersachsen ist ein Asylbewerber von mutmaßlichen Rechtsextremisten bedroht worden. In Hessen wurde ein Nigerianer in der U‑Bahn geschlagen.
Das sind so recht Nachrichten also, bei denen Lieschen Müller ganz wach wird und blitzgescheit aufmerkt: Mensch! Die Radioleute merken nicht, daß die PEGIDA-Leute die tätigen Brandstifter sind! I c h, die Liese, hab´s rausgefunden! In Dresden predigen sie den puren Haß auf alle, die anders aussehen, und im ganzen Land werden sie übergriffig! „Es geht wieder los!“ (Natürlich zündet diese billige Propaganda im Stil der Aktuellen Kamera bei tausenden Radiohörern nicht. Langt ja, wenn sie bei ein paar Hunterdtausenden sich festsetzt.)
Wir kommen beizeiten in Dresden an. Es ist noch lange Zeit bis zum Weihnachtssingen auf dem Theaterplatz. Wir streunen ein bißchen herum. Fast überall, wo Gesprächesfetzen zu einem dringen, hört man“…Pegida….“. Eine Frau, Typ Gymnasiallehrerin, klärt in der Teestube mit großen Engagament ihre Freundinnen auf, sie wird immer lauter, obwohl ihr niemand widerspricht: „… und, Leute, das müßt ihr sehen! Das ist e x a k t wie 1930! [sic] Erst haben sie die Juden geholt. Da ham sich alle zurückgelehnt, weil sie waren ja keine Juden. Und dann haben sie die Kommunisten in ihre KZ gebracht. Und alle ham mit den Schultern gezuckt, weil sie waren ja keine Kommunisten. Und dann gings an die Homosexuellen. Und den Leuten wars egal, weil…“
Irgendwann kriegt die Lehrerin die Kurve zur Pegida. Jetzt der Islam, dann die Juden, dann „wir Frauen“. Ergriffenes Nicken. Die Liese! Alles im Blick! Gegen 18 Uhr ziehe ich mit vier Kindern (also: fünf Frauen, nach Gymnasiallehrerinnenhaftendiktum quasi auf dem Weg zur Schlachtbank) in frühlingshaften Wind über die Augustsbrücke zum Theaterplatz. Der ist schon gut, aber noch lose besetzt.
Vor dem Rednerpult drängt sich’s. Ein älterer Mann hat ein großes Papier in der Hand und liest einem Dutzend Umstehender seine persönlichen zehn Punkte vor. „Frieden mit…, Frieden mit…“ ich höre nur Frieden. Es herrscht Volkfeststimmung. Binnen Minuten wird es eng und enger. Per Mikrophon wird zum „Aufrücken“ aufgefordert. Wir ziehen uns auf das Podest des König-Johann- Reiterdenkmals zurück, hier hat man einen schönen Überblick. Hundert Deutschlandfahnen wehen, zahlreiche andere mit regionale Wappen.
Wie soll man zählen? Grobe Einschätzung: wenn es vor zwei Wochen 10.000 Teilnehmer gewesen sein sollen (ein Zahl, die unsere Schätzungen übertraf), dann sind es jetzt mindestens 25.000. Was für eine Masse!
Es gibt zahlreiche Gespräche nach links und rechts. Ein Mann spricht mich an. Er sei zum ersten Mal hier und sei ein bißchen unglücklich, von der Peripherie ins Zentrum gedrängt worden zu sein. Er habe sich nur ein eigenes Bild machen wollen, er sei sehr skeptisch. Er habe Angst, daß es hier an Geist fehle. Er sei kein „Deutschtümler“ im engeren Sinne, er mißtraue nur den Generalaussagen der Medien. Und er stehe dem blanken Haß auf der Gegenseite skeptisch gegenüber. Und doch habe er Angst vor dem „Bodensatz“. Ihm kann geholfen werden: Gleich werden Hände geschüttelt, Namen ausgetauscht, Hüte gelüpft. Er ist dabei – gut, als Skeptiker.
Skeptisch sind hier einige. Und Lutz Bachmann wiederholt seine bekannte Aufforderung: Jeder hier sei Hüter seines Nebenmanns. Gerade heute seien die Ordner fast damit überfordert, sämtliche Plakate, Banner und Transparente in Augenschein zu nehmen. Er wolle keine häßlichen Parolen sehen. Er warnt auch: Hohe Parteienvertreter seien nach seiner Kenntnis anwesend. Bachmann gibt den Leuten nachdrücklich mit, sich in keinem Fall auf Parteienpropaganda einzulassen und gründlich zu prüfen, mit wem man spricht. Pegida will sich nicht parteilich einnehmen lassen. Einstimmiger Applaus!
Der Wind bekommt den Fahnen gut. Bachmann weist auf das strikte Alkoholverbot hin, aber ein zusätzlicher Rausch erscheint nicht nötig. Es soll hier ja nicht um ein Fußballderby gehen, sonder um – das Abendland. Immer wieder wird irgendwo „Wir sind das Volk!“ angestimmt!“, und immer wieder wird der Ruf weitergetragen. Bachmann mahnt zu einer Minute der Besinnung an für die zahlreichen Opfer des Islamismus allein in der vergangenen Woche. Er nennt die Tatorte; Sidney, Pakistan, Frankreich. Alle schweigen, die Fahnen flattern im Wind.
Zugleich beginnt ein großformatiges Lichtspiel sich auf den Außenmauern der Semperoper und des Zwingers abzuzeichnen: Refugees welcome hieß es da in übermannsgroßen Lettern, die anderen Slogans waren schlichtweg nicht lesbar: Die angeblich unbekannten Initiatoren der „Lightmessage“ hatten die Plastizität der jahrhundertealten Gemäuer unterschätzt. Das Lichtspektakel, eingeblendet bis zum Ende der Veranstaltung, wird von Veranstaltern und Teilnehmern schlicht ignoriert.
Ein Ruf aber brandet zigfach auf, wann immer es um den als ungerecht empfundnen Leumund der Bewegung geht: „Lügenpresse! Lügenpresse“ Nach Bachmanns Beitrag, der eine Zustimmung zu Seehofers Einwanderungsthesen beinhaltet, einem holprigen Gedicht des eigens eingeflogenen „Weihnachtsmanns“ und einer ausführlichen – und durchaus langatmigen – Lektüre aus einem Jahresabschlußbrief von Heinz Buschkowskys Buch folgen Reden des sogenannten „Holländers“ namens Ed und des sogenannten „Franzosen“, beide sind anscheinend vielgeklickte youtube-Größen.
„Ed“ beklagt sie zustände in seinem Land, wo vielerorts Kinder nicht mehr über den Holocaust unterrichtet würden – weil das den moslemischen Eltern nicht recht sei. Der „Franzose“ – Stephane Simon – kämpft in Leipzig aufsehenerregeng gegen die in Gohlis geplante Moschee. Sein Redebeitrag ist ziemlich scharf, er geht ins Eingemachte die Menge feuert ihn mit „Zugabe!“-Rufen an. Dazwischen werden drei Weihnachtslieder mit allen bekannten Stophen gesungen: „Alle Jahre wieder“, Stille Nacht“ und „O Du fröhliche“ gesungen Abschließend kündet Bachmann eine Weihnachtspause an. Am 5.1. werde man wieder spazierengehen: „Und versprochen: jeder von Euch bringt einen mit!“ Zügig löst sich die Versammlung auf, die Teilhemer kommen ins Plaudern: „Und woher kommt ihr?“- „Wir müssen endlich die Stimme erheben!“ – „Bis nächste Woche!“. Wenn das der vielzitierte „Bodensatz“ ist – ich bin dabei.
Im Rundfunk höre ich in den nächsten Stunden von „gegrölten“ und „mißbrauchten“ Weihnachtsliedern. Friedrich Schorlemmer, der frühere „DDR-Bürgerrechtler“ spricht von „Unverschämtheit“ und davon, daß am Theaterplatz nur „Verblödete“ zugegen gewesen seien. Im Treiben der Empörten, Hasser und Gegner ist jeder Prominente bemüht, einen ganz eigenen Akzent zu setzen.
Schorlemmer gibt den Hardcore-Anti. “Hier sammelt sich der aufgerührte Sud der Gesellschaft“, subsummiert er im Deutschlandfunk. Er will nicht differenzieren: Tumbes müsse man tumb nenne und Dumme dumm. Schorlemmer: „Der Bodensatz, solchen Bodensatz gibt es, glaube ich, in jedem Land, aber die Dummheit, die sich darin auch ausdrückt, zumal von dem Herrn Bachmann, also das ist ja nicht zu übertreffen. (…) Das Weihnachtsliedersingen, was ich da gehört habe – also liebes Abendland, also das soll es gewesen sein, diese brummelnde Verhunzung der drei populärsten, wenn auch nicht aussagekräftigsten Lieder: Also nein, also liebes Abendland, so nicht!“
Auf die Frage des besorgten Moderators hin, warum die ehemaligen Bürgerrechtler denn so lange geschwiegen hätten „zu dieser Pegida-Bewegung“, reagiert Schormlemmer eingeschnappt: „wissen Sie, wenn Sie Bürgerrechtler sind – soll ich denn jetzt mal anrufen beim Deutschlandfunk oder bei der ‘Zeit’ und fragen, darf ich mal was dazu sagen? Normalerweise wird man gefragt, ob man was sagen will und sagt nicht, ha, ich möchte dazu was sagen.“ So läuft das also!
Andere „Bürgerrechtler“ haben übrigens keine Anfrage abgewartet, sondern gleich losgeklotzt mit einem Langgedicht, dessen prägnanteste Zeile lautet:
Jesus hätte gekotzt hätte er euch getroffen
Die Unterzeichner haben Schorlemmer wohl nicht gefragt, er findet sich nicht auf der Unterzeichnerliste, auf der sich ansonsten so ziemlich jeder eintragen durfte. Was für eine Anhäufung!
Leon
Schöner Bericht. Danke.
Frohes Fest.