Abschlußquartals 2014 die Ohren angelegt haben. In einer völlig unerwarteten tour de force ist der ursprünglich geradezu intime PEGIDA-Protest in Dresden binnen weniger Wochen zu einer kraftvollen Massenveranstaltung angewachsen, und quer durch Deutschland haben sich Unterstützer- und Nachahmerprojekte herausgebildet. Grund genug, kurz vor dem Jahresausklang kurz zurück- und vorauszuschauen. Der Blick orientiert sich dabei an unserem laufend aktualisierten Lageplan des bürgerlichen Protests.
Zuvorderst ist hierbei festzustellen, daß die unterschiedlichen Dissidenz-Veranstaltungen insgesamt – gemessen an den jeweils jüngsten Teilnehmerzahlen – ein bisheriges, bundesweites Mobilisierungspotential von knapp 26 000 Männern, Frauen und Kindern gezeigt haben. Angesichts der noch vor einem halben Jahr organisatorisch komplett brachliegenden Landschaft der “Unzufriedenen” hierzulande ist das eine mehr als beachtliche Zahl. Im Verhältnis zu den seinerzeitigen Montagsdemonstrationen in der “DDR”, die stets als Referenz bemüht werden, ist allerdings noch deutlich Luft nach oben. Dabei darf nicht vergessen werden, daß auch in der Endphase der Teilung Deutschlands die Protestzüge erst dann zu riesigen Menschenströmen anschwollen, als die Mauer bereits fiel bzw. gefallen war und sich somit absehen ließ, welcher Konfliktpartei man sich würde anschließen müssen, um im Nachhinein auf der Gewinnerseite zu stehen.
Hinsichtlich der diesjährigen Protestbewegung machte, vielleicht schon wieder halb vergessen, die Initiative “Demo für alle” bereits im Frühjahr den Anfang. Hier hatte man sich der Verteidigung traditioneller Modelle von Ehe und Familie verschrieben. Orientiert an den hocherfolgreichen, französischen “Manif pour tous”-Demonstrationen zog man auch in Hannover und vor allem in Stuttgart gegen Gender Mainstreaming-Ideologie sowie Frühsexualisierung von Schulkindern zu Felde. Daß sich von Seiten dieser (im besten Sinne) “moralischen” und stark kirchlich getragenen Demonstrationen seit Ende November bislang nichts mehr getan hat, dürfte vorrangig organisatorischen Schwierigkeiten geschuldet sein. Nichtsdestoweniger stellt der Versuch, ein im Ausland erfolgreiches Veranstaltungskonzept schlicht zu kopieren, ein zumindest metapolitisches Problem dar: Während in Frankreich ein weitgehend geschlossener und noch stabiler Wertekanon vorliegt, ist derlei in der Bundesrepublik angesichts von früherer Teilung und jahrzehntelanger politisch sanktionierter Identitätszersetzung kein idealer Ansatzpunkt für einen massierten Ausdruck der Ablehnung.
Zeitlich beinahe als Ablösung der “Demo für alle” sind am 20. Oktober 2014 erstmals die “Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands” in Dresden auf den Plan getreten. Das überaus erfolgreiche Modell der montäglichen “Abendspaziergänge” hat aufgrund der stetig wachsenden Teilnehmerzahl binnen weniger Wochen Ableger und Nachahmer gefunden: Besonders hervorzuheben ist hier BOGIDA in Bonn, wo auf der ersten von bislang zwei Veranstaltungen infolge von Sitzblockaden durch Gegendemonstranten zwar nur stationär protestiert wurde, aber mit Udo Ulfkotte respektive Akif Pirinçci hochkarätige Referenten der Gegenöffentlichkeit gewonnen werden konnten. Die Anerkennung für diese organisatorische Finesse gebührt (ungeachtet ihrer früheren oder heutigen Parteizugehörigkeiten) der Initiatorin Melanie Dittmer – auf die allein sich denn auch nicht umsonst eine ganze SpOn-Batterie eingeschossen hat. Ein erfolgreicher Erstversuch wurde auch in Düsseldorf unternommen, wiewohl die Gegendemonstrationen im Westen der Republik tendentiell immens ausfallen. Gleiches gilt für Kassel, wo die Protestbewegung vorerst zu stagnieren scheint; da dort auch für den 29. Dezember zu einem Abendspaziergang geladen wurde, ist gleichwohl bis zum Jahresende noch alles offen. Ebenfalls schleppend erhebt sich Volkes Stimme in Würzburg.
In den sezessionistischen Aufmarschplan wurden gleichwohl auch Städte aufgenommen, deren jeweilige Planungsstäbe bereits konkrete Termine für ihre ersten Manifestationen bekanntgegeben haben – nominelle “GIDAs” und entsprechende Facebookseiten gibt es zwar noch und nöcher (etwa das Phantom “OGIDA”), aber hier gilt: Erst ist eine konkrete Planung zu liefern, dann folgt der Karteneintrag. Als zur Zeit sicher kann gelten, daß sich am 12. Januar 2015 Rostock und Leipzig einreihen werden, wobei der genaue Umfang abzuwarten bleibt. Bereits am 5. Januar, wenn auch das Dresdner Vorbild wieder zusammentreten soll, will man in Köln gegen Islamisierung und Medienhatz seinen Mann stehen. Ein dortiger, erster Erfolg erscheint angesichts des schon zu den früheren Antiislamisierungskongressen bereiteten “heißen Pflasters” fraglich. Hier dürfte sich denn auch zeigen, ob die Organisation paralleler Strukturen und Veranstaltungen in benachbarten Städten sich nicht am Ende als schwerer strategischer Fehler und Vorstufe zur endgültigen Fragmentierung der lokalen Protestler darstellt; dergleichen ist aus Parteizusammenhängen ja hinreichend bekannt. Im Hinblick auf Magdeburg bleibt abzuwarten, ob und wie sich der Januar gestalten wird. Besonders interessant wird es in Frankfurt am Main werden: Hier bemüht man sich aus dem Dunstkreis der lokalen AfD, auf den fahrenden Zug aufzuspringen, gleichzeitig aber das Ruder in der Hand zu behalten. Sollte dort – woran man zweifeln darf – die Organisation eines Bürgerprotests überhaupt gelingen, so wird Frankfurt ein Gradmesser für die Möglichkeiten parteipolitischer Lufthoheit über den PEGIDA-Surrogaten werden.
Den Rest unserer vorgestellten Veranstaltungen bilden lokal organisierte und von Anwohnern getragene Demonstrationen gegen konkrete Unterbringungspläne, so in Chemnitz, Schneeberg, Oranienburg sowie Berlin-Marzahn und -Buch. Gleichwohl die Prognosen hier angesichts der gewohnten Gleichgültigkeit von Seiten der Politik düster aussehen, so stellt das vorerst gesicherte Aufbegehren der Anwohnerschaften doch eindrucksvoll den Unwillen unter Beweis, sich weiter wie gehabt von (einwanderungs)politischen Entscheidungen einfach überrollen zu lassen. Es ist diesen Protesten daher eine weitere Verbreitung zu wünschen; gleichzeitig muß aber auch konstatiert werden, daß ein eventuelles zukünftiges Scheitern oder auch nur Abflauen der großen PEGIDA-“Kraftpumpe” auch den lokalen Kleindemonstrationen das Mark aus den Knochen blasen dürfte.
Vorerst hängt es also weiterhin an Dresden, und es hängt auch daran, ob und wie schnell sich nach der Woche der Lethe zwischen den Jahren die Kräfte erneut herausrufen und bündeln lassen. Die Aufmerksamkeit richtet sich auf den 5. und 12. Januar; an diesen beiden Tagen wird sich entscheiden, ob der ungeahnte Schwung der letzten Wochen auch in das neue Jahr hineinwirken wird. SiN wird am Ball bleiben.
Hartwig
Ich bemerkte es schon anderer Stelle: Die Pegida-Bewegung muss sich im ersten Quartal so aufstellen, dass sie in der Lage ist, anlassbezogen zu mobilisieren. Beispiel: Einwanderungspolitische Gesetzesentwürfe der Bundesregierung oder der EU stehen auf der Tagesordnung. Anlassbezogen hieße dann, bundesweit Demos zu aktivieren.
Knackpunkt kann auch der 12. Januar in Leipzig werden. Diese Stadt hat das Potential, an Dresden anzuknüpfen. Ich denke da auch an das beachtliche Einzugsgebiet. Aber Leipzig hat auch erbebliches Potential dagegen. Die Antifa ist sehr aktiv. Der Bürgermeister ist ein Antifa-Freund (teilweise bekennend) und mobilisiert bereits kampagnenartig gegen LEGIDA. Ihm wird jedes Mittel recht sein. Ich persönlich traue diesem Herren fast alles zu. Mit Blockaden und Gewalt ist jedenfalls zu rechnen. LEGIDA wird einen langen Atem brauchen, um sich wie Dresden nach oben zu arbeiten.
Ja, und dann bräuchte es noch einen Nukleus im Westen. Köln? Düsseldorf?