Das ist eine makabre Wende in einer Debatte, die zunehmend schizophrene Züge zeigt. Die Kommentatoren müssen immer größere Spagate vollbringen: einerseits füllen sich die Seiten der Zeitungen täglich mit Artikeln über die politische Problematik des Islam in Europa und der Welt, andererseits wird Pegida eimerweise mit Schmutz beworfen, unter konsequenter und nachweislicher Mißachtung der tatsächlichen Positionen und Forderungen der Initative, die beharrlich als “extremistisch” bezeichnet wird, obwohl hierzu jeder Anhaltspunkt fehlt.
FAZ-Herausgeber Berthold Kohler glaubt nun, das Ei des Kolumbus gefunden zu haben, indem er das Lied von den “Extremisten jeder Couleur” anstimmt, die die “westliche Demokratie” bedrohen. Simsalabim, ein paar Zauberwörter und schon sind wir wieder im Märchenland der FDGO-Fiktionen, in dem alles in Butter wäre, gäbe es nicht all diese grundlos böswilligen “Extremisten”. Er bringt es mit anderen Worten fertig, Pegida und die Attentäter von Paris über einen Kamm zu scheren:
In den westlichen Demokratien müssen die Extremisten und Volksverhetzer jeder Couleur von der Nachschubverbindung aus dem politisch gemäßigten Lager abgeschnitten werden. Unbändigen Hass auf die „Lügenpresse“ gibt es auch in Deutschland.
So der Vorspann. Nun der Spagat, oder besser: die multiplen Spagate:
Tatsächlich muss sich niemand wundern, dass sich immer mehr Menschen vor dem Islam fürchten. In seinem Namen und unter Berufung auf den Koran werden Angst und Schrecken verbreitet. Die dünnen Stimmen, die bestreiten, dass der „Islamische Staat“ und andere Terrororganisationen das wahre Gesicht des Islam darstellten, werden immer wieder von den Explosionen der Bomben und den Schreien der auf bestialische Weise Ermordeten übertönt. Doch ist die Überzeugung, dass der Islam und die Werte der westlichen Demokratien unvereinbar seien, nicht auf das Lager der Islamisten beschränkt.
In vielen europäischen Ländern gibt es Sammlungsbewegungen, die, wie nun auch in Deutschland, gegen „die Islamisierung des Abendlandes“ antreten. Und auch hier, im Abendland, ist Hass anzutreffen, der in Gewaltphantasien mündet, auch in Bezug auf die „Lügenmedien“, gegen die auf den Demonstrationen der Pegida gehetzt wird. (…)
Nun, Meister Kohler, sag Er mir: warum eigentlich werfen die Anhänger von Pegida den Medien vor, zu “lügen”? Hat Er es denn wirklich nicht kapiert? Zur Erinnerung: Weil diese Medien 1. die Gefahr der Islamisierung beharrlich verharmlosen und 2. weil sie jene, die vor dieser Gefahr warnen, beharrlich verteufeln. Und wenn sich die Gefahr bestätigt hat, vor der die Warner gewarnt haben, dann gehen sie auch noch so weit, die Warner mit den Tätern gleichzusetzen: 3. Jetzt hat es mit Charlie Hebdo ein paar islamkritische Warner an Leib und Leben erwischt. Nun kommt Kohler und sagt, die Mörder, und nicht die Opfer, seien mehr oder weniger aus demselben Holz geschnitzt wie die islamkritischen Warner von Pegida. Warum? Weil es die eigene Mischpokke, die Journalisten, erwischt hat? Was würde Kohler sagen, wenn Islamisten die Macher von pi-news killen würden, wofür sie aus ihrer Sicht ja alle Gründe hätten?
Wie dem auch sei: Perfider geht es eigentlich nicht mehr. Wer zu einer solchen hirnlosen Niedertracht imstande ist, braucht sich wahrlich nicht mehr zu wundern, wenn ihm “Haß” entgegenschlägt, oder wenn er Briefe wie diese bekommt (zitiert von Kohler):
„Ich freue mich schon drauf, wenn in den Nachrichten zu sehen ist, wie ein wütender Mob ihre Redaktion in Brand steckt und sie gelyncht werden. So etwas kennen wir ja bereits aus der Geschichte (die sich meistens wiederholt).“
Das ist natürlich schrecklich shocking, garstig, unschön und nicht die feine englische Art, aber mein Mitgefühl hält sich in Grenzen: denn wundern braucht derlei niemanden mehr. Zumal Kohler ja offenbar in einer anderen abgespaltenen Hirnhälfte durchaus Bescheid wissen dürfte, welche Ursachen dieser Zorn in Wirklichkeit hat:
Der Kampf auch um diese verführten Deutschen muss aber hierzulande geführt werden. Man muss die Extremisten und Volksverhetzer jeder Couleur, auch die im Westentaschenformat, vom menschlichen Nachschub abschneiden. Die Ansicht, Politik und Medien verharmlosten die Gefahr der „Islamisierung“ und verteufelten statt ihrer jene, die sie erkennten und fürchteten, reicht bis weit ins politisch gemäßigte Lager hinein. Dort wird Pegida vor allem als eine Art Befreiungsbewegung gesehen, die gegen die Bevormundung und Stigmatisierung jener aufbegehrt, die „politisch unkorrekte“ Meinungen verträten.
Was wohl nicht von ungefähr kommtl, wie? Und nun kommt das große Eingeständnis:
Dieses verbreitete Gefühl hat in der Tat eine Vorgeschichte. Zu oft und zu gerne ist in der Vergangenheit das Brandzeichen „Ausländerfeind“ benutzt worden, um Kritiker der Einwanderungspolitik und ihrer Ergebnisse mundtot zu machen.
Na bitte! Bingo! Nun auch noch ein “Mea Culpa” beigefügt, und es ließe sich über die Sache reden! Stattdessen kommt nun die nächste Kehrtwindung:
Doch auch die Reaktion darauf kennt jetzt oft kein Maß mehr. Alles wird in einen Topf geworfen und zu einer großen Verschwörung von Politik und Medien verkocht, deren Ziel es sei, „das Volk“ dumm und devot zu halten. Das ist nicht nur eine Beleidigung des „dummen“ Volkes und der vielen Journalisten, die ihre Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen verrichten, selbstverständlich ohne Weisungen aus Washington oder dem Kanzleramt zu erhalten.
Ja klar, Pegida ist also “maßlos”, nicht hingegen die Reaktionen der amtierenden Politiker, die von warmherzigen Menschmenschen wie Gauck und Merkel abwärts alles in einen rechtsextremistischen Topf werfen und auf die “Nazis”, “Nazis in Nadelstreifen”,“Chaoten”, “Ausländerfeinde”, “Rassisten”, “Rattenfänger”, Menschenfeinde usw. mit den kalten, bösen Haßherzen schimpfen. Das ist alles natürlich ungeheuer maßvoll, sachlich und das “dumme Volk” respektierend, das nun blöderweise von seinen demokratischen Grundrechten Gebrauch macht.
Kohler unterscheidet hier offenbar zwischen zweierlei Volk: das eine, das den Politikern, Zeitungen und Journalisten wie ihm vertraut, ist nicht “dumm” und darf nicht beleidigt werden, das andere, das ihnen nicht (mehr) vertraut, wie etwa die Dresdener Demonstranten, dagegen ist offensichtlich “dumm” und darf auch in jeden beliebigen Schmutztopf geworfen werden, etwa mit jenen Terroristen, deren Aufstieg es auch in Deutschland fürchtet.
Kohler mag sich selbst für jemanden halten, der seine Arbeit “nach bestem Wissen und Gewissen” verübt. Daß er dennoch zu derart krassen und empörenden Kurzschlüssen imstande ist, zeigt nur das Ausmaß der Vernebelung, die seine Kaste umgibt. Es bedarf hier weder einer “Verschwörung” noch der expliziten “Weisungen”; es genügt, Teil eines Machtapparats zu sein, um sich sein Wissen vernebeln und sein Gewissen kaufen zu lassen. Was hier geschieht, läßt sich weitgehend aus den Bestrebungen erklären, von diesem Machtapparat weiterhin zu profitieren, im Sattel zu bleiben, in der Bundessuppe obenauf zu schwimmen.
Und dieser Machtapparat fußt natürlich auf einer Allianz von Politik und Medien, die entscheidet, wer dazu gehört und wer nicht, wer diskreditiert wird und wer nicht, wer “gewissenhaft” und “seriös” ist und wer nicht. Dahingehend herrscht zwischen Politikern und Medienmachern schönste Einigkeit. Wenn sich die Medien über weite Strecken zum Sprachrohr und Straforgan der Regierung machen, die sich Kritik mit wüsten Beschimpfungen verbittet, dann braucht man auch nicht darüber zu staunen, wenn ein Teil des “dummen Volks” zu der Meinung gelangt, daß hier eine Hand die andere wäscht, um an einem, auf “links” gesprochen, dichten und für beide Seiten profitablen “Verblendungszusammenhang” zu stricken.
Hier erreicht Kohlers verzerrte Sicht auf die Dinge ihren Höhepunkt.
Im Vorwurf „Lügenpresse“ steckt auch der Versuch, im Namen der Meinungsfreiheit die Meinungsfreiheit eines pluralistischen Pressewesens zu beschneiden, das, obwohl auch seine Angehörigen nicht unfehlbar sind, in der Welt keinen Vergleich zu scheuen braucht. Hinter der Tat von Paris steht keine andere Absicht, nur ihre Mittel waren extremer. Aber auch von einem solchen Blutbad dürfen sich die freie Welt und ihre Presse nicht einschüchtern lassen.
Die Wahrheit ist vielmehr: Wenn die Demonstranten von Pegida Zorn auf das deutsche Pressewesen hegen, dann eben deswegen, weil es ihnen nicht pluralistisch genug erscheint, sondern augenscheinlich unisono daran arbeitet, eine einzige, nur marginal variierte Meinung durchzusetzen – daran können sie angesichts der praktisch gleichgeschalteten, allenfalls mit ein paar Zwischenrufen garnierten Berichterstattung über ihre Bewegung von taz bis FAZ nicht mehr zweifeln.
In Kohlers Kommentar klingt für mein Ohr auch eine erhebliche Angst durch: die Angst vor dem eigenen Machtverlust. Denn der Ruf “Lügenpresse” erschallt natürlich auch in seine Richtung, das kann er gar nicht überhören. Hier hat jemand Angst, daß am Fundament der eigenen Glaubwürdigkeit gesägt wird, hier hat jemand Angst, seine tonangebende Position zu verlieren. Ergo stilisiert er sich selbst implizit zum potenziellen Opfer von Pegida, analog wie Charlie Hebdo zum tatsächlichen Opfer der Islamisten geworden ist.
Französische Journalisten sind wegen freier Meinungsäußerung ermordet worden. Und zwar weniger, weil sie “gelogen” hätten, sondern weil sie sich trotz wiederholter Gewaltandrohungen nicht unterworfen haben. Es ist haargenau das passiert, wovor Islamkritiker wie Pegida warnen, sollte der Islam auch in Deutschland an Einfluß gewinnen. Auch Kohler ist ein Journalist, und vielleicht hat nun auch er Bammel bekommen.
Aber ich kaufe ihm nicht ab, daß er allen Ernstes fürchtet, etwa ein Pegida-Kommando könne die Redaktion der FAZ mit Maschinenpistolen stürmen. Das Schlimmste, was ihm aus dieser Richtung passieren kann, ist, daß mehr und mehr Leute ihm nicht mehr vertrauen und seine Zeitung nicht mehr lesen. Es sind diese Skeptiker, die er – nach seiner Formulierung – “vom menschlichen Nachschub abschneiden” will, und wie seine Kollegen, die ähnliches befürchten, bedient er sich dabei der Methoden des “shame and blame”. Dagegen wird er sich, wie die meisten Journalisten, weiterhin davor hüten, sich den Zorn muslimischer Organisationen zuzuziehen. Daß es dagegen gefahrlos ist, auf Pegida eindreschen, und im herrschenden System Pluspunkte bringt, weiß er wohl genauso.
Wenn Kohler die “Meinungsfreiheit” schützen will, dann in erster Linie seine Freiheit, eine Meinung durchzusetzen. Hinzu kommt gewiß auch das Bedürfnis, die Lebenslügen und den Realitätsverlust seiner, der meinungsmachenden Schicht zu rechtfertigen und zu kaschieren. Daher rührt wohl auch die fast schon gewaltsame Schiefgewickelheit seines Kommentars. Und hier sitzen Medienmacher und Politiker tatsächlich in einem Boot, ob per “Verschwörung” oder nicht.
Nun laufen gerade die ZDF heute Nachrichten. Dieselben Leute, auch derselbe „Terrorismusexperte“ Elmar Theveßen, die uns gestern abend noch eintrichtern wollten, dass Pegida böse, Islam-Kritik verwerflich und es geboten ist, Islam-Kritik zu blockieren, beklagen nun die Verletzung der Meinungs- und Pressefreiheit, weil da jemand verhindern wollte, dass der Islam kritisiert wird.
Moment mal.
Nochmal von vorne:
- Pegida kritisiert den Islam. Da heißt es, das wäre böse, verwerflich und übel. Da dürfe man nicht teilnehmen, und es werden die gelobt, die die Kritik blockieren.
- Charlie Hedbo kritisiert den Islam. Doch plötzlich ist es andersherum. Die werden plötzlich als wackere, mutige Helden dargestellt, und dafür deren Blockieren durch Islam-Befürworter als feigen Anschlag auf Grundrechte, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit.
Warum ist Islam-Kritik schlecht, wenn sie von Pegida kommt, aber gut, wenn sie von Charlie Hedbo kommt? Hätte man nicht in Weiterführung der Presse von gestern über Pegida heute schreiben müssen, das wäre ein Schundblatt gewesen, das üble Hetze verbreitet und an niedere Instinkte appeliert, und dass die selbst schuld sind? Immerhin kann man den Karrikaturen jedenfalls nicht unterstellen, sachlicher und rücksichtsvoller als Pegida zu sein.
Liegt es daran, dass das Journalisten sind, also Kollegen, und Journalisten an sich selbst stets ganz andere Maßstäbe anlegen?
Oder werden wir hier von der Presse sowieso ständig verarscht, und heute waren die, die der Presse die Inhalte vorgeben, halt nicht schnell genug?
Hätten wir noch echten Journalismus, wäre da der Zeitpunkt, unserer Regierung mal ein paar Fragen zu stellen.
- Gerade mal vor einer Woche hat unsere Bundeskanzlerin Merkel in ihrer Neujahrsansprache die pauschal verurteilt, die den Islam kritisieren. Da dürfe man nicht teilnehmen.Heute heuchelt sie in einer 180-Grad-Wende, die abscheuliche Tat sei ein Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit. Vor einer Woche noch verwerflich, heute wertvolles Grundrecht.
- Nicht besser unser Vizekanzler Sigmar Gabriel: Vorgestern erst stellte sich die SPD mittels Justizministers Maas Demonstranten in den Weg, um eine Demonstration zu verhindern. Heute heuchelt Gabriel, der Anschlag sei eine Attacke „gegen die Meinungsfreiheit in unserer offenen Gesellschaft“.
Ja, was isses denn nu?
Ja, was? Diese Leute erinnern mich zunehmend an Erich Mielke anno 1989, der auch dachte, er würde mit “bestem Wissen und Gewissen” seine “Arbeit verrichten”: “Ja, wir haben einen Kontakt, ja wir haben einen Kontakt, ihr werdet gleich hören, warum… Ich liebe doch alle! Alle Menschen! Ich setze mich dafür ein!” Ich hoffe, sie werden bald allesamt ihren Mielke-Moment haben, unter allgemeinem Gelächter…
Martin
Bammel haben sollen jetzt auch die Teilnehmer der Pegida Demonstrationen. Der Chef der Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, warnt vor Terroranschlägen auf Pegida Veranstaltungen (im Moment nur auf SPON Ticker, daher kein link).
Was soll man davon halten?