Nun ist das Reden von „Kollateralschäden” im Zusammenhang mit Zivilisten, die durch Luftangriffe ums Leben kommen, kein israelisches Spezifikum. Bemerkenswerterweise scheint der Vorwurf an Israel, „unverhältnismäßig” auf die Infragestellung seiner souveränen Existenz zu reagieren, im herrschenden deutschen Diskurs des Jahres 2006 in ähnlichem Maße zum guten Ton zu gehören, wie sieben Jahre zuvor die Absegnung eines von Beginn an völkerrechtswidrigen Bombenkrieges, den (Regierungs-)Politiker und „Intellektuelle” eine „humanitäre Intervention” nannten. Der national-konservative Ministerpräsident Israels, Ehud Olmert (Kadima), weiß das natürlich, weshalb er den menschenrechtlich motivierten Deutschen und anderen EU-Europäern ins Stammbuch schreibt: „Woher nehmen sie [die Europäer] das Recht, Israel zu predigen? Die europäischen Länder haben Kosovo angegriffen und 10.000 Zivilisten getötet. 10.000 Zivilisten! Und keines dieser Länder hatte zuvor auch nur durch eine einzige Rakete zu leiden!”
Auch wenn Olmert hinzufügt, er sage nicht, daß das Eingreifen im Kosovo falsch gewesen sei, dürfen seine Äußerungen auch als eine Reminiszenz an die Ablehnung des Angriffskrieges gegen Jugoslawien insbesondere in der souveränistischen „Rechten” Israels verstanden werden: Im April 1999 war der damalige israelische Außenminister Ariel Scharon der einzige Repräsentant eines „westlichen” Staates, der die massive militärische Aufrüstung der islamistisch durchsetzten albanischen UCK als einer anti-jugoslawischen Landarmee in scharfen Worten mißbilligte. Nicht einmal ein Übergreifen des menschenrechtlichen „Universalismus” der Nato auf den israelisch-arabischen Konflikt schloß Scharon aus: „Israel könnte das nächste Opfer einer Nato-Attacke werden.”
Engagierte Fürsprecher findet das seitens deutscher Offizieller gescholtene Israel auch in Anbetracht dessen jüngster Militäraktionen im Libanon bei einem der traditionsreichsten Organe der nicht parteipolitisch gebundenen (bundes-) deutschen radikalen Linken: der von Hermann L. Gremliza herausgegebenen Monatszeitschrift konkret. Hatte das Titelblatt der Juli-Ausgabe dieser sich stolz als „antideutsch” bekennenden Zeitschrift das gesamte Staatsgebiet der Bundesrepublik als eine No-Go-Area gebrandmarkt, so widmen sich Gremlizas Kolumnen der Augustund der September-Ausgabe „Israels Krieg” gegen „eine zweite ‚Endlösung der Judenfrage‘” unter islamistischem Vorzeichen sowie der „Unheiligen Allianz” zwischen „Sozialisten” und islamischen „Gotteskriegern”.
Ins Auge fällt dabei, daß Gremliza ausdrücklich Respekt vor dem Bestreben der politischen Elite Israels bekundet, den jüdischen Charakter des einzigen demokratischen Rechtsstaates in der Region zu wahren: „Es hat sich bei israelischen Politikern die Ansicht durchgesetzt, daß die Juden nur dann in ihrem Staat in Sicherheit seien, wenn sie auf dem Flecken Wüste am Rand des Osmanischen Reichs und des britischen Mandatsgebiets, das die Vereinten Nationen ihnen nach dem Holocaust als Staatsgebiet zugewiesen und das sie durch eigene Tüchtigkeit und mit Hilfe der USA zu einer Oase gemacht haben, für sich blieben, geschützt durch einen Zaun vor jenen, die – dem Gesäusel mancher ihrer Diplomaten zum Trotz – nichts sehnlicher wünschen als der Juden Tod.”
Die jüngsten Proklamationen der NPD gegen den „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Israels gegen Libanon” könnten ebensogut aus öffentlichen Erklärungen der „Linkspartei” entnommen sein. Dieser Umstand veranlaßt Gremliza dazu, an das gemeinsame Vorgehen von KPD und NSDAP im Rahmen eines Streiks bei den Berliner Verkehrsbetrieben im Jahre 1932 sowie an den „Hitler-Stalin-Pakt” von 1939 zu erinnern. Sozialisten wie die „Linkspartei”/WASGPolitiker Gehrcke und Buchholz ständen an der Seite von „Dschihadisten” wie dem iranischen Präsidenten Ahmadinedjad und dem Hisbollah-Chef Nasrallah sowie des Staatsoberhaupts von Venezuela, dem christlich-sozialistischen Antisemiten Chávez, der die israelische Republik einer „faschistischen Art” der Aggression im Stile Hitlers beschuldigt und der „die Welt” durch „die Nachkommen der Christusmörder” kontrolliert wähnt. Der Menschheit – so Gremliza – sei zu wünschen, daß das „letzte Gefecht” dieser (reaktionären) „Antikapitalisten” verloren gehe, „gegen wen auch immer”.
Wenn Gremliza gegenüber einer Allianz deutscher und lateinamerikanischer Sozialisten mit den islamistischen Feinden Israels den in erster Linie durch die USA repräsentierten Liberalkapitalismus als das geringere Übel begreift, so korrespondiert dies mit den weltpolitischen Parteinahmen der – biographisch ebenfalls in der antifaschistischen Linken verwurzelten – italienischen Journalistin Oriana Fallaci. Diese prangerte nach dem 11. September 2001 das Zusammengehen der Linken, der römisch-katholischen Offiziellen und der Postfaschisten ihres Landes mit der „feudalen Rechten” an, die heute „der Islam” sei. Jedoch rekurrieren, im Gegensatz zu den pro-israelischen und islam-kritischen deutschen „Antideutschen”, sowohl die Italienerin Fallaci, als auch französische Kritiker des politischen Islam, wie etwa Louis Chagnon oder Alain Finkielkraut, auf die nationalstaatlich fundierte bürgerlich-republikanische Identität ihrer Länder.
Diagnostizieren „antideutsche” Publikationen, wie konkret oder Bahamas, eine Wiedererweckung des „häßlichen Deutschen” auch in Gestalt multikulturalistischer Ehrfurcht vor dem Islam, so sehen die französischen „Neorepublikaner” die Nachgiebigkeit gegenüber islamischem „Kommunitarismus” nicht zuletzt in einer nationalen Selbstgeißelung Frankreichs sowie in einer Mißachtung der zivilisatorischen Errungenschaften einer „Europäisierung” der Welt begründet. In diesem Sinne machte Alain Finkielkraut als eine Ursache des (ausschließlich von muslimischen jungen Männern ausgehenden) „Pogroms gegen die Republik” vom November 2005 auch die Nachgiebigkeit der politischen und intellektuellen Elite Frankreichs in Fragen der Beurteilung der französischen Kolonialvergangenheit aus. Bereits ein halbes Jahr zuvor hatte Finkielkraut einen gegen Weiße und Juden gerichteten virulenten Rassismus muslimischer Jugendlicher arabischen oder schwarzafrikanischen Ursprungs angeprangert. Es gebe einen „brutalen islamischen Antisemitismus”, der durch den Israel-Haß erklärter Antirassisten der „Linken” flankiert werde.
Der „antirassistische” Diskurs der „globalisierungskritischen” Linken (altermondialistes, ATTAC), der die muslimische Minorität primär als Opfer „islamophober” Tendenzen in der französischen Mehrheitsgesellschaft und einer unzureichenden öffentlichen Würdigung des Leidens „muslimischer” Völker unter französischer Kolonialherrschaft begreift, sieht sich in Frankreich in der Tat kontrastiert durch die Realität eines gewalttätigen Antisemitismus junger Muslime. Anfang März 2006 – drei Wochen nach dem Foltermord an dem (im Januar 2006 entführten) 23jährigen Ilan Halimi – wurden in Frankreich erneut drei junge Juden zu Opfern antisemitischer Gewaltverbrechen, die von Angehörigen maghrebinischer oder schwarzafrikanischer communities ausgingen. Wie wenig eine „antirassistische” Linke, die Chagnon, Finkielkraut oder Pierre-André Taguieff pro-islamischen Kampagnen aussetzt, noch als ein zivilgesellschaftlicher Garant jüdischen Lebens in Frankreich gelten kann, brachte der Vorsitzende des Repräsentativrates der jüdischen Institutionen in Frankreich (CRIF), Roger Cukierman, bereits 2002 auf den Punkt: Le Pens Erfolg (in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen) sei „eine Botschaft an die Muslime, sich still zu verhalten”.