Kritischer Geist in Verzug. Ein müdes Themenheft zum ungarischen Philosophen und Polit-Kommissar Georg Lukács

Wir veröffentlichen im folgenden eine Besprechung des aktuellen Georg-Lukács-Heftes der Zeitschrift für Ideengeschichte, die - in einer an entscheidenden Stellen gekürzten Fassung - in der Wochenzeitung Junge Freiheit erschien (16.01.15). In der nachstehenden Fassung wird jedoch auf ein Desiderat der hiesigen Forschung hingewiesen: Der unmittelbaren (nicht: ideellen) Beteiligung an Morden durch den kommunistischen Intellektuellen.

von Thomas Kuzias

Die erst seit 2007 erschei­nen­de „Zeit­schrift für Ideen­ge­schich­te“ ist ein erle­se­nes und groß­zü­gig mit Mit­teln aus­ge­stat­te­tes Peri­odi­kum, an des­sen Erschei­nen auf dem wis­sen­schaft­li­chen Zeit­schrif­ten­markt sei­ner­zeit nicht weni­ge Hoff­nun­gen geknüpft waren. Bis auf den baye­ri­schen Süden sind in der Her­aus­ge­ber­schaft alle wich­ti­gen deut­schen Geis­tes­land­schaf­ten ver­eint: das „Deut­sche Lite­ra­tur­ar­chiv Mar­bach“ im Süd­wes­ten, die „Klas­sik Stif­tung Wei­mar“ in Mit­tel­deutsch­land, die „Her­zog August Biblio­thek Wol­fen­büt­tel“ in Nord­deutsch­land und das gewis­ser­ma­ßen preu­ßi­sche „Wis­sen­schafts­kol­leg zu Ber­lin“. Wer aber so vie­len hohen Instan­zen und deren Inter­es­sen gehor­chen muß, hat es schwer, rück­sichts­los Wis­sen­schaft betrei­ben zu dürfen.

Das aktu­el­le Heft (Win­ter 2014) ist dem eben­so wich­ti­gen wie bri­san­ten Links­ideo­lo­gen Georg Lukács gewid­met und erweist sich als Pro­dukt des erbau­lich-kor­rek­ten Zeit­geis­tes der Ber­li­ner Repu­blik. Die Her­aus­ge­ber legen dem Leser drei the­ma­ti­sche Teil­be­rei­che vor. Mit Agnes Hel­ler, Fritz J. Rad­datz und Iring Fet­scher kom­men pro­mi­nen­te Zeit­zeu­gen zu Wort, die Lukács noch per­sön­lich kann­ten, mit ihm zusam­men­ar­bei­te­ten und sich ideo­lo­gisch vor­be­halt­los in den Dienst sei­nes Wer­kes gestellt haben. Zwei aka­de­misch gehal­te­ne Auf­sät­ze bil­den den Kern des Hef­tes; all dies wird durch zahl­rei­che Doku­men­te und Fun­de aus dem Lukács-Archiv in Buda­pest umrahmt. Das Heft ist Iring Fet­scher gewid­met, der im Juli die­ses Jah­res verstarb.

Um es gleich vor­weg zu sagen, fest eta­blier­te Irr­tü­mer zu Lukács’ Denk- und Lebens­weg wer­den zuver­läs­sig bewahrt: Zum Bei­spiel die Mär, daß sein Über­tritt zum Kom­mu­nis­mus auf Grund der rus­si­schen Okto­ber­re­vo­lu­ti­on ein Bekeh­rungs­er­leb­nis gewe­sen sei. In Wahr­heit war sei­ne Ent­schei­dung für Sozia­lis­mus und Mar­xis­mus lan­ge vor dem 1. Welt­krieg gefällt wor­den. Oder die Her­aus­ge­ber bekla­gen, daß es kei­ne aus­führ­li­che Bio­gra­phie zu Lukács gebe, doch eine sol­che liegt längst vor (Arpad Kadar­kay, Georg Lukács. Life, Thought, and Poli­tics, Oxford 1991, 380 S.). Über­haupt fällt auf, daß die Autoren die rei­che inter­na­tio­na­le Lite­ra­tur zum The­ma eher mei­den. Und wenn offen­sicht­lich schon vor Ort in Buda­pest recher­chiert wur­de, dann hät­te man erwar­tet, daß auch neue unga­ri­sche For­schun­gen vor­ge­stellt wor­den wären, zumal unbe­kann­te Fak­ten am ehes­ten aus Ungarn zu erwar­ten sind. Dort wird bei­spiels­wei­se schon längst dis­ku­tiert, daß Lukács als Polit­kom­mis­sar nicht nur Todes­ur­tei­le fäll­te, son­dern auch in per­so­na am Roten Ter­ror betei­ligt war, indem er sich der Kol­lek­ti­vie­rung nach bol­sche­wis­ti­schem Vor­bild wider­set­zen­de Bau­ern ohne Pro­zeß eigen­hän­dig durch Genick­schuß hinrichtete.

Die Aus­füh­run­gen der Zeit­zeu­gen sind durch eine auf­fal­len­de Gemein­sam­keit cha­rak­te­ri­siert, in der sich etwas All­ge­mei­nes zeigt. Der elo­quen­te Fritz J. Rad­datz, der 1958 in der sta­li­nis­ti­schen DDR ver­haf­tet wur­de, ging anschlie­ßend in den Wes­ten, um umge­hend Lukács’ Schrif­ten und mar­xis­ti­sche Lite­ra­tur­theo­rien bei Rowohlt zu ver­le­gen – gewis­ser­ma­ßen in Vor­be­rei­tung auf 1968. Als Lukács nach dem Ungarn-Auf­stand 1956 inter­niert wur­de, ermahn­te er sei­ne Schü­le­rin Agnes Hel­ler brief­lich, Lenins Ethik nicht zu ver­nach­läs­si­gen, dar­über zu schrei­ben. Hel­ler wird sich spä­ter zwar nicht mit Lenins Ethik, aber mit der Ethik all­ge­mein, d. h. für sie mit der Stel­lung der Ethik im Mar­xis­mus beschäf­ti­gen – eine „Ethik des Kom­mu­nis­mus“ indes blieb für sie noch bis in die 70er Jah­re alter­na­tiv­los, alles ande­re wäre „des Teu­fels – des Teu­fels des Kapi­ta­lis­mus, des Faschismus“.

Iring Fet­scher sei­ner­seits ent­deck­te als des­il­lu­sio­nier­ter Wehr­machts­of­fi­zier nach 1945 mit Hil­fe von Lukács einen neu­en Sinn in der Geschich­te – die Ableh­nung Sta­lins führ­te auch bei ihm zu einer inten­si­vier­ten Zuwen­dung zum Mar­xis­mus. Man distan­zier­te sich vom Miß­ver­ständ­nis des Sta­li­nis­mus, wobei die nega­ti­ven poli­ti­schen Erfah­run­gen von ihren geis­ti­gen Grund­la­gen stets ent­kop­pelt wur­den, um sich anschlie­ßend nur um so enga­gier­ter der mar­xis­ti­schen Theo­rie und Uto­pie zu ver­schrei­ben. In allen drei Fäl­len tat ein der­ar­ti­ger Wider­spruch den aka­de­mi­schen Kar­rie­ren kei­nen Abbruch, ganz im Gegen­teil. Man stel­le sich die­se „Logik“ etwa bei der wis­sen­schaft­li­chen Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Natio­nal­so­zia­lis­mus vor. Lukács wird apo­stro­phiert als „Ador­no des Ostens“ (Rad­datz), als „Pas­cal des Kom­mu­nis­mus“ (Fet­scher) – kri­ti­sches Nach­fra­gen der Her­aus­ge­ber bei ihren Gesprächs­part­nern? Fehl­an­zei­ge, es geht um woh­li­ges Erinnern.

Der Auf­satz von Mat­thi­as Bor­muth stellt eini­ge inter­es­san­te Fun­de aus Karl Jas­pers Nach­laß vor, aus denen her­vor­geht, daß sich Lukács durch Jas­pers psych­ia­tri­sche Gefäl­lig­keits­gut­ach­ten vor dem Front­ein­satz im 1. Welt­krieg drü­cken konn­te. In der Natur der­ar­ti­ger Gut­ach­ten, was der Autor nicht reflek­tiert, liegt es, daß ihre Dia­gno­sen einem außer­me­di­zi­ni­schen Zweck dien­ten und daher mit Vor­sicht behan­delt wer­den soll­ten. Eben­so­we­nig läßt sich aus dem psych­ia­tri­schen Befund – daß Lukács von müt­ter­li­cher Sei­te stark belas­tet gewe­sen sei („zwei Brü­der der Mut­ter“, wie es in Jas­pers’ Attest hieß, „star­ben im Irren­haus“) – der Bogen zur poli­ti­schen Ideen­ge­schich­te schla­gen. Des wei­te­ren ver­sucht Bor­muth Lukács’ ideo­lo­gisch-poli­ti­sche Ent­wick­lung und Radi­ka­li­sie­rung auch noch durch des­sen Lie­be zu sei­ner zwei­ten Ehe­frau plau­si­bel zu machen, womit zwei­fels­oh­ne nur erneut eine ideen­ge­schicht­li­che Sack­gas­se beschrit­ten wird – die ein­schlä­gi­ge, Lukács’ Lie­bes­be­zie­hun­gen dies­be­züg­lich sys­te­ma­tisch aus­wer­ten­de Stu­die von Lee Cong­don „The young Lukács“ (1983) soll­te als Mah­nung die­nen, auf die­sem frag­wür­di­gen Weg zu wandeln.

Der Autor beschränkt sich also nur dar­auf, aus Jas­pers Noti­zen zu Lukács’ „Geschich­te und Klas­sen­be­wußt­sein“ (1923) psy­cho­lo­gi­sche Urtei­le vor­zu­tra­gen: die „rohe Gerad­li­nig­keit und Sim­pli­zi­tät“ der mar­xis­ti­schen Ana­ly­se sei die psycho-logi­sche Fol­ge von „Res­sen­ti­ment, Selbst­haß, Wut, Lust an der Bewe­gung, am Selbst­mord“ – woher die­se indi­vi­du­el­len Erschei­nun­gen rüh­ren, wie sie in Phi­lo­so­phie, Poli­tik und Geschich­te ein­drin­gen und wirk­mäch­tig wer­den konn­ten, ist lei­der nicht mehr der Gegen­stand des Auf­sat­zes. Daß Karl Jas­pers aller­dings durch­aus über ein phi­lo­so­phi­sches und zugleich ideo­lo­gie­kri­ti­sches Ver­ständ­nis des Mar­xis­mus ver­füg­te, wis­sen wir u. a. aus sei­nem Brief­wech­sel mit Han­nah Are­ndt – Bor­muth kann der­ar­ti­ge Ein­sich­ten jedoch nicht für sei­nen Gegen­stand frucht­bar machen.

Der zwei­te Auf­satz des Hef­tes von Joa­chim Fischer ver­gleicht die alter­na­ti­ven Sozi­al­phi­lo­so­phien von Lukács und des­sen libe­ra­lem Anti­po­den Hel­muth Pless­ner unter dem Gesichts­punkt von Gemein­schaft ver­sus Gesell­schaft. Fischer macht dar­auf auf­merk­sam, daß Pless­ner zu Lukács’ fol­gen­rei­cher Auf­satz­samm­lung „Geschich­te und Klas­sen­be­wußt­sein“ (1923) ein mit sei­nem Buch „Gren­zen der Gemein­schaft“ (1924) expli­zi­tes Gegen­pro­gramm ent­wor­fen hat, wel­ches erst nach 1945 auf Auf­merk­sam­keit rech­nen konn­te. Die Impul­se die­ser Kon­stel­la­ti­on wir­ken bis in die Gegen­wart, vor allem durch die auf Lukács’ Ent­frem­dungs­dia­gno­se fußen­de „Frank­fur­ter Schu­le“. Bei bei­den Kon­zep­tio­nen han­delt es sich, dar­auf muß man auf­merk­sam machen, um sozio­lo­gi­sche Uto­pien, wie sie für die Moder­ne gene­rell kenn­zeich­nend sind.

Wäh­rend Lukács’ radi­kal­mar­xis­ti­sche Auf­fas­sung des Sozia­len auf die Auf­he­bung von Ent­frem­dung über­haupt ziel­te und sich fak­tisch zur Ver­wirk­li­chung des kon­kre­ten Bür­ger­krie­ges bedien­te, ver­blieb dem sen­si­blen Pless­ner stets nur das geschrie­be­ne Wort, um für sei­nen Ent­wurf zu wer­ben. Pless­ners idea­le Vor­stel­lun­gen von Öffent­lich­keit und Gesell­schaft, die auf ein zivi­les, Distanz schaf­fen­des Mit­ein­an­der abzie­len, wir­ken bis­wei­len wie die Wie­der­be­le­bung des ver­spiel­ten Roko­ko (takt­vol­le sozia­le Distanz- und Rol­len­spie­le unter Wahr­heits­ver­zicht). Hin­ter die­sem Ent­wurf steht zwei­fels­oh­ne ein libe­ral hal­bier­ter Nietz­sche. Der­ar­tig abs­trak­te sozio­lo­gi­sche Kon­zep­tio­nen ver­steht man am bes­ten im Kon­trast zuein­an­der, wor­in die Stär­ke des Auf­sat­zes von Fischer liegt.

„Einen Skan­dal um Lukács gibt es nicht“, dekre­tier­te Joscha Schmie­rer vor fast fünf­und­zwan­zig Jah­ren, als ein Heid­eg­ger-Lukács-Ver­gleich auf den unga­ri­schen Phi­lo­so­phen einen eher mil­den Schat­ten zu wer­fen droh­te (Kom­mu­ne, Nr. 8, 1991) – in die­se Zeit halb­her­zi­ger Revi­si­ons­ver­su­che geis­tes­ge­schicht­li­cher Fehl­ur­tei­le fühlt sich der Leser der aktu­el­len Aus­ga­be der „Zeit­schrift für Ideen­ge­schich­te“ zurück­ver­setzt. Mit den gesetz­ten Akzen­ten könn­te das pri­vi­le­gier­te Peri­odi­kum zumin­dest mit die­sem Heft ohne wei­te­res Anspruch auf den Titel „Zeit­schrift für Kul­tur­mar­xis­mus“ erhe­ben, nicht nur das aus­ge­spar­te Titel­the­ma „Kom­mis­sar Lukács“, auch die ande­ren The­men gewid­me­ten Bei­trä­ge legen dies nahe.

Zeit­schrift für Ideengeschichte
Kom­mis­sar Lukács
Heft VIII/4, Win­ter 2014
Her­aus­ge­ge­ben von Ulrich von Bülow, Ste­phan Schlak
Ver­lag C. H. Beck, Mün­chen, 126 Sei­ten, 12,90 Euro

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Kommentare (13)

Unke

18. Februar 2015 11:14

Erinnert an Che Guevara. Auf so ein paar Genickschüsse mehr oder weniger kommt es bei "Revolutionswirren" nicht an, oder? Schließlich geht es ums Große Ganze! Da können auf Einzelschicksale keine Rücksichten genommen werden.
Interessant finde ich, dass in dieser Besprechung der Begriff "Frankfurter Schule" kein einziges Mal auftaucht. Denn das, was hochaktuell unter "Frühsexualisierung von Kindern" als (kulturmarxistische) "Querschnittsaufgabe" im staatlichen Erziehungswesen implementiert wird dürfte seinen direkten Vorläufer bei Lukács haben. Im Netz habe ich mal einen recht guten Artikel zu diesem Bolschewisten gelesen /demnach plädierte er für eine möglichst frühe Trennung von Kindern und ihren Eltern); finde den Link jedoch nicht mehr.

Carl Sand

18. Februar 2015 13:02

Zunächst möchte ich mich bei der Sezession für die kreativen Verrisse der letzten Zeit herzlich bedanken. Herausragend hier auch Lission.
Ich gebe zu, eine kreative Polemik viel lieber zu lesen als das letztliche Kochen im eigenen Saft.

Auch sollte jede Gelegenheit, den Feind ein wenig zum Kochen zu bringen, jedem Revolutionär - und nichts wenig als das sind wir - das Herz aufgehen lassen.

Zu Lukasz selbst:

Es stellt sich die Frage, ob ein Lukasz oder seine Epigonen, der widerliche Markuse und ihre Verschwurbeltheit Adorno überhaupt noch als Marxisten im wissenschaftlichen Sinne bezeichnet werden können.

Mit dialektischem Materialismus der Orthodoxie hat ihr antidialektischer Psychologismus, in vulgärer Form die Staatsreligion des hysterischen Hitlerismus jedenfalls nicht zu tun!

Inselbauer

18. Februar 2015 15:44

Die Aufsätze des L. habe ich nie als "marxistisch" empfunden. Er hat mit seinem Dogmatismus und seinen schematischen Analysen die Doofheit der westdeutschen Linken um die stalinistische Facette bereichert. Seine "literaturwissenschaftlichen" Abhandlungen zu Scholochow würden heute nicht einmal mehr in Nordkorea durchgehen. Das ganze Ausmaß der Blamage bleibt verborgen, weil das Zeug heute ja niemand mehr liest.
Aus meiner Sicht ist es tatsächlich besser, für 85 Cent bei Amazon (Bestellungen über einen Euro würde ich dort selbstverständlich nicht tätigen) das folgende Buch zu bestellen:
https://www.amazon.de/Lukács-Johannes-Becher-Friedrich-Säuberung/dp/3499130122/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1424270172&sr=8-1&keywords=die+Säuberung+wolf
und dann auch zu lesen. Es handelt sich um Gesprächsprotokolle einer "Schriftstellerkonferenz" in Moskau. Nach jener Gesprächsrunde verschwindet ein Dichter.

Aristoteles

18. Februar 2015 17:49

@Inselbauer

Habe nach Ihrer Buchempfehlung kurz gegurgelt und folgenden Aufsatz von Raddatz gefunden:

https://www.zeit.de/1992/03/salto-vitale

Immerhin so viel Kritik an Lukásc und Co. ...

Karl Martell

18. Februar 2015 19:40

Sozialistische Utopien sind halt immer noch sehr beliebt. Balkanisierung und Multikulturalismus funktionieren heute als Ersatzideologie für den verbrauchten und diskreditierten Kommunismus.

Der Kommunismus ging in Osteuropa zugrunde, weil er sich als Neomarxismus in der Praxis viel besser in Westeuropa verwirklicht hat.
Die alten "Helden" der Bewegung stehen aber immer noch hoch im Kurs, auch weil eine Aufarbeitung der Verbrechen des Kommunismus bis heute aussteht.

Trotz des offiziellen Zusammenbruchs des Kommunismus sind die kommunistischen Ideen der Gleichmacherei und der Glaube an den Fortschritt mehr als je lebendig im heutigen liberal-multikulturellen Europa, wenn auch in anderer Form und unter anderen Namen.

Das Ideal des Klassenkampfes ist der berühmte Umsturz: nicht der Aufbau von etwas Neuem, sondern die Zerstörung von Vorhandenem. Es ist ein Ziel ohne Zukunft. Es ist der Wille zum Nichts. Die utopischen Programme sind nur für die seelische Bestechung der Massen da.

Da es altmodisch und schädlich sein kann, sich heute Kommunist (z. B. Leninist, Trotzkist, Castroist, Maoist, Titoist usw.) zu nennen, wählen sie stattdessen den grammatischen Unsinn mit dem negativen Präfix „Anti“. Der Terminus „ Antifa“ ist ein Ehrenzeichen für sie geworden. Es ist für einen Systemakademiker, Systempolitiker oder einen Systemjournalisten der BRD rentabler sich als Antifa zu beschreiben, statt sich als Altkommunist zu bezeichnen.

An den destruktiven Zielen ändert das natürlich nichts.

Inselbauer

19. Februar 2015 00:00

Aus dem oben erwähnten Protokoll-Buch geht übrigens klar und deutlich hervor, dass L. ein Mörder war. Da braucht man gar nicht, wie der Autor des Artikels, Mutmaßungen anzustellen. Wer unter den Bedingungen der stalinistischen Diktatur und mit dem Wissen des L. über die damaligen Machtmechanismen, bei schwächeren Konkurrenten ohne Not und gezielt "moralische Schmutzflecken", "unleugbares Abweichlertum", "trotzkistische Tendenzen", "schwerwiegenden Verrat" oder gar "Hass auf unsere Sowjetmacht" öffentlich brandmarkt, der bringt diese Konkurrenten um. Und sie sind ja auch alle umgebracht worden, auf seine "Kritik" hin.
Da gibt es überhaupt nichts zu diskutieren oder zu relativieren.

Joseph von Sternberg

19. Februar 2015 07:00

Ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen - und ohne Lukács zu mögen - gibt es Stellen in dem Aufsatz die paradox wirken.

1. Zwar wird zurückgewiesen, daß der Mann erst durch Lenin "erweckt" wurde, da seine politische Ausrichtung schon viel früher abgeschlossen war. Andererseits wird die politische Begründung seiner Kriegsdienstvermeidung in Zweifel gezogen. Dabei wäre das die konsisitentere Interpretation, wenn man Lukács Marxismus für das Jahr ´14 zugrunde legt.

2. Wann soll er mit "Genosse Mauser" zu den Bauern geredet haben? Aus dem Text ergibt sich das es frühestens in den 30ern gewesen sein muss: meines Wissens nach aber war Lukács mit profan-politischen Aufgaben nur in Ungarn 1918ff. und 1945ff. betraut. 1918 gab es allerdings noch keine sowjetischen Kollektivierungen - während ´45 Lukács m.E. schon zu "reif" für solch pubertäre Späße gewesen ist.

Ich wäre dankbar, wenn Sie mich aufklären würden...

Karl Martell

19. Februar 2015 11:04

@ Joseph von Sternberg

Ich erlaube mir zu Punkt eine Antwort.

Er war während der viermonatigen ungarischen Räterepublik 1919 stellvertretender Volkskommissar für Unterrichtswesen in der Regierung von Béla Kun. Während der Monate April-Juni war er als politischer Kommissar der 5. Division der ungarischen Rote Armee an allen Fronten an Einsätzen beteiligt. Durch seine Befehle sind mehrfach Menschen ums Leben gekommen, z. B. gab es sechs Tote bei den Erschießungen des „Massakers von Poroszló“. Bei den Kämpfen in Budapest oder bei weiteren Erschießungen sind erneut Menschen umgekommen. Wie hoch die Anzahl der durch Lukács’ revolutionäre Aktivitäten ums Leben gekommenen Menschen insgesamt ist, lässt sich nicht genau sagen. In einem am 2. Dezember 1940 in Moskau abgefassten Lebenslauf berichtete er selbst über seine damalige Lage in Ungarn: „Die weiße Regierung Ungarns verfolgte mich wegen über 200 Mordtaten und forderte meine Auslieferung, um das Todesurteil an mir zu vollstrecken […].“

(Arpad Kadarkay)

Carl Sand

19. Februar 2015 22:51

Ironisch, dass ausgerechnet Lukasz andere des Trotzkismus bezichtigt und damit ermordet hat -

da er selbst als Kulturmarxist, der das zertrümmerte Psychowrack als revolutionäres amaterielles Substrat züchtete, ein Trotzkist erster Ordnung war.

Nein, die Erschießung der Trotzkisten sollte man Väterchen Stalin am wenigsten vorwerfen - aber bedauerlich, dass es Lukasz nicht erwischt hat.

Inselbauer

21. Februar 2015 09:53

@ Carl Sand
10 min im Hotel Lux, und Ihre Wortwahl wäre wieder o.k.

Rightwing

21. Februar 2015 16:12

Meines Wissens war Georg Lukacs kein Ungar, sondern ein kommunistischer Jude aus Ungarn, der beim Ausbruch der 1956-er Revolution nach Moskau geflohen war. Seine Schülerin und Bewunderer ist Agnes Heller, ebenfalls Kommunistin und Jüdin aus Ungarn. Sie wurde von "Die Zeit" als "Starphilosoph" Ungarns hochgespielt wurde. An ihr kann man die bodentiefe Verlogenheit von Kommunisten (Solschchenizin) bestens studieren.

Leo Naphta

24. Februar 2015 10:41

@ Rightwing

"(...) der beim Ausbruch der 1956-er Revolution nach Moskau geflohen war"

Das ist unrichtig. Lukàcs floh in die jugoslawische Botschaft, verließ diese aber wieder und wurde anschließend verhaftet. Meines Wissens war er der einzige der von den Sowjets nach Rumänien verschleppten Spitzenkader, der mit dem Leben davonkam.

Settembrini

25. Februar 2015 13:39

Na, hier sind ja hermeneutische Trolle unterwegs:
@ Unke
Die „Frankfurter Schule“ wird explizit genannt.
@ Inselbauer
Ohne Mutmaßung wird klipp und klar gesagt: Lukacs war ein Mörder: Genickschüsse!
@ Joseph von Sternberg
Nicht die politische, sondern die psychologische Erklärung für die Kriegsdienstdrückerei wird zurückgewiesen.
@ Karl Martell
Dieser Wikipedia-Fund bringt kein Zitat von A. Kadarkay, wie man bei Wikipedia leicht nachprüfen kann. Doch vermutlich ein Zitat aus einem Aufsatz des Rezensenten:
https://www.geschichte-der-arbeiterbewegung.de/bzg_inhalt_jg49.html
Oder hier:
https://www.etappe.org/ausgaben/21-etappe/
Die Sache scheint also weit links und weit rechts diskutiert zu werden. Werde ich mir mal bei Gelegenheit in einer Bibliothek vergönnen.

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