Houellebecqs Roman “Unterwerfung” – endlich ein paar Gedanken dazu

Zurecht haben Leser unseres Netz-Tagebuchs bedauert, daß wir uns über Houellebecqs Roman Unterwerfung bisher nicht ...

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

geäu­ßert haben. Das hat Grün­de: Zum einen wer­den wir im Sezes­si­on-Son­der­heft “PEGIDA” einen grund­le­gen­den Bei­trag von Richard Mil­let über die Pari­ser Anschlä­ge und Hou­el­le­becq ver­öf­fent­li­chen – dar­in ist das Wesent­li­che in unse­rem Sin­ne aus­ge­führt. Zum andern:

Wir sind alle­samt mit der Lek­tü­re nicht fer­tig gewor­den. Licht­mesz schreibt an sei­nem Char­lie-Kapla­ken, Kositza hat Hou­el­le­becq gegen­über eine Ekel­bar­rie­re, Leh­nert hat sich sein Exem­plar erst am Wochen­en­de abge­holt und ich bin im Drei­eck Leip­zig-Dres­den-Schnell­ro­da auf der Stre­cke geblieben.

Nun bin ich aber durch und notie­re ers­te Gedan­ken, und zwar in Stich­punk­ten. Gleich­zei­tig rufe ich hier­mit zu Leser­re­zen­sio­nen auf. Ein­sen­de­schluß ist der 27. Febru­ar, Adres­se: redaktion(at)sezession.de. Die drei klügs­ten Bespre­chun­gen wer­den im Netz-Tage­buch ver­öf­fent­licht, die Ver­fas­ser bekom­men ein Notiz­buch ihrer Wahl.

Nun eini­ges aus mei­nen Noti­zen zum Buch:

  • Kur­ze Inhalts­an­ga­be: Der etwa 45jährige Lite­ra­tur­wis­sen­schaft­ler Fran­cois pro­to­kol­liert sei­ne eige­ne Nutz­lo­sig­keit und Deka­denz, spie­gelt sei­ne müde Sinn­su­che mit der sei­nes Lieb­lings­au­tors Huys­mans und beob­ach­tet gleich­zei­tig ein span­nen­des Wett­ren­nen um das Prä­si­den­ten­amt in Frank­reich. Es setzt sich der gemä­ßig­te Mus­lim­bru­der Moham­med Ben Abbes durch, unter­stützt von den lin­ken und bür­ger­li­chen Par­tei­en, die Mari­ne Le Pen vom Front Natio­nal als Prä­si­den­tin unbe­dingt ver­hin­dern wol­len. Moham­med Ben Abbes über­rascht die fran­zö­si­sche Eli­te mit ver­lo­cken­den Ange­bo­ten, dem Plan eines isla­mi­schen Mit­tel­meer­groß­raums und einer Abgren­zung zu fun­da­men­ta­lis­ti­schen Strö­mun­gen sei­ner Reli­gi­on. Nach eini­gem Zögern kon­ver­tiert Francois.
  • Neben­strang I: Im ers­ten Drit­tel des Buches, als noch nicht klar ist, wer die Prä­si­dent­schafts­wahl gewin­nen wird, spie­len Dia­lo­ge mit einem Füh­rungs­ka­der der Iden­ti­tä­ren Bewe­gung (des Bloc Iden­ti­taire) eine wich­ti­ge Rol­le. Hou­el­le­becq streift die rechts­in­tel­lek­tu­el­le Theo­rie nicht nur, son­dern klopft sie auf ihr Wider­stands­po­ten­ti­al ab. Er kommt dabei sogar auf jene Unent­schie­den­heit im Umgang mit dem Wider­stands­po­ten­ti­al des Islams zu spre­chen, die man auch inner­halb der deut­schen Rech­ten fin­den kann: den isla­misch auf­ge­füt­ter­ter Anti­ame­ri­ka­nis­mus und Anti­zio­nis­mus. Das Ver­hal­ten der Iden­ti­tä­ren nach der mos­le­mi­schen Macht­über­nah­me bleibt indifferent.
  • Neben­strang II: Auf einer Fahrt in die Pro­vinz nimmt Fran­cois deut­li­che Zei­chen eines nicht nur stil­len Bür­ger­kriegs im Lan­de wahr. Nach­rich­ten davon haben ihn in Paris nicht erreicht – was nicht in den Medi­en ist, exis­tiert nicht. Klar wird, daß die Kräf­te der Poli­zei und der Armee nicht aus­ge­reicht haben, die Inne­re Sicher­heit zu gewährleisten.
  • Neben­strang III: Es spielt für Sta­bi­li­tät des Staa­tes, für die Stadt Paris und den Fort­gang des All­tags über­haupt kei­ne Rol­le, daß die Uni­ver­si­tä­ten für eini­ge Mona­te ihre Pfor­ten schlie­ßen und ihr Lehr­per­so­nal aus­tau­schen. Wer gehen möch­te, bekommt groß­zü­gi­ge Pen­sio­nen, wer kon­ver­tiert und bleibt, das Drei­fa­che des Gehalts. Die neu­en Macht­ha­ber ver­hin­dern so das revo­lu­tio­nä­re Poten­ti­al einer frei­ge­setz­ten Intel­li­genz. Hou­el­le­becq zeigt aber auch, wie irrele­vant und ohne Kraft die in ihrer Spe­zia­li­sie­rung nur noch sich selbst repro­du­zie­ren­de Geis­tes­wis­sen­schaft ist.
  • Iden­ti­tät: Die Fra­ge nach der Sinn­stif­tung ist der rote Faden des Buchs. Der frucht­lo­sen, deka­den­ten und ver­wirr­ten west­li­chen Welt wird die simp­le, kla­re, in Tei­len vor­mo­der­ne Iden­ti­tät der mos­le­mi­schen All­tags­re­ge­lung und Gesell­schafts­ord­nung ent­ge­gen­ge­stellt. Mos­lem zu sein bedeu­tet in die­sem Sin­ne zual­ler­erst: in vie­len Berei­chen kei­ne Fra­gen mehr zu stel­len und irgend­wann kei­ne Fra­gen mehr zu haben. Das ist für Fran­cois nicht zuletzt des­halb ver­lo­ckend, weil selbst Fra­gen der Sexua­li­tät auf eine ihn erre­gen­de Wei­se geord­net erschei­nen. Als glän­zend ver­die­nen­dem Uni­ver­si­täts­pro­fes­sor wird ihm der Hei­rats­ver­mitt­ler für jeden Bereich des Lebens die rich­ti­ge Frau zufüh­ren, drei oder vier könn­ten es zuletzt sein. Das ist für ihn im Grun­de nicht weit ent­fernt von den Diens­ten des Escort-Ser­vices, den er zuvor in Anspruch nahm.
  • Glau­be: Fran­cois wird kon­ver­tie­ren, und das ist eine rei­ne Form­sa­che. Der Ver­such, in einem christ­li­chen Klos­ter eine Art inne­rer Emi­gra­ti­on zu leben, schei­tert nach weni­gen Tagen: Der­lei besitzt für Typen wie Fran­cois kei­ne iden­ti­täts­stif­ten­de Kraft mehr.
  • Männ­li­che Unter­wer­fung: Hoel­le­becq hat in sei­nem Roman den männ­li­chen Weg der Unter­wer­fung skiz­ziert, die auf­grund der Pri­vi­le­gie­rung der Män­ner im Islam in Tei­len gar kei­ne ist. Zu Wider­stands­hand­lun­gen kommt es nicht, der Rück­zug ist die ein­zi­ge Opti­on neben der Anpas­sung oder einer (im Fal­le Fran­cois’ pri­vi­le­gier­ten) Unterordnung.
  • Weib­li­che Unter­wer­fung: Ich habe wäh­rend des Lesens immer wie­der an John M. Coet­ze­es Roman Schan­de gedacht. Er skiz­ziert die weib­li­che Form der Unter­wer­fung, und zwar am Bei­spiel einer wei­ßen Far­me­rin in Süd­afri­ka, die von eini­gen Schwar­zen ver­ge­wal­tigt wird. Ihr Vater muß­te zuvor wegen sexu­el­ler Beläs­ti­gung einer Stu­den­tin die Uni­ver­si­tät ver­las­sen. Er ist in Rage, wird aber von sei­ner Toch­ter zurecht­ge­wie­sen, die ihm jede sta­bi­le Iden­ti­tät abspricht und ihm sei­ne Hilf­lo­sig­keit vor Augen führt. Ihr Weg: Sie hei­ra­tet als Neben­frau einen der Chefs jener Sip­pe, aus der die Ver­ge­wal­ti­ger stam­men. Sie über­gibt damit ihre Farm, kann dort aber – nun geschützt – weiterwirtschaften.

Soweit mei­ne Skiz­ze. Ich hal­te Hou­el­le­becqs Roman für stark in sei­ner Scho­nungs­lo­sig­keit und in der Dis­kus­si­ons­brei­te, die er absteckt. Ein roman­ti­scher Wider­stands­ro­man ist die­ses Buch nicht. Bestel­len kann man es hier, Coet­ze­es Schan­de ist als Taschen­buch hier erhält­lich.

Nun freue ich mich auf Rezen­sio­nen (bis zum 27. II. einreichen!).

Götz Kubitschek

Götz Kubitschek leitet den Verlag Antaios

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Kommentare (26)

Martin

19. Februar 2015 10:56

Sehr gute, kurze Zusammenfassung. Ich möchte, ebenfalls in aller Kürze, noch folgendes ergänzen:

- M.H. zeigt interessante Querfronten auf, so hat z.B. die katholische Kirche sich recht schnell mit dem Muslimbrüdern arrangiert - Dies ist, wenn man Pegida im Westen anschaut, auch bei uns irgendwie der Fall. Es bleibt abzuwarten, wie der Papst angesichts der vor kurzem einmal wieder stattgefundenen Christenabschlachtungen zukünftig diese Linie sieht.

- Im Roman "Unterwerfung" deutet zunächst viel auf einen stattfindenden Bürgerkrieg hin bzw. scheint alles dafür perfekt angerichtet zu sein. Bis auf eine kurze, heiße Phase anlässlich des Raubes von Wahlurnen unterbleibt er aber bzw. wird er sehr rasch im Keim erstickt und damit kommt auch keine Gegenwehr mehr aus etwaiger rechter oder identitärer Seite, dass Ganze erledigt sich offenbar sehr rasch. Eigentlich findet eben kein Bürgerkrieg statt (hier möchte ich G.K. ein bisschen widersprechen).

- Konvertiten zum und "Kollaborateure" mit dem Islam sind im Roman Unterwerfung oft ehem. "Identitäre" bzw. "Rechte". Guénon wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich erwähnt. Kein Wunder, stellt doch der Islam nach ihm (und eigentlich auch nach Evola) eine der letzten "traditionalen" Weltanschauungen dar.

- Mit der immer wieder vorkommenden Bezugnahme auf Huysmans als Rahmen bzw. Leitfaden des Romans knüpft M.H. an seine Vorgehensweise aus dem (hervorragenden!) Essay über Lovecraft (Gegen die Welt. Gegen das Leben) an, durch Literaturvermittlung eine Weltsicht dazustellen. Am Ende steht Huysmans übrigens nicht so gut dar (hier will ich nicht alles verraten).

- Die pornografischen Stellen sind sparsam in diesem Buch und damit ist dieses Buch auch erträglich für Menschen, die damit Probleme haben (Kann man getrost auch überblättern). Kein Vergleich zu Romanen von M.H. wie "Plattform".

- In dem Buch stecken sehr viele Stränge, Symbole und Andeutungen (alleine im Bezug auf das katholische Abendland: Martel, Rocamadour, Ligugé etc. Oder die stattfindende Auswanderung der Juden aus Frankreich etc.) und es bietet viel Anlass für ein vertieftes Nachdenken über eben diese Inhalte und für Diskussionen.

- Mein Fazit: Ein starkes Buch von M.H.!

t.gygax

19. Februar 2015 11:23

"Kositza hat gegenüber H. eine Ekelbarriere". Um Glück gibt es noch Frauen wie E.K. Ich habe den Houellebeck gelesen, weg gelegt und gleich wieder verkauft. Der Roman ist besser geschrieben als seine Werke vor 15 Jahren (....) , kommt aber weder stilistisch noch inhaltlich an die Schärfe und Brillianz von Jean Raspail ( Sieben Reiter verließen die Stadt/Sire/Heerlager der Heiligen) heran.
Die Sinnsuche (Katholizismus!) wirkte nicht ganz überzeugend auf mich, und die angedeutete Unterwerfung am Schluß offenbart einiges von der resignativen und erschöpften Grundhaltung Houellebecks.

Und gewisse Passagen hätte er sich spraen können, ich habe einfach keine Lust mehr, etwas von der Sexualität frustrierter und schwächlicher Männer zu lesen, wen interessiert denn dieses Zeug?

Unke

19. Februar 2015 11:43

Bin seit "Ausweitung der Kampfzone" (1999) begeisterter Houllebecq- Leser. H. hat optisch seit jener Zeit allerdings stark nachgelassen...
Er hatte damals einen Nerv getroffen, und das nicht nur bei mir.
Sein neuestes Werk scheint das am wenigsten romanhafte zu sein; es ist eine Prognose dessen, was da in unmittelbarer Zukunft kommt. "Not with a bang, but with a whimper" ((c) offenbar T.S. Elliot). Ob das alles nur der "Entropie des Systems" zuzuschreiben ist? Wahrscheinlich, denn die (grob geschätzt) 20% Profiteure verfahren nach dem Göringschen Motto "Hauptsache gut gelebt", der Rest (mich eingeschlossen) hat ohnehin nichts zu sagen und muss schauen wo er bleibt.

Simon

19. Februar 2015 11:52

Ich werde das Buch selbst nicht lesen, aber die Rezension finde ich sehr interessant! Für das Jahr 2040 ist das als Szenario für Frankreich gar nicht so unwahrscheinlich. Wohl wahrscheinlicher als eine Regierung der FN. Ich kann mir auch durchaus vorstellen, dass es in Frankreich viele Konservative gibt, die eines Tages ihren Frieden mit dem Islam machen, unter dem Motto: Immer noch besser als Gendermainstreaming, Amerikanisierung, Atheismus und Homo-Ehe.

Herzog

19. Februar 2015 13:05

t.gygax hat "einfach keine Lust mehr, etwas von der Sexualität frustrierter und schwächlicher Männer zu lesen, wen interessiert denn dieses Zeug?"

nun, t.gygax kann sich ihren (seinen?) wunsch sehr leicht selbst erfüllen --- und derartige texte von houellebecq oder anderen tatsächlich einfach nicht mehr lesen.

die unnötig herabwürdigende, durch und durch verächtliche art ihrer (seiner?) oben zitierten äußerung zeigt dagegen, wie selbstzufrieden und ungescheut männerbeschimpfung in unserem land betrieben wird, leider auch oft in "unseren" reihen.

warum sollen sich eigentlich männer --- deutsche oder westliche männer --- noch irgendwie für ihre eigenen frauen engagieren, sei es ökonomisch, moralisch, sonstwie, wenn das alles günstigstenfalls schweigend-mürrisch als selbstverständlichkeit hingenommen wird, hingegen nahezu jede nicht vollkommene wunscherfüllung, gar schwäche, anlass für verächtliches verhalten, weibliche entsolidarisierung, verspottung etc. ist?

erst wenn der letzte westliche mann demoralisiert und kleingekriegt ist, werden die westlichen frauen merken, dass sie von moslems keine komplimente, keine apple-computer und keine reisen ind die karibik bekommen.

Martin

19. Februar 2015 16:10

...wen interessiert denn dieses Zeug?

mich zum Beispiel ;)

Und damit @ t.gygax und @ Herzog

Die Pornografie in manchen von M.H.s Büchern (sie kommt ja, entgegen allen Unkenrufen, nicht in Allen vor) hat immer auch eine tiefere Schicht und bietet Anlass zu weiteren Deutungsmöglichkeiten, als das schlicht oberflächlich bei der Lektüre Wahrnehmbare bei Manchen zunächst vermuten lässt. Sie dient eigentlich immer dem Handlungs- und Erzählstrang (und natürlich auch, um gewisse Skandale zu produzieren, ohne die M.H. wohl keinen so großen Leserkreis gefunden hätte. Einblicke in die Vermarktung von "Kunst" bietet "Karte und Gebiet" von M.H. Aber das ist ein anderes Thema) und erklärt uns die handelnden Figuren in ihrem gesellschaftlichen Kontext und zeigen einen tieferen Sinn auf. Von daher fällt sie für mich eindeutig in den Bereich künstlerische Freiheit/Ausdrucksmöglichkeit und sie ist eben keine reine Pornografie, trotz der sehr expliziten und auch provokanten Art der Darstellung.

Ich will jetzt nicht - auch wenn es durch Beitrag 2 in diesem Diskussionsstrang den Anschein hat - in eine reine M.H. Apologie verfallen oder den bloßen Fanboy geben, aber gerade beim Roman "Unterwerfung" ist aus den expliziten Szenen viel zu entnehmen, auch wenn ich denen, die sie entbehren hätten können, Recht gebe, dass sie nicht wirklich zwingend nötig für gerade diesen Roman waren, daher habe ich in meinem vorherigen Beitrag auch geschrieben, dass man sie überblättern kann, wenn man so etwas nicht mag. Den Charakter von Francois (auch dieser Name ist nicht unbewusst gewählt), seinem Land und unsere derzeitige europäische Gesellschaft und deren Sexualvorstellungen bzw. deren sexuelle Heilsversprechungen erhellen sie aber schon. Die Szenen und ihr Kontext haben eine Doppelbödigkeit und von daher haben sie mich interessiert und auch nicht abgestoßen. Ich persönlich fand sie für den Roman von Nutzen.

Klaus F.

19. Februar 2015 16:39

Vielen Dank für die Übersicht. Ich glaube nicht, daß ich es mir kaufen werde, die Ekelbarriere vor der gar nicht so abwegigen Aussicht ist einfach zu groß. Nur eine Anmerkung, bei einer großen Rezension dürfte gerne gleich eingangs erwähnt werden, daß „Unterwerfung“ die wörtliche Übersetzung des Wortes „Islam“ ist, und nicht „Frieden“, was man uns immer gerne weismachen will. Wer Webseiten wie PI-News frequentiert, der weiß das bereits, aber vielleicht mag ja nicht jeder in diesen Ecken herumklettern.

Simon

19. Februar 2015 17:50

"Den Charakter von Francois (auch dieser Name ist nicht unbewusst gewählt), seinem Land und unsere derzeitige europäische Gesellschaft und deren Sexualvorstellungen bzw. deren sexuelle Heilsversprechungen erhellen sie aber schon."

Ich muss sagen, ich habe nie eine Zeile von M. H. gelesen, aber aus dem, was ich über seine Bücher gelesen habe, ist bei mir der Eindruck entstanden, dass er das Problem mit der Sexualität total übertreibt.

Neunzig Prozent der erwachsenen Menschen haben wohl eher ein ziemlich normales und wenig spektakuläres Sexualleben, ohne Peitschen, Fetische und sie feiern auch keine Orgien. Mein Eindruck ist sogar, dass die Menschen da wieder viel konservativer sind als noch in den siebziger und achtziger Jahren und insgesamt früher mehr geraucht, gekifft, gesoffen und gevögelt wurde als heute. ich würde sagen, die jüngere Generation ist wieder sehr viel braver und bürgerlicher, als die Generation, die jetzt in Rente geht.

Ich würde vermuten, dass H. M. seinen persönlichen Problemdruck, den seiner Generation und seines Milieus einfach auf die ganze Gesellschaft übertragen hat. Oder vielleicht ist es auch in Frankreich anders als in Deutschland?

Hans Meier

20. Februar 2015 01:19

Der Roman ist durchaus kein romantischer Widerstandsroman - und das ist auch gut so!
Das Verstörende des Buches ist gerade die widerwärtige Geschmeidigkeit, mit der der Verlust des Eigenen "geschieht". Und daher ist der Roman auch wirkungsvoll, weit in die Reihen der vermeintlichen Gutmenschen hinein. Und darum geht es, um die Schwächung der gegnerischen Front, um die Verbreitung des Zweifels an der bisherigen platten Multikulti-Religion.

A) Die Identitären und der Front National bleiben im Roman unscharf und entfernt. Der Focus geht nicht näher an sie heran und bildet damit den Zurückhaltenden, Vorsichtigen, den Durchschnittsbürger ab, der sich von Konflikten eher fernhält.
M.H. entwirft die Rechten mit Absicht nicht als leuchtende oder gar erfolgreiche Helden des Abwehrkampfes. Das hat drei Gesichtspunkte:
1. Es wird einfach die medial erzeugte Allgemeinwahrnehmung ("Radikale", "Rechtsextremisten") kolportiert und fertig. Ein getreues Bild der Medienarbeit. Es gibt keine inhaltliche Diskussion, keine Prüfung ihrer Argumente. Damit zeigt der Autor plakativ, wie hohl das Verfahren der Ausgrenzung ist - und wohin es schließlich führt. M.H. diskreditiert, ohne dass er selbst oder seine Figur als Rechte auftreten, den "Kampf gegen Rechts" als Kollaboration mit der Islamisierung, als Selbstaufgabe. Und das ist Gold wert.
2. M.H. selbst scheint dem Nihilismus verfallen zu sein und Gefallen vor allem darin zu finden, das Publikum mit seinem periodischen nihilistischen Exhibitionismus zu erschrecken - um dann zu feixen: "Was wollt ihr denn, ist doch halb so wild?" Im Gespräch in einer französischen Fernsehsendung sagte er entsprechend, der Islam, den er zeige, sei kein extremer, sondern ein friedlicher Islam. Eben.
3. Es ist in der Wirkung so viel besser, als wenn der Autor den platten Kampf zwischen einem gewalttätigen Islam und dem heroischen Widerstand sympathischer und erfolgreicher Identitärer zeigen würde.
Dann nämlich wäre es für die Linke und die Mitte sehr viel leichter, das Buch und das Thema zu verdrängen. Und tatsächlich ist die wahre Gefahr, in der die europäischen Völker stehen, ja nicht so sehr die akute gewaltsame Machtübernahme von Islamfreunden, sondern die schrittweise demographische Übernahme. Diese Strategie hat allergrößtes Interesse an einem friedlichen Ablauf, um keinen Widerstand zu wecken. Wir können davon ausgehen, dass in den Moscheen in Europa die Pferde scharf gezügelt werden, aus eigenstem Interesse.

B) Die Kirche und die Konservativen bekommen im Roman das Angebot, die Übernahme als Restauration einer religiösen Gesellschaft und als Wiederbelebung konservativer Familienwerte zu betrachten.
1. Das ist sicher sehr realistisch und geht auf die Beobachtung zunächst des Verhaltens vieler Kleriker zurück. Auch in Deutschland werfen sie sich dem Islam gerade zu an den Hals. Wir müssen aber wissen, dass das in Deutschland und vielleicht Frankreich eine Ausnahmesache ist, da die 68er-Bewegung auch in die Kirche hineingeschwappt ist und genügend Pfarrer und Bischöfe von der Schlechtigkeit der Deutschen und der Europäer überzeugt sind incl. Buße durch Selbstabschaffung.
2. Viele Priester sind aber natürlich verunsichert über die Zukunft des Christentums. Das ist aber auch hausgemacht: Die Kirche und die evangelischen Abspaltungen sind in der Wahrnehmung der Bürger (natürlich auch durch kirchenfeindliche Medien) hauptsächlich mit Geldzählen beschäftigt und kaum mit einer mutigen Verkündigung des Evangeliums. Die Priester wollen sich drücken vor der unangenehmen Aufgabe, dem Zeitgeist der Zerstörung die Stirn zu bieten und für Familie, Volk und Religion das Wort zu erheben. Kein Wort zur Abtreibung, zu den vielen Millionen Toten sein Jahrzehnten. Nichts. Aber "Flüchtlinge", die müssen gerettet werden (woraufhin immer mehr die riskante Überfahrt versuchen). Heuchler! Es ist der pure Selbsthass.
3. Viele Priester machen sich was vor, da doch jeder einen Silberstreif am Horizont braucht: Wenn der Islam sich in Europa ausbreite, dann werde das Thema "Religion" insgesamt wieder stärker wahrgenommen und auch eine Belebung des Christentums möglich sein.
Das meinen die im Ernst. Jedenfalls teilweise.
Ist natürlich völliger Irrsinn. Kraft kommt aus der eigenen Quelle oder gar nicht. Ein Blick auf Südamerika oder China zeigt, dass das Christentum auch heute sehr wohl vital sein kann. Wenn man es ernst nimmt und vor allem: Wenn man sich selbst achtet.

C) Die pornographischen Passagen wirken wie eine zynische Pflichtübung. Sie sind aber, wie schon angemerkt, auch stimmig als Beispiel der sinnentleerten Konsumwelt des Westens: Sex hat kein Fortpflanzung zur Folge. Er ist nur noch Genusssport und verschafft Entspannung. Andere laufen.

D) Die Rolle der Frau ist wichtig, weil ja vor allem Frauen Romane und auch diesen lesen. Viele werden wie Frau Kositza vom Ekel-Pornographischen abgeschreckt sein, viele andere werden die "Rückschrittlichkeit" des Islam bei der Frauenrolle konkreter bedenken. Alices Schwarzers Weg ist hier wichtig.

Insgesamt:
Ich denke, der Roman leistet sehr viel. Kaum ein anderer kann zur Zeit leisten, was er leistet, auch durch seine bleibende Verbundenheit mit dem Beweis des Problems durch den Anschlag.

Der Impuls, den er in Frankreich freisetzen sollte, ist das genaue Gegenteil seiner Prophezeiung: Alle, die sich im Roman gegen die Präsidentschaft von Le Pen verbünden, sollten sich mit ihr in einer wahren "Republikanischen Front" verbünden, um die Republik zu erhalten. Wer weiß schon mehr über die Wirkung des Buches in Frankreich?
Und bei uns sollte er als warnendes Beispiel für die Folgen des "Kampfes gegen Rechts" beschworen werden. Kein Gespräch ohne Hinweis auf das Buch!

Monika

20. Februar 2015 14:57

Dies ist kein islamkritisches oder gar islamfeindliches Buch. Houellebecq fördert in seiner Roman-Fiktion lediglich "Tendenzen der Gegenwart zutage" ( Gespräch FAZ 27.1.15)
In diesem Falle : Der Islam tritt nicht bedrohlich oder aggressiv auf, sondern er sickert ganz selbstverständlich in das Sinnvakuum der westlichen liberalen Gesellschaft ein.
Wie Scholl-Latour formulierte: "Ich fürchte nicht die Stärke des Islam, sondern die Schwäche des Abendlandes".
Der Protagonist François verkörpert diese Schwäche eindrucksvoll: ein daseinserschöpfter, glaubensloser, leicht verschmuddelter Dozent. Ab und an eine Triebabfuhr, ein Besäufnis, ein Essen. Keine Freundin. Keine Familie.
Die Unterwerfung dieses "Daseinserschöpften" erfolgt widerstandslos, fast ist eine Erleichterung spürbar, der Last eines selbstbestimmten Daseins enthoben zu werden. François stellt verwundert fest, dass keine jungen Frauen in engen kurzen Röcken seine Gedanken mehr ablenken. Vielmehr befreien ihn nun züchtig gekleidete muslimische Studentinnen von der letztlich schalen Erfahrung eines neuerlichen Sexabenteuers .

Wir aufgeklärten Westeuropäer erfahren uns in diesem Roman als die eigentlich Erlösungsbedürftigen. Das macht die Stärke dieses Romans aus. Der fehlende Widerstand François' und anderer Geistesarbeiter zieht den Leser in seinen Bann. Man ertappt sich dabei zu denken: Was ist eigentlich schlimm an einer solch sanften Islamisierung. Da gibt es durchaus Gemeinsamkeiten mit dem Katholizismus usw.
Rediger, ein konvertierter Hochschullehrer, bringt es auf den Punkt:

"Es ist der grandiose und zugleich einfache Gedanke, daß der Gipfel des menschlichen Glücks in der absoluten Unterwerfung besteht"

S. 234

Die Sehnsucht nach Unterwerfung scheint in der sog. aufgeklärten Gesellschaft zu bestehen. Es kann kein Zufall sein, daß " Shades of Grey "
zum Bestseller wurde. Ein Buch, das die weibliche Sehnsucht nach Unterwerfung zu d e m Thema macht. Ein Film, wenn auch über sexuelle Unterwerfung, der alle Kassenrekorde bricht.

Klonovsky schreibt in seiner Rezension "Unterwerfung" ( acta 2.2.15)

Es ist eine bekannte seelische Wahrheit, daß die Unterwerfung unter einen Gott den Menschen für alles andere in einer Weise frei macht, um die ein Ungläubiger den Gläubigen nur beneiden kann.

Am Ende des Romans stellt sich die Frage, wieso uns " Daseinserschöpften" unser tiefer Glaube verloren gegangen ist. Und wie wir die Stärke des Christentums wiederfinden können.

Houellebecq gibt darauf eine Antwort. Als Schlüsselszene benennt H. den Besuch von François in Rocamadour. Der Held betrachtet zum letzten Mal die Schwarze Jungfrau:

Ich fühlte mich generell bereit, mich zu verlieren, zumal ich mich in einem eigenartigen Zustand befand, denn mir kam es so vor, als würde die Muttergottes sich erheben, sich von ihrem Sockel lösen und wachsen, als wäre das Jesuskind bereit, sich von ihr loszumachen, und ich hatte den Eindruck, daß es nur seinen rechten Arm zu heben brauchte, um die Heiden und Götzendiener zu vernichten, und die Führer der Welt würden ihm "als Gott, als Allvater und als Herr" wieder folgen.

Ach, Houellebecq wollte seinen Roman ursprünglich Bekehrung nennen.

Ich kann diese Buch nur empfehlen. Es ist mein erster Houellebecq. Und ich bin froh, daß ich die "Ekelbarriere" überwunden habe, die mich die anderen Houellebecq-Bücher nie hat lassen.

Langer

20. Februar 2015 15:25

"Islam", auf deutsch: "Unterwerfung", auf christlich: "Verrat".

Huibeck

20. Februar 2015 16:06

Kurzum: I love Houellebecq!

kommentar kubitschek:
igitt!

Frenchman

20. Februar 2015 17:30

Nachdem fast alles zum Buch gesagt wurde: Es ist ein irgendwie geniales Buch, das ich nur empfehlen kann. Zur Dekadenz des Westens gehören auch die wenigen pornographischen Zeilen. Der Verfasser "reitet den Tiger" in perfekter Form.

Ich finde es lächerlich, hier den Sittenwächter zu spielen und nach dem Besuch bei SiN Pornovideos anzusehen. Oder liege ich da falsch und es gibt hier nur "anständige" Menschen?

Marianne

20. Februar 2015 17:38

Nach einigen Tagen verwirrten Nachdenkens über dieses Buch bin ich zu dem Schluss gekommen, dass H. die vom Katholizismus geprägte französische Bourgoisie und Intelligenzia vernichtend beschreibt, indem er klar macht, dass es für deren männliche Vertreter überhaupt keinen Unterschied macht, ob sie "christlich" oder "muslimisch" sind - im Gegenteil. Der Islam macht ihnen ihre chauvinistische Arroganz und Frauenverachtung noch viel leichter, denn die kann man damit ganz und gar offen ausleben. Ein alternder Professor braucht sich nirgends mehr dafür zu rechtfertigen, dass er mit einem halben Kind rumvögelt und kann seine ebenfalls gealterte "erste Frau" als Hausangestellte behalten. So wirds doch wohl schon lange macherorts üblich sein, man darf es nur hier und heute (ich meine im aufgeklärten Westen mit seinen emanzipierten Frauen) nicht laut sagen.

Falls irgendwas von H.'s schrecklichen Visionen sich anschickt Realität zu werden, liegt es in der Hand der Frauen, es rechtzeitig zu bemerken und vielleicht zu verhindern. Zu spät ist es dann, wenn sich die Herren des Islam mit den Herren der "Aufklärung" öffentlich zusammen tun - so wie in H.'s Buch und die Frauen sich hauptsächlich damit beschäftigen, auch mit 50 (von weitem) noch auszusehen wie mit 30. Dann haben sie ohne Not alles verspielt, was sie in Europa in den letzten 200 Jahren erreicht haben.

jack

20. Februar 2015 18:24

erst wenn der letzte westliche mann demoralisiert und kleingekriegt ist, werden die westlichen frauen merken, dass sie von moslems keine komplimente, keine apple-computer und keine reisen ind die karibik bekommen.

Man könnte darüber nachdenken, ob westliche Frauen nicht insgeheim gerne auf diese DInge verzichten und stattdessen davon bewegt werden:

Die Sehnsucht nach Unterwerfung scheint in der sog. aufgeklärten Gesellschaft zu bestehen. Es kann kein Zufall sein, daß “ Shades of Grey “
zum Bestseller wurde. Ein Buch, das die weibliche Sehnsucht nach Unterwerfung zu d e m Thema macht. Ein Film, wenn auch über sexuelle Unterwerfung, der alle Kassenrekorde bricht.

Nackte Weibchen gibt es wie Sand am Meer. Dass Männer darauf noch immer reagieren ist überhaupt erstaunlich und bestätigt , dass der Homo sapiens letztlich ein Tierart ist, die nur darauf konditioniert werden muss, zu ihren Ursprüngen zurückzukehren.

Derjenige, der dieser „Tierart“ zu fressen gibt, „Unterkünfte“ für sie schafft, dressiert sie später, sich von Bildern unterhalten zu lassen,sorgt dafür, dass sie sich ausschliesslich mit ihren Fortpflanzungsorganen beschäftigen, ohne sich fortzupflanzen. Die Verständigung mittels Sprache und Schrift ist sekundär. Bilder übernehmen die Verständigung, Hörbücher in einfachster Diktion, Beschallung mit beruhigendem oder aufpeitschendem Rhythmus, dazu Gestammel, bis zur beruhigenden Kopulation Aller mit Allen.

Man ist diesbezüglich auf einem guten Weg. Die ganzen nackten mit sich spielenden „Halbaffen“, wie man sie allenthalben beobachten kann, sind der beste Beweis dafür.

Zurück zu den Wurzeln, bis der aufrechte Gang verschwunden ist.

Wenn man den Gedanken auf die Spitze treibt, könnte es sein, dass der regide Islam die Rettung ist. (Auch ein "Gott" der uns noch retten kann?)

Huibeck

20. Februar 2015 19:30

Aber aber, Herr Kubitschek,
erstens heißt das ogott und nicht igitt, mit Verlaub und zweitens:
ich hab einen gewaltigen Stand auf die houellebecqsche biopsychophysische Einheit und Sie lieben und beschützen Ihr Land abgöttischst. So hat halt jeder seine Liebhabereien.

Waldgänger (e.B.) aus Schwaben

20. Februar 2015 21:40

"Die Psyche der breiten Masse ist nicht empfänglich für alles Halbe und Schwache. Gleich dem Weibe, dessen seelisches Empfinden weniger durch Gründe abstrakter Vernunft bestimmt wird als durch solche einer undefinierbaren, gefühlsmäßigen Sehnsucht nach ergänzender Kraft, und das sich deshalb lieber dem Starken beugt, als den Schwächling beherrscht, liebt auch die Masse mehr den Herrscher als den Bittenden, und fühlt sich im Innern mehr befriedigt durch eine Lehre, die keine andere neben sich duldet"

Schrieb ein späterer deutscher Reichskanzler und Präsident (mit Migrationshintergrund) vor über 90 Jahren.

Alles bekannt, da braucht man keinen Roman drum herum schreiben.

Urwinkel

21. Februar 2015 01:09

Zitat-Gelaber: "Ich finde es lächerlich, hier den Sittenwächter zu spielen und nach dem Besuch bei SiN Pornovideos anzusehen. Oder liege ich da falsch und es gibt hier nur „anständige“ Menschen?"

>>>>>>>>> Grenze, Antwort: <<<<<<<<<

"nur „anständige“ Menschen?" zeigen Sie mir den Platz. Es nervt! Ich suche seit über zwanzig Jahren nach denen, den "Anständigen". Vergeblich. Sie werden Jahr für Jahr gleich schlecht, falls es sie gibt. Ich bin nicht in der Lage, mich darüber zu beklagen; höchstens zu beschweren und zu fragen, was da eigentlich los ist. Den Spaß erlaube ich mir am kommenden Wochenende wie ein Weib zur Karnevalszeit zu lästern. Annekdoten vorbehalten. Die kommen damit nach, wenn sie lustig sind. Freut euch schonmal. Aber erstmal sehen. Nach all dem Geschwatze über Hol., auch von Klonovsky, komme ich, Urwinkel zu einem verwertbaren Schluss: dieses Buch kann man nach dem Lesen ganz selbstgewiss in den Ofen werfen. Auch die wichtige Frage "was bleibt?" Es bleibt eigentlich nichst; höchstens bemüht aufgezwungener Schwulst. Hierbei bleibt eine Resterschütterung. Als wir frische Grützwust auf dem Teller hatten, träumtet ihr noch vom Vegetarismus. Ach du lieber Gott: Haben Sie eine kommende Hungsersnot auf dem Schirm? Kurz: ich habe und hatte gehaltvollere Lektüre. Hat jemand "gewaltvollere Lektüre" glesen? Ich ja, und ich kommentiere mich damit gerne selbst.

Thomas Lang

21. Februar 2015 13:45

@Urwinkel
Kann es sein, daß ihnen während ihrer "Feierzeit" zuviele Hofmänner über den Weg geradelt sind? Denn meistens hat man den Eindruck von Selbstgesprächen.

Monika

21. Februar 2015 15:49

Ich möchte mich nochmals für Houellebecqs Buch stark machen !
Es sollte Pflichtlektüre für intellektuelle Rechte sein !

Die "Ekelbarriere" ist kein Argument ( man kann die " heiklen" Stellen überlesen. Man muß den zombiehaft aussehenden Houellebecq auch nicht mt François gleichsetzen, was zugegebenermaßen schwer fällt).

Trotzdem: Houellebecq trifft den Nerv der Zeit. Er ist ein sensibler Beobachter. Und sehr sehr traurig und erlösungsbedürftig.

1. unter soziologischem Aspekt wurde diese Zeiterscheinung von Alain Ehrenberg beschrieben . In dem Buch: Das erschöpfte Selbst. ( besser franz. : La Fatique d' être soi....die Anstrengungndes Selbstseins
https://www.deutschlandfunk.de/alain-ehrenberg-das-erschoepfte-selbst-depression-und.730.de.html?dram:article_id=102380

2. das "erschöpfte Selbst" ist zutiefst erlösungsbedürftig. Es bedarf einer
tiefen spirituellen Kraft.
In dem Gespräch mit Silvain Bourmeau sagt Houellebecq, daß eine Gesellschaft ohne Religion nicht halten kann:
https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article135972657/Eine-islamische-Partei-ist-eigentlich-zwingend.html

Auch habe er ( H. ) vorgehabt, das Buch Bekehrung zu nennen. Es habe aber nicht funktioniert, den Helden sich zum Katholizismus bekehren zu lassen. ... Die spirituelle Kraft in Rocamadour entfernt sich in die Jahrhunderte.

3.

Die Idee des Vaterlandes reicht für sich allein genommen nicht, sie muss mit etwas stärkerem verbunden werden, mit Mystik höherer Ordnung

sagt der Hochschullehrer Tanneur und zitiert Péguy. ( S. 140)

4. Auch der muslimische Präsident Ben Abbes denkt sich Europa als erweitertes Reich . Sein Vorbild ist Kaiser Augustus. Er denkt Europa als Zivilisationsprojekt und weniger als Wirtschaftsmacht. Der Natonalstaatsgedanke tritt hinter den Reichsgedanken zurück.

All diese Gedankengänge Houellebeqcs sind spannend.
Das flapsig abzutun ( da braucht man keinen Roman drum herum schreiben), das nennt man wohl anmaßend. Oder ignorant.
Also: Bitte noch ein paar ernste Zuschriften !!!
Herr Lichtmesz, übernehmen Sie .

Hartwig

22. Februar 2015 08:19

@ Monika
Pflichtlektüre ist eine großes Wort. Aber keine Sorge. Houellebecq wird ausreichend gewürdigt. Sein neuestes Buch bekam durch die Anschläge von Paris einen zusätzlichen Push, der den Roman auf so manchen Nachttisch befördert, auf dem er sonst nicht landen würde. Aber seine "Fan-Gemeinde" ist ohnehin groß. Ich zähle mich auch dazu. "Unterwerfung" liegt bei mir schon bereit und wird bei nächster Gelegenheit gelesen.

Als "Visionär" mag H. seine Qualitäten haben, aber die Stärke seiner Bücher sehe ich im gnadenlosen Sezieren der Dekandenz und des Verfalls seiner Helden in der abendländischen Jetztzeit. Vulminant schildert er die Blüten, die die A-Religiösität und damit eine gewisse Pflichtvergessenheit treibt. Das beginnt mit dem Verlust an Bindungswilligkeit (und - fähigkeit) und dem daraus erwachsendem Leid nebst aller leidmindernden Befriedigungssüchte. Ich sehe in Houellebecq einen vergeblich nach Gott suchenden und stehe ihm dabei nicht ganz fern. Bin gespannt, wie er Bezug zu Huysmans nehmen wird, der nach diversen geistigen Eskapaden sein Heil im Schoße der kat. Kirche fand.

Martin

22. Februar 2015 13:04

@Hartwig
Sie werden überrascht sein, wie es am Ende mit der Sicht auf Huysmans ausgehen wird, ich will jetzt aber nicht zu viel verraten.

Und jetzt wieder ans große Plenum:

Ich habe alles an Prosa, was es von M.H. in deutscher Übersetzung gibt, gelesen und empfehle für alle, die sich für mehr als nur 1 Buch von M.H. interessieren und sich den Autor evtl. etwas systematischer erarbeiten wollen (auch wenn das nicht wirklich nötig ist. Man kann sich auch einfach ein Buch von ihm schnappen und los legen - Aber so sind wir Deutschen doch nicht, oder?) als Einstieg in das Werk von M.H. sein Essay über H.P. Lovecraft (Gegen die Welt. Gegen das Leben), den er zeitlich deutlich vor seinen Romanen geschrieben hat, mit welchen er dann seinen "Durchbruch" geschafft hat. Da wird schon sehr viel gesagt, was sich später auch in seinen Romanen wiederfinden lassen kann. Für den Versuch, M.H. verstehen zu wollen, ist die Lektüre dieses Buches meiner Meinung nach unabdingbar. Dieser Essay ist auch Sex-frei, falls das für den einen oder anderen ein Kriterium sein sollte.

Heidelberger Akif

22. Februar 2015 18:20

Ich möchte nur am Rande anmerken (da ich leider keine Zeit habe eine echte Rezension zu schreiben) dass die z.B. von Klonovsky und (prägnanter) in der am besten bewerteten Amazon-Rezension vertretene Idee, Houellebecq habe eigentlich gar nicht über "den Islam" geschrieben, sondern eher ausschließlich über die europäische Gesellschaft, meiner Ansicht nach zutrifft.
Den Islam baut der Autor als Gegenbild zum dekadenten und trostlosen Europa auf, aber er hat vom "eigentlichen" Islam relativ wenig verstanden, ebenso von den Muslimen in Europa.
Dass er "den Islam" trotzdem relativ gut trifft, liegt daran dass er das Bild des modernen politischen Islam zugrundelegt, welcher von seinen Begründern wie Hassan Al-Banna, Sayyid Qutub oder Abu Ala Maududi aber auch als Reaktion auf das Sendungsbewusstsein des kolonialistischen Europas konzipiert wurde, als "The muslimic man's burden", und sich daher seinem französischen Horizont relativ gut erschließt. Wirklich tief geht das aber natürlich nicht, aus meiner Sicht bleiben die muslimischen Charaktere äußerst hölzern.
Mit Kulturkriegs-Theorien von Huntington im Hinterkopf kann man nämlich bestimmt keinen guten Roman über das "exotische Andere" schreiben bzw. eine leidenschaftliche, nicht thesenhafte Darlegung des Islam und seiner Wirkungs-kraft und -macht - das hatte die deutsche Orientwissenschaft stets besser verstanden als die englische oder französische.

Als kurze Anekdote zu Houellebecqs Desinteresse am Islam eignet sich, dass er auf den letzten Seiten die Shahada, das islamische Glaubensbekenntnis, das zentrale Epistem der islamischen Welt, falsch übersetzt, was sowohl in der deutschen als auch der franzsösischen Version der Fall ist. Besonders tief hat er sich mit dieser Materie nicht beschäftigt.
Aber ich hoffe ich habe am Anfang deutlich gemacht, dass der Roman tiefgründige Reflexionen zum Islam auch gar nicht nötig hat, er ist auch so ausgezeichnet ! Auch wenn ich Houellebecqs Hang zur Pornographie nie anders deuten konnte als als Versuch, auch einhändig lesende Leser anzusprechen, zwecks eines Mehrs an Verkäufen.

Außerdem finde ich hier angemessen, auf etwas hinzuweisen was mich im konservativen Deutschland im letzten Jahr gestört hat: Eisbrecherwirkung und geniale Invektive hin oder her, Akif Pirincci hätte solch ein Buch niemals schreiben können, dafür mangelt es ihm um Lichtjahre an intellektuellem Format, obwohl sein Bild des Islam sich bei Houellebecq eigentlich 1:1 wiederfindet.

Alf Grün

22. Februar 2015 19:01

Es handelt sich um einen Dekolonialisierungsroman. Hier wird real abgebildet, was bereit in ehemaligen französischen Kolonien dem Bürgertum widerfahren ist, eine schleichende Islamisierung unter Kontrolle von Saudi-Arabien, die zu einem konservativen Islam in der Gesellschaft führt und den französischen Sonderweg des Laizismus beendet.

Besonders ist die Betonung der identitären Bewegung, die als Verschwörer hinter der Wandlung steht. Eine Linke existiert nicht.

Ich frage mich allen Ernstes ob ein "deutscher Islam" nicht ein Vehikel für konservatives Gedankengut sein mag. Das Böse ist der Vergleich der Islamisierung eines Sarrazins mit der Islamisierung eines Houellebeqcs. Houellebeqcs Islamisierung ist eine rechte. Oder der Durchbruch von rechts geht nur über den Islam.

Martin

23. Februar 2015 10:30

Oder der Durchbruch von rechts geht nur über den Islam.

Das möge Gott verhindern!

Im Übrigen ist der Islam grundsätzlich (= Ausnahmen gibt es selbstverständlich) eine universale, globalistische Weltauffassung, der einheitliche Lebensverhältnisse auf der ganzen Welt anstrebt. Von daher ist der Islam für jeden nicht aus einem islamischen Kulturkreis Stammenden, der einen Nationalstaat alter Prägung, in dem der jeweilige Staat die Dinge für jede Nation selbständig regelt und für alle, die bereits jetzt eine "One World" nicht attraktiv finden, abzulehnen.

Man sollte den Teufel nicht mit Beelzebub austreiben.

Leonore

10. März 2015 13:59

""Ich frage mich allen Ernstes ob ein 'deutscher Islam' nicht ein Vehikel für konservatives Gedankengut sein mag."

Dieser Gedanke erinnert mich an J.R.R. Tolkiens Trilogie "Der Herr der Ringe". Auch da wurde der Kampf zwischen Gut und Böse immer wieder dadurch erschwert, dass "Gute", meist tapfere, kluge Leute, meinten, die Macht des Bösen (den Ring) benutzen zu können, um die Guten beim Kampf gegen die Bösen stärken zu können.

"Konservativ" ist ja z.B. auch die Hochschätzung der Frau (als "Vermittlerin der Gnade" = Maria; als Muse der Minnesänger; als "ewig Weibliches", das uns "hinanzieht"; als verlässliche und kluge Lebenspartnerin, die Kinder nicht nur gebären, sondern auch erziehen und fördern kann. Dem diametral entgegen steht das Frauenbild des Islams: "Unzulänglich in der Intelligenz" sei sie, behauptet Mohammed, "denn [sic]) ihre Zeugenaussage ist nur halb so viel wert wie die Zeugenaussage eines Mannes". Und "unzulänglich in der Religionsausübung" sei sie noch dazu, denn [sic!] sie kann [!] ja während der Menstruation weder fasten noch beten. Deshalb sei die "Mehrzahl der Höllenbewohner" Frauen, hat Mohammed in einer Offenbarungs-Vision gesehen. Sagt er.

Zum Konservativsein gehört auch das "Sapere aude!" Kants bzw. die Paulinische Aufforderung "Prüfet alles, das Gute behaltet!", aus der sie mittelbar erwachsen ist. Das ist mit dem Ablebgen des eigenen Verstandes zusammen mit den Schuhen im Eingangsereich der Moschee unvereinbar.

Die Gewissenserforschung, die das Werfen des ersten Steins (hoffentlich) zuverlässig verhindert, gehört ebenfalls zum konservativen Wertekanon. Wer wollte sie austauschen gegen die "Blame-Culture" einer Steinigungsreligion, deren Götze seinen Anhängern befiehlt: "Und habt kein Mitleid mit den Übertretern!", nachdem er die Strafe für Ehebruch (100 Peitschenhiebe, wenn es einfach nur um Unzucht, also nicht um Ehebruch geht) verkündet hat und dazu befahl, daß Zeugen ihrer Vollstreckung beiwohnen sollen.

Hingegen das Mitleid als treibende Kraft hinter dem Christentum überhaupt: Weil Gott aus Mitleid mit den sich immer wieder in Schuld und Leid verstrickenden Menschen überhaupt nur Mensch geworden ist. Und weil er von uns das Mitleid mit dem Mitmenschen nicht etwa als Vorbedingung zur Erlösung verlangt (die ist ein Geschenk, das man einfach nur gläubig-dankbar anzunehmen braucht), sondern als liebende Antwort auf die sich hingebende, aufopfernde Liebe Gottes: "Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan").

Aber ich merke gerade, daß ich mich in einen Rausch rede, noch "stundenlang" weitermachen könnte - und deshalb besser sofort aufhören sollte.

Jedenfalls kann ich mich nur Martin anschließen:

Man sollte nicht versuchen, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben!

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