geäußert haben. Das hat Gründe: Zum einen werden wir im Sezession-Sonderheft “PEGIDA” einen grundlegenden Beitrag von Richard Millet über die Pariser Anschläge und Houellebecq veröffentlichen – darin ist das Wesentliche in unserem Sinne ausgeführt. Zum andern:
Wir sind allesamt mit der Lektüre nicht fertig geworden. Lichtmesz schreibt an seinem Charlie-Kaplaken, Kositza hat Houellebecq gegenüber eine Ekelbarriere, Lehnert hat sich sein Exemplar erst am Wochenende abgeholt und ich bin im Dreieck Leipzig-Dresden-Schnellroda auf der Strecke geblieben.
Nun bin ich aber durch und notiere erste Gedanken, und zwar in Stichpunkten. Gleichzeitig rufe ich hiermit zu Leserrezensionen auf. Einsendeschluß ist der 27. Februar, Adresse: redaktion(at)sezession.de. Die drei klügsten Besprechungen werden im Netz-Tagebuch veröffentlicht, die Verfasser bekommen ein Notizbuch ihrer Wahl.
Nun einiges aus meinen Notizen zum Buch:
- Kurze Inhaltsangabe: Der etwa 45jährige Literaturwissenschaftler Francois protokolliert seine eigene Nutzlosigkeit und Dekadenz, spiegelt seine müde Sinnsuche mit der seines Lieblingsautors Huysmans und beobachtet gleichzeitig ein spannendes Wettrennen um das Präsidentenamt in Frankreich. Es setzt sich der gemäßigte Muslimbruder Mohammed Ben Abbes durch, unterstützt von den linken und bürgerlichen Parteien, die Marine Le Pen vom Front National als Präsidentin unbedingt verhindern wollen. Mohammed Ben Abbes überrascht die französische Elite mit verlockenden Angeboten, dem Plan eines islamischen Mittelmeergroßraums und einer Abgrenzung zu fundamentalistischen Strömungen seiner Religion. Nach einigem Zögern konvertiert Francois.
- Nebenstrang I: Im ersten Drittel des Buches, als noch nicht klar ist, wer die Präsidentschaftswahl gewinnen wird, spielen Dialoge mit einem Führungskader der Identitären Bewegung (des Bloc Identitaire) eine wichtige Rolle. Houellebecq streift die rechtsintellektuelle Theorie nicht nur, sondern klopft sie auf ihr Widerstandspotential ab. Er kommt dabei sogar auf jene Unentschiedenheit im Umgang mit dem Widerstandspotential des Islams zu sprechen, die man auch innerhalb der deutschen Rechten finden kann: den islamisch aufgefütterter Antiamerikanismus und Antizionismus. Das Verhalten der Identitären nach der moslemischen Machtübernahme bleibt indifferent.
- Nebenstrang II: Auf einer Fahrt in die Provinz nimmt Francois deutliche Zeichen eines nicht nur stillen Bürgerkriegs im Lande wahr. Nachrichten davon haben ihn in Paris nicht erreicht – was nicht in den Medien ist, existiert nicht. Klar wird, daß die Kräfte der Polizei und der Armee nicht ausgereicht haben, die Innere Sicherheit zu gewährleisten.
- Nebenstrang III: Es spielt für Stabilität des Staates, für die Stadt Paris und den Fortgang des Alltags überhaupt keine Rolle, daß die Universitäten für einige Monate ihre Pforten schließen und ihr Lehrpersonal austauschen. Wer gehen möchte, bekommt großzügige Pensionen, wer konvertiert und bleibt, das Dreifache des Gehalts. Die neuen Machthaber verhindern so das revolutionäre Potential einer freigesetzten Intelligenz. Houellebecq zeigt aber auch, wie irrelevant und ohne Kraft die in ihrer Spezialisierung nur noch sich selbst reproduzierende Geisteswissenschaft ist.
- Identität: Die Frage nach der Sinnstiftung ist der rote Faden des Buchs. Der fruchtlosen, dekadenten und verwirrten westlichen Welt wird die simple, klare, in Teilen vormoderne Identität der moslemischen Alltagsregelung und Gesellschaftsordnung entgegengestellt. Moslem zu sein bedeutet in diesem Sinne zuallererst: in vielen Bereichen keine Fragen mehr zu stellen und irgendwann keine Fragen mehr zu haben. Das ist für Francois nicht zuletzt deshalb verlockend, weil selbst Fragen der Sexualität auf eine ihn erregende Weise geordnet erscheinen. Als glänzend verdienendem Universitätsprofessor wird ihm der Heiratsvermittler für jeden Bereich des Lebens die richtige Frau zuführen, drei oder vier könnten es zuletzt sein. Das ist für ihn im Grunde nicht weit entfernt von den Diensten des Escort-Services, den er zuvor in Anspruch nahm.
- Glaube: Francois wird konvertieren, und das ist eine reine Formsache. Der Versuch, in einem christlichen Kloster eine Art innerer Emigration zu leben, scheitert nach wenigen Tagen: Derlei besitzt für Typen wie Francois keine identitätsstiftende Kraft mehr.
- Männliche Unterwerfung: Hoellebecq hat in seinem Roman den männlichen Weg der Unterwerfung skizziert, die aufgrund der Privilegierung der Männer im Islam in Teilen gar keine ist. Zu Widerstandshandlungen kommt es nicht, der Rückzug ist die einzige Option neben der Anpassung oder einer (im Falle Francois’ privilegierten) Unterordnung.
- Weibliche Unterwerfung: Ich habe während des Lesens immer wieder an John M. Coetzees Roman Schande gedacht. Er skizziert die weibliche Form der Unterwerfung, und zwar am Beispiel einer weißen Farmerin in Südafrika, die von einigen Schwarzen vergewaltigt wird. Ihr Vater mußte zuvor wegen sexueller Belästigung einer Studentin die Universität verlassen. Er ist in Rage, wird aber von seiner Tochter zurechtgewiesen, die ihm jede stabile Identität abspricht und ihm seine Hilflosigkeit vor Augen führt. Ihr Weg: Sie heiratet als Nebenfrau einen der Chefs jener Sippe, aus der die Vergewaltiger stammen. Sie übergibt damit ihre Farm, kann dort aber – nun geschützt – weiterwirtschaften.
Soweit meine Skizze. Ich halte Houellebecqs Roman für stark in seiner Schonungslosigkeit und in der Diskussionsbreite, die er absteckt. Ein romantischer Widerstandsroman ist dieses Buch nicht. Bestellen kann man es hier, Coetzees Schande ist als Taschenbuch hier erhältlich.
Nun freue ich mich auf Rezensionen (bis zum 27. II. einreichen!).
Martin
Sehr gute, kurze Zusammenfassung. Ich möchte, ebenfalls in aller Kürze, noch folgendes ergänzen:
- M.H. zeigt interessante Querfronten auf, so hat z.B. die katholische Kirche sich recht schnell mit dem Muslimbrüdern arrangiert - Dies ist, wenn man Pegida im Westen anschaut, auch bei uns irgendwie der Fall. Es bleibt abzuwarten, wie der Papst angesichts der vor kurzem einmal wieder stattgefundenen Christenabschlachtungen zukünftig diese Linie sieht.
- Im Roman "Unterwerfung" deutet zunächst viel auf einen stattfindenden Bürgerkrieg hin bzw. scheint alles dafür perfekt angerichtet zu sein. Bis auf eine kurze, heiße Phase anlässlich des Raubes von Wahlurnen unterbleibt er aber bzw. wird er sehr rasch im Keim erstickt und damit kommt auch keine Gegenwehr mehr aus etwaiger rechter oder identitärer Seite, dass Ganze erledigt sich offenbar sehr rasch. Eigentlich findet eben kein Bürgerkrieg statt (hier möchte ich G.K. ein bisschen widersprechen).
- Konvertiten zum und "Kollaborateure" mit dem Islam sind im Roman Unterwerfung oft ehem. "Identitäre" bzw. "Rechte". Guénon wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich erwähnt. Kein Wunder, stellt doch der Islam nach ihm (und eigentlich auch nach Evola) eine der letzten "traditionalen" Weltanschauungen dar.
- Mit der immer wieder vorkommenden Bezugnahme auf Huysmans als Rahmen bzw. Leitfaden des Romans knüpft M.H. an seine Vorgehensweise aus dem (hervorragenden!) Essay über Lovecraft (Gegen die Welt. Gegen das Leben) an, durch Literaturvermittlung eine Weltsicht dazustellen. Am Ende steht Huysmans übrigens nicht so gut dar (hier will ich nicht alles verraten).
- Die pornografischen Stellen sind sparsam in diesem Buch und damit ist dieses Buch auch erträglich für Menschen, die damit Probleme haben (Kann man getrost auch überblättern). Kein Vergleich zu Romanen von M.H. wie "Plattform".
- In dem Buch stecken sehr viele Stränge, Symbole und Andeutungen (alleine im Bezug auf das katholische Abendland: Martel, Rocamadour, Ligugé etc. Oder die stattfindende Auswanderung der Juden aus Frankreich etc.) und es bietet viel Anlass für ein vertieftes Nachdenken über eben diese Inhalte und für Diskussionen.
- Mein Fazit: Ein starkes Buch von M.H.!