Houellebecq: “Unterwerfung” – Leserrezension III

Nach den vorangegangenen Einlassungen von Peter Marselis und Lutz Müllers veröffentlichen wir hiermit die dritte und letzte Leserrezension zu Michel Houellebecqs Unterwerfung (hier zur Bestellung). Sie widmet sich einer eingehenderen Betrachtung der – in diesem Netztagebuch bereits in Kommentaren kontrovers diskutierten – scheinbaren Sexualfixierung Houellebecqs; Verfasser ist unser Leser E.B.:

Befrie­dung der Kampfzone

Es fällt nicht schwer, sich grob den Inhalt des neu­en Romans von Michel Hou­el­le­becq aus den zahl­rei­chen Bespre­chun­gen im Inter­net zusam­men­zu­rei­men. Die fol­gen­de Rezen­si­on bie­tet daher kei­ne Inhalts­an­ga­be. Sie geht auch nicht auf die Vor­stel­lun­gen oder „Visio­nen“ ein, die H. vom isla­mi­sier­ten Frank­reich der Zukunft hat. Hier­zu einen Kom­men­tar abzu­lie­fern, sind ande­re beru­fe­ner. Viel­mehr geht es im fol­gen­den dar­um, die Stel­lung von „Unter­wer­fung“ im gesam­ten (Prosa-)Werk H.s zu ver­or­ten und in die­sem Rah­men auf H.s Dia­gno­se bezüg­lich der Krank­heit des Abend­lan­des auf­merk­sam zu machen.

In sei­nem Erst­lings­werk „Aus­wei­tung der Kampf­zo­ne“ the­ma­ti­sier­te H. die Sexu­el­le Revo­lu­ti­on. Die der­ben Sex­sze­nen, die er bereits in die­sem Roman ein­bau­te, dür­fen den Leser dabei nicht dar­über hin­weg­täu­schen, daß H. im Grun­de genom­men ein­zig und allein die Schat­ten­sei­ten die­ser Revo­lu­ti­on auf­zeig­te. Der Ich-Erzäh­ler im genann­ten Roman ist ein Mann, der nach den post-revo­lu­tio­nä­ren Regeln der Paar­bil­dung durch das Ras­ter fällt und im wesent­li­chen leer aus­geht. Er ist weder attrak­tiv, noch geist­reich im Umgang, noch extro­ver­tiert – also nicht in der Lage, auf dem Markt für den sexu­el­len Aus­tausch zwi­schen den Geschlech­tern aus­rei­chend Wer­bung für sich zu machen. Statt­des­sen beob­ach­tet er nei­disch die Erfol­ge attrak­ti­ve­rer Män­ner, die in die­ser sexu­ell libe­ra­li­sier­ten Welt allen­falls noch die eine Qual, näm­lich die der Wahl, haben.

Die­se Grund­the­ma­tik taucht mehr oder weni­ger in allen Roma­nen H.s wie­der auf. Die Part­ner­su­che fin­det in einer Kampf­zo­ne statt, wo sich die­je­ni­gen durch­set­zen, die auf sexu­el­ler Ebe­ne am meis­ten zu bie­ten haben. Die Sehn­sucht nach Lie­be, Zwei­sam­keit und Sexua­li­tät läßt sich in der von H. geschil­der­ten Welt nur befrie­di­gen, indem man bei die­sem Kampf mit­macht. Die tra­di­tio­nel­len Regeln, wonach sich der Erfolg bei der Part­ner­wahl nicht nach Aus­se­hen, Elo­quenz, Potenz oder ähn­li­chen Kri­te­ri­en rich­tet, son­dern nach der Fähig­keit, eine Fami­lie zu ernäh­ren, haben ihre Gel­tung ver­lo­ren. Dem­entspre­chend dre­hen sich die Gedan­ken der meis­ten Roman­fi­gu­ren H.s nicht um die Fra­ge, wie man im Beruf oder im Leben reüs­sie­ren kann, um somit die Vor­aus­set­zung für den „Besitz“ einer Frau zu erfül­len, son­dern umge­kehrt dar­um, wie man eine Frau erobert, um den ande­ren Bestand­tei­len der eige­nen Exis­tenz ex post einen Sinn zu geben. Erfolg­reich sind die Ver­su­che der Prot­ago­nis­ten in H.s frü­he­ren Roma­nen, dau­er­haft eine Frau an sich zu bin­den, übri­gens nie. Eine Fol­ge der Fokus­sie­rung auf die (ver­geb­li­che) Suche nach Glück in einer Part­ner­schaft ist dann natür­lich, daß sich die von H. geschil­der­ten Män­ner für nichts ande­res mehr inter­es­sie­ren. Sie sind gelang­weilt und ange­wi­dert von der Welt und sich selbst, und weder Beruf, noch Hob­by, noch sonst irgend­et­was bringt ihnen Erfül­lung in einer Gesell­schaft, die einer­seits die sexu­el­le Lie­be ver­göt­tert, sie ande­rer­seits aber nicht jedem ermöglicht.

Der Ich-Erzäh­ler in H.s neu­em Roman „Unter­wer­fung“, ein Pro­fes­sor für Lite­ra­tur an einer Pari­ser Uni­ver­si­tät, ist ein typi­scher Ver­tre­ter der von H. immer wie­der beschrie­be­nen Sor­te Mann. Auf der einen Sei­te ist er intel­li­gent und, nach ober­fläch­li­chen Maß­stä­ben gemes­sen, erfolg­reich im Beruf, auf der ande­ren Sei­te ist er trotz­dem ver­zwei­felt auf der Suche nach Sinn in sei­nem Leben, was ins­be­son­de­re bedeu­tet: nach einer Part­ne­rin. Aus zwei Grün­den ist er nicht in der Lage, eine Frau dau­er­haft an sich zu bin­den. Zum einen ver­las­sen ihn sei­ne jewei­li­gen Lieb­schaf­ten nach zumeist nur weni­gen Mona­ten, weil sie „jeman­den getrof­fen“ haben. Zum ande­ren hat er selbst schon den Glau­ben an die Mög­lich­keit einer dau­er­haf­ten Bezie­hung mit einer Frau – im Grun­de genom­men mit über­haupt irgend­ei­nem Men­schen – ver­lo­ren. Eine bür­ger­li­che Ehe ist für ihn weni­ger etwas, das er ableh­nen wür­de, als viel­mehr eine Ange­le­gen­heit, die er gar nicht mehr nach­voll­zie­hen kann. Er spricht dar­über wie ein Wis­sen­schaft­ler, der etwas außer ihm Lie­gen­des begrei­fen möch­te, etwas, das er aus sich sel­ber her­aus gar nicht ver­ste­hen kann.

Der Islam bie­tet nun einen Aus­weg aus die­sem Dilem­ma. Im Frank­reich der Zukunft kommt eine Mus­lim­brü­der­schaft an die Macht, die die oben beschrie­be­ne Kampf­zo­ne ein­fach wie­der abschafft. Nicht mehr der­je­ni­ge hat Chan­cen auf eine Frau, der sich markt­schreie­risch in eige­ner Sache betä­tigt, son­dern der­je­ni­ge erhält die – auf­ge­paßt – Töch­ter ande­rer Män­ner, der eine Fami­lie ernäh­ren kann. Einem Pro­fes­sor mit ordent­li­chem Gehalt ste­hen somit sogar zwei oder mehr Ehe­frau­en offen: eine jun­ge fürs Bett, eine älte­re fürs Kochen und Put­zen usw. Er muß ein­zig und allein kon­ver­tie­ren, um in die­sen Genuß zu kom­men. Die­sem ver­lo­cken­den Ange­bot, so endet der Roman, wird der Ich-Erzäh­ler nicht wider­ste­hen können.

Vor allem, wenn man „Unter­wer­fung“ neben „Aus­wei­tung der Kampf­zo­ne“ stellt, erschließt sich nach Ansicht des Rezen­sen­ten die Stoß­rich­tung von H.s neu­em Roman. Lie­be und Sexua­li­tät waren ein­mal insti­tu­tio­na­li­siert und kana­li­siert in der bür­ger­li­chen Ehe. Zugang zu die­ser Insti­tu­ti­on hat­te als Mann mehr oder weni­ger auto­ma­tisch, wer es im Leben zu etwas gebracht hat­te oder es zu etwas zu brin­gen ver­sprach. Die­se Ord­nung der Din­ge ist durch die Sexu­el­le Revo­lu­ti­on auf­ge­ho­ben wor­den. Die Aus­sicht auf fol­gen­lo­sen Sex mit zahl­rei­chen Part­nern wirkt dabei so attrak­tiv, daß sich kaum jemand dem ver­än­der­ten Lebens­ide­al ent­zie­hen kann – auch die­je­ni­gen nicht, die im Grun­de als Ver­lie­rer aus die­ser Ent­wick­lung her­vor­ge­hen. Die Aus­ru­fung der Sexua­li­tät zu einem sozu­sa­gen markt­fä­hi­gen Gut sorgt dafür, daß die­ser Aspekt des Lebens zuneh­mend in den Mit­tel­punkt rückt. H.s Prot­ago­nis­ten sind teil­wei­se beses­sen von die­sem The­ma. Ande­re Lebens­be­rei­che wer­den dage­gen ver­nach­läs­sigt und ver­lie­ren ihren Sinn, solan­ge das obers­tes Ziel, näm­lich ein zufrie­den­stel­len­des Sexu­al­le­ben, noch nicht erreicht ist. Zu allem Über­fluß scheint es laut H. aber auch gar nicht erreich­bar zu sein. Der Islam bie­tet dage­gen die Lösung für all die­je­ni­gen, die sich in der sexu­ell libe­ra­li­sier­ten Gesell­schaft nicht zurecht­fin­den. Er been­det die Sinn­su­che auf hori­zon­ta­ler Ebe­ne und bie­tet ein kla­res Sche­ma für die Paarbildung.

Für H. stellt der Islam also eine mög­li­che Ant­wort auf die Schat­ten­sei­ten der Sexu­el­len Revo­lu­ti­on dar. Daß das Chris­ten­tum, ins­be­son­de­re die katho­li­sche Kir­che, dem moder­nen Men­schen noch Erlö­sung von sei­nen inne­ren Qua­len brin­gen könn­te, wie das vor hun­dert Jah­ren bei Jor­is-Karl Huys­mans, dem gro­ßen Vor­bild des Ich-Erzäh­lers, noch mög­lich war, scheint H. aus­zu­schlie­ßen. Das Abend­land hat sich mit der Libe­ra­li­sie­rung der Sexua­li­tät selbst sturm­reif geschos­sen für eine – im übri­gen freund­li­che – Über­nah­me durch den Islam.

Michel Hou­el­le­becq: Unter­wer­fung, aus dem Fran­zö­si­schen von Nor­ma Cas­sau u. Bernd Wilc­zek, Köln: DuMont 2015. 280 S., 22.99 €, hier bestel­len.

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Kommentare (3)

Martin

5. März 2015 18:43

Zuerst:

Das Buch "Unterwerfung" bietet sehr viele Ebenen, die es Wert sind, auch einzeln zu betrachten und zu diskutieren, daher begrüße ich es, dass eine Rezension veröffentlicht wird, die sich im Schwerpunkt einer Ebene widmet, hier das Thema Sex und Beziehungen.

Aber:
Ich habe es etwas anders empfunden, als der Rezensent. Francois ist keiner, der grundsätzlich auf der Suche nach Ehe und Familie ist, obwohl man Scheidungskindern, wie er auch eines ist, oftmals unterstellt, sie würden dann gerade versuchen, das Gescheiterte ihrer Eltern besser zu machen.

Francois ist auch kein Versager und bietet alle finanziellen Rahmenbedingungen für eine Familiengründung, wenn er nur ernsthaft wollte.

Francois ist vielmehr ein typisch moderner, egoistischer und leicht übergriffiger Kerl, der seine Stellung als Dozent ohne jegliche Selbstzweifel oder Skrupel ausnutzt, um regelmäßig sexuelle Beziehungen zu Studentinnen zu beginnen. Dass diese nach einiger Zeit weg sind, ist ihm oder war ihm zumindest in der Vergangenheit ziemlich egal, da mit jedem neuem Semester der neue Nachschub an Studentinnen anrollt und da findet sich dann schon eine neue, die sich irgendetwas davon verspricht, mit dem Professor ins Bett zu gehen, bis sie eben merkt, dass "jemand anderes" dann doch interessanter für eine Beziehung ist. Francois ist also gerade kein Verlierer in der Kampfzone, wie der in dem Roman "Ausweitung der Kampfzone" geschilderte Tisserand.

Francois ist eigentlich schamlos und nutzt seine Stellung als Professor aus. Wäre er Lehrer von Schülerinnen, würde er sich vermutlich strafbar machen bzw. würde ein solches Verhalten nicht mehr "als in Ordnung" angesehen werden. Da die Studentinnen aber über 18 sind und "ja" dazu sagen, scheint es überhaupt kein Thema oder Problem zu sein, mit ihnen ins Bett zu gehen.

M.H. stellt dieses eigentlich "übergriffige" Verhalten bewusst in diesem Roman dar, auch um dem Leser ein Stück weit den Spiegel vor zuhalten. Ein Typ, also, der seine Stellung ausnutzt, der, als es mal eine Ernst mit ihm meint und die auch noch "gut im Bett" zu sein scheint, natürlich keinen Anlass dazu sieht, diese Frau zu ehelichen oder ihr gar zu folgen, als diese aus berechtigtem Anlass das Land verlässt. Nein, Francois bleibt lieber in seiner Komfortzone, seinem schön eingerichteten Solipsimus und seiner Verantwortungslosigkeit gegenüber Frauen. Wenn sich unten rum was regt, dann kann er eben zu Prostituierten gehen und im Übrigen gibt es Pornos für Zwischendurch. Seine Pension als Professor ermöglicht ihm das und damit ist auch der Wegbruch der Zugriffsmöglichkeit auf Studentinnen nach seiner Zwangspensionierung verkraftbar .

Francois jagt zwar dem ultimativen Orgasmus nach, der sich leider nur einmal bei einem prostituiertem Pärchen einstellen will, aber damit verhält er sich eben beispielhaft für die heutige Zeit und viele seiner Zeitgenossen. Der Orgasmus als Ersatzreligion und als Ersatzmystik - auch das ist eher typisch modern/postmodern.

Die Verlockung, durch den Islam dieses übergriffige Verhalten nun auch noch institutionalisieren zu können, durch Heirat mehrerer Frauen, die ihn dann auch noch im anstehenden Alter "versorgen" müssten, erscheint daher Francois attraktiv. Und jetzt kommt das oben bereits erwähnte "Spiegel vorhalten":

Die meisten Leser finden vermutlich dieses übergriffige Kerlchen und sein Sexualverhalten auch noch sympathisch und irgendwie nett bzw. haben dagegen wenig einzuwenden, aber bei der Vorstellung einer 15- jährigen Ehefrau, da geht das Näschen dann hoch, da zuckt die Augenbraue des Durchschnittslesers ... Das ist wohl einer der Effekte, die M.H. mit diesen Darstellungen erzielen will.

Der Westen hat als degenerierter, sexuell verwahrloster Raum mit akzeptierter Pornografie und Prostitution, bei dem ein Professor sanktionslos Jagd auf Studentinnen machen darf, solange die nur "ja" sagen, keinerlei moralische Legitimation mehr, einen Islam für dessen Behandlung der Frau und für dessen Polygamie zu kritisieren. Im Gegenteil, eigentlich erscheint der Islam diesen Zuständen fast eher moralisch überlegen.

Die Degeneration des Abendlandes auch auf diesem Gebiet eben.

Monalisa

5. März 2015 22:53

Sehr guter Kommentar, Martin.

wenigstens dürfte Francois dann noch feststellen, dass einige seiner ekligen Sexpraktiken im Islam haram sind und er auch den ach so unterwürfigen Araberinnen gegenüber verpflichtet ist, Kinder zu zeugen.

Andererseits scheint die Figur Francois so angelegt zu sein, dass er vermutlich zu einem halbwegs normalen Familienleben zurückfinden könnte. Über den islamischen Umweg und unter äußerem Druck zwar, aber widerspruchslos, schlussendlich erleichtert.

Keats

7. März 2015 16:58

Eine Gesellschaft, in der ein Mann bis zu vier Frauen heiraten kann, funktioniert nur, wenn durch Krieg und Eroberung ein permanenter Überschuß an jungen Frauen erzeugt wird. In Friedenszeiten gehen viele Männer notwendigerweise leer aus, zumal in Gegenden mit hoher Müttersterblichkeit. "Die Ausweitung der Kampfzone" ist im Islam systemimmanent. Nordafrika war nicht zufällig lange das Traumziel europäischer Homosexueller.

Der Westen hat sich auf den Islam zubewegt. An den Universitäten wird die Wissenschaft durch Glaubensdoktrinen be- und verdrängt (Genderismus etc.), ein "par ordre du mufti"-Stil hat sich auch in der deutschen Politik breitgemacht. Für eine Gesellschaft, in der wenige im Reichtum leben und sich die Mehrheit ergeben in ihr Schicksal fügen soll, bietet der Islam die ideale Herrschaftsideologie.

Aber Moslems und grüne Neolinke sind nur Bauern, die nach Belieben vorgeschoben und geschlagen werden. Bei Houellebecq schlägt der Islam-Bauer den mit Damen-Insignien angemalten Power-Frauen-Bauer vom Feld. Das Spiel ist noch lange nicht zu Ende. Schach und Schicksal sind nicht verwandt. In "Unterwerfung" waltet das Schicksal. Das ist eine gefährliche Illusion. Weder islamische noch die lebensuntüchtigen Genderismus-Funktionäre hätten, auf sich allein gestellt, in Europa irgendeine Bedeutung.

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