10.3. 2015
In unserem mindestens konservativen, eher reaktionären Haushalt wird viel gelesen, vor allem Belletristik. Bereits tote und noch lebende Dichter halten sich, gesamtfamiliär gesehen, etwa die Waage. Kubitschek liest 50/50, die älteste Tochter nahezu ausschließlich Verblichene, die zweite 70/30 zugunsten der Alten. Bei mir selbst kehrt sich letzteres Verhältnis um. Ich lese gern Zeitgenössisches. Umso mehr wurmt mich der Sturm im Wasserglas, den die FAZ-Redakteurin Sandra Kegel heute anrührt. Sie beklagt (und ist es nicht die 83. Klage dieser Art?), daß in den Schulen kaum zeitgenössische Literatur gelesen werde. Ganz bitter:
„Kommen die Romane von Thomas von Steinaecker, Michael Wildenhain oder Sibylle Berg, die Gedichte von Jan Wagner, Steffen Popp oder Nora Gomringer in den Klassenzimmern überhaupt je an? Die Antwort fällt ernüchternd aus: fast nie.“
Meine Güte! Sieben zeitgenössische Autoren stehen nicht im Schulkanon! Wie ernüchternd! Ich kenne mich nun in Hessen nicht mehr gut aus. In den Redaktionsstuben dort jedenfalls wird Patrick Süskinds großartiges (und offenkundig in den hessischen Schulen gelesenes) Werk „Das Parfum“ (1985) als „historischer Roman aus dem Frankreich des achtzehnten Jahrhunderts“ gezählt- gilt also als altbacken.
Frau Kegel:
Dreißig Prozent der Gymnasiasten sind ausländischer Herkunft, warum nicht mal Werke von Feridun Zaimoglu, Melinda Nadj Abonji oder Sherko Fatah auf die Listen setzen? In der Literatur geht es immer auch darum, das kritische Bewusstsein der jungen Leser zu wecken und sie ihre Umwelt in ihrer Prozesshaftigkeit erkennen zu lassen.
Das ist zweifelsohne extrem hübsch gesagt (bis auf die Listen-Formulierung), und Frau Kegel findet auch noch drei, vier, fünf Beispiele, wo an Schulen doch „moderne Literatur“ gelesen wird. Viel zu wenig!
Vielleicht ist Sachsen-Anhalt outer space, aber hier erlebe ich es definitiv anders. Gerade habe ich mich drüber geärgert, daß eine meiner mittleren Töchter in Deutsch Andreas Schlüters (hochmodernes! grottenschlechtes!) Buch „Das Machtspiel“ lesen mußte. (Hab mich nicht beklagt, weil´s eine ansonsten grandiose Lehrkraft ist.) Die Tochter erklärte mir, daß über ein Dutzend Bücher zur Auswahl standen. Die Schüler durften sich je eines zum Lesen und Referieren aussuchen. Sie nannte mir die Titel, die alle „zeitgenössisch“ waren – und die ich fast alle als unterirdisch empfand. In Erinnerung geblieben sind mir Bücher mit Titeln „Das ist mein Typ, du Miststück!“,„Schrei in der Stille“, „Cool bleiben, Hugo!“ „Bist du schwul, oder was?”
Gut, das will eventuell auch Frau Kegel nicht gelesen haben wissen. Zu begründen wäre es aus moderner Sicht nicht leicht. Die Machtspiel‑, Cool- und Miststück-Titel sind auch „prozesshafte Lebenswirklichkeit“, sie sind „aktuell“ und vor allem irgendwie nah dran an ihrer Leseklientel.
Und komisch: Meine älteren Kinder haben viel „Modernes“ gelesen in ihren Oberstufenjahren. Ich erinnere mich beispielsweise an Gabriele Wohmann und an Daniel Kehlmann. In den Abiprüfungen der vergangenen Jahre kamen dran: Johanna Adorjan (geb. 1971), Norbert Kron (geb. 1965), Christoph Dieckmann, Christoph Hein, Christoph Meckel, sogar Ulrich Wickert. Ich sehe mithin keinen Grund zur Klage. Man könnte allerdings stochern und die Klage ausweiten: Zu viele Christophs! Zu wenig Frauen! FAZ, übernehmen Sie!
13. 3. 2015
Nettester Buchtitel auf der Buchmesse: Hast du schon ein Wehrmachtsgeschenk für Oma?: Die peinlichsten Autokorrekturfehler.
Bester Satz: Sibylle Berg großartig auf die 3sat- Frage, ob sie nicht daß Gefühl habe, das “in Beziehungen” zuwenig geredet werde: „Nein!! Es wird viel zuviel geredet!“
Interessantester Autor: Leif Randt. Wie die Berg schnürstiefeltragend. Wie die Berg ohne empathische Einfühlung ins interviewende Gegenüber. Kein Lachen, nicht mal ein Lächeln. Verbohrte Sturheit. Ein Dichter!
Häufigste Autorin: Angela Marquardt. Unterhält sie Doppelgänger? Sie ist überall. Kann schwer erklären, warum ich sie immer ganz gern mochte. Als sie wiedermal über die Notwendigkeit des antifaschistischen Kampfes doziert, mag ich sie nur ein bißchen weniger. Wundere mich selbst. Naiver Erklärungsversuch: Sie ist irgendwie so besonders deutsch.
Nachdenklichmachende Beobachtung: Unter den (interessanterweise im Schnitt leicht übergewichtigen) Cosplayern, (diesmal besonders reichlich vertreten) auffällig viele Genderbender – Jungs, die als rosa Einhorn gehen und Mädchen in Generalsuniform, manche auch als „Urkämpfer“ mit nackter Brust (Männerbrust aus Plastik). Seltsame, gesichtsmäßig dabei sehr artig wirkende Subkultur.
15.3.2015
Gebe bei google ein: “afd höcke”. Fragt mich google zurück: “Meinten Sie afd lucke?” Wieso sollte ich?
Ein gebürtiger Hesse
"Meinten Sie afd lucke?" Wieso sollte ich?
Haha! Treffer, versenkt! Wenn die kleine Geschichte Ihrer und Ihres Mannes Nicht-Aufnahme bei der Partei zu einem Film gemacht würde, könnte das der Schlußsatz sein. Er würde jedem Zuschauer ein anerkennendes Lächeln aufs Gesicht zaubern.