Robert Musil: Der deutsche Mensch als Symptom – eine Rezension

aus Sezession 65 / April 2015

von Konrad Gill

Aus der nicht eben abwechslungsarmen österreichischen Literaturlandschaft ragt Robert (von) Musils Mann ohne Eigenschaften als markanter Gipfel heraus.

Mit die­sem umfang­rei­chen Werk schrieb der pro­mo­vier­te Phi­lo­soph sich in die Lite­ra­tur­ge­schich­te ein. Der unvoll­endet geblie­be­ne Roman nahm fast 20 Jah­re Arbeits­zeit in Anspruch und zehr­te Musils gan­ze Schaf­fens­kraft auf. Dane­ben blieb sein Œuvre schmal. Die vor­lie­gen­de Samm­lung will Musils poli­ti­sches Werk wie­der ins Bewußt­sein sei­ner Leser­schaft bringen.

Sie prä­sen­tiert tas­ten­de Ver­su­che und in sich voll­stän­di­ge, aber unrei­fe Pam­phle­te. Neben Frag­men­te aus dem Nach­laß tre­ten Gele­gen­heits­schrif­ten aus poli­ti­schen und Sol­da­ten­zeit­schrif­ten. Selbst die­se Tex­te haben etwas Frag­men­ta­ri­sches, gera­de die Gedan­ken der frü­he­ren Schrif­ten wir­ken unge­ord­net, teils unfer­tig. Die ver­hei­ßungs­voll beti­tel­ten Auf­sät­ze »Euro­pä­er­tum, Krieg, Deutsch­tum« sowie »Der Anschluß an Öster­reich« und »Die Nati­on als Ide­al und als Wirk­lich­keit« sind letzt­lich Kon­junk­tur­schrif­ten ohne gro­ßen Wert über den Tag hin­aus. Der Essay, der dem Band sei­nen Namen gab, ist ein offen­sicht­lich unfer­ti­ges Ela­bo­rat, das kei­nen der aus gro­ßer The­men­viel­falt gewon­ne­nen Gedan­ken über­zeu­gend zu Ende führt, son­dern sich zwi­schen Zeit­kri­tik, Ansät­zen einer eige­nen phi­lo­so­phi­schen Linie und Feuil­le­ton verliert.

Ohne Gewinn bleibt die Lek­tü­re nicht. So ver­tei­digt etwa der Kriegs­heim­keh­rer Anfang 1919 die Nati­on als Ord­nungs­macht und »natür­li­chen Leis­tungs­ver­band« – um sodann mit bis­si­gem Humor aus­zu­kei­len gegen den »unbefriedigte[n] Staats-Spiel­trieb der Tsche­chen, der sich jetzt in ihrem Pup­pen­stu­ben-Impe­ria­lis­mus aus­lebt« und die natio­na­le Hoff­nung der Ita­lie­ner, »die sich mit einem kna­ben­haf­ten Pathos gab, das für erwach­se­ne Kauf­leu­te und Advo­ka­ten natür­lich reich­lich falsch war«. Eine rea­li­täts­blin­de deutsch­na­tio­na­le Roman­tik der eige­nen Lands­leu­te wird dabei nicht ver­ges­sen. Als kon­ser­va­tiv deu­ten läßt sich die Skep­sis des spä­te­ren Musil vor sei­nen eige­nen Erkennt­nis­sen, eben­so wie die War­nung vor Ideo­lo­gien und der Auf­ruf zur Erneue­rung des Geistes.

Alle in dem Band ver­öf­fent­lich­ten Tex­te wur­den bereits ver­öf­fent­licht, so daß der Musil-Ken­ner kei­ne Sen­sa­tio­nen zu erwar­ten hat. Auch die Nach­be­mer­kung des Her­aus­ge­bers ist mit zwei Sei­ten äußerst kurz; ein Nach­wort mit Erläu­te­run­gen zur Ent­ste­hungs­ge­schich­te der Tex­te wäre ange­sichts ihrer stark dif­fe­rie­ren­den Ent­ste­hungs­zei­ten, The­men und auch gedank­li­chen Ansät­ze hilf­reich gewesen.

Jedem an den Dis­kus­sio­nen um die Nati­on in den Jah­ren zwi­schen den Welt­krie­gen inter­es­sier­ten Leser wird die Auf­satz­samm­lung will­kom­men sein. Etwas mehr als die blo­ße Zusam­men­stel­lung bereits zugäng­li­cher Tex­te mit einem schma­len Nach­wort hät­te man aber erwar­ten dürfen.

Robert Musil: Der deut­sche Mensch als Sym­ptom. Reden und Auf­sät­ze zur Poli­tik, Wien: Karo­lin­ger 2014. 206 S., 23 €, hier bestel­len

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