Miriam Gebhardts Buch Als die Soldaten kamen: Die Vergewaltigung deutscher Frauen am Ende des Zweiten Weltkriegs liegt wenige Wochen nach Erscheinen in der 4. Auflage vor. Der Band ist auf die obersten Ränge der Sachbuch-Bestverkaufslisten vorgedrungen. Es heißt, hier würde endlich auf die Vergewaltigungen durch Westalliierte eingegangen. Die Junge Freiheit hatte der Autorin ein freundliches Portrait gewidmet. Der Buchversand von Antaios hat das Werk beworben. Warum dieser spontane Zulauf?
Das Thema berührt ein gewisses Tabu. Die Leute gieren nach „unerhörten Wahrheiten“. Ähnlich – wenn auch nicht so fulminant – hatte es bei Gebhardts letztem Buch funktioniert, Alice im Niemandsland, das eine Abrechnung mit dem Schwarzerschen Feminismus versprach. Dabei sind beide Bücher eine Mogelpackung, die gleichsam unter der Hand die Leseerwartungen kundiger Konsumenten enttäuschen und (viel wirksamer!) diejenigen manipulieren, die sich mit den Themen noch nicht eingehend auseinandergesetzt haben: Weil die Autorin ihre Leser auf ein falsches Gleis setzt und sie mitnimmt auf eine Reise Richtung „Überraschungsziel“.
Während Gebhardts Anti-Schwarzer-Schrift in Wahrheit ein Plädoyer für einen geschmeidigeren und „sexuelleren“ Feminismus war, entpuppt sich das jüngste Werk als Runterrechnungs- und Relativierungsversuch. Über die ideologische Absicht hinaus erscheint mir das Werk als schwach recherchiert und unsystematisch. Gebhardt hat auch keine unbekannten Quellen erschlossen, keine Zeitzeugengespräche geführt („aus Rücksicht“). Quellen und Zeitzeugenberichte werden unterschiedslos zitiert, eine Einordnung sucht man meist vergebens.
Daß sie jegliche ernsthafte revisionistische Literatur außer acht läßt, verwundert nicht. Dazu schreibt Gebhardt übrigens anklagend, daß etwa die Vertriebenverbände, die das Thema beizeiten auf ihrer Agenda hatten, „das weibliche Opfer jedoch der individuellen Erfahrung enteignet und in den Dienst der Politik gestellt“ hätten. Heißt im Klartext: Was ich, MG, schreibe, ist längst bekannt und in zigfachen Berichten publiziert worden, aber in einen Rahmen gespannt worden, der mir aus Geschmacksgründen nicht gefällt.
In der Literaturliste zu diesem angeblich wenig beachteten Thema hätte man aber gern wenigstens Ingo von Münchs Frau komm und Annette Braucherhochs Fräuleins und GIs (aus psychologischer Sicht hochinteressant!) gefunden. Ingeborg Jacobs bedrückendes Buch Freiwild kennt und nennt Frau Gebhardt – es ist um Längen besser, behandelt allerdings nur die Geschehnisse im Osten.
Wo beginnen? Bislang kursierten Zahlen, die von zwei bis drei Millionen Vergewaltigungsopfern zu Kriegsende und im Nachkrieg ausgingen. Gebhardt geht von rund 860 000 aus. Sie tut dies mittels einer Berechnungsmethode, die ich als hanebüchen empfinde: Sie schätzt, daß 5% der Kinder, die von Besatzungssoldaten stammten, aus einer Gewalttat entstammten. 95% seien also in einvernehmlichem Geschlechtsakt gezeugt worden – und die mutmaßliche hohe Dunkelziffer der als „ehelich“ geltenden Kinder bezieht sie gar nicht in die Berechnung ein. Jede zehnte Vergewaltigung, schätzt Gebhardt, habe zu einer Schwangerschaft geführt, 10% davon seien ausgetragen worden. 1956 lebten nach offiziellen Angaben 68 000 uneheliche Besatzungskinder in Westdeutschland, Gebhardt rechnet nun anhand dieser Zahlen hoch und runter, über mehrere Seiten. Ich kann ihren Vorannahmen (die sie selbst als vage bezeichnet) in kaum einem Fall folgen.
Man kann da durchaus in einem weiten Raum deuten und vermuten. Mitte der Neunziger hatte ich selbst ein Dutzend Zeitzeugeninterviews mit vertriebenen und geflüchteten Frauen aus den Ostgebieten geführt. Eine Aussage war immer die gleiche: „Oh ja, es wurde viel vergewaltigt. Sehr viel.“ Ich habe keiner einzigen Frau entlockt, selbst ein Vergewaltigungsopfer gewesen zu sein. Selbst diejenige, von der jeder wußte, daß einer ihrer Söhne ein „Russenkind“ war, hätte den Teufel getan, das zu benennen. Wie groß die Scham war, ist für eine moderne Historikerin heute wohl kaum nachvollziehbar.
Aber gut, Zahlen sind Schall und Rauch, man möchte sich dem Komplex ja auch nicht gleichsam materialistisch nähern. Es gibt vieles andere, was das Buch unerträglich macht. Es ist beispielsweise das Geeiere und Geschlingere um die „Täterschaft“ und die inhärente Mitschuld der Frauen. Gebhardt spricht verschwiemelt von der „Ambiguität der Täter- und Opferrolle.“ Die Täter hätten das wiederholt, “was die Wehrmacht zuvor bei den Kriegsgegnern Deutschlands getan hatte“, und immerhin seien die Frauen Menschen aus dem Tätervolk gewesen.
Gebhardt widmet sich einfühlsam der Innensicht der Täter. Es habe „akute Anlässe gegeben, die ein derartiges Verhalten zu rechtfertigen scheinen“. Die Massenvergewaltiger aus dem Osten hätten Rache nehmen wollen für „die Juden und andere verfolgte Gruppen im Nationalsozialismus“. Darum hätten die Vergewaltigungen „nach der Begegnung mit den unfassbaren Verbrechen der deutschen Wehrmacht, nach der Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager“ expotentiell zugenommen. Über die Vergewaltigungen der KZ-Insassen: kein Wort bei Frau Gebhardt.
Allerdings erwähnt sie, daß sämtliche Alliierten auch in den anderen Ländern vergewaltigt haben. Warum nicht in solchem Ausmaß? Frau Gebhardt nennt zwei Gründe, die sich widersprechen: Zum einen habe gerade die GIs die „sinnlose Gegenwehr der Deutschen“ verbittert, zum anderen hätten sich die deutschen Frauen weniger stark zur Wehr gesetzt, und gerade dies habe zur Eskalation beigetragen. Weniger gewehrt hätten sie sich deshalb, weil „sie von der Nazi-Propaganda darauf vorbereitet worden waren, und zweitens war ihnen dabei zugleich eingeschärft worden, dass sie getötet würden, wenn sie sich wehrten“. „Selber schuld“ schreibt die Autorin an keiner Stelle, sie überläßt diesen Schluß dem Ermessen ihrer Leser.
Gebhardt will auch ins Reich der Legenden rücken, wonach im Osten „mongolische“ Invasoren und im Westen dunkelhäutige „Befreier“ einen überproportional großen Anteil an den Schändungen hatten. Zwar berichten ungezählte Zeitzeugenberichte genau davon und sprechen auch die Akten eine beredte Sprache – aber Frau Gebhardt erklärt, wie es zu solchen Mißverständnissen kommen konnte: Die Frauen im Osten waren NS-indoktriniert (Gebhardt beklagt, daß in Opferberichten stereotyp von „Kosaken“ und „Asiaten“ die Rede sei, und daß damit die „Völkervielfalt“ der Roten Armee unterschlagen wurde) , und die Gerichte im Westen haben nur deshalb so viele Dunkelhäutige verurteilt, weil sie sich aus rassistischen Gründen „weniger gut vorstellen konnten, daß weiße Frauen einvernehmlichen Sex mit dunkelhäutigen Männern haben könnten.“
Zu den horrenden Suiziden von Frauen im Osten und Berlin fällt der Autorin ein, daß viele gewöhnliche Deutsche nicht aus „Angst vor den Sowjets, sondern weil ihnen ein Leben ohne den Nationalsozialismus sinnlos erschien“ sich das Leben nahmen. Ich nenne das: Hohn. Höhnisch ist auch Gebhardts Titulierung des Massakers von Nemmersdorf (Oktober 1944) als „rhetorische Waffe“, als „Blaupause“, die von den Deutschen propagandistisch „ausgebeutet“ wurde. Dabei waren es dort, mutmaßt Gebhardt, vielleicht bloß zwei Vergewaltigungen und 26 Todesopfer durch Genickschuß gewesen.
Gebhardt klagt wiederholt, daß es zu viele Vorurteile über vergewaltigende Rotarmisten gebe. Die russische Heeresführung sei meist überaus strikt gegen Vergewaltiger vorgegangen, weil das Sowjetsystem als vorbildlich wahrgenommen werden sollte. Stalins Chefpropagandist Ilja Ehrenburg erhält von Frau Gebhardt ein Bienchen. Sie führt fast liebevolle Zitate auf : „Wenn der deutsche Soldat seine Waffe losläßt und sich in Gefangenschaft gibt, werden wir ihn mit keinem Finger anrühren“, und: „Der sowjetische Soldat wird keine Frauen belästigen. Der sowjetische Soldat wird keine deutsche Frau mißhandeln, noch wird er irgendeine intime Beziehung mit ihr unterhalten. Er ist über sie erhaben.“
Nicht erwähnt werden folgende Ehrenburg-Parolen: „Diese Kreaturen sind keine menschlichen Wesen. Sie sind schreckliche Parasiten. Sie sind schädliches Ungeziefer“ (1941) , oder: „Die Deutschen sind keine Menschen“, erklärte er im Oktober 1942. „Diesen Stamm vernichten wir.“ Oder: „Es ist nicht damit getan, Deutschland zu besiegen. Es muß ausgelöscht werden.“ Über die deutsche Frau schrieb er: „Das Weib dieser Gattung wartet in seiner Höhle auf Beute“, und: „Diese spezielle flachshaarige Hexe wird uns nicht so leicht entgehen.“
Frau Gebhardt hingegen beschwichtigt: „“Ich denke eher, dass es wieder die Dynamik der Interaktion zwischen Deutschen und Sowjets ist, die dazu beiträgt, dass die Dinge zunehmend aus dem Ruder laufen.“ Die Dinge! Aus dem Ruder! Dynamik der Interaktion! Frau Gebhardt gibt sich erkennbar alle Mühe, die Enttäuschung der sowjetischen Soldaten darüber zu verstehen, daß die Deutschen sich nicht gegen ihr „kapitalistisches Regime“ wendeten. Sie, die Russen, hatten eben auch „äußerst schwere Zeiten hinter sich“, sie, die Vergewaltiger, seien doch zum Teil selbst „gemobbt“ (!) und von militärischen Auszeichnungen ausgeschlossen worden.
Nach 115 Seiten wendet sich die Historikerin den Geschehnissen im Westen zu. Bereits im Oktober 1944 waren 152 amerikanische Soldaten wegen Vergewaltigung in Frankreich verurteilt worden – davon 139 Schwarze. Gebhardt stellt erneut klar, daß hier rassistische Vorurteile am Werk seien. Sie zitiert zustimmend eine andere Autorin, die behauptet, daß der „Kontakt zwischen schwarzen Amerikanern und deutschen Frauen aufgrund wechselseitiger Vorurteile schnell eskalieren konnte“.
Eigentlich schuld waren aber wohl die deutschen Männer, die die „erotische Fraternisierung“ zwischen deutschen Frauen und GIs zum „Mythos anstelle der Dolchstoßlegende“ werden ließen und sich somit von ihrer eigenen, der deutschen, Schuld exkulpierten. Die Frauen hingegen seien von einer „diffusen Erwartung einer Strafe für die Untaten der vergangenen Jahre“ geprägt gewesen und hätten die sexuellen Übergriffe daher passiv bis gern entgegengenommen. „Niemand“, so Gebhardt, „kann bestreiten, daß es eine große Anziehungskraft zwischen amerikanischen Soldaten und deutschen Frauen gegeben hat und dass das Bedürfnis nach Zerstreuung, Zärtlichkeit und sexuellem Abenteuer nicht einseitig war.“
Die Autorin moniert, die Ereignisse im Westen betreffend, einerseits, daß es den berichterstattenden Pfarren und Amtspersonen oft nur um Verfall der „Sittlichkeit“ gegangen sei (was gut vorstellbar und hier nachlesbar ist) und andererseits, daß Zahlen übertrieben wurden. „Sollten in Bad Reichenhall tatsächlich 200 Frauen von »Gaullisten, Turkos und ausländischen Arbeitern geschändet« worden seien, wie der Stadtpfarrer am 25. Juli 1945 berichtet?“ Warum nicht? Weil Frau Gebhardt die Wortwahl für rassistisch hält? Spitz merkt sie an, daß der Pfarrer einem der Opfer immerhin die Bestattung auf dem Freihof gestattet habe, „»Schändung« entschuldigt in diesem Fall sogar den religiös verboteten Selbstmord.“
Miriam Gebhardt hat den Zeitpunkt ihrer Buchveröffentlichung klug gewählt. Die betroffenen Frauen sind sämtlich tot oder über achtzig Jahre, sie können dem nichts mehr entgegensetzen.
Nicht unterschlagen werden soll dennoch, daß Als die Soldaten kamen gerade in seinen West-Kapiteln auch interessante Fragestellungen und Informationen bereithält. Etwa zur Rechtsstellung der Besatzungskinder. Anders als die USA und Großbritannien, die nichts taten, um Ansprüche deutscher Frauen gegen die Kindsväter zu unterstützen und die die betreffenden Soldaten kurzerhand „nach unbekannt“ versetzten, räumte Frankreich jenen Kindern aus pronatalistischen Gründen eine Option auf die französische Staatsbürgerschaft ein. Vor den Besatzungsgerichten konnte nicht auf Unterhalt geklagt werden.
Nur rund 2 Prozent der n i c h t gewaltsam gezeugten Besatzungskinder wurde von den Erzeugern Unterhalt gezahlt. Gebhardt nennt Beispiele, wo Frauen in langwierigen Prozessen um geringfügige Unterstützung bei der Erziehung ihres unverlangten Kindes baten und die mit solchen Begründungen beschieden wurden: Das Gesetz kompensiere nur Kosten, die durch die Vermehrung der Bedürfnisse der Geschädigten entstünden, beispielswiese Heilbehandlungen. Das Kind selbst könne keine Entschädigung verlangen, da es durch die Vergewaltigung nicht körperlich verletzt worden sei. Eine andere Frau gebar in Bayern nach einer Vergewaltigung ein Mischlingskind. Der Ehemann läßt sich scheiden, zahlt keinen Unterhalt. Die Frau bringt das Kind ins Heim und muß monatlichen Unterhalt zahlen. Da die Frau nicht zahlen kann, gehen die Rechnungen an den kranken Großvater.
Immerhin lesenswert sind auch Frau Gebhardts Einlassungen zur Frage, ob Vergewaltigungen geuiner Bestandteil der »sexuellen Eroberung« eines Landes sind. Sie nennt Positionen, wonach die Amerikaner durch freiwilligen und unfreiwilligen Sex mit den Frauen und Töchtern den europäischen Männern rüde demonstrieren wollten, wie unbedeutend ihre Position in der Welt mittlerweile sei.
Miriam Gebhardts Als die Soldaten kamen kann man hier bestellen.
Nils Wegner
In diesem Zusammenhang ist unbedingt auf die letztwöchige Maischberger-Sendung zu verweisen (die meinereiner bereits nach runden zehn Minuten mit Grausen abschaltete). Schon, daß der hauptamtliche und leidenschaftliche Nationalmasochist Niklas Frank mit seiner "I'm so, so sorry"-Neurose eingeladen wurde, zeugte von der von vornherein festgeschriebenen Tendenz der Monologrunde.
Frau Gebhardt weist auf ihrem eigenen Blog, der nicht mehr als eine Presseschau-Linksammlung ist, momentan an oberster Stelle auf die FAZ-Besprechung dazu hin.
https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/medien/tv-kritik/tv-kritik-maischberger-verlagerte-schuld-13517093.html