Von PEGIDA bis zur Innerlichkeit – 65. Sezession erschienen

Die zweite Sezession des 2015er Jahrgangs ist ein offenes Heft und vereint...

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

eine gro­ße Band­brei­te an The­men. Hat­te Götz Kubit­schek im Edi­to­ri­al der vor­an­ge­gan­ge­nen Aus­ga­be noch die Eigen­dy­na­mik im Umfeld PEGI­DAs sowie die Wech­sel­wir­kung zwi­schen Demons­tra­ti­on (Akti­on) und Lek­tü­re (Theo­rie) beleuch­tet, so wid­met er sich nun dem gegen­sätz­li­chen Typus des Par­tei­tech­no­kra­ten – bei­spiel­haft am »Typ Lucke«. Die 65. Sezes­si­on wird seit einer Woche ausgeliefert.

+ Im Anschluß wid­met sich Fal­ko Baum­gart­ner – ergän­zend zum PEGI­DA-Son­der­heft – einer stra­te­gi­schen Ana­ly­se des “zwei­ten Atems” des deut­schen Bür­ger­pro­tests und stellt klar, daß es vor allem beharr­li­cher Geschlos­sen­heit und einer kon­se­quen­ten Aus­nut­zung der gege­be­nen “Palet­te zivil­ge­sell­schaft­li­cher Druck­mit­tel” bedür­fe, um die berech­tig­te Ableh­nung des hie­si­gen poli­ti­schen Gesche­hens in kon­kre­te Abhil­fe umzusetzen.

+ Im Autoren­por­trait beleuch­tet Lutz Mey­er die Lebens- und Werks­ge­schich­te des noch kurz vor Kriegs­en­de im KL Dach­au ver­stor­be­nen, heu­te weit­ge­hend ver­ges­se­nen Geis­tes­a­ris­to­kra­ten und Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­tio­närs Fried­rich Reck, genannt Reck-Mallec­ze­wen. Reck war ein exzen­tri­scher Typ, der sich gern als Dan­dy insze­nier­te, aber dabei weit über sei­ne Ver­hält­nis­se leb­te. Die Schrift­stel­le­rei (dar­un­ter die Vor­la­ge für den spä­te­ren Film »Bom­ben auf Mon­te Car­lo« und Auf­sät­ze für Ernst Nie­kischs Wider­stand) dien­te ihm lan­ge Zeit als rei­ner Lebens­un­ter­halt. Den­noch gibt Mey­er zu beden­ken, daß Recks Spät­werk nicht zu unter­schät­zen sei: Das post­hum erschie­ne­ne »Tage­buch eines Ver­zwei­fel­ten« und vor allem sein »Bockel­son – Geschich­te eines Mas­sen­wahns« über das kurz­le­big-blut­rüns­ti­ge Wie­der­täu­fer­reich in Müns­ter legen beredt Zeug­nis ab über das Span­nungs­feld zwi­schen Ver­ach­tung und Ver­zweif­lung, in dem sich der eli­tä­re Schön­geist im Mas­sen­staat der 1930er wiederfand.

+ Thor v. Wald­stein behan­delt in sei­nem Grund­la­gen­bei­trag das skur­ri­le Ver­hält­nis der gegen­wär­ti­gen vie­len ver­streu­ten Ich-Mona­den zu ihrer Gesamt­heit – dem “fal­schen Wir”. Hier­bei wird ver­schie­de­nen Ablei­tungs­for­men einer wie auch immer gear­te­ten Gesell­schaft nach­ge­gan­gen und deren Dis­kre­panz zu tat­säch­li­chem Gemein­schaftsge­fühl her­aus­ge­stellt. Wenn heu­te – gera­de bei poli­ti­schen Vor­gän­gen mit abseh­bar dras­ti­schen Aus­wir­kun­gen – unun­ter­bro­chen das »Wir« bemüht wird, wie just Vol­ker Kau­der mus­ter­gül­tig vor­ex­er­ziert hat, han­de­le es sich um den durch­sich­ti­gen Ver­such, “unter­schwel­lig an den […] ver­fem­ten Geist der Volks­ge­mein­schaft zu appel­lie­ren, wenn es beim Trans­port libe­ra­lis­ti­scher Lebens­lü­gen eng zu wer­den droht”. Die Lösung kön­ne nur eine kla­re Ent­tar­nung der poli­ti­schen Phra­seo­lo­gie sein – und der »Wir«-Wandel von einer schwei­gen­den hin zur han­deln­den Mehrheit.

+ Hein­rich Schoell, Alter Herr der Wie­ner aka­de­mi­schen Bur­schen­schaft Mol­da­via, wid­met eini­ge tie­fer­ge­hen­de Gedan­ken­gän­ge der stu­den­ti­schen Men­sur als einer der “letz­ten Tech­ni­ken deut­scher Eigen­art […], die einer glo­ba­li­sier­ten, west­lich-hedo­nis­ti­schen Ethik ent­ge­gen­steht”. Die­se “Hie­be der Eigent­lich­keit” dien­ten gleich­sam als ein memen­to mori der Neu­zeit und Gegen­stand­punkt zur Seins­ver­ges­sen­heit in unse­rer Konsumgesellschaft.

+ “Mit­tel­eu­ro­pa als Opti­on” ist das The­ma des Auf­sat­zes von Thors­ten Hinz. Nach einem knap­pen Umriß der geschicht­li­chen Ent­wick­lun­gen, die zur gegen­wär­ti­gen – kei­nes­wegs befrie­de­ten – Ukrai­ne­kri­se geführt haben, beschäf­tigt sich Hinz mit der zugrun­de­lie­gen­den Pro­ble­ma­tik eines macht­lo­sen und nur als abs­trak­tes Kon­zept exis­tie­ren­den (Mittel-)»Europa«, das als rea­ler Macht­fak­tor eine sta­bi­li­sie­ren­de und sichern­de Wir­kung ent­fal­ten könn­te. Der­glei­chen hat Fried­rich Nau­mann bereits im Herbst 1915 dar­ge­legt; sei­ne Schrift Mit­tel­eu­ro­pa wur­de rasch zur meist­ge­le­se­nen Kriegs­ziel­pu­bli­ka­ti­on des Kai­ser­reichs und war damals all­ge­mein bekannt. Für Hinz sind Nau­manns Über­le­gun­gen heu­te, nach dem Ende der Block­tei­lung der Welt, wie­der “von bestechen­der Aktua­li­tät und eine deut­sche und euro­päi­sche Chan­ce zur Selbstbehauptung”.

+ Nor­bert Borr­mann skiz­ziert “Eng­li­sche Neu­ro­sen”, die nach der deut­schen Reichs­ei­ni­gung hin­sicht­lich der wan­ken­den Vor­macht­stel­lung Groß­bri­tan­ni­ens auf­ka­men und spä­tes­tens ab 1887 zu einer immer schär­fe­ren Pres­se- und Poli­tagi­ta­ti­on gegen Deutsch­land führ­ten. Dabei liegt beson­de­res Augen­merk auf dem Psy­cho­gramm Win­s­ton Chur­chills und des­sen Ido­li­sie­rung trotz fak­ti­schen Zuschand­e­r­ei­tens des bri­ti­schen Empires.

+ Der Islam­wis­sen­schaft­ler an der Uni­ver­si­tät Bay­reuth und Spre­cher der »Patrio­ti­schen Platt­form« der AfD, Hans-Tho­mas Till­schnei­der, nimmt das Pro­blem der Rela­ti­vier­bar­keit von »Wer­ten« gegen­über der Tra­di­ti­on unter die Lupe und warnt – “Vor­sicht: Wertkonservative”.

+ Anton Wei­ßer rückt anhand aktu­el­ler Bei­spie­le die bedrü­cken­de Rea­li­tät und das “dys­to­pi­sche Poten­ti­al” der gesell­schaft­lich exe­ku­tier­ten “Berufs­ver­bo­te in der Bun­des­re­pu­blik” ins Licht.

+ Ben­ja­min Jahn Zscho­cke stellt das Œuvre sowohl des Malers Nor­bert Bis­ky als auch der Musi­ke­rin Anja Plaschg (ali­as Soap & Skin) vor.

+ Beson­de­re Erwäh­nung ver­dient der Abdruck eines Aus­zugs aus dem umfas­sen­den Brief­wech­sel Götz Kubit­scheks mit dem Münch­ner Sozio­lo­gie­pro­fes­sor Armin Nas­sehi. Wo liegt das Des­in­te­grie­ren­de in der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Gesell­schaft? Gäbe es Dif­fe­ren­zen, wenn der Migran­ten­an­teil ver­min­dert oder ganz ver­schwin­den wür­de? Kubit­scheks Urteil steht: Die Dif­fe­ren­zen fal­len dort, wo das deut­sche Volk als Ziel und Maß­stab aner­kannt wird. Der gesam­te Brief­wech­sel ist in Nas­sehis Die letz­te Stun­de der Wahr­heit erschienen.

+ Wei­te­re Auf­sät­ze wid­men sich dem Bis­marck­jahr (Mario Kan­dil), der Aus­ein­an­der­set­zung mit und über die Homi­nes-Tri­lo­gie (Frank Lis­son vs. Mar­tin Licht­mesz); Ste­fan Scheil äußert sich im Gespräch zu sei­ner Arbeit über das »Unter­neh­men Weserü­bung« – die Beset­zung Däne­marks und Nor­we­gens 1940 – als Prä­emp­tiv­schlag anstatt Über­fall. Ver­misch­tes und zahl­rei­che Rezen­sio­nen run­den die Aus­ga­be ab.

Abon­nen­ten soll­ten das Heft bereits erhal­ten haben, Ein­zel­be­stel­lun­gen und die Ein­sicht in das Inhalts­ver­zeich­nis sind hier mög­lich. Ein Jah­res­abon­ne­ment inner­halb Deutsch­lands und Öster­reichs kos­tet 50 Euro, ermä­ßigt für Nicht­ver­die­ner 35 Euro (jeweils inkl. Por­to), drei älte­re Hef­te gibt es zudem als Prä­mie. Bei Abon­ne­ments bis zum 30. Mai ist die 65. Sezes­si­on im Lie­fer­um­fang inbegriffen.

Nils Wegner

Nils Wegner ist studierter Historiker, lektorierte 2015–2017 bei Antaios, IfS und Sezession und arbeitet als Übersetzer.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (3)

Harald de Azania

16. April 2015 19:03

Verehrte Freunde,

Zur ( excellenten) GK Rede: Mut und Zivilcourage sind halt keine Mehrheitseigenschaften aber auch eine (positiv) geladene, dynamische Minderheit kann vieles bewirken. Wird schon werden ....

Ein alter Spruch: Ein Heer von Schafen gefuehrt von einem Loewen besiegt ein Heer von Loewen gefuehrt von einem Schaf. (Einziges Problem: "Teuflische Angela " ist kein Schaf sondern einer der durchtriebensten Fuechse aber dafuer sind die Anderen nur ziemliche Bloeker . Wird schon werden ...

Jasper von Altenbockum ( wurde in Deutschland eigentlich alles geadelt, was auf zwei Beinen daherwackeln konnte ?) hat in der FAZ die PEGIDA Bewegung zum Kadaver erklaert.

Huebsch: der schoenste Beweis, dasdz diese Bewegung blueht und gedeiht. Wird schon werden .....

Weiter so! Aber wieso springt der Funke nicht auf andere Staedte ueber ? Wird schon werden ....

ad Heinrich Schoell: Das gesamte Coleurstudententum, auch und gerade das Katholische, dem ich die Ehre habe anzugehoeren ( K.A.V. Bajuvaria zu Wien und K.OE.L. Starhemberg zu Wien) sind von angenehmer Skurilitaet und Eigenart, die es unbedingt zu bewahren und fortzufuehren gilt. Wird schon werden und bleiben .....

Ein vivat! allen braven Burschen! :-)

So, das waers aus Suedafrika, HdeA

Hartwig

17. April 2015 18:03

Gutes Heft, wie eigentlch immer.

Heute übrigens einen Artikel in der hiesigen Lokalzeitung gelesen. Es ging um eine angebliche Neuausrichtung der Politik im Entwicklungsministerium. Minister Müller will die Politik stärker an christlichen Maßstäben messen und christliche Werte in den Focus seines Ministeriums rücken sowie Entwicklungspolitik verstärkt an deutschen Interessen ausrichten.... u.s.w. Kritiker hielten diese Kurskorrektur für eine Reaktion auf PEGIDA etc.

Mal abgesehen davon, dass das in der Praxis NULL bedeuten wird, so scheint sich zu bewahrheiten, dass PEGIDA speziell innerhalb der Union einiges ins Rotieren bringt, sind es doch letztlich potentielle Unionswähler, die da spazieren und sich mit Grausen abwenden.

Alexander

17. April 2015 21:58

Hartwig:
Das wäre allerdings der denkbar schlechteste Effekt, den PEGIDA erzielen könnte, nämlich noch stärkeres Rechts-Blinken der Unionsparteien bei weiterer Fahrt nach links. Der gerade erwachende Michel würde durch die Radiomeldung, welch konservative Pläne es doch nun gebe, zufrieden in den Tiefschlaf zurückversetzt. Oder würde die zu große Diskrepanz zwischen Gesagtem und Getanem zu auffällig und merk-würdig werden und ihn endlich stirnzunzelnd aus dem Dämmerschlaf holen?

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.