in das Geschäft der illegalen Einwanderung. Der italienische Kriminologe Andrea Di Nicola und der Journalist Giampaolo Musumeci sind zweieinhalb Jahre lang durch die halbe Welt gereist, um die Machenschaften der „größten kriminellen Reiseagentur der Welt“ aufzudecken.
Wer begreifen will, warum immer mehr Menschen nach Europa gelangen, obwohl zugleich die Ausgaben für Sicherheitsmaßnahmen an der europäischen Außengrenze in die Höhe schießen, muß sich mit den illegalen Unternehmen beschäftigen, die für die Flüchtlinge die Reise organisieren. 2005 betrug der Etat der europäischen Grenzagentur FRONTEX noch etwas mehr als sechs Millionen Euro. Inzwischen sind es 114 Millionen Euro, doch gebracht hat diese Erhöhung nichts.
Die Schleuser agieren anscheinend raffinierter als die Grenzschützer. Sie setzen auf immer neue Methoden des illegalen Grenzübertritts, nutzen immer neue Wege und im Zweifelsfall können sie die Grenzer immer noch schmieren. Man schätzt, daß derzeit im Geschäft mit illegalen Flüchtlingen jährlich drei bis 20 Milliarden Dollar umgesetzt werden. Die Schätzungen gehen zwar ziemlich weit auseinander.
Eins ist aber sicher: Die größten Schleuser-Unternehmen verdienen mit der Organisation der illegalen Einwanderung jedes Jahr mehrere Millionen Euro. Di Nicola und Musumeci betonen, daß es sich um ein gigantisches ethnisches Netzwerk handele, „das sich von Afghanistan bis nach Nordeuropa erstreckt und eine Heerschar von Menschen beschäftigt, die sich in seinem Dunstkreis bewegen“.
Es gibt Mitarbeiter, die sich nur um die Akquise neuer Flüchtlinge kümmern. Diese bewerben dann Europa als einen Flecken Erde, wo es „große Häuser, SUVs, Taschen voller Geld, das man ganz leicht ‚macht‘, Bier nach Herzenslust und Fleisch, so viel man will“, gibt. Die Werbung geschieht teils über Mund-zu-Mund-Propaganda, teils aber auch über legale Kanäle wie Reisebüros oder Anzeigen in der Lokalzeitung.
Die größten Schleuser der Welt haben ein System von Subunternehmen aufgebaut, sie beschäftigen „Area Manager“ an den Grenzen und pflegen Kontakte zu Wirtschaft, Politik und Polizei. Man kann bei der größten kriminellen Reiseagentur der Welt so ziemlich jede Einschleusungsdienstleistung erhalten, die man braucht und die zum eigenen Geldbeutel paßt.
Da gibt es so etwas wie einen „Basis-Tarif“, bei dem der Einwanderer selbst viel laufen muß, vielleicht auch mal irgendwo Zwangsarbeit verrichten muß und in irgendeinem Lkw wie Vieh transportiert wird. Das Ganze steigert sich bis hin zum Erste Klasse-Flug direkt nach Europa mit gefälschten Papieren. Die passende Geschichte für die Asylbehörde im gewünschten Zielland wird natürlich für einen entsprechenden Preis auch verkauft. Je nach Strecke und Umfang der Dienstleistung kostet eine Einschleusung derzeit zwischen ein paar Tausend Euro bis hin zu unvorstellbaren Beträgen von über 50.000 Euro.
Diese hohen Beträge wirken nicht abschreckend. Im Gegenteil: sie können sogar zum Wachstum der Branche beitragen, da Familien häufig einem Sohn die illegale Einwanderung nach Europa nur finanzieren können, wenn ein anderes Familienmitglied sich dem Schleuserunternehmen anschließt und z.B. weitere „Flüchtlinge“ anwirbt. Ratenzahlung und dubiose Finanzierungsmodelle gibt es im Geschäft der illegalen Einwanderung selbstverständlich auch.
Das Buch Bekenntnisse eines Menschenhändlers ist im Reportagestil geschrieben. Es verrät, wie die Einschleusung auf Luxusjachten und mit Hilfe von korrupten italienischen Landwirten funktioniert, wer die besten Kunden der Schleuser sind (die Syrer), warum Drogenhandel, Terrorismus, organisierte Kriminalität und Menschenschmuggel aufs Engste zusammenhängen, und wie es den Köpfen der Unternehmen gelingt, weitestgehend im Verborgenen zu agieren.
Vorschläge zur besseren Bekämpfung von illegaler Einwanderung finden sich in dem Buch nicht. Es besteht aber kein Zweifel, daß allein weitere Sicherheitsmaßnahmen wenig helfen werden. Dazu sind die Schleuser-Unternehmen einfach viel zu weitgehend vernetzt und technisch zu gut ausgerüstet. Man müßte schon an jeder Grenze jeden Kofferraum durchwühlen und ein besseres Überwachungssystem, als es die Stasi hatte, aufbauen, um die illegale Einwanderung auch nur einigermaßen einzudämmen. Selbst dann jedoch würden die Schleuser-Unternehmen noch genug korrupte Grenzer finden, die ihre Kunden durchwinken.
Andrea Di Nicola und Giampaolo Musumeci: Bekenntnisse eines Menschenhändlers. Das Milliardengeschäft mit den Flüchtlingen. 206 Seiten. Verlag Antje Kunstmann, München 2015, 18.95 € – hier bestellen.
Nachtrag: Diese Rezension ist gerade zu Ende geschrieben, als in den Medien die Nachricht auftaucht, daß vor wenigen Tagen vermutlich wieder 400 Menschen im Mittelmeer ums Leben kamen. Inzwischen hat sich eine weitere “Flüchtlingskatastrophe” mit bis zu 950 Toten im Mittelmeer ereignet.
LupusLotarius
Hallo,
das Australische Modell kann Anhaltspunkt sein, wie diesem Zustrom begegnet werden kann.
Auch wenn es grausam klingt: nur konsequente Abschiebung illegal Eingereister und konsequenter Verhinderung neuer illiegaler Einreisewilliger kann den Zustrom stoppen.
Auch schon auf dem Mittelmeer können die Boote geentert und nach Nordafrika zurückgeschleppt werden. Flankiert können diese Maßnahmen mit Aufklärungskampagnen in den afrikanischen Ländern und politischen Maßnahmen.
Abschiebung und Zurückweisung werden sich sich rumsprechen und den Zustrom wesentlich verkleinern.