IM Otto Bohl und Benno Ohnesorg

Diese Nachricht ist so sensationell, daß ich sie unbedingt hier im Blog dokumentieren muß. Die FAZ vom 22. Mai berichtet:

 

Der Polizist Karl-Heinz Kurras, der am 2. Juni 1967 den Studenten Benno Ohnesorg aus nächster Nähe erschoss, war Mitglied der SED und Inoffizieller Mitarbeiter des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit (MfS).

Das berichten Helmut Müller-Enbergs und Cornelia Jabs, die durch einen Zufall entsprechende Unterlagen im Aktenbestand des MfS gefunden haben.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Im März 1950, da war er 22 Jah­re alt, trat Kur­ras in den Dienst der West-Ber­li­ner Poli­zei. Im April 1955 bat er, in die DDR über­sie­deln und in der Volks­po­li­zei arbei­ten zu dür­fen. Doch sei­ne Gesprächs­part­ner in Ost-Ber­lin über­zeug­ten ihn in „einer gründ­li­chen Aus­spra­che“, wie es in sei­ner Akte heißt, bes­ser in der West-Ber­li­ner Poli­zei weiterzuarbeiten.

Kur­ras wur­de von der DDR nicht ein­ge­bür­gert, aber er wur­de zum Inof­fi­zi­el­len Mit­ar­bei­ter der Abtei­lung IV der Groß-Ber­li­ner Sta­si, der er sich am 26. April 1955 schrift­lich zur Koope­ra­ti­on und Kon­spi­ra­ti­on ver­pflich­te­te. Sein Deck­na­me war „Otto Bohl“.

Am 15. Dezem­ber 1962 stell­te er „in ehr­li­cher Über­zeu­gung“ den Antrag, in die SED auf­ge­nom­men zu wer­den, weil die­se „mit ihrer Ziel­set­zung den wah­ren demo­kra­ti­schen Wil­len ver­kör­pert, ein demo­kra­ti­sches Deutsch­land zu schaf­fen“. Mit Zustim­mung des ZK der SED wur­de er nach der Kan­di­da­ten­zeit tat­säch­lich auf­ge­nom­men und erhielt am 28. Juli 1964 das Mit­glieds­buch mit der Num­mer 2 002 373. (…)

IM „Otto Bohl“ war eine „Spit­zen­quel­le“ für das MfS, vor allem, seit er 1965 zur Kri­mi­nal­po­li­zei ging und in einer Son­der­er­mitt­lungs­grup­pe arbei­te­te, die nach „Ver­rä­tern in den eige­nen Rei­hen“ suchte.

Sich etwas dumm stel­lend fügt die FAZ-Autorin hinzu:

War­um Kur­ras damals im Hof der Krum­men Stra­ße 68 auf den 26 Jah­re alten Ohnes­org schoss, bleibt rätselhaft.

Doch auch das hier dürf­te kein Zufall gewe­sen sein:

Im Staats­si­cher­heits­dienst wur­de die Per­so­nen­kar­tei (F 16) für Karl-Heinz Kur­ras ent­fernt, so dass es unmit­tel­bar nach dem 2. Juni 1967 unmög­lich wur­de, sei­ne Akte zu fin­den. Mül­ler-Enbergs notiert, sie sei für die Zeit­ge­schich­te „aus­schließ­lich durch inter­ne For­schun­gen auf­find­bar geworden“.

Selbst wenn damit nicht bewie­sen ist, daß Kur­ras im direk­ten Geheim­dienst­auf­trag geschos­sen hat, wankt mit die­ser Ent­de­ckung doch einer der zen­tra­len “mobi­li­sie­ren­den Mythen” der 68er. Denn aus­ge­rech­net Kur­ras (der frei­lich, wie nun klar wird, alles ande­re als ein typi­scher Ver­tre­ter der dama­li­gen Poli­zei war) galt als Sym­bol für den immer noch faschis­tisch durch­setz­ten “staat­li­chen Repres­si­ons­ap­pa­rat”. Die Wir­kung von Ohnes­orgs Tötung spie­gelt sich in der Legen­de wie­der, es wäre Gud­run Ens­slin gewe­sen, die auf einer SDS-Ver­samm­lung am 2. Juni 1967 geschrie­en haben soll:

“Sie wer­den uns alle umbrin­gen, ihr wißt doch mit was für Schwei­nen wir es zu tun haben … Man kann mit den Leu­ten, die Ausch­witz gemacht haben, nicht dis­ku­tie­ren. Die haben Waf­fen und wir haben kei­ne. Wir müs­sen uns auch bewaffnen!”

All das erscheint nun fast wie eine Sze­ne aus dem Para­noia-Klas­si­ker “The Man­chu­ri­an Can­di­da­te”, in dem sich hin­ter der äußers­ten Rech­ten ver­kapp­te Kom­mu­nis­ten ver­ber­gen. Auch zu dem Atten­tat auf Dutsch­ke kur­sie­ren unbe­stä­tig­te, aber nicht unplau­si­ble Theo­rien über den Ein­fluß von Ost­ge­heim­diens­ten. Der Links­ter­ro­ris­mus der BRD erhielt durch die­se Ereig­nis­se immer­hin zwei sei­ner ent­schei­dends­ten Impul­se. Dann hät­te sich auch ein Kreis geschlos­sen, als in der wei­te­ren Ent­wick­lung die RAF schließ­lich, wie Bernd Rabehl schreibt, nicht zum Erbe der APO, son­dern zu einem “Kampf­or­gan der tra­di­tio­nel­len Lin­ken” wur­de: “Es ist des­halb nicht ver­wun­der­lich, daß spä­ter die DDR für die müden Kämp­fe­rin­nen zur Etap­pe wurde.”

Apro­pos Bernd Rabehl: Wer der Mei­nung ist, die “Acht­und­sech­zi­ger” sei­en “an ALLEM schuld”, soll­te unbe­dingt das hier lesen.

Update: Rabehl sel­ber ver­mu­tet im JF-Netz, daß Kur­ras eher Agent des CIA und seit sei­ner Inter­nie­rung im Sowjet-Spe­zi­al­la­ger Sach­sen­hau­sen Anti­kom­mu­nist gewe­sen ist. Wenn das stimmt, dann müß­te Kur­ras nach der Fak­ten­la­ge ein ziem­lich geschick­ter Dop­pel­agent gewe­sen sein, was dem “Man­chu­ri­an Candidate”-Scenario noch­mal eine aben­teu­er­li­che Dre­hung gäbe. Von der Logik des Cui Bono her scheint mir das aber unwahr­schein­lich zu sein.

Update II: Und noch­mal Rabehl, mit aus­führ­li­chen Erin­ne­run­gen an den 2. Juni 1967.

Update III: Huber­tus Kna­be in der ZEIT: “Die Sta­si woll­te die Pro­tes­te anheizen”.

 

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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