Im März 1950, da war er 22 Jahre alt, trat Kurras in den Dienst der West-Berliner Polizei. Im April 1955 bat er, in die DDR übersiedeln und in der Volkspolizei arbeiten zu dürfen. Doch seine Gesprächspartner in Ost-Berlin überzeugten ihn in „einer gründlichen Aussprache“, wie es in seiner Akte heißt, besser in der West-Berliner Polizei weiterzuarbeiten.
Kurras wurde von der DDR nicht eingebürgert, aber er wurde zum Inoffiziellen Mitarbeiter der Abteilung IV der Groß-Berliner Stasi, der er sich am 26. April 1955 schriftlich zur Kooperation und Konspiration verpflichtete. Sein Deckname war „Otto Bohl“.
Am 15. Dezember 1962 stellte er „in ehrlicher Überzeugung“ den Antrag, in die SED aufgenommen zu werden, weil diese „mit ihrer Zielsetzung den wahren demokratischen Willen verkörpert, ein demokratisches Deutschland zu schaffen“. Mit Zustimmung des ZK der SED wurde er nach der Kandidatenzeit tatsächlich aufgenommen und erhielt am 28. Juli 1964 das Mitgliedsbuch mit der Nummer 2 002 373. (…)
IM „Otto Bohl“ war eine „Spitzenquelle“ für das MfS, vor allem, seit er 1965 zur Kriminalpolizei ging und in einer Sonderermittlungsgruppe arbeitete, die nach „Verrätern in den eigenen Reihen“ suchte.
Sich etwas dumm stellend fügt die FAZ-Autorin hinzu:
Warum Kurras damals im Hof der Krummen Straße 68 auf den 26 Jahre alten Ohnesorg schoss, bleibt rätselhaft.
Doch auch das hier dürfte kein Zufall gewesen sein:
Im Staatssicherheitsdienst wurde die Personenkartei (F 16) für Karl-Heinz Kurras entfernt, so dass es unmittelbar nach dem 2. Juni 1967 unmöglich wurde, seine Akte zu finden. Müller-Enbergs notiert, sie sei für die Zeitgeschichte „ausschließlich durch interne Forschungen auffindbar geworden“.
Selbst wenn damit nicht bewiesen ist, daß Kurras im direkten Geheimdienstauftrag geschossen hat, wankt mit dieser Entdeckung doch einer der zentralen “mobilisierenden Mythen” der 68er. Denn ausgerechnet Kurras (der freilich, wie nun klar wird, alles andere als ein typischer Vertreter der damaligen Polizei war) galt als Symbol für den immer noch faschistisch durchsetzten “staatlichen Repressionsapparat”. Die Wirkung von Ohnesorgs Tötung spiegelt sich in der Legende wieder, es wäre Gudrun Ensslin gewesen, die auf einer SDS-Versammlung am 2. Juni 1967 geschrieen haben soll:
“Sie werden uns alle umbringen, ihr wißt doch mit was für Schweinen wir es zu tun haben … Man kann mit den Leuten, die Auschwitz gemacht haben, nicht diskutieren. Die haben Waffen und wir haben keine. Wir müssen uns auch bewaffnen!”
All das erscheint nun fast wie eine Szene aus dem Paranoia-Klassiker “The Manchurian Candidate”, in dem sich hinter der äußersten Rechten verkappte Kommunisten verbergen. Auch zu dem Attentat auf Dutschke kursieren unbestätigte, aber nicht unplausible Theorien über den Einfluß von Ostgeheimdiensten. Der Linksterrorismus der BRD erhielt durch diese Ereignisse immerhin zwei seiner entscheidendsten Impulse. Dann hätte sich auch ein Kreis geschlossen, als in der weiteren Entwicklung die RAF schließlich, wie Bernd Rabehl schreibt, nicht zum Erbe der APO, sondern zu einem “Kampforgan der traditionellen Linken” wurde: “Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß später die DDR für die müden Kämpferinnen zur Etappe wurde.”
Apropos Bernd Rabehl: Wer der Meinung ist, die “Achtundsechziger” seien “an ALLEM schuld”, sollte unbedingt das hier lesen.
Update: Rabehl selber vermutet im JF-Netz, daß Kurras eher Agent des CIA und seit seiner Internierung im Sowjet-Speziallager Sachsenhausen Antikommunist gewesen ist. Wenn das stimmt, dann müßte Kurras nach der Faktenlage ein ziemlich geschickter Doppelagent gewesen sein, was dem “Manchurian Candidate”-Scenario nochmal eine abenteuerliche Drehung gäbe. Von der Logik des Cui Bono her scheint mir das aber unwahrscheinlich zu sein.
Update II: Und nochmal Rabehl, mit ausführlichen Erinnerungen an den 2. Juni 1967.
Update III: Hubertus Knabe in der ZEIT: “Die Stasi wollte die Proteste anheizen”.