wieder ein Staatspolitischer Salon statt. Durch die Veranstaltung führte Erik Lehnert; geladen war Götz Kubitschek, um über »PEGIDA als politisches Lehrstück« zu sprechen. Zu den 60 angemeldeten Teilnehmern kamen noch etliche “spontane” hinzu, so daß die Räumlichkeiten mit knapp 80 Gästen schließlich bis ans Limit ausgelastet waren. Inklusive einer intensiven Anschlußdiskussion ging der offizielle Teil des Abends über zwei Stunden; der Gesamtverlauf läßt für die Folgeveranstaltungen der kommenden Monate das Beste erwarten.
Pünktlich um 20:15 Uhr eröffnete IfS-Geschäftsführer Dr. Erik Lehnert die Veranstaltung mit einer kurzen Erläuterung des Konzepts der »Staatspolitischen Salons«; hierzu gehörte auch eine Erklärung zum Problem der Räumlichkeiten, das die Ausrichtung der Vortragsreihe für das vergangene Jahr verunmöglichte.
Zur Wiederaufnahme des Fadens sei die Gewinnung Götz Kubitscheks besonders sinnhaft, habe dieser auf einem der Salons der “alten Folge” doch bereits über die seinerzeit vielversprechende “Identitäre Bewegung” und ihr Potential referiert – inzwischen sei PEGIDA als »vielversprechende Bewegung« an deren Stelle getreten, und durch sein eigenes Engagement als mehrmaliger Redner auf Dresdner und Leipziger Abendspaziergängen bringe Kubitschek in jedem Fall eine angemessene Urteilskompetenz mit.
Kubitschek konstatierte, daß es vom verantwortlichen Redakteur einer normalerweise mit Themen jenseits der Tagespolitik befaßten Zeitschrift nicht gerade erwartbar sei, zum Gedeihen eines politischen Phänomens wie PEGIDA beizutragen. Es stelle sich also die berechtigte Frage danach, warum die Abendspaziergänger ihm »ans Herz gewachsen« seien, warum er sich persönlich engagiert habe.
Zur Erklärung dieser Synergie sei die These unbedingt zu verteidigen, daß PEGIDA in jedem Fall eine echte, massive Volksbewegung geworden wäre, wenn Politik und Medien sie in gleichem Maße gehätschelt und hochgejubelt hätten wie zu ihrer jeweiligen Zeit linke Komplemente à la attac, Piratenpartei oder Blockupy.
Aber selbst ohne einen noch größeren Zulauf als den ohnehin erreichten hätte PEGIDA die prädestinierte Volksbewegung vor einer Partei wie der AfD sein können, denn immerhin sei diese selbst einmal mit dem Selbstanspruch angetreten, eine “Ausweitung der Kampfzone” auf realpolitischer Ebene herbeizuführen – dadurch wäre auch insbesondere der »Henkel-Lucke-Flügel« in seine innerparteilichen Schranken gewiesen worden. Die AfD habe sich jedoch nach anfänglicher Fühlungsaufnahme schnell der PEGIDA entledigt, als sich herausstellte, daß diese »nicht so leicht käuflich wie gedacht« sei.
»Na, suchst Du auch Pöstchen?«
Die »Fieberkurve« des Bürgerprotests sei bis Mitte Januar mit ständig steigender Teilnehmerzahl steil aufwärts verlaufen; darauf seien dann Spaltung und Zerschlagung gefolgt, die die Masse der Bewegung nun auf Sachsen und insbesondere Dresden beschränkten. Bundesweit sei der politmediale Komplex in die »Verdrängungs- und Beschweigungsphase« eingetreten.
Nichtsdestoweniger lud Kubitschek alle bislang unbeteiligten Zuhörer ein, sich die beeindruckenden Dresdner Demonstrationen einmal anzusehen und etwas von der Aura des gemeinsamen Eintretens für Veränderungen zu spüren. Gegen eine mittlerweile eingetretene Bedeutungslosigkeit PEGIDAs sprächen ebenso die fortgesetzten Versuche etablierter Politiker (zuletzt etwa Cem Özdemirs), sich auf Kosten der Abendspaziergänger als zivilcouragierte Musterdemokraten zu inszenieren.
Im Anschluß an diese Bestandsaufnahme rekapitulierte Kubitschek knapp sein persönliches Engagement für PEGIDA. Nachdem er zwei Monate lang als »normaler Spaziergänger« mit Familie vor Ort gewesen sei, sei sein wirklicher Einstieg auf Einladung des seinerzeit den Spaltungsmaßnahmen des Staats ratlos gegenüberstehenden “Orga-Teams” erfolgt – jener Maßnahmen, an denen letztlich der Kreis um Kathrin Oertel gescheitert sei.
Auf Bitten von Lutz Bachmann hin habe Kubitschek anfangs als in politischen Auseinandersetzungen erfahrenerer »Rat- und Tatgeber« gewirkt und die Mechanismen des Kampfs gegen PEGIDA analysiert, ehe er sich mit eigenen Redebeiträgen an der Ausgestaltung von Protestumzügen beteiligte. Letzten Endes habe diese Zusammenarbeit für beide Seiten positiv gewirkt: Der Bürgerprotest sei ein »sinnvoller Trichter« zur Gewinnung neuer Interessenten gewesen, gerade weil die Teilnehmergruppe einen veritablen »Querschnitt durch’s Volk« darstelle.
Die abschließende Zukunftseinschätzung fiel knapp und klar aus: Die Bewegung werde ihren Charakter behalten, gleichwohl müßten neue Strategien der Druckausübung entwickelt werden. PEGIDA sei bislang nicht »in konkrete politische Arbeit hinein ausdifferenziert« und solle dies auch weiter so halten; der Bürgerprotest sei eine manifestierte »offene Frage«, was erhalten bleiben und eventuell durch eine größere Bandbreite unterschiedlich ausgerichteter Redner verstärkt werden müsse. Für Götz Kubitschek und die Sezession mit ihrer dezidiert rechtsintellektuellen Grundhaltung sei und bleibe PEGIDA ein selbstverständliches Thema, um zu »versuchen, Deutungsbegriffe zu setzen«, die in der Auseinandersetzung mit den Zumutungen des status quo wirkmacht entfalten könnten: »ein Tiger, den wir mitreiten möchten«.
Von dort aus führte ein logischer Übergang zur kurzen Vorstellung des Projekts Sezession an sich. Ihre Leitmotive seien (»von sehr ruhig bis sehr angriffslustig« geordnet):
Pflege des geistigen Bestands; Magnetisierung und Nutzbarmachung desselben; Beförderung der geistigen Unruhe; Mut zur Setzung ohne Begründungsbedarf; Zusammenführung und Sammlung »der Selbst- und Mutigdenker«; Provokation und Ausweitung der Kampfzone; Wirkung als Kontrastmittel für den tatsächlichen Zustand der Meinungs- und geistigen Freiheit; ultimativ »die Bewaffnung der Sprache«, um den Gegner zu treffen.
Dies sei für das Dasein der Zeitschrift Sezession »Begründung genug«, wichtig und »dringend fortsetzbar«. Denn letzten Endes ginge es sowohl dem IfS als auch der Sezession um die elementare Frage der heutigen Lage: »Wenn wir nicht wissen, wer wir sind und wer wir sein wollen, braucht über Zukunft, Integration und all das gar nicht geredet zu werden.«
Die anschließende Diskussion oszillierte zwischen praktisch-aktivistischen Fragen und Anmerkungen – großteils von PEGIDA-Teilnehmern, insbesondere deren Berliner Ableger BärGIDA – und eher theoretischen Themen. Kubitschek bot manchen interessanten Einblick, so etwa auf die Frage, ob eine mögliche “katechontische” Funktion PEGIDAs angesichts des sehr dürftigen Positionspapiers der Bewegung nicht doch reine Augenwischerei sei: Dies sei ein Stück weit korrekt und das Positionspapier bei bierernster Auslegung eine Naivität ersten Ranges, doch sei es in Wahrheit laut Lutz Bachmann ein programmatischer »Notbehelf« gewesen, zu dem jeder Mitorganisator zwei Punkte nach eigenem Gusto hätte beisteuern dürfen und der dadurch einen »quasi dadaistischen« Charakter erhalten habe.
Nichtsdestoweniger sei PEGIDA seit dem zweiten oder dritten Abendspaziergang etwas gänzlich anderes, als von ihren Gründern ursprünglich beabsichtigt, nämlich keine reine Unmutsbekundung gegen »Stellvertreterkriege auf deutschem Boden«, sondern eine »offene Infragestellung der Systemelite«. Wer mit den besten Absichten mitspaziert sei und die ganze Jauche der politmedialen Hetze über sich ausgegossen gesehen habe, der sei »jetzt für diesen Staat verloren«.
Weitere Erörterungen über die Chancen Tatjana Festerlings als Kandidatin zur Oberbürgermeisterwahl in Dresden (»natürlich im Kern keine Chance«), die operativen Unterschiede zwischen Dresden und Leipzig (im Hinblick auf die militante Antifa werde in Leipzig »das Brot auf eine etwas andere Weise getoastet«, denn wenn diese Leipzig verliere, dann sei für sie das gesamte Beitrittsgebiet verloren) oder den geistigen Gegensatz zwischen “Ossi” und “Wessi” (zu DDR-Zeiten hätten erstere eine »völlig andere Wahrnehmung von Machbarkeit und Vorstellung von staatlicher Schmutzigkeit« entwickelt, wohingegen letztere großteils bis heute bereit seien, von steuerlicher Auspressung bis hin zur »vollkommenen Verrottung ihres Stadtteils« alles demütig hinzunehmen) rundeten die Erörterung über »PEGIDA als politisches Lehrstück« ab, ehe der Abend in einen intensiven geselligen Teil mit reichlich Gelegenheiten zu Gesprächen und Vernetzung überging. Für den nächsten Staatspolitischen Salon am 20. Mai, auf dem Institutsleiter Erik Lehnert selbst sprechen wird, erwachsen aus der diesjährigen Auftaktveranstaltung große Erwartungen.
Ein gebürtiger Hesse
Eine punktgenaue Rekapitulierung eines mitreißenden Abends, der Lust auf mehr machte. Besten Dank dafür!