Eigentlich hat eine junge, sehr bürgerliche Familie den Ausschlag für uns gegeben, abermals mitzuspazieren. Sie, bislang eher unpolitisch, laufen beständig mit, sind wie wir auch mal nach Dresden ausgewichen, finden aber: Wenn man immer klein bei gibt, sich immer Gründe sucht, warum man die Sache besser aussitzt, wo soll das enden?
Also hat Kubitschek abermals eine Rede zugesagt, sind wir abermals nach Leipzig gefahren. Auf dem Hinweg begann es wie aus Kübeln zu regnen. Ich erinnerte mich an einen Satz von Kubitschek, den er am Tag unseres Kennenlernens aus Übermut sagte: „Nur Spießer haben immer einen Schirm parat.“ Wir besitzen bis heute keinen; Pech gehabt – war ja nur Wasser.
Zu Veranstaltungsbeginn vor der schönen Kulisse am Simsonplatz waren ein paar Hundert Legidisten vor Ort – viele kennt man längst. Geschätzt waren annähernd so viele Polizisten im Einsatz wie Demonstranten und Gegendemonstranten zusammengerechnet – immerhin fühlte man sich sicher. Etwa 80 Antifas hatten sich in Hörweite eingefunden. Sie lärmten unentwegt, konnten die Lautsprecheranlage aber schwerlich übertönen. Silvio Rösler sprach, dann Heiko Bernardy, eine gute, umfassende Rede.
Wir spazierten los, eine keineswegs grimmige, sondern sehr heitere Truppe, wenige Fahnen, wenige Plakate, langer Regenspaziergang. Flankiert wurden wir fast durchweg von zuverlässig abgeschirmten Gegendemonstranten, mal einzeln, mal in großen Gruppen wie an der Thomaskirche, wo sich etwa 150 meist sehr junge Menschen wie zu einem Chor aufgestellt hatten. Was sie riefen? Ich habe es nicht verstanden.
Die einsamen Protestler waren markanter: Die sehr dicke ältere Blondine mit dem sehr großen Tablet, die sich gymnastisch verrenkte. Ihr Gerät filmte Legida, die Hand andere streckte den Mittelfinger, sie selbst guckte, wie aus hygienischer Vorsicht, weg. Der hagere Radler im midlife-Crisis-Alter, der mit verkniffenem Mund an der Kreuzung stand, stoisch starrend und den Mittelfinger gen Himmel reckte. Meine Kinder fragten ihn laut und besorgt, was mit seinem Finger sei, ob er verletzt sei und Hilfe brauche. Er hatte keine Antwort. Dann der Schwarze, der einsam hinter einer Polizeikette stand und „Nazis!“, und „Haut ab aus unserem Land“ brüllte. Für allgemeines Gelächter und Mitleid sorgte eine mittelalte Frau mit Brille, die den Leigda-Spaziergang längere Zeit flankierte, eine Ratsche in der Hand und eine Trillerpfeife im Mund. Ihr Blick ging zum Boden, sie war unansprechbar, sie wirkte hilfebedürftig im engeren Sinne, aber die Fronten waren ja polizeilich getrennt.
Zurück am Platz vor dem Bundesverwaltungsgericht hielt Kubitschek seine Rede; in meinen Ohren war es die beste seiner ‑gida-Reden. Ein Andante, zu sehen hier ab Minute 1.33.15. Auf dem Rückweg zum Auto in kleiner Gruppe wurden wir noch ein Weilchen begleitet und beschimpft: Dreckspack, Hexe, Schande verp… euch. Die Kinder: „Was man sagt, das ist man selber!“
28.4. 2015
Bei der Lektüre der JF wiedermal ein Zustand zwischen Lachen und Weinen. Über Dieter Steins schon länger andauernden Versuch, den Kurs seines Blattes gen Hauptstrom zu lenken, wurden eigentlich genug Worte verloren; auch über die fortgesetzte Anbiederung an den Lucke-Henkel-Flügel der AfD. Heute geht’s erneut gegen Björn Höcke, der laut Stein
„die Partei noch weiter nach rechtsaußen in eine politische Sackgasse führen möchte. Besonders bei der Höcke-Gruppe sind Hasardeure einer „Rechten“ am Werk, die keinen Ruf zu verlieren haben und denen es gleichgültig ist, ob sich die AfD durch einen Rechtsruck und die Aufgabe des liberalen Flügels an den Rand des diskutablen politischen Spektrums manövriert.“
Stein hat offensichtlich nichts von dem ernstgenommen, was einer der wichtigsten Autoren seines Blattes, Karlheinz Weißmann verfaßt hat – zugegebenermaßen fast nie in diesem Blatt selbst, aber eben doch im Beiboot des Mutterschiffs.
„Hüte Dich vor jeder Ablenkung ins »Liberalkonservative«, »Freiheitlich-Konservative«, »Kulturkonservative«, »Wertkonservative«. Das sind Fallen, mit denen man Dich von der eigentlichen Auseinandersetzung fernhält, denn die ist politischer Natur und fordert klare Entscheidungen. Wenn Du glaubst, daß das hilft, schieb Deine Position eher vor, als daß Du sie zurücknimmst, sei klug, aber hüte Dich vor Leisetreterei: Was spricht eigentlich dagegen, sich »rechts« zu nennen, da wo das Rechte, das Richtige gedacht, gewollt, getan wird?
Und nochmals Weißmann:
Wir stehen also vor dem Problem, daß es entweder gar keine Möglichkeit der Selbstbezeichnung gibt, eine unscharfe – konservativ – oder eine trennscharfe – rechts. Und wenn wir schon martialisch werden: es geht um die Alternativen Kapitulation, Kollaboration oder Guerilla. Da bin ich dann zugegebenermaßen für Guerilla – also den kleinen Krieg; dazu gehört Beweglichkeit, Deckung nutzen, Angriffslust und selbstverständlich Provokation des Gegners.
Gut, Dieter Stein sieht´s also anders. Interessant ist, daß seine Leserschaft, zumal die online eifrig kommentierende, hier wiederum im klaren Dissens zum Chefredakteur steht. Die liberale und dezidiert antirechte Haltung findet hier allenfalls 10% Zustimmung. Auch, was jenen neuen Brandartikel betrifft.
Nun tritt heute, hoppla, ein Kurt Müller auf den Plan. Man kennt die dutzenden Stammkommentatoren der JF-online mittlerweile recht gut. Aber „Kurt Müller“? Unbekannt. Der schickt nun im Stakkato Kommentar um Kommentar ab, pro-Stein, Anti-Höcke, Beispiele:
Die Kooperation mit Kubitschek und Co, die Höcke mutmaßlich die Erfurter Erklärung geschrieben haben, spricht Bände. Kubitschek hat die AfD lange genug als weichgespülte liberale Partei verhöhnt und ist jetzt der Berater von Höcke. (…) Mit Höcke und der Erfurter Erklärung marschiert die AfD ins Nichts. Aber vielleicht wollen das die Verächter des Parteienstaates, des “Systems” ja sogar genau so…
„Müller“ beruft sich bei seiner Einschätzung Höckes dezidiert auf den extrem linken Feministen Andreas Kemper. Weiter “Müller”:
Also Höcke antwortet nicht “klug und reserviert” – er tritt meistens wie Schwiegersohn im Konfirmationsanzug auf, grinst unangemessen und redet übertrieben gestikulierend mit pseudointellektuellem Zunftjargon daher, blasiert mit pathetischem Tremolo. Und dann immer diese übertriebene angebliche “Bescheidenheit”. Zum davonlaufen! Sagt: “Ich bin grundsätzlich ein sehr bescheidener Mensch” und steht dann mit Händen in den Hosentaschen im Studio herum oder verweigert dem politischen Gegner den Handschlag. Wer penetrant Tugenden betont, hat sie im Zweifel nicht!
Komisch. Ulkig. Erstens kenne ich einen, der damals mit „im Studio“ war. Zweitens kenne ich diesen selben als Gesprächspartner, der genauso kommuniziert: Den anderen zwar reden lassen, aber dann stur im eigenen Text weiterreden, das entspricht ziemlich exakt dem Dialogmuster des Kommentators „Kurt Müller“. Soweit ist es also schon gekommen, au backe… „Wer sich selbst kommentiert, geht unter sein Niveau“ (E.Jünger), oder?
29. 4. 2015
In der aktuellen Sezession (Heft 65) gibt es einen Artikel aus der Feder Hans-Thomas Tillschneiders: „Vorsicht: Wertkonservative“. Tillschneider analysiert die (bereits ältere) Modebezeichnung messerscharf: „In dem der Wertkonservative sich so nennt, hat er schon seinen Willen zum Zurückweichen vor einem Zeitgeist bekundet, der auf seinem Weg durch die Sprache verbrannte Begriffe hinterläßt.“
Typisch „wertkonservativ“ ist für mich ein Autor wie Andreas Püttmann. Der Publizist hat tugendreiche, wert-volle Bücher geschrieben wie „Ziviler Ungehorsam und christliche Bürgerloyalität” und „Gesellschaft ohne Gott“; letzteres wurde in einer Sezessionsausgabe sogar positiv besprochen. Welch fataler Beifall von übler Seite das für den Autoren gewesen sein muß, zeigt sich in einem Püttmann-Artikel im aktuellen Cicero.
Hier zetert Herr Püttmann, sich mit Claus Leggewie absichernd, rundumschlagend gegen die „religiöse Rechte und ihre unheiligen Allianzen“: Alle kriegen ihr Fett ab, die Junge Freiheit, der (bislang als hochseriös und rechts-unverdächtig geltende) Sozialethiker Pater Wolfgang Ockenfels – und, unter zahlreichen anderen, ich:
Sezessions-Redakteurin Ellen Kositza sprach im ZDF (17.2.15) von den vielen Ausländern, vor denen sie „aus Offenbach geflohen“ sei. Dabei trug sie eine Fahne „des geheimen Deutschlands“ mit dem Philippuskreuz in Schwarz-Gold-Rot, frech an einen Flaggenentwurf des Widerstandes gegen das NS-Regime anknüpfend. Die AfD-Führung lehnte den Parteibeitritt der beiden Rechten ab. Der katholische Deutschlandfunk-Redakteur und Autor Jürgen Liminski hingegen pries Kositza 2008 in einer Laudatio als „Stimme der Vernunft“. „Gender Gaga“-Kritikerin Birgit Kelle gab der 57. „Sezession“ ein ausführliches Interview. Darin kritisierte sie jene in Politik und Medien dominierenden Frauen, „die entweder selbst kinderlos sind, oder das Lebensmodell Kinder ja, aber Karriere geht weiter mit Hilfe von Fremdbetreuung, favorisieren. Also der Typus von der Leyen & Co“. Der Familienstand als Argument – typisch für die übergriffige, deterministische Logik der Szene.
Eine Freundin, der ich den Link zum seltsam aufgeregten Artikel schickte, schrieb mir nur zurück: P. kenne man doch als Quartalsirren. Man müsse das gnädig ansehen. Plätze zwischen Baum und Borke, und seien sie selbstgewählt, führten halt zwangsläufig zu solchem Juckreiz.
Ein gebürtiger Hesse
Die JF schickt Claqueure in eigener bzw. Steins Sache aus, die sich unters Volk der Online-Kommentatoren mischen? Das Faß ohne Boden läuft immer weiter über ...