Ich kenne den Sender nicht und bin der Sache dadurch auf die Schliche gekommen, daß ich auf dem Schreibtisch meiner Tochter ein selbstgemaltes Plakat fand, dessen Inschrift ungefähr lautete: „VOTET ALLE MIT! FÜR GRAHAM CANDY UND UNSERE SCHULE!!!!!
Ihr, der Tochter, war das ein bißchen peinlich. Sie begründete ihren künstlerischen Einsatz damit, daß sie als vielleicht einzige der Schule (ihren Bruder nicht mitgerechnet) selbst nicht „voten“ könne, mangels Handy nämlich.
Darum ging´s: In der Schule mit den meisten „Votings“ wird der neuseeländische und neu-berliner Superstar Graham Candy zu einem Schulhofkonzert auftreten. Von jedem Handy aus (ich referier nur meinen laienhaften Kenntnisstand) durfte maximal einmal pro Stunde „gevoted“ werden. Pech für „unser Gymnasium“, daß eine Schule im thüringischen Worbis noch eifriger votete. Sie hatten letztlich ein paar tausend Stimmen mehr. Dabei hatte „unser Gymnasium“ qua ordre du mufti zwecks Dauervoting sogar temporär das eigentlich geltende Handynutzungsverbot aufgehoben: Damit die Schüler stündlich jene entsprechende Taste drücken konnten!
Dann aber die Kehrtwende: Schulamtsleiter und Landrat in Worbis untersagten den Auftritt des hochbegabten Stars. Es hätte, so die Begründung, sich niemand bei 89.0 RTL beworben, der befugt gewesen wäre, die Schule nach außen zu vertreten. Der Schulamtsleiter: „Vormittags hat an der Schule nur eine Veranstaltung stattzufinden. Und die heißt Schule.“ Der Landrat hatte zudem versicherungsrechtliche Bedenken angemeldet. Heißt: Graham Candy mußte seine Lieder im zweitplazierten Ort (also „unserem“) statt in der Stimmführerstadt Worbis singen.
Nun leben wir aber bekanntlich in widerständigen Zeiten. Also gründete sich erstens in Worbis eine empörte Elterninitiative namens „Kinder an die Macht“. Die befand kämpferisch, es sei „nicht hinnehmbar, dass den Kindern dieser Spaß, den sie sich mit großem Einsatz [wohlgemerkt: dem stündlichen Drücken einer Handytaste, EK] verdient haben, genommen worden ist.“ Eine Frau fragte „durchaus verbittert“ ( Thüringer Landeszeitung): „Was haben die Jugendlichen jetzt daraus gelernt? Kämpfen und Zusammenhalt ist sinnlos, du erreichst doch eh‘ nix!“
Diverse Leserbriefschreiber in der Lokalpresse sekundierten den Empörten:
Alle Klisches vom Eichsfeld als etwas “konservativer Landstrich” werden mit dem Beispiel bestätigt. Katholizismus=intellektuelle Rückständigkeit. Ora et labora, das Motto des Eichsfeldes.
Und:
Leute, Leute leben wir im Mittelalter? Herr Direktor, Rohrstock raus und die Prügelstrafe wieder einführen??? Ich verstehe das Schulamt nicht? Das Konzert wäre doch eine Motivation für die Schüler gewesen.
Die Posse geht noch weiter: Schüler in Worbis protestierten naturgemäß gegen die Absage. Unter anderem mithilfe trötender Vuvuzuelas. Der Rektor des Gymnasiums (Blümchen an: Herrn S. h hatte anscheinend um Ruhe gebeten (Abiturprüfungen derzeit!), die ihm nicht gewährt wurde.
Man liest nun:
„Weil sie die Tröte nicht abgeben wollte, habe der Mann sie am Arm gepackt, geschubst und hochgehoben. Bilder der Zeitung “Eichsfelder Tageblatt” zeigen, wie der Schulleiter die 16-Jährige über den Hof des Gymnasiums zerrt und dabei zu Fall bringt.“
Der Schulleiter wurde von der Mutter der Vuvuzuela-Musikerin nun wegen des Verdachts auf Körperverletzung angezeigt. Anscheinend darf er dennoch im Amt bleiben. Der sogenannte Shitstorm richtet sich – klar, gegen den Rektor. Beispielhafter online-Kommentar:
Das was ich jetze lesse ‚darüber bin auch mehr als fassungslos ‚das ein rabiater Schulleiter in seinem Amt bleiben kann.Nein dies darf nicht sein darum bitte ich allen die so eine Schulkinderfeindliche Entscheidung getroffen haben ‚dies noch einmal gründlich zu überdenken und dem Schulleiter sofort zu enlassen bzw.zu verbieten jemals wieder so ein Beruf auszuführen. Das ist man allen Mädchen und Jungens in der Schule schuldig ‚denn sie wollen ja nur eins, was gescheites für ihen zukünftigen langen Lebensweg zu lernen!
Ja, wer will das nich! Lernen, lernen, lernen! Aber mit modernen Mettoden! Um speter ordendliche Leserbriefe schreiben zu können!
3.5. 2015
Als Kind liebte ich meine Klassenlehrerin sehr. Schwester Monika betreute auch die Schulbücherei. Die Bücher von Federica de Cesco gingen ihr über alles. Also las ich alle (natürlich nicht alle, aber mindestens zehn) Bücher von Federica de Cesco. Meistens fand ich sie langweilig, ich schob das auf meine eigene Unzulänglichkeit. Ich hatte damals, mit zehn bis dreizehn Jahren, ordentlich Buch geführt über meine Lektüren, de Cesco kam nie über die 2- hinaus. Es waren auch Vieren darunter. Die vergab ich aber mit schlechtem Gewissen.
Und heute nun meine Wiederbegegnung mit der populären Autorin! Eine Tochter bekam nämlich in der Schule als Klassenarbeit eine de-Cesco-Kurzgeschichte vorgesetzt, von der sich im Übrigen herausstellte, daß auch die älteren Schwestern sie bereits „durchhatten“. Sie heißt Spaghetti für zwei.
In Kürze: Deutscher Schüler, cool bis arrogant, bestellt sich ein Essen. Er muß kurz seinen Platz verlassen, und als er zurückkehrt, sieht er, daß ein Schwarzer von seinem Teller ißt.
“Zum Teufel mit diesen Asylbewerben! Der kam irgendwo aus Uagadugu, und jetzt fiel ihm nichts Besseres ein, als ausgerechnet seine Gemüsesuppe zu verzehren! Schonmöglich dass das den afrikanischen Sitten entsprach, aber hierzulande war das eine bodenlose Unverschämtheit! Heinz öffnete den Mund, um diesem Menschen lautstark seine Meinung zu sagen, als ihm auffiel, dass die Leute ihn schon komisch ansahen. Heinz wurde rot. Er wollte nicht als Rassist gelten. Aber was nun?“ Heinz denkt nach: „Vielleicht hat der Mensch kein Geld, muss schon tagelang hungern. Vielleicht würde ich mit leerem Magen ähnlich reagieren? Und Deutsch kann er anscheinend auch nicht. Ist doch peinlich. Ich an seiner Stelle würde mich schämen. Ob Schwarze wohl rot werden können?”
Heinz beschließt, stur weiterzulöffeln. Die Pointe ist längst klar: Erst nachdem der Schwarze eine weitere Portion, diesmal Spaghetti, und zwar als Duo-Portion, geholt hat, wird ihm klar, daß seine eigene Gemüsesuppe mittlerweile kalt auf dem Nachbartisch steht.
„Heinz erlebte den peinlichsten Augenblick seines Lebens. Am liebsten hätte er sich in ein Mauseloch verkrochen. Es vergingen zehn volle Sekunden, bis er es endlich wagte, dem Schwarzen ins Gesicht zu sehen. Der saß da, völlig entspannt und cooler, als Heinz es je sein würde, und wippte leicht mit dem Stuhl hin und her. „Äh …”, stammelte Heinz, feuerrot im Gesicht. „Entschuldigen Sie bitte. Ich …” Er sah die Pupillen des Schwarzen aufblitzen. Auf einmal warf dieser den Kopf zurück, brach in dröhnendes Gelächter aus. Eine Weile saßen sie da, von Lachen geschüttelt. Dann stand der Schwarze auf, schlug Heinz auf die Schulter. „Ich heiße Marcel”, sagte er in bestem Deutsch.
Noch in der Pause, berichtet die Tochter, hätten sich die Mitschülerinnen gewaltig über den dummen Heinz aufgeregt. „Ich krieg echt zuviel, wenn ich mir so ein Arschloch vorstelle.“ Die Lektion sitzt seit Jahrzehnten. Im Prinzip ist es auch keine schlechte Lektion. Nur: ein „Prinzip“ griffe doch auch unter geänderten Rahmenbedingungen, oder? Wär’s hier vorstellbar? Irgendwie?
4.5. 2015
Die „Kritische Weissseinsforschung“, „Critical Whiteness“ hingegen hielt ich bislang für eine verkopfte Randerscheinung entlegener Akademikerkreise. Aber nein, das Thema ist voll in den Staatsmedien angekommen. Vorgestern hatten sie in der oft hörenswerten Reihe „Essay und Diskurs“ im Deutschlandfunk einen halbstündigen Beitrag über „Weißsein als Privileg“. Autorin und in der Tat sympathetische Sprecherin war die (weiße) Deutschamerikanerin Millay Hyatt.
Sie warnt vor der in linken Kreisen gängigen Praxis, Hautfarbe zu „ent-nennen“, also so zu tun, als spielte sie keine Rolle. Genauso kritikwürdig findet sie aber, die Hautfarbe gezielt zu markieren. Es ist also komplizierter als kompliziert.
Hyatt zitiert etwa eine Anti-Rassismus-Aktivistin die beklagt, dass vielen Menschen mit einem “nicht-deutschen Elternteil” immer wieder die Frage gestellt wird, woher sie denn kommen. Hyatt gibt zu bedenken, daß diegutmeinende Aktivistin mit “nicht deutschem Elternteil” ein nicht weißes Elternteil meint, also verkürzt deutsch mit weiß gleichsetze – sonst würde die Frage nach der Herkunft ja nicht gestellt.
Des weiteren bemüht die Autorin ein vielzitiertes Beispiel (gerade in der Ausstellung „Das Neue Deutschland“ im Dresdener Hygiene-Museum eindringlich vorgeführt bekommen):
In einer Werbung eines Kinderhilfswerks lacht ein gesund aussehendes dunkelhäutiges Mädchen in die Kamera, daneben die Aufforderung:” Werden Sie Pate!“
Hyatt: „Die Macher der Plan International-Werbung dürfen davon ausgehen, dass ihr Zielpublikum ein schwarzes Kind ohne Weiteres mit arm und hilfsbedürftig gleichsetzen wird.“
Hyatt ist blauäugig: Rassische Kategorien seien soziale Konstrukte.
„“Weiß”, “schwarz” oder “asiatisch” sind gesellschaftlich geschaffene Identitäten.“
Soziale, psychologische, kulturelle oder sonstige Eigenschaften dürften niemals auf äußerliche, genetisch bedingte Merkmale zurückgeführt werden.
Also doch: Hautfarbe stets negieren? Hyatt, sybillinisch: Man solle diese „versteckten Strukturen sichtbar machen und kritisch reflektieren.“ Was freilich nur unter der Maßgabe klappen kann, daß die einen die Privilegierten und die anderen die Guten sind, wie denn sonst?
Der Gutmensch
Oh, ich könnte mich beölen ... falls jemand den Ausdruck noch kennt ... bin ich doch in meinen Thüringer Sommerferien als die nichtsahnende Berlinerin (so wie der/die/das Candy mit Mütze und Badelatschen) stets fürsorglich von der Verwandtschaft belehrt worden: Halt Dich bloß von den Eichsfeldern fern, die sind ganz komisch! Verheiratet bin ich allerdings mit einem, der dort geboren wurde und von seinen dazugehörigen Vorfahren erst viel später erfuhr ... Man muss wohl flexibel bleiben und darf das eigene Zuhause nicht zu voreilig in Anführungsstriche setzen!