Peter Trawnys “Irrnisfuge” – Ein Text als Symptom und Diagnose

Es ist nicht leicht, aus Peter Trawny schlau zu werden. Trawny, der Heidegger-Experte und Jünger-Interpret,...

Martin Sellner

Martin Sellner ist Kopf der österreichischen Identitären Bewegung.

dem ein­mal auf­grund „anti­deut­scher“ Intri­gen ein Lehr­stuhl in Wien ver­wehrt wur­de. Traw­ny, der Her­aus­ge­ber der Schwar­zen Hef­te, der dazu kal­ku­liert-pünkt­lich mit einer Publi­ka­ti­on zu Heid­eg­gers „seins­ge­schicht­li­chem Anti­se­mi­tis­mus“ aufwartete.

Auf Face­book prä­sen­tiert er sich sowohl im pro­fes­sio­nel­len Busi­ness­look als auch in der zer­zaus­ten Ago­nie des post­mo­der­nen Bohe­mi­ens. Traw­ny ist für mich sowohl Dia­gno­se als auch Sym­ptom der deut­schen Phi­lo­so­phie im 21. Jahr­hun­dert. Und nir­gends wird das so deut­lich wie in sei­ner jüngs­ten Ver­öf­fent­li­chung, die mich auch mit dem amtie­ren­den Her­aus­ge­ber der Heid­eg­ger-GA wie­der „ver­söhnt“ hat.

Die Irr­nis­fu­ge ist ein­groß­ar­ti­ger Essay. Ich habe ihn mit Genuß und Gewinn und in einem Satz gele­sen. All mei­ne Vor­be­hal­te und Vor­ur­tei­le, die ich als frisch­ge­ba­cke­ner Heid­eg­ger-Jün­ger gegen den „Vater­mör­der“ heg­te, der (Heid­eg­gers „Tes­ta­ment“ ver­let­zend) die Schwar­zen Hef­te vor­ab gelea­k­ed hat­te, schwan­den von Sei­te zu Sei­te. Sie mach­ten tie­fem Ver­ständ­nis und fas­sungs­lo­sem Unbe­grei­fen Raum. Wäh­rend ein Groß­teil der aka­de­mi­schen Heid­eg­ge­rei sich seit Erschei­nen der schwar­zen Hef­te in einer Art „Schock­star­re“ befin­det, die nur hin und wie­der von reflex­ar­ti­gen, vor­aus­ei­lend-gehor­sa­men Distan­zie­run­gen unter­bro­chen ist, wagt sich Traw­ny hier wie­der in ver­min­tes Ter­rain und „besetz­tes Gelän­de“ vor.

Mit dem The­men­kom­plex Schuld, Ausch­witz, Wahr­heit und Lüge begibt er sich wis­sent­lich in einen Bereich, der tief im Ner­ven­zen­trum der bun­des­re­pu­bli­ka­ni­schen Ideo­lo­gie sitzt. Und das macht eines von Anfang an klar: Traw­ny geht es hier mei­ner Ansicht nach nicht um ver­le­ge­ri­sches Kal­kül, er fällt Heid­eg­ger nicht post­hum in den Rücken, um ihn der „Auf­ar­bei­tung­in­dus­trie“ zum Fraß vorzuwerfen.

Traw­ny lei­det. Er lei­det an den Schwar­zen Hef­ten, unter der Zeit und ihrer unge­rech­ten Behand­lung Heid­eg­gers, zu des­sen Den­ken er sich der Irr­nis­fu­ge in berüh­ren­der Auf­rich­tig­keit bekennt. Er sieht in ihm den größ­ten Phi­lo­so­phen, ja ein Kat-Echon einen „Auf­hal­ter“ gegen die Ent­zau­be­rung und Moder­ne. Eben­so groß ist er auch in sei­nem Irren.

Traw­ny geht in die­sem Text einen Schritt wei­ter und stellt die mei­ner Ansicht nach wesent­li­che Fra­ge: „War­um woll­te Heid­eg­ger die Ver­öf­fent­li­chung der schwar­zen Hef­te?“ Daß er mit ihnen und den weni­gen inso­fern „ver­wert­ba­ren“ Stel­len, eine post­hu­me, anti­se­mi­ti­schen Legal­de­fin­ti­on zur Aus­le­gung sei­nes Den­kens geben woll­te ist natür­lich bös­wil­li­ger Unsinn, der so absurd ist, dass er nur in anti­deut­schen (also a‑philosophischen) Krei­sen ver­brei­tet und behaup­tet wird.

Traw­ny sieht hier eher ein tie­fes Bekennt­nis zu dem, was er mit Heid­eg­ger das „König­tum des Irr­tums“ nennt. „Treue zum Den­ken ist Treue zum Irr­tum“. Und hier­mit befin­den wir uns mit einem Schlag in die rät­sel­haf­ten Denk­welt Heid­eg­gers ver­setzt. Die­se, selbst noch rela­tiv jun­ger „Ein­stei­ger“, in einem Blog­bei­trag zu ent­fal­ten, oder gar nur zu skiz­zie­ren ist natür­lich völ­lig unmög­lich, daher will ich mich auf Andeu­tun­gen beschränken.

Traw­ny beschreibt mit erfri­schend kla­rer und ver­ständ­li­cher Dik­ti­on den Zusam­men­hang von Wahr­heit und Irr­tum, Bezug und Ent­zug des Seins in Heid­eg­gers Werk. Wahr­heit des Seins als „Wech­sel­spiel von Offen­heit und Ver­bor­gen­heit“. A‑letheia, Unver­bor­gen­heit, Heid­eg­gers berühm­te Neu­über­set­zung, als „Pri­va­ti­on“, als Voll­zug und Pro­zess des Ent­ber­gens, indem sich not­wen­dig und unhin­ter­geh­bar auch immer etwas ver­birgt. Die­ses Ver­ber­gen schlägt sich als Irre in der Seins­ge­schich­te not­wen­dig in der Kata­stro­phe nie­der. Die „Hand­lung des Seins ist eine von der Unver­bor­gen­heit dik­tier­te Cho­reo­gra­fie des Irrens“.

Dage­gen die Ver­su­che des „Argu­ments“ und der Ratio, die Wahr­heit fest­zu­stel­len, das Sein in eine For­mel, eine bere­chen­ba­re „All­ge­mein­heit“ zu ban­nen – all das will „das Ereig­nis ein­frie­ren“ wie Traw­ny schreibt. Das „Ereig­nis“ mys­ti­scher Schlüs­sel­be­griff von Heid­eg­gers Spät­phi­lo­so­phie und Titel sei­nes 2. gehei­men „Haupt­werks“ legt Traw­ny in, auch für Heid­eg­ger-Ein­stei­ger nach­voll­zieh­ba­rer Klar­heit aus. Es bedeu­tet, dass die Geschich­te der Men­schen und der Welt, als Geschich­te ver­schie­de­ner Seins­deu­tun­gen (und damit Welt und Men­schen­bil­der) nie­mals in einem Sys­tem, son­dern nur als „Nar­ra­tiv“ ver­stan­den wer­den kann. Sie kann als jeweils, in jeder Epo­che Ein­zig­ar­ti­ges nie­mals sys­te­ma­ti­siert son­dern, wie das Leben eines kon­kre­te Men­schen, nur jeweils „erzählt“ wer­den. Ein Zitat zur Unter­strei­chung sei mei­ner Heid­eg­ger-Begeis­te­rung gewährt:

Unend­lich unmög­li­cher bleibt es, »das Sein« als das All­ge­mei­ne zum jewei­lig Sei­en­den vor­zu­stel­len. Es ‘gibt Sein” nur je und je in die­ser und jener geschick­li­chen Prä­gung: Φύσις, Λόγος, Έν, Ιδέα, Ένέργεια, Sub­stan­zia­li­tät, Objek­ti­vi­tät, Sub­jek­ti­vi­tät, Wil­le Wil­le zur Macht, Wil­le zum Wil­len. Aber dies Geschick­li­che gibt es nicht auf­ge­reiht wie Apfel, Bir­nen, Pfir­si­che, auf­ge­reiht auf dem Laden­tisch des his­to­ri­schen Vorstellens.

Heid­eg­ger GA11, S. 73

Die­se Geschich­te als „Mytho-logie des Ereig­nis­ses“, als „Tra­gö­die des Seins. Peter Traw­ny kann nicht ver­heh­len, dass hier sei­ne geis­ti­ge Hei­mat liegt, das er an ihrem Ent­zug lei­det. Bit­ter klin­gen sei­ne Ankla­gen gegen post­mo­der­ne Belie­big­keit und das ana­ly­tisch-logi­sche Berech­nen­de an. Sie töten das Nar­ra­tiv, die Geschich­te, den Mythos und das Ereig­nis. Das Gestell der moder­nen Welt will „die Tra­gö­die des Seins unmög­lich machen“. Sie ver­stellt uns indem sie jede Offen­heit für das Geheim­nis zer­stört und „jede lei­den­schaft­li­che Sehn­sucht in intel­lek­tu­el­le und phy­si­sche Mas­tur­ba­ti­on“ kana­li­sert. Traw­ny kennt sei­nen Jün­ger. Er weiß was Tem­pe­ra­tur­er­hö­hung bedeu­tet. Aber weiß er auch was sie „ist“?

Zumin­dest weiß er noch was Ekel ist. Der Ernst, die Abwe­sen­heit von Iro­nie, sei­ner bit­ter-lako­ni­schen Schlüs­sen, wel­che sei­ne apho­ris­ti­schen Absät­ze regel­mä­ßig been­den, zeigt das klar: „untra­gi­sches Ende. (..) das Den­ken hört auf“. „wir ver­net­zen uns ange­nehm, viel­leicht ein wenig deka­dent aber in Mehr­heit auf­ge­klärt und tole­rant“ Wir leben in einer „Welt vol­ler Erzäh­lun­gen. Doch sie selbst ist kei­ne mehr.“ „Die Dis­kur­se funk­tio­nie­ren. Kei­ne Kata­stro­phe in Sicht.“

Traw­nys Ver­zwei­fe­lung über das ver­wal­te­te Ende der Geschich­te in der völ­li­gen Bedeu­tungs­lo­sig­keit, inder das Aus­blei­ben der Kata­stro­phe selbst als die größ­te Kata­stro­phe scheint, ist die Kehr­sei­te sei­ner „kon­ser­va­ti­ven“ Hal­tung die er an einer Stel­le offen­kun­dig wird. Wenn er mit Nan­cy das „Ver­ständ­nis der End­lich­keit“ als zen­tra­le Bot­schaft von Heid­eg­gers Werk erkennt, stellt er sich in die Tra­di­ti­on eines Den­kens, das von „amor vati“ über „vive le mort“ bis „Sein zum Tode“, ins heu­te ver­fem­te, „ver­ruch­te“ Lager der „Rech­ten“ und „Reak­tio­nä­ren“ gehört.

„End­lich­keit und Ein­zig­keit“ als Cha­rak­ter des Daseins und des Seins. Das heißt: Gegen den Impe­ria­lis­mus einer auf­klä­re­ri­schen Ver­nunft. Das heißt aber auch gegen Welt­staat, Welt­ethik, Mensch­heit, Ende von Poli­tik und Geschich­te. Kurz: gegen das „hei­li­ge Wer­te­fun­da­ment“ der libe­ral-moder­nen BRD. Es ist der uni­ver­sa­lis­ti­sche Wahn der Gren­zen­lo­sig­keit des ewi­gen Wachs­tums der „befrei­ten Gesell­schaft“ der „Uto­pie der All­ge­mein­heit“ (Ador­no). Es ist das west­li­che Syn­drom die „mytho­lo­gie blan­che“ (Der­ri­da) die Seit eh und je an den ver­leug­ne­ten Grenz­mar­ken ihrer Ort­lo­sig­keit Vernichtung,Tod und Ver­zweif­lung sät. (Auch das Mas­sen­ster­ben im Mit­tel­meer ist so betrach­tet, die­sel­be Ver­nich­tungs­müh­le des Uni­ver­sa­lis­mus, die vom Lärm sei­nes blin­den, gren­zen­lo­sen Huma­nis­mus, sei­ner „Mensch­heits-mis­si­on“ über­tönt weitermahlt.)

Ein „kon­ser­va­ti­ve“ Hal­tung, die dem Zusam­men­ge­hö­ren von Wahr­heit und Irre, dem Nar­ra­ti­ven der Seins­ge­schich­te und der „Unfestell­bar­keit“ des Ereig­nis­ses ent­spricht, muss hier und heu­te ein „Ja zur Gren­ze“ und zur kon­kre­ten Form sein, wenn sie nicht Heu­che­lei sein will. Doch zu die­ser Hal­tung bedarf es heu­te eines revo­lu­tio­nä­ren Geis­tes, einer ech­ten geis­ti­gen „Anar­chie“, die Traw­ny in Heid­eg­gers Text fin­det, aber nicht selbst erreicht. Denn hier bricht sein Grenz­gang ab. Doch auch aus die­sem Abbruch kön­nen wir ler­nen, auch aus ihm glänzt ein Auf­bruch. Doch ab hier, fürch­te ich müs­sen wir Tra­wyn als Sym­ptom lesen. Ein ehr­li­ches und kla­res Sym­ptom, das uns viel­leicht mehr sagen kann als die schein­ba­re geis­ti­ge „Gesund­heit“ vie­ler Rechter.

Traw­ny begibt sich auf der ver­zwei­fel­ten Suche nach einem Mythos, nach einem Rest­be­stand von Nar­ra­tiv und Bedeu­tung fast schlaf­wand­le­risch in den Bereich von Ausch­witz. Wie jeder Deut­sche nimmt er in die­sem „Tem­pel der Schuld“ instink­tiv und augen­blick­lich eine gebück­te Pose an, die mir und vie­len ande­ren die Lek­tü­re sol­cher Tex­te fast uner­träg­lich macht. Doch auch hier wagt sich Traw­ny weit in die Nähe des „ver­bo­te­ne Bau­mes“ der neu­en deut­schen Ideo­lo­gie. Die­ser ist, anders als die revi­sio­nis­ti­schen Flach­köp­fe (denen neben Geist auch jeder his­to­ri­sche Takt und jede Betrof­fen­heit abgeht) NICHT das Her­um­dok­torn an Zah­len. Es ist viel­mehr die Art und Wei­se des Bezugs auf den geschicht­li­chen Fakt der Juden­ver­nich­tung. Die­ser Bezug ver­rät als Fest­schrei­be­ung, Leug­nung, Tota­li­sie­rung oder Instru­men­ta­li­sie­rung immer fast alles über sein Subjekt.

Bei Traw­ny ist der Bezug ambi­va­lent- Sym­pom und Dia­gno­se gleich­zei­tig. Wo er und das muss man ihm als „mutig“ ver­bu­chen, revo­lu­tio­när wird, ist sei­ne Beschrei­bung des Kon­texts und des tra­gi­schen Zusam­men­hangs, wel­cher gele­gent­lich sogar Asso­zia­tio­nen an Nol­tes „Kau­sal­ne­xus“ wach­ruft. Traw­ny spricht expli­zit von den „Schlach­ten und Ver­nich­tungs­la­gern des zwei­ten Welt­kriegs“, nicht nur von denen „der Deut­schen“. Hier tut sich eine Per­spek­ti­ve auf, in wel­cher der Natio­nal­so­zia­lis­mus und sei­ne Mor­de im gro­ßen Zusam­men­hang der gesam­ten abend­län­di­schen-moder­nen Tra­gik erschei­nen, in der alle Ideo­lo­gien der Moder­ne als der Endk®ampf eines Welt- Men­schen und Wahr­heits­bil­des mit sich selbst ver­ständ­lich werden.
Heid­eg­gers eige­ner Irr­weg durch die­ses Geflecht aus „Tat­kult“ (Dani­el Morat), der Suche nach einem Sün­den­bock des Ver­falls, Unter­wer­fung der Wahr­heit unter den Wil­len, Über­win­dung der Moder­ne und Zäh­mung der Tech­nik hin­durch ist, das erkennt Traw­ny klar, eine not­wen­di­ge Irre. Sie ist vom Wind einer Zeit ange­weht über den wir nicht ver­fü­gen. Bei Heid­eg­gers Den­ken muss man „die Erwar­tung von Ver­ant­wor­tung und Schuld verlassen“.

Es ist das Todes­rö­cheln des neu­zeit­li­chen Sub­jek­ti­vis­mus dem sich die Meta­phy­sik des Abend­lan­des als Nihi­lis­mus ent­larvt. Die­sen Gedan­ken muss man erlebt, und erlit­ten haben. Viel­leicht führt er den, der ihn denkt not­wen­dig in die Irre, doch die Fra­ge bleibt ob man in ihr ver­harrt. Traw­ny selbst, das ist die ande­re Sei­te sei­nes Ausch­witz-Bezu­ges, bleibt an einer Schwel­le ste­hen. Als ein­zi­ge Ant­wort auf die Geschichts­lo­sig­keit, Ent­zau­be­rung der Welt und den Tod des Narr­ra­tivs erscheint ihm „Ausch­witz“ als „Nar­ra­tiv“ und „Mythos“, das die Erzäh­lung Euro­pas wie ein Kris­tall ver­sam­melt und gefan­gen hat. Die Shoa ist ihm damit „jen­seits der Geschicht­lo­sig­keit“, Heid­eg­gers Ret­tung des Gedichts und der Welt­ge­schich­te, soll uns auch „Ausch­witz“ ret­ten. Ein Wider­stand gegen den post­mo­der­nen Iko­no­klas­mus nur um des „Göt­zen“ Ausch­witz willen?

Traw­ny ver­fängt sich hier selbst in einen Wahn, der den Kern der heu­ti­gen deut­schen Ideo­lo­gie aus­macht. Ausch­witz ges­tern, heu­te und immer­dar. Ausch­witz als fins­te­res simu­la­crum eines zeit­lo­sen meta­phy­si­schen Wer­tes, als Gott des Nichts. Ausch­witz als genau jenes Ein­frie­ren, Fest­stel­len und Anhal­ten der Geschich­te, das die Tra­gö­die des Seins zer­stört. Und damit, so hat Traw­ny auf eine ver­dreh­te Art und Wei­se recht ver­hin­dert die Tota­li­sie­rung und Instru­men­ta­li­sie­rung des Holo­causts am Ende auch das kon­kre­te, ech­te und ehr­li­che Betrau­ern eines kon­kre­ten, nar­ra­ti­ven Ereig­nis­ses, jen­seits von poli­ti­schem Kal­kül und media­lem Kult.

Es ruft, wie jedes his­to­risch-reli­giö­se Dog­ma, die irren „Ket­zer“ auf den Plan, die sich in Gegen­re­fle­xen revi­sio­nis­tisch ver­ir­ren. Der Holo­caust als his­to­ri­sches Fanal, als unhin­ter­geh­ba­rer Flucht und Sam­mel­punkt unse­rer Geschich­te, als neue „Stun­de Null“ eines euro­päi­schen Mythos ist genau das was Traw­ny unbe­wusst mit Trau­er, Ekel und Wut den Rest sei­nes Tex­tes kri­ti­siert. Es ist die Hybris und Anma­ßung die Wahr­heit, das Sein und das Ereig­nis „ein­zu­frie­ren“ fest­zu­stel­len und als Sinn­stif­tung und „Grün­dungs­my­thos-BRD“ zu instru­men­ta­li­sie­ren. Jedes wirk­li­che Ver­ste­hen, das der Shoa in ihrer Ein­zig­ar­tig­keit als Ereig­nis im Zusam­men­hang mit dem Gesamt­ereig­nis der west­li­chen Moder­ne andenkt wird damit verhindert.

Es ist mir nach wie vor unbe­greif­lich wie gan­ze Gene­ra­tio­nen deut­scher Intel­li­genz nicht dazu in der Lage ist, die­sen eiser­nen Reif, der sich um Den­ken und Füh­len gelegt hat, als sol­chen zu erken­nen. Auch Traw­ny tut das nicht. Sein Text reiht sich aber in die ohmäch­ti­gen Ver­zweif­lungs­schreie ein, wie sie auch Mar­tin Wal­ser, oder vor eini­ger Zeit Will­helm Metz, der in Frei­bug Phi­lo­so­phie lehr­te hören lie­ßen. Die­ser such­te in einer Vor­le­sung nach einem „Höh­len­aus­gang aus der Moder­ne“ und erkann­te im Schuld­kult ihr ver­schlos­se­nes Tor.

Traw­ny der Grenz­gän­ger ver­harrt vor die­sem Tor. Dass er es erkennt, dass er sich in der zen­tra­len Fra­ge nach Geschich­te und Wahr­heit, nach Schuld und Sinn vor ihm ein­fin­det zeigt einen Instinkt und eine Sehn­sucht. Es zeigt aber auch die Ago­nie des deut­schen Den­kens gera­de in sei­ner „reins­ten“ Form der Phi­lo­so­phie und wie­der­um gera­de in deren „reins­ten“ Form, also bei Heid­eg­ger. Das was Deutsch­land not tut ist in der „Irr­nis­fu­ge“ als Sehn­sucht und in sei­nem Feh­len vor­ge­zeich­net: eine ech­te „Auf­ar­bei­tung“ der Ver­gan­gen­heit, eine Betrach­tung von Ausch­witz als Ereig­nis in der Gesamt-Tra­gö­die der Seins­ge­schich­te – ein­zig­ar­tig, unhin­ter­geh­bar und bedeu­tungs­voll. Nicht aber sei­ne Fixie­rung und Fest­stel­lung als „neu­er Mythos“ als nega­ti­ve Offen­ba­rung als „Fleisch­wer­dung“ eines Anti-logos, des­sen ein­zi­ges Gebot, die Selbst­ver­nich­tung ist, die anti­deut­sche Lin­ke lust­voll-kul­tisch und post­mo­der­nene Sozi­al­tech­ni­ker gleich­gül­tig beflis­sent­lich vollziehen.

Der Aus­bruch aus der Moder­ne ist gleich­zei­tig der Aus­bruch aus dem „geis­ti­gen Gefäng­nis“, wie Avram Burg das heu­ti­ge Erin­nern an den Holo­caust nann­te und indem er Deut­sche wie Juden ein­ge­schlos­sen sieht. Die gan­ze west­li­che Welt ist dar­in geschichts­los ein­ge­schlos­sen. Ihre post­mo­der­ne Betrieb­sam­keit an Kri­tik und Zer­set­zung ist eine rei­ne Far­ce indem sie einen ewi­gen geis­ti­gen Bogen um die­ses Tabu macht. Es ist ein krum­mes Den­ken, das heu­te die gera­den Bah­nen des Endes der Geschich­te baut. Das wah­re Ende der Metaer­zä­hung, die Preis­ga­be auch noch der letz­ten, nega­ti­ven Sinn­stif­tung der „Tota­li­tät“ von Ausch­witz wur­de vom deut­schen und euro­päi­schen Den­ken noch gar nicht voll­zo­gen. Viel­leicht ist es des­we­gen ewig ver­schlos­sen für den Zuspruch eines neu­en Geschicks, der das Ereig­nis, in des­sen Nach­hall wir ste­hen ver­win­den könnte…

Den­noch ist der Essay durch­aus mutig, wie auch Greg John­son aner­kennt. Nur weni­ge Zei­len tren­nen Traw­ny von einem wahr­haft „revo­lu­tio­nä­ren“ Akt, der die Mecha­nis­men der „Reter­ri­to­ri­a­li­sie­rung“ (Deleu­ze) und Ver­mark­tung, in denen er sich als Ver­le­ger selbst befin­det durch­brä­che. Mit einem ein­zi­gen „erlö­sen­den Wort“, das die Span­nun­gen und den Selbst­be­trug auf­deckt und das wah­re kri­ti­sche, kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­re Poten­ti­al von Heid­eg­gers Den­ken ent­fal­tet, könn­te sich hier ein Tor öff­nen. Doch mit die­sem Wort wür­de Traw­ny auch augen­blick­lich aus sei­nem beque­men, geord­ne­ten Leben, aus sei­nen errun­ge­nen Posi­tio­nen in jenes ver­ruch­te und ver­fem­te Lager stür­zen, dem sein Den­ken viel­leicht ins­ge­heim bereits ange­hört. Die­ses Wort bleibt aus.  Es kann sich in der poli­tisch kor­rek­ten Zone, deren “hei­li­ger Wahn­sinn” und aske­ti­scher Dog­ma­tis­mus,  sei­ne reli­giö­se Sehn­sucht nach Abso­lu­ti­on ver­leug­net, gar nicht einstellen.

„Brau­chen wir Schul­di­ge“, fragt Traw­ny an einer Stel­le um eini­ge Zei­len wei­ter zu ant­wor­ten: „ Eine Geschich­te ohne Schul­di­ge – ist uner­träg­lich“. Der „grim­mi­ge“ Geist der Rache, der den Geist Ausch­witz nicht über­win­det son­dern kon­ter­ka­riert, der „das Böse“, die Irre, das „gefähr­li­che Den­ken“ per zivil­ge­sell­schaft­li­cher Hexen­jagd im „Nazi“ ban­nen, der das Mor­den des 20. Jahr­hun­derts im Deut­schen Volk gesühnt wis­sen will – er ent­springt viel­leicht einer tie­fen Mut­lo­sig­keit. Einer Feig­heit davor nicht nur in Heid­eg­gers Denken„die Erwar­tung von Ver­ant­wor­tung und Schuld“ zu verlassen.

Es ist Traw­ny der trotz sei­ner Sehn­sucht, sei­nem Ekel und sei­ner Bit­ter­keit auch nach der Irr­nis­fu­ge wei­ter­de­bat­tie­ren, publi­zie­ren, kon­su­mie­ren und kri­ti­sie­ren wird. Er wird wei­ter im Anzug auf Kon­gres­sen tagen und auf Face­book, iro­ni­sche Agit­prop-Bil­der und unkon­ven­tio­nel­le Pro­fil­fo­tos mit zer­zaus­ten Haa­ren hoch­la­den. Welt­schmerz und Lar­moy­anz, Iro­nie und Ver­zweif­lung. „Die Dis­kur­se funk­tio­nie­ren.“ Die­ses Wort ist viel­leicht auf ihn selbst gemünzt. Auch Traw­ny stört sie nicht. Er singt, wie der „zah­me Vogel“ nur von Frei­heit aber er fliegt nicht.

Es ist eine Frei­heit, die wir „rech­te Intel­lek­tu­el­le“ und/oder Gewi-Stu­den­ten uns teu­er mit der Unmög­lich­keit jeder aka­di­schen „Kar­rie­re“ erkau­fen. Sie gibt uns einen gewis­sen tra­gisch-trot­zi­gen Stolz, wenn wir an der Super­markt-Kas­se ste­hen, für frem­de Bache­lor­ar­bei­ten ghost­wri­ten, oder als Secu­ri­ties die Par­ties der Blooms bewa­chen. Bei der Lek­tü­re der Irr­nis­fu­ge war es aber eher eine Anwand­lung von Mit­leid die in mir auf­kam. Viel­leicht sind Traw­ny und Sei­nes­glei­chen für uns noch nicht verloren.

Viel­leicht müs­sen sie jeder für sich, am Grun­de ihres pri­va­ten Elends einen eige­nen „Unter­gang“ erle­ben, der wie Traw­ny an Heid­eg­ger ange­lehnt schreibt, kein rei­nes Ende, son­dern Zäsur und neu­er Anfang, ein „Hin-Unter­gang“ sein kann. Nur am unein­ge­stan­de­nen Grund ihrer eige­nen Sehn­süch­te und Sor­gen fin­den sie viel­leicht den Mut zu jener „Anar­chi­schen Frei­heit“ des Den­kens und Sagens als„Abgrund der Frei­heit“ (H). „Frei­heit des unvor­denk­li­chen Anfangs. Anfang ist immer ein Ereig­nis, ein Bruch, Aufbruch“.

Peter Traw­ny: Irr­nis­fu­ge. Heid­eg­gers An-archie, Ber­lin: Matthes & Seitz 2015. 89 S., 10 €

Martin Sellner

Martin Sellner ist Kopf der österreichischen Identitären Bewegung.

Nichts schreibt sich
von allein!

Das Blog der Zeitschrift Sezession ist die wichtigste rechtsintellektuelle Stimme im Netz. Es lebt vom Fleiß, von der Lesewut und von der Sprachkraft seiner Autoren. Wenn Sie diesen Federn Zeit und Ruhe verschaffen möchten, können Sie das mit einem Betrag Ihrer Wahl tun.

Sezession
DE58 8005 3762 1894 1405 98
NOLADE21HAL

Kommentare (0)

Für diesen Beitrag ist die Diskussion geschlossen.