Tritt auf: die Enkelin. Nettes Mädchen, fraglos. Ohne Scheu (als altmodische Beobachterin denk ich: ohne Scham) tritt sie vor die versammelte Hundertschaft und macht den Cup Song.
Ich hab erst beim Hinterhergooglen gefunden, daß das ein beinahe alter Klassiker ist: rund 30 Millionen Klicks bei youtube. Sie singt souverän in amerikanischem Englisch, bedient cool ihr Rhythmusinstrument, auf deutsch ginge der Text so:
Ich habe mein Ticket für die lange Rundreise
Zwei Flaschen Whisky für unterwegs
Und ich hätte gern etwas süße Gesellschaft
Morgen fahre ich los – was meinst du?
Wenn ich weg bin
Du wirst mich vermissen, wenn ich weg bin
Du wirst mich wegen meiner Haare vermissen
Du wirst mich überall vermissen, oh
Nachher bietet sie noch eine Tanzeinlage. Hoch das Bein, Wackeln der kaum vorhandenen Hüfte, kesser Blick über die Schulter. Sie hat keine Scheu, keine Spur von verlegener Schüchternheit. Und wer weiß: Vielleicht wird sie entdeckt? Das Publikum jubelt, viele filmen mit. Ich spreche sie kurz an: Sie ist zehn.
Manchmal gäb ich was dafür, keine Kulturpessimistin zu sein. Dann könnte ich ehrlich sagen: „Du hast ja richtig Talent, wow, mir läuft es heiß den Rücken runter, aus Dir wird was, vielleicht eine echt große Nummer.“ So sag ich nur: „Das war professionell. Du hast Mut.“ Dabei läuft es mir kalt den Rücken runter.
26.5. 2015
Die Umstände bedingen es, daß ich den ganzen Vormittag ab sechs Uhr Radio höre. Muß ich nicht, klar. Ist eine Art freiwillige Folter. Die ersten Nachrichten bringen das Homoding, also: daß Deutschland nun dem ultrakonservativkatholischen Irland in punkto Gleichstellung hinterherhinkt, mehr noch: „eklatant“ hinterherhinkt.
Ich schalte um, dort bringen sie dieselbe Nachricht mit anderen Empörungsvokabeln. Wohin ich auch schalte, die Sache verfolgt mich. Interview hier, Kommentar dort. Allüberall das gleiche Fazit: Deutschland mit seiner lahmen Homogleichstellungspolitik ist finsteres Mittelalter. Folgt ein Beitrag über „portugiesische Intelektuelle“ und ihre „kritische Sicht auf Deutschland.“ Klar, es geht um randständige Linksintellektuelle, soll ja keiner sagen, daß unsere kritischen Journalisten dem „Mainstream“ eine Stimme geben! Kurz nach neun strahlt der Staatsfunk den Beitrag erneut aus. Ich spreche leise mit.
Dazwischen Stellungnahmen zur fortdauernden Diskriminierung Homosexueller hierzulande. Nach zehn wird in der anderen Staatsfunksparte ein Buch besprochen, daß sich kritisch mit der gängigen & unmenschlichen Asylpraxis auseinandersetzt. (Überschrift „Vertreibungsliteratur“.) Dann noch eins. Und noch eins. Besonders gut sei das erst demnächst erscheinende Nowhere Men. Illegale Migranten im Strom der Globalisierung.
Weil: Hier wurde tief recherchiert, und die Flüchtlinge erhalten ein Gesicht und ein Profil, das mitfühlen läßt. Der Rezensent ist tief beeindruckt. In einem Nebensatz erwähnt der Sprecher, daß diese Flüchtlingsgeschichten zwar fiktiv seien, aber…
Ich schalte um. Zur Homoehe, natürlich. Ich bin jetzt weichgekocht. Ich will, daß ab sofort jeder jede/n heiraten darf. Mann, Frau, Hund, Schwester, Vater. Ja, mit Adoptionsrecht, weltweit, ob Kind, Tier oder Smartphone. Ist in Ordnung. Ich meine das ernst. Es ändert nichts. Ich kenne ein weißes Lesbenpärchen, das drei Buben hat. Und eins, daß seit Jahren erfolglos in Holland samenbankt. Ganz ohne Ehe. Unter hundert heterosexuellen Bekannten und Freunden sind, über den Daumen gepeilt, 50% geschieden, die meisten hinterlassen Scheidungswaisen. Da entspricht ziemlich exakt dem bundesdeutschen Durchschnitt. Ich beschließe hiermit, daß mir die Gleichstellung der Homopaare egal ist – die zivile natürlich bloß. Wir reden hier nicht von Massen.
27.5. 2015
Wann las ich zuletzt einen Krimi? Lang her. Ausnahme: heute. Er steckte im Netz der Vordersitzes, ich war etwas müde und hatte selbst nur anstrengende Lektüre dabei. Also der Krimi. Eine gute Wahl. Ich mußte immer wieder grinsen. Etwa, wo kein Taxifahrer, erst recht kein Weißer, eine Fahrt in den ausschließlich von Immigranten bevölkerten Stadtteil übernehmen will. Oder wo es für peinliche Entschuldigung sorgt, wenn ein Gesprächspartner der weiblichen Hauptfigur Jenny unbedacht (wenn auch richtig) davon ausgeht, sie sei mit einem Mann und nicht mit einer Frau verheiratet.
Die Protagonistin ist im Dienste einer Stiftung unterwegs, sie hat vier Problemfälle: Erstens ein Projekt, in dem Mörder und andere Schwerverbrecher in einer luxuriösen Villa resozialisiert werden.
Zweitens ein schwarzes, unermeßlich reiches Ehepaar, das nicht will, daß ihr Geld für ein Urban Gardening Projekt verwendet wird. Sie wollen das Geld der kriminellen „Black Company“ zukommen lassen. Der hauptsächlich von Schwarzen bewirtschaftete Stadtgarten läuft wunderbar – allerdings nur, weil er mit meterhohen Mauern und Stacheldraht von seinem prekären multikulturellen Umfeld geschützt ist. (Der schwarze Spender wird später im Garten Amok laufen.)
Drittens geht es um ein Schulprojekt, das die Alphabetisierung in den armen Stadtteilen vorantreiben will. Jenny kann die Schule nur in Begleitung eines bewaffneten Polizisten betreten, wird dennoch aufs Schärfste angemacht und beleidigt – und findet heraus, warum dieses Projekt wenigstens leidlich läuft: Weil die verlotterten Jugendlichen Geld für den Schulbesuch ausgezahlt bekommen.
Viertens wäre da ein Theaterprojekt, das Geld von der Stiftung beansprucht, aber keinen Besuch zuläßt. Jenny mogelt sich in eine Aufführung: Gegeben wird Shakespeare, in entstellten Dialogen und mit ausschließlich splitternackten Darstellern.
Klingt alles in allem nach schräger, zutiefst pessimistischer Science-fiction? Mitnichten. Ist ein dtv-Bändchen, verfaßt von Nancy Pickard 1993, vor 22 Jahren also. Spielort ist New York. Schau nach links, von Dir aus gesehen, und Du weißt, was kommen wird.
Der Gutmensch
Wenn man davon ausgeht, dass ein nicht unwesentlicher Bevölkerungsanteil nach wie vor irgendwann klassisch heiratet, ist es eben ganz und gar nicht gleichgültig, wenn diese Einrichtung durch die Preisgabe seiner Grundvoraussetzung (verschiedenes biologisches Geschlecht der beiden Partner) abgeschafft wird. Das gilt gerade deshalb, weil es ja nur wenige sein können, die daran ein aktives Interesse haben können! Denn diese wenigen setzen dann einen neuen Standard für das gesamte Land: Die gesellschaftlich etablierte Exklusivität einer bestimmten Form der Partnerschaft wird aufgegeben; das ist alles. Sich darüber Illusionen zu machen, ist nicht gut:
Was die Regel sein soll (und in der Regel gehen die Menschen im Laufe ihres Lebens eine solche exklusive Partnerschaft ein) und was eine Ausnahme davon darstellt, darf in der Bundesrepublik nur eine Gruppe bestimmen: Nämlich die Bevölkerungsmehrheit; so kann man das dem Grundgesetz entnehmen, das genau ist der Sinn und Zweck der Demokratie (=Volksherrschaft).
Es erstaunt schon, dass ausgerechnet diejenigen, die pausenlos andere daran „erinnern“, was sich in Deutschland vor Jahrzehnten zugetragen hat, auch den geringsten Respekt vor den Konsequenzen aus diesen Vorgängen vermissen lassen: Zu den wichtigsten Konsequenzen aus dieser Zeit gehört schließlich das Grundgesetz - und zwar mit Demokratie (auf ewig) und Schutz der Ehe (zweidrittel Mehrheit)!
Man weiß in der Tat nicht, ob man darüber lachen oder heulen soll, dass man daran ausgerechnet diejenigen darauf hinweist, die sich womöglich ebenfalls Erhabeneres vorstellen können, als ausgerechnet das GG (wiewohl in deren Alternative die Ehe vermutlich ihren Rang behalten hätte). Nun, andere können sich prima Alternativen ausmalen, wie es aussieht - und die haben gewonnen!! Verloren haben - wie immer - diejenigen, die den Spatz in der Hand zu schätzen wussten. Allen anderen geht das - unterm Strich - wahlweise links oder rechts am Arsch vorbei.